Kosten- und Gebührenrecht

Unzulässige Klage im Streit um Rundfunkbeitrag wegen Verfristung

Aktenzeichen  M 6 S 15.5863

Datum:
3.3.2016
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 74 Abs. 1

 

Leitsatz

Der Zugang eines Bescheides ist erfolgt, wenn der Verwaltungsakt so in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dass dieser bei gewöhnlichem Verlauf und unter normalen Umständen unter Berücksichtigung der Verkehrsauffassung die Möglichkeit hat, von ihm Kenntnis zu nehmen. Dies ist in der Regel mit dem Einwurf der Sendung in den Briefkasten des Empfängers der Fall. Auf die tatsächliche Kenntnisnahme kommt es nicht an. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren M 6 S 15.5863 wird abgelehnt.
II.
Der Antrag wird abgelehnt.
III.
Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
IV.
Der Streitwert wird auf EUR 41,74 festgesetzt.

Gründe

I.
Mit Festsetzungsbescheid vom … November 2015 setzte der Antragsgegner für den Zeitraum vom … Januar 2015 bis … September 2015 gegenüber der Antragstellerin einen ausstehenden Rundfunkbeitrag für eine Wohnung in Höhe von a. EUR inkl. b. EUR Säumniszuschlag fest.
Laut sog. Screenshot der Historienaufstellung zum elektronisch geführten Beitragskonto der Antragstellerin ergibt sich für den Bescheid vom … November 2015 das Postauflieferungsdatum … November 2015.
Zur Niederschrift beim Bayerischen Verwaltungsgericht München erhob die Antragstellerin am … Dezember 2015 gegen den Bescheid vom … November 2015 Klage (M 6 K 15.5862) und beantragte,
die aufschiebende Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen.
Gleichzeitig wurde die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. § 60 VwGO beantragt. Die Antragstellerin lebe mindestens 7 Monate im Jahr in der Türkei und sei erst am … Dezember 2015 zurückgekommen. Sie habe daher keine Möglichkeit gehabt, früher gegen den Bescheid vorzugehen. Am … Januar 2016 stellte die Antragstellerin bei der Rechtsantragstelle des Bayerischen Verwaltungsgerichts München klar, dass der am … Januar 2016 bezüglich des Klageverfahrens gestellte Antrag auf Prozesskostenhilfe auch für das Antragsverfahren M 6 S 15.5863 gelte.
Der Antragsgegner hat mit Schriftsatz vom … Januar 2016 mitgeteilt, dass er derzeit keine Zwangsvollstreckung betreibe und bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens auch nicht einleiten werde. Aus seiner Sicht habe sich der Eilantrag damit erledigt. Einer Erledigungserklärung stimme er vorab zu und beantrage, der Antragstellerin die Kosten des Eilverfahrens aufzuerlegen, weil Klage und Antrag unbegründet seien.
Die Antragstellerin wurde mit Schreiben vom … Januar 2016, zugestellt laut Postzustellungsurkunde am … Januar 2016, aufgefordert, binnen zwei Wochen ab Zustellung des Schreibens eine Erklärung über die Erledigung des Rechtsstreits abzugeben, da sonst der Eilantrag als unzulässig (geworden) abzuweisen sei. Eine solche Erklärung gab die Antragstellerin nachfolgend nicht ab.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakten, auch des Verfahrens M 6 K 15.5862, und die Akte des Antragsgegners ergänzend Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO -)
II.
Sowohl der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO als auch der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für dieses Antragsverfahren sind ohne Erfolg.
Nach § 166 VwGO i. V. m. § 114 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung bei summarischer Prüfung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hinreichende Erfolgsaussicht liegt dabei nicht erst dann vor, wenn der erfolgreiche Ausgang des Prozesses gewiss oder überwiegend wahrscheinlich ist. Vielmehr genügt zur Bejahung hinreichender Erfolgsaussichten bereits eine gewisse Wahrscheinlichkeit hiervon. Denn die Prüfung der Erfolgsaussichten dient nicht dazu, die Rechtsverfolgung in das Prozesskostenhilfeverfahren vor zu verlagern.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist unbegründet, da der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat.
Der Antrag ist unzulässig, da die Klage gegen den Bescheid vom … November 2015 verspätet eingelegt wurde und eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht zu gewähren sein wird. Damit fehlt es bereits am Rechtsschutzbedürfnis, da der Verwaltungsakt bestandskräftig ist.
Der Bescheid wurde durch den Beklagten am … November 2015 zur Post gegeben. Der Zugang und somit die Bekanntgabe ist auf den … November 2015 (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 16. Aufl. 2015, § 41 Rd. 42) zu datieren (Art. 17 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz – VwZVG, s. auch Art. 41 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz – BayVwVfG). Die Antragstellerin hat, auch nach ihrem eigenen Vortrag, nicht innerhalb der Rechtsmittelfrist von einem Monat ab Bekanntgabe, also bis zum … Dezember 2015, Widerspruch eingelegt oder Klage erhoben (§ 68 Abs. 1 Satz 2 Alternative 1 VwGO i. V. m. Art. 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AGVwGO, §§ 70 Abs. 1, 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO).
Die Abwesenheit der Antragstellerin bis zum … Dezember 2015 führte nicht dazu, dass sich der Zugangszeitpunkt auf den Rückkehrtag verschiebt. Nach einhelliger Auffassung, die sich an den für das Zivilrecht entwickelten Grundsätzen orientiert, ist der Zugang bereits erfolgt, wenn der Verwaltungsakt so in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dass dieser bei gewöhnlichem Verlauf und unter normalen Umständen unter Berücksichtigung der Verkehrsauffassung die Möglichkeit hat, von ihm Kenntnis zu nehmen. Dies ist in der Regel mit dem Einwurf der Sendung in den Briefkasten des Empfängers der Fall. Auf die tatsächliche Kenntnisnahme kommt es nicht an.
Wegen der Kenntnisnahme von dem Bescheid erst nach der Rückkehr aus der Türkei kommt für die Antragstellerin auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Betracht. Hierbei hätte die Frist ohne Verschulden, d. h. ohne außer Acht lassen derjenigen Sorgfalt, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden im Hinblick auf die Fristwahrung geboten und zuzumuten war (Kopp/Schenke, 21. Aufl. 2015, § 60 Rn. 9), versäumt werden müssen. Bei der von der Antragstellerin vorgetragenen voraussehbar längeren Abwesenheit hätte sie Vorkehrungen für mögliche Zustellungen treffen müssen.
Im Übrigen fehlt dem Antrag auch das Rechtsschutzbedürfnis deshalb, da seit der Erklärung des Antragsgegners, den streitgegenständlichen Bescheid vom … November 2015 bis zur Entscheidung über die Klage nicht zu vollziehen, vorliegend also die festgesetzten Rundfunkbeiträge nicht im Wege der Zwangsvollstreckung beizutreiben, das rechtliche Interesse der Antragstellerin an einer entsprechenden gerichtlichen Entscheidung entfallen ist. Das Antragsverfahren hat sich erledigt.
Da die Antragstellerin gleichwohl trotz gerichtlicher Aufforderung hierzu innerhalb der ihr gesetzten Frist keine Erledigungserklärung abgegeben hat, sondern den Rechtsstreit trotz Entfallens seiner Notwendigkeit (d. h. trotz fehlendem Rechtsschutzbedürfnis) fortsetzen will, ist der Antrag auch insofern als unzulässig abzulehnen.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 3 Satz 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG) i. V. m. der Empfehlung in Nr. 1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl. 2015, Anh. § 164 Rn. 14).


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