Kosten- und Gebührenrecht

Verletzung rechtlichen Gehörs durch Nichtbescheidung des Antrags auf Terminsverlegung

Aktenzeichen  10 ZB 19.31

Datum:
5.11.2019
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 30446
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 86 Abs. 1, § 124 Abs. 2, § 166 Abs. 1 S. 1
ZPO § 114 Abs. 1 S. 1
FreizügG/EU § 6 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3

 

Leitsatz

1. Ein Rechtsmittelführer, der innerhalb der Rechtsmittelfrist die Bewilligung von Prozesskostenhilfe formgerecht beantragt hat, ist so lange als ohne Verschulden an der formgerechten Einlegung des Rechtsmittels durch einen Prozessbevollmächtigten verhindert anzusehen, bis über seinen Antrag entschieden worden ist. (Rn. 2) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs durch Nichtbescheidung des Antrags auf Terminsverlegung kommt nur dann in Betracht, wenn ein erheblicher Grund für eine Verlegung i.S.v. § 173 VwGO i.V.m. § 227 Abs. 1 ZPO vorgelegen hat und dem Gericht unterbreitet worden ist. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 10 K 17.852 2018-11-08 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

Der Antrag des Klägers auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Bevollmächtigten für einen beabsichtigten Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

Gründe

Der Antrag des Klägers, ihm für einen beabsichtigten Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 8. November 2018 Prozesskostenhilfe zu gewähren und einen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten beizuordnen, ist abzulehnen, da ein solcher Antrag keine hinreichenden Erfolgsaussichten bietet (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1, § 121 Abs. 1 ZPO). Ein Antrag auf Zulassung der Berufung wäre vielmehr voraussichtlich abzulehnen.
Dem Kläger könnte bei Gewährung von Prozesskostenhilfe zwar grundsätzlich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 Abs. 1 VwGO in die Rechtsmittelfrist des § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO gewährt werden. Denn ein Rechtsmittelführer, der innerhalb der Rechtsmittelfrist die Bewilligung von Prozesskostenhilfe formgerecht beantragt hat, ist so lange als ohne Verschulden an der formgerechten Einlegung des Rechtsmittels durch einen Prozessbevollmächtigten verhindert anzusehen, bis über seinen Antrag entschieden worden ist.
Ein Antrag auf Zulassung der Berufung hat aber aller Voraussicht nach keine hinreichenden Erfolgsaussichten, weil sich durchgreifende Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 VwGO weder aus dem Vorbringen des Klägers noch aus einer von Amts wegen erfolgenden Prüfung des angefochtenen Urteils durch den Senat ergeben.
a) Der Kläger macht zum einen den Verfahrensmangel der Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) geltend. Das Verwaltungsgericht habe nämlich über einen rechtzeitig gestellten Antrag auf Terminsverlegung nicht entschieden und trotz seines Nichterscheinens in der mündlichen Verhandlung ein Urteil gefällt. Zum Beleg hierfür legt er die Kopie eines mit 25. Oktober 2018 datierten Schreibens vor, in dem er eine Verlegung des (auf den 8. November 2018 festgesetzten) Termins zur mündlichen Verhandlung beantragt, weil er sich wegen schwerer Depression in Behandlung befinde und nicht anwaltlich vertreten sei; auf diesem Schriftstück befindet sich ein Eingangsstempel des Verwaltungsgerichts vom 26. Oktober 2018. Die Berichterstatterin der entscheidenden Kammer hat hierzu vermerkt, zwar befinde sich auf diesem Schreiben ein Eingangsstempel des Gerichts, jedoch sei der Antrag nicht zum Vorgang gelangt und habe sich daher der Kenntnis der Kammer entzogen.
Bereits dieses Schreiben mit dem Antrag auf Terminsverlegung wirft Zweifel auf. Der Kläger erklärt nicht, wie er an ein Exemplar dieses Schreibens mit einem aufgedruckten Eingangsstempel gekommen ist, nachdem er keine Einsicht in die Gerichtsakte genommen hat und das Schreiben zudem wohl auch nicht in die Gerichtsakte gelangt ist. Weiter enthält das Schreiben offensichtlich unwahre Angaben: Mit einem Schreiben, das zwar mit „26.11.2018“ datiert ist, aber in einer Art „Telefax-Rundschreiben“ an mehrere Gerichte und Behörden am 27. Oktober 2018 verbreitet wurde, teilte der Kläger seine „kurzfristige Abreise ausserhalb Europa für voraussichtlich 1 Woche“ mit. Auf gleiche Weise meldete er am 6. November 2018 abends seine „Wiedereinreise in der BRD“. Am 30. Oktober 2018 richtete er unter „Hurghada, 30.10.2018“ auf dem Briefpaper und mit Telefax-Vermerk eines dortigen Hotels eine Mitteilung an die Beklagte (alle Schriftstücke in der VG-Akte, ohne Seitenzählung). Aus alldem drängt sich der Schluss auf, dass nicht eine ärztliche Behandlung aufgrund einer Depression der Grund des – angeblichen – Terminsverlegungsantrags war, sondern wohl der Wunsch des Klägers nach einer ungestörten Urlaubsreise.
Jedenfalls aber liegt in der Nichtbescheidung des Antrags auf Terminsverlegung im vorliegenden Fall keine Verletzung des rechtlichen Gehörs.
Eine Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs kommt nur dann in Betracht, wenn ein erheblicher Grund für eine Verlegung i.S.v. § 173 VwGO i.V.m. § 227 Abs. 1 ZPO vorgelegen hat und dem Gericht unterbreitet worden ist (BVerwG, B.v. 22.5.2006 – 10 B 9.06 – juris Rn. 9; BayVGH, B.v. 8.2.2017 – 11 ZB 17.30041 – juris Rn. 16). Eine Verschiebung oder Vertagung des Termins zur mündlichen Verhandlung ist nur dann erforderlich, wenn der Beteiligte alles in seinen Kräften Stehende und nach Lage der Dinge Erforderliche getan hat, um sich durch Wahrnehmung des Verhandlungstermins rechtliches Gehör zu verschaffen, hieran jedoch ohne Verschulden gehindert worden ist (BVerwG, U.v. 29.9.1994 – 3 C 28.92 – juris Rn. 48 m.w.N.; BayVGH, B.v. 24.1.2018 – 10 ZB 17.31304 – juris Rn. 4; BayVGH, B.v. 26.1.2018 – 10 ZB 17.31356 – juris Rn. 4; Brüning in Posser/Wolff, BeckOK VwGO, Stand 1.4.2019, § 102 Rn. 9).
Im vorliegenden Fall hat der Kläger bereits nicht alles dafür getan, um sich in der mündlichen Verhandlung rechtliches Gehör zu verschaffen. Da er keine Nachricht von einer Entscheidung über seinen Terminsverlegungsantrag erhalten hatte, wäre es erforderlich und ihm zumutbar gewesen, sich entsprechend beim Gericht zu erkundigen. Gerade wenn er betont, er habe den Antrag „praktisch 2 Wochen vor der Verhandlung“ gestellt, wäre es umgekehrt auch an ihm gewesen, nachzufragen und auf eine Entscheidung zu drängen. Der Kläger hat jedoch nach der Antragstellung das Land verlassen und sich offensichtlich nicht weiter um den Gerichtstermin gekümmert.
b) Weiter bringt der Kläger vor, das Verwaltungsgericht habe seine Aufklärungspflicht verletzt, indem es in seinem Urteil Feststellungen zu einer Partnerschaft aus einem Strafurteil aus dem Jahr 2016 verwendet habe. Das Gericht wisse nicht, was seither im Leben des Klägers passiert sei; es hätte daher selbst prüfen müssen, ob er noch eine Partnerschaft in Deutschland habe.
Für die Darlegung eines Verstoßes gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) müsste substantiiert dargelegt werden, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei der Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären; weiterhin muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Erstgericht auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen (stRspr; vgl. z.B. BVerwG, B.v. 17.2.2015 – 1 B 3.15 – juris Rn. 10; BayVGH, B.v. 16.7.2015 – 10 ZB 15.463 – juris Rn. 16).
Für die Möglichkeit, einen derartigen Verfahrensfehler in einem beabsichtigten Antrag auf Zulassung der Berufung substantiiert rügen zu können, ist hier nichts ersichtlich. Das Verwaltungsgericht hat nämlich durchaus die persönlichen Belange des Klägers soweit wie möglich aufgeklärt. Es hat ihn mit Schreiben vom 6. Dezember 2017 gemäß § 87b Abs. 2 VwGO formgerecht aufgefordert, seine persönlichen Belange und Interessen darzulegen, er hat jedoch außer einem Antrag auf Fristverlängerung (die ihm gewährt wurde) nichts vorgetragen. Gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO sind die Beteiligten bei der Erforschung des Sachverhalts heranzuziehen; auch kann hinsichtlich persönlicher bzw. familiärer Bindungen in aller Regel nur der Betroffene selbst substanzielle Ausführungen machen. Das Verwaltungsgericht hat daher darauf abgestellt, dass die Beziehung des Klägers zu seinem Lebensgefährten nach den Feststellungen des Strafgerichts im Jahr 2016 wohl schon nicht mehr bestanden habe, und festgestellt, dass eine weitere Aufklärung hierzu mangels Mitwirkung des Klägers nicht möglich gewesen sei (UA S. 4). Der Kläger hat im Übrigen auch im vorliegenden Verfahren keinerlei Angaben zu persönlichen bzw. familiären Bindungen im Bundesgebiet gemacht.
c) Auch sonst lassen die Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils keine zur Zulassung der Berufung führenden Gründe erkennen, insbesondere keine Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Das Gericht hat zulässigerweise auf den angefochtenen Bescheid vom 7. Februar 2017 Bezug genommen (§ 117 Abs. 5 VwGO), ferner auf seinen Beschluss vom 29. November 2017, mit dem es die Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt hat, und auf den hierzu ergangenen Beschluss des Senats vom 8. März 2018 (10 C 17.2548) im darauf folgenden Beschwerdeverfahren; ergänzend hat es noch später eingetretene Umstände gewürdigt.
Bereits im Beschluss vom 8. März 2018 (10 C 17.2548) hat der Senat festgestellt, dass die Straftat, wegen der der Kläger verurteilt wurde, ein persönliches Verhalten erkennen lässt, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt, wodurch eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (§ 6 Abs. 1, Abs. 2 FreizügG/EU), und dass die getroffene Ermessensentscheidung (vgl. Kurzidem in Kluth/Heusch, BeckOK AuslR, Stand 1.8.2019, § 6 FreizügG/EU Rn. 33) auch unter Würdigung der in § 6 Abs. 3 FreizügG/EU genannten Belange nicht zu beanstanden ist. Es ist nichts vorgetragen oder sonst erkennbar, was diese Feststellung nunmehr in Zweifel ziehen könnte.
Da somit für einen Antrag auf Zulassung der Berufung keine hinreichenden Erfolgsaussichten bestehen, kommt es nicht mehr darauf an, dass der Kläger in seiner Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vom 20. Dezember 2018, die er mit dem vorliegenden Antrag auf Prozesskostenhilfe eingereicht hat, offensichtlich unzutreffende Angaben gemacht hat. Dort sind als Einkommen lediglich Einnahmen an Arbeitslosengeld genannt, die in ihrer Höhe zum weitaus größten Teil von den angegebenen Wohnkosten aufgezehrt werden; ferner nennt er ein lediglich geringfügiges Kapitalvermögen, aber Zahlungsverpflichtungen in beträchtlicher Höhe.
Andererseits hat sich der Kläger – wie bereits dargelegt – Ende Oktober / Anfang November 2018 etwa eineinhalb Wochen in einem 5-Sterne-Hotel in Ägypten aufgehalten. Weiter hat er am 26. Juli 2018 beim Verwaltungsgericht bereits (erfolgreich) einen Antrag auf Terminsverlegung (damals für den 9. August 2018) gestellt, weil er sich auf einer bereits geplanten und bezahlten Urlaubsreise in Ägypten befinde. Aus der zum Nachweis dafür vorgelegten Buchungsbestätigung ergibt sich, dass er einen dreiwöchigen Urlaub (6.-27.8.2018) ebenfalls in einem 5-Sterne-Hotel gebucht hatte, wobei allein der Aufenthalt dort 2.082,15 Euro gekostet hatte. Dies lässt vermuten, dass der Kläger noch eine Einkommensquelle oder Vermögen hat, die er in den vorgelegten Unterlagen verschweigt.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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