Kosten- und Gebührenrecht

Zulässigkeit der teilweisen Abänderungsklage

Aktenzeichen  73 O 3237/17

Datum:
25.1.2019
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 18907
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Landshut
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 323
BayBesG § 84
BGB § 249 Abs. 1, § 823

 

Leitsatz

1. Die Wesentlichkeitsschwelle von 10% als Voraussetzung für die Abänderung eines rechtskräftigen Urteils ist ein bloßer Richtwert und kann auch unterschritten werden. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine lediglich teilweise Abänderung eines Urteils wird durch den Wortlaut des § 323 ZPO nicht ausgeschlossen und ist in den Grenzen des Rechtsmissbrauchs zulässig. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bei der Neufestsetzung eines Erwerbsminderungsschadens sind Besoldungskürzungen – hier: die Streichung einer Stellenzulage – auch dann zu berücksichtigen, wenn diese irrtümlich der ursprünglichen Bemessung zugrunde gelegt wurden. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Das Urteil des Landgerichts Landshut 73 O 2302/06 am 25.06.2009 wird insofern teilweise abgeändert, als die Beklagte verurteilt wird, an den Kläger für das 1. Quartal 2018 bis einschließlich das 4. Quartal 2019 statt der dort unter Ziffer 1.10, 1.12 und 1.14 des Tenors für diese Quartale aufgeführten Beträge quarteilsweise im Voraus jeweils 17.165,49 € zu bezahlen zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz
– für das Quartal I/2018 aus einem Betrag von 2.290,39 € ab Quartalsbeginn
– für die Quartale II/2018 und III/2018 aus einem Betrag von je 1.799,25 € ab Quartalsbeginn
– für das Quartal IV/2018 aus einem Betrag von 108,66 € ab Quartalsbeginn
– für das Quartal I/2019 aus einem Betrag von 2.290,39 € ab Quartalsbeginn
– für die Quartale II/2019 bis IV/2019 aus einem Betrag in Höhe von je 17.165,49 € ab Quartalsbeginn
2.Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger 1.101,94 € an Nebenkosten zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab 10.02.2018 zu bezahlen.
3.Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. 
4.Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 37 % und die Beklagte 63 % zu tragen.
5.Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet. 
Beschluss
Der Streitwert wird auf 18.997,05 € festgesetzt.

Gründe

Die Klage erweist sich als zulässig und teilweise begründet.
I.
Das Gericht hat vorliegend hinsichtlich der Zulässigkeit der Abänderungsklage keine Bedenken. Sie ist auf Gründe gestützt wird, die nach Schluss der mündlichen Verhandlung im Vorprozess entstanden sind, nämlich eine Änderung der dem Ausgangsurteil zugrundeliegenden Besoldung für Berufsschullehrer. Auch sieht das Gericht in der lediglich teilweise begehrten Abänderung des Ersturteils angesichts der Teilbarkeit des Streitgegenstandes keine Zulässigkeitsproblematik.
II.
Die Klage erweist sich jedoch lediglich teilweise als begründet:
1. Vorauszuschicken ist, dass das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Abänderung des Urteils vom 25.06.2009 zwischen den Parteien unstreitig ist (vgl. Anlage K 8) und bezogen auf die Höhe der abzuändernden Teile des Tenors die wesentlichen Punkte auch unstreitig sind (dazu s.u.).
Ergänzend ist hierzu noch auszuführen, dass bei genauer Berechnung zwar lediglich ein Änderungsvolumen von 9,6% vorliegt und damit ein solches unterhalb von 10% (Summe der streitgegenständlichen acht Quartale gemäß Urteil vom 25.06.2009: 125.328,82 €; Summe der streitgegenständlichen acht Quartale nach neuer Berechnung, s.u.: 137.323,92 €; Differenz somit 11.995,10 € (= Gesamterhöhung um 9,6%); zur Berechnung s.u.). Diese Schwelle wird – wie seitens des Klägervertreters umfangreich ausgeführt – durch die Rechtsprechung im Allgemeinen als Wesentlichkeitsgrenze im Rahmen von Abänderungsklagen herangezogen. Diese Grenze ist jedoch in der Rechtsprechung weitaus weniger starr als dargestellt. Die Beurteilung, ob eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse „wesentlich“ ist, darf nämlich nicht schematisch erfolgen, sondern muss unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls vorgenommen werden. Die Wesentlichkeitsschwelle von 10% ist ein bloßer Richtwert (OLG Hamm, FamRZ 2004, 1051). Vorliegend geht das Gericht davon aus, dass angesichts der konkreten Umstände des Einzelfalles (der Kläger ist aufgrund des der deliktischen Schadensersatzpflicht der Beklagten zugrundeliegenden Verkehrsunfalles, erwerbsunfähig und daher für den Lebensunterhalt auf die Zahlungen der Beklagten angewiesen; Die Höhe der im Raum stehenden Gesamtsumme ist verhältnismäßig hoch) auch die knapp unter 10% liegende Erhöhung sich einschneidend auswirkt und mithin „wesentlich“ im Sinne des § 323 Abs. 1 Satz 2 ZPO ist.
2. Die begehrte teilweise Abänderung für lediglich die Jahre 2018 und 2019 erachtet das Gericht nicht nur für zulässig, sondern auch begründet. Eine lediglich teilweise Abänderung wird durch den Wortlaut des § 323 ZPO nicht ausgeschlossen. Streitentscheidend ist lediglich, ob hierdurch die Entscheidung des Gesetzgebers, im Rahmen von Abänderungsklagen gegen Urteile, welche künftig fällig werdende wiederkehrende Leistungen zusprechen (§ 258 ZPO), lediglich Tatsachen für eine Abänderung zuzulassen, aus denen sich eine wesentliche Veränderung der zugrundeliegenden Tatsachen ergibt (§ 323 Abs. 1 Satz 2, Abs. 4 ZPO), unterlaufen wird. Nachdem das Gesetz grundsätzlich den Verfahrensbeteiligten den Weg der Erhebung einer Teilklage ermöglicht, ist dieses Vorgehen nach Ansicht des Gerichts auch in der vorliegenden Fallkonstellation möglich, solange die Grenze zum Rechtsmissbrauch nicht überschritten ist.
Dies ist nach Ansicht des Gerichts vorliegend noch nicht der Falle. Hier ist zu sehen, dass eine 100-%-ige Haftung der Beklagten zum Schadensersatz unstreitig ist, ebenso die Tatsache, dass der Kläger ohne den Unfall verbeamteter Berufsschullehrer geworden wäre und es aufgrund des Unfalles nicht wurde. Dass sich der Schadensersatz an der Beamtenbesoldung orientiert, ist Grundlage des Ausgangsurteils und im Übrigen ebenfalls unstreitig. Hätte der Kläger statt einer Titulierung bis zum fiktiven Pensionsdatum den Weg einer Feststellungsklage gewählt, so wären ihm sämtliche Erhöhungen in der entsprechenden Beamtenbesoldung zugutegekommen. Nachdem der Kläger durch die jetzt gewählte Vorgehensweise nicht besser gestellt wird, als er stehen würde, wen er zu Anfang eine andere prozessuale Vorgehensweise gewählt hätte (und wie es der materiellen Rechtslage entspricht (vgl. § 249 Abs. 1 BGB)), liegt aus Sicht des Gerichts noch keine rechtsmissbräuchliche Vorgehensweise vor. Da eben das klägerseits gewünschte Ergebnis der materiellen Sach- und Rechtslage entspricht, nämlich ein an der (aktuellen) Berufsschullehrerbesoldung orientierter Schadensersatz, kann das Vorgehen nicht als unredlich oder rechtsmissbräuchlich angesehen werden, zumal sich der Anspruch aus Deliktsrecht ergibt, was wertend mit zuberücksichtigen ist. Nachdem in dieser Frage allerdings mit sehr guten Gründen die Gegenansicht vertretbar wäre, erscheint eine obergerichtliche Klärung dieser Frage für alle Beteiligten wünschenswert.
3. Nicht zu berücksichtigen war jedoch die mittlerweile nicht mehr an die Berufsschullehrer ausbezahlte Stellenzulage VB 27b. Diese wurde bereits zum Zeitpunkt des Urteils vom 25.06.2009 nicht mehr an Berufsschullehrer ausbezahlt, was damals von allen Beteiligten übersehen worden war. Die Rechtskraft des Urteils vom 25.06.2009 steht dem nicht gemäß § 323 Abs. 2 ZPO entgegen. Zwar ist zutreffend, dass die Grundlagen des Vorurteils nicht angegriffen werden können. Grundlage ist hier jedoch – wie von der Beklagten zutreffend ausgeführt – das Besoldungsgefüge, welches dem Endurteil vom 25.06.2009 unstreitig zugrunde lag. Dieses Besoldungsgefüge ist jedoch mehr als lediglich die Summe seiner Einzelkomponenten, sondern muss als Ganzes gesehen werden. Die gestrichene Stellenzulage kann vor diesem Hintergrund nicht isoliert zur Schadensberechnung weiterverwendet werden. Im Übrigen basiert die Klage des Klägers auf einer Anhebung der Grundbesoldung mit der Folge einer unstreitig vorliegenden wesentlichen Veränderung der Verhältnisse. Im Gegenzug müssen auch Besoldungskürzungen in die Berechnung miteinfließen. Die Streichung der Stellenzulage ist so gesehen als Kürzung auf null zu werten.
4. Zur Anspruchshöhe ist auszuführen, dass die Berechnungsgrundlagen und auch die Höhe der einzelnen Positionen zwischen den Beteiligten unstreitig sind. Die Beklagtenseite ist der letzten Berechnung des Klägervertreters im Schriftsatz vom 30.10.2018 nicht entgegengetreten.
Im Einzelnen:
Netto-Monatslohn (vgl. Schriftsatz vom 12.10.2018, durch die Beklagte im Schriftsatz vom 30.10.2018 nicht bestritten): 4.261,20 €
Abzüglich 5% ersparte Aufwendungen -213,06 €
Beiträge für Krankenkasse: 329,57 €
Beiträge zur Pflegekasse: 55,46 €
Vorauszahlung für Einkommensst. und Solidaritätszuschlag: 1.288,74 €
Summe monatlich: 5.721,83 €
Summe pro Quartal: 17.165,49 €
5. Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 286, 288 BGB. Dabei geht das Gericht mangels entgegenstehender Anhaltspunkte davon aus, dass die Beklagte ihrer Verpflichtung aus dem Urteil vom 25.06.2009 für die Quartale I/2018 bis I/2019 nachgekommen ist und Verzug lediglich in Höhe des jeweiligen Differenzbetrages vorliegt. Die vorgerichtlichen Kosten kann der Kläger aus § 823 Abs. 1, 115 VVG verlangen, nachdem es sich bei dem Rechtsstreit um eine Folge des Verkehrsunfalles vom 27.06.1998 handelt und es sich um ersichtlich keine einfache Regulierungsfrage handelt. Die Ersatzpflicht ergibt sich jedoch lediglich aus einem Gegenstandswert von 11.995,10 € (s.u.).
5. Die Kostenverteilung ergibt sich aus § 92 Abs. 1 ZPO. Der Kostenverteilung lag ein Streitwert von 18.997,05 € zugrunde. Dieser ergibt sich aus der Differenz der mit dem letzten Antrag des Klägers im Schriftsatz vom 16.07.2018 geltend gemachten Gesamtsumme für alle acht Quartale (144.325,87 €) und der Summe aller acht Quartale gemäß Urteil vom 25.06.2009 (125.328,82 €). Dabei obsiegt der Kläger mit einem Betrag von 11.995,10 € (8 x 17.165,49 € abzüglich 125.328,82 €). Dies ergibt eine Kostenverteilung von 37% : 63%.
Die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 8, Nr. 11, 711 ZPO.


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