Kosten- und Gebührenrecht

Zur Kostenregelung zulasten eines Beteiligten im vorläufigen Rechtsschutzverfahren wegen Verschuldens und zur Frage der Hauptsacheerledigung

Aktenzeichen  15 CE 16.1333

Datum:
26.9.2016
Fundstelle:
BayVBl – 2017, 565
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 78 Abs. 1 Nr. 1, § 123, § 146, § 152 Abs. 1, § 154 Abs. 1, § 155 Abs. 4
LKrO Art. 37 Abs. 1
NHG-Bek Nr. 2.1.3
GKG GKG § 47 Abs. 1 S. 1, § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 63 Abs. 2 S. 1

 

Leitsatz

1. Ein Landkreis handelt schuldhaft im Sinn des § 155 Abs. 4 VwGO, wenn er in einem Schreiben Signatur und Wappen allein des Landkreises verwendet, obwohl das Landratsamt als Staatsbehörde tätig wird. (amtlicher Leitsatz)
2 Die Erkenntnis, dass der Antragsgegner für ein Rechtsschutzbegehren nicht passivlegitimiert ist, stellt keinen nach der Rechtshängigkeit eines Antrags eingetretenen Grund dar, der dem ursprünglichen Begehren rechtlich oder tatsächlich die Grundlage entzieht. (redaktioneller Leitsatz)
3 Die Regelung des § 155 Abs. 4 VwGO kann nicht nur die ausscheidbaren Mehrkosten für einzelne Prozesshandlungen erfassen, sondern die gesamten Prozesskosten, wenn durch ein schuldhaftes vorprozessuales Verhalten die Erhebung eines an sich vermeidbaren Rechtsschutzbegehrens verursacht wurde. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RO 2E 16.815 2016-06-08 Bes VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I.
Ziffer I. des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 8. Juni 2016 wird geändert. Er erhält folgende Fassung:
„Der Antrag wird abgelehnt.“
II.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 15.000 € festgesetzt.

Gründe

I. Die Antragsteller begehren die Feststellung, dass das von ihnen angestrengte Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung erledigt ist.
Sie hatten am 6. Mai 2016 im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nach § 123 VwGO beim Verwaltungsgericht Regensburg ursprünglich unter anderem die Unterlassung der Belegung eines benachbarten Wohnhauses mit Asylsuchenden im Wege des bauaufsichtlichen Einschreitens beantragt. Der Antrag richtete sich in einem Parallelverfahren vor dem Verwaltungsgericht (Az. RO 2 E 16.736) zunächst nur gegen den Freistaat Bayern. Am 19. Mai 2016 erhielt der Bevollmächtigte der Antragsteller vom Landratsamts eine mit Signatur und Wappen des „Landkreises R. – Öffentliche Sicherheit und Ordnung“ versehene e-mail, in der mitgeteilt wurde, dass das betreffende Wohnhaus am 25. Mai 2016 mit insgesamt neun Personen belegt werde. Daraufhin haben die Antragsteller mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 23. Mai 2016 „vorsorglich“ ihren Antrag dahingehend erweitert, dass auch der Landkreis verpflichtet wird, es einstweilen zu unterlassen, das Wohnhaus mit Asylbegehrenden zu belegen. Zur Begründung haben sie vorgetragen, aus der e-mail werde nicht deutlich, ob das Landratsamt als untere Staatsbehörde des Freistaats Bayern oder als Behörde des Landkreises handle.
Mit Schreiben vom 24. Mai 2016 an das Verwaltungsgericht hat der Antragsgegner beantragt, den Antrag abzulehnen. Zur Begründung hat er ausgeführt, für die Zuweisung der Asylbewerber in die Asylbewerberunterkünfte sei der Freistaat Bayern und nicht der Antragsgegner zuständig. Daraufhin erklärten die Antragsteller mit Schriftsatz vom 31. Mai 2016 den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt. Der Antragsgegner widersprach der Erledigungserklärung. Er vertrat die Auffassung, dass kein nachträglich erledigendes Ereignis eingetreten sei.
Mit Beschluss vom 8. Juni 2016 stellte das Verwaltungsgericht Regensburg fest, dass das Verfahren erledigt ist. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus: Es liege ein wirksamer Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vor; in der vorsorglichen Erweiterung des bereits gegen den Freistaat Bayern gerichteten Rechtsschutzbegehrens auf den Antragsgegner liege keine bedingte Antragstellung. Mit der Erklärung des Antragsgegners vom 24. Mai 2016 sei eine Erledigung des Verfahrens eingetreten. Dem ursprünglichen Antragsbegehren sei die Grundlage entzogen worden, weil die Belegung des streitgegenständlichen Wohnhauses durch den Antragsgegner nicht (mehr) drohe. Darauf, ob das ursprüngliche Rechtsschutzbegehren zulässig und begründet gewesen sei, komme es nicht an.
Hiergegen wendet sich der Antragsgegner mit seiner Beschwerde. Er ist der Auffassung, dass ein erledigendes Ereignis nicht vorliege. Die Erklärung vom 24. Mai 2016, dass er der falsche Antragsgegner sei, habe keine Unzulässigkeit oder Unbegründetheit des Antrags verursacht.
Der Antragsgegner beantragt,
unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 8. Juni 2016 den Antrag abzulehnen.
Die Antragsteller beantragen,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und auf die vom Antragsgegner vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II. 1. Die nach § 146 Abs. 1 und 4, § 147 VwGO zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg.
Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts erweist sich unter Berücksichtigung der von dem Antragsgegner dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, als unzutreffend. Das Verwaltungsgericht hat rechtsfehlerhaft festgestellt, dass das vorläufige Rechtsschutzverfahren nach § 123 VwGO in der Hauptsache erledigt ist. Es hätte das Feststellungsbegehren der Antragsteller ablehnen müssen.
a) Zutreffend hat das Verwaltungsgericht zunächst angenommen, dass sich, nachdem die Antragsteller im erstinstanzlichen Verfahren den Rechtsstreit einseitig für erledigt erklärt haben, der Streitgegenstand dergestalt geändert hat, dass der Rechtsstreit nur noch auf die Feststellung beschränkt ist, ob die Hauptsache erledigt ist. Auch im vorläufigen Rechtsschutzverfahren ist eine Umstellung des ursprünglichen Rechtsschutzbegehrens in ein Begehren auf Feststellung der Hauptsacheerledigung zulässig, wenn sich der Antragsgegner der Erledigungserklärung des Antragstellers widersetzt (vgl. OVG LSA, B. v. 31.7.2014 – 2 M 36/14 – NVwZ-RR 2014, 822 = juris Rn. 1 m. w. N.; OVG NRW, B. v. 14.7.2016 – 19 B 95/16 – juris Rn. 2 m. w. N.).
b) Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts ist der Rechtsstreit in der Hauptsache jedoch nicht erledigt.
Ein Rechtsstreit hat sich in der Hauptsache (objektiv) erledigt, wenn der Rechtsschutzsuchende infolge eines nachträglich eingetretenen, außerprozessualen Ereignisses sein Begehren nicht mehr mit Aussicht auf Erfolg weiterverfolgen kann, diesem vielmehr rechtlich oder tatsächlich die Grundlage entzogen ist (vgl. BVerwG, B. v. 3.7.2006 – 7 B 18/06 – juris Rn. 11; U. v. 1.9.2011 – 5 C 21.10 – juris Rn. 12). Es müssen nach Rechtshängigkeit Umstände eingetreten sein, aufgrund derer die Klage bzw. der Antrag jedenfalls jetzt als unzulässig oder unbegründet abgewiesen werden müsste. Darauf, ob der Sachantrag ursprünglich zulässig und begründet war, kommt es nicht an (vgl. BVerwG, U. v. 31.10.1990 – 4 C 7.88 – BVerwGE 87, 62 = juris Rn. 19 f.; B. v. 19.5.1995 – 4 B 247/94 – Buchholz 310 § 161 VwGO Nr. 108 = juris Rn. 14; B. v. 18.6.1999 – 6 P 4/99 – juris Rn. 7).
Nach diesem Maßstab ist hier keine Erledigung der Hauptsache eingetreten. Die Erklärung des Antragsgegners im Schreiben vom 24. Mai 2016 ist schon kein Ereignis außerhalb des Prozesses, sondern stellt eine (innerprozessuale) Stellungnahme des Antragsgegners im Rahmen des erstinstanzlichen Verfahren zu dem vorläufigen Rechtsschutzantrag dar, in der er seine Rechtsauffassung bezüglich des richtigen Antragsgegners entsprechend § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO wiedergibt. Auch stellt der Umstand, dass die Antragsteller aufgrund dieser Stellungnahme die Erkenntnis gewonnen haben, dass der Antragsgegner für ihr Rechtsschutzbegehren nicht passivlegitimiert ist, keinen nach der Rechtshängigkeit ihres Antrags eingetretenen Grund dar, der dem ursprünglichen Begehren rechtlich oder tatsächlich die Grundlage entzogen hätte. Vielmehr bestand dieser Grund von Beginn des Verfahrens an und ist nicht erst nachträglich während des Verfahrens durch die Stellungnahme vom 24. Mai 2016 weggefallen. Die Stellungnahme hat die fehlende Passivlegitimation für die Antragsteller lediglich offenbar gemacht. Darin liegt aber keine Erledigung der Hauptsache.
2. Trotz des Erfolgs der Beschwerde haben die Antragsteller die Kosten des Verfahrens nicht gemäß § 154 Abs. 1 VwGO zu tragen. Diese sind vielmehr abweichend hiervon nach § 155 Abs. 4 VwGO dem Antragsgegner aufzuerlegen.
Nach dieser Bestimmung können Kosten, die durch Verschulden eines Beteiligten entstanden sind, diesem auferlegt werden. Die Kostenregelung zulasten eines Beteiligten wegen Verschuldens nach § 155 Abs. 4 VwGO geht als Spezialregelung allen übrigen Kostenregelungen und damit auch derjenigen des § 154 Abs. 1 VwGO vor (vgl. OVG NRW, B. v. 2.9.2004 – 1 LB 18/04 – juris Leitsatz und Rn. 5; Neumann in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 155 Rn. 77). Die Regelung kann nicht nur die ausscheidbaren Mehrkosten für einzelne Prozesshandlungen erfassen, sondern die gesamten Prozesskosten, wenn durch ein schuldhaftes vorprozessuales Verhalten die Erhebung eines an sich vermeidbaren Rechtsschutzbegehrens verursacht wurde (vgl. Neumann in Sodan/Ziekow, a. a. O., § 155 Rn. 84). Ein Verschulden eines Beteiligten im Sinn des § 155 Abs. 4 VwGO liegt vor, wenn dieser unter Außerachtlassung der erforderlichen und ihm zumutbaren Sorgfalt durch sein Verhalten einen anderen Beteiligten oder das Gericht zu Prozesshandlungen oder Entscheidungen veranlasst hat, die nicht erforderliche Kosten verursacht haben (vgl. OVG NRW, B. v. 23.6.2014 – 2 A 104/12 – juris Rn. 110; HessVGH, U. v. 20.1.2005 – 3 UE 2553/04 – ZfBR 2005, 481 = juris Rn. 36; Neumann, in Sodan/Ziekow, a. a. O., § 155 Rn. 80).
So liegen die Dinge hier. Der Antragsgegner hat durch die Verwendung der Signatur und des Wappens in dem e-mail-Schreiben vom 19. Mai 2016, die ihn selbst als Aussteller der Erklärung ausweisen, den vorliegenden Rechtsstreit und damit durch vorprozessuales Verhalten die Entstehung der (gesamten) Prozesskosten verursacht. Denn die Antragssteller haben, wie die Antragsbegründung zeigt, die Erweiterung ihres ursprünglich nur gegen den Freistaat Bayern gerichteten vorläufigen Rechtsschutzantrags auf den Antragsgegner nur deswegen angestrengt, weil das e-mail-Schreiben in Signatur und Wappen den Landkreis als Aussteller der Erklärung ausgewiesen hat. Der Gebrauch der Signatur und des Wappens war auch schuldhaft, weil er – worauf bereits das Verwaltungsgericht zutreffend hingewiesen hat – entgegen den Vorgaben von Nr. 2.1.3 Spiegelstrich 2 der Bekanntmachung über kommunale Namen, Hoheitszeichen und Gebietsänderungen vom 25. März 2000 (AllMBl S. 324), zuletzt geändert durch Bekanntmachung vom 18.11.2010 (AllMBl S. 393) – NHG-Bek – erfolgt ist. Danach ist das kleine Staatswappen zu verwenden und die alleinige Verwendung des Wappens des Landkreises unzulässig, wenn das Landratsamt als Staatsbehörde tätig wird. An diese vom Staatsministerium des Innern erlassene Verwaltungsvorschrift ist das Landratsamt als Staatsbehörde gebunden.
Eine andere Beurteilung ist nicht deswegen geboten, weil es dem Prozessbevollmächtigten der Antragsteller aufgrund seiner Fachkenntnisse möglich gewesen wäre, zu überprüfen, ob das Landratsamt als Staatbehörde oder als Behörde des Landkreises gehandelt hat, oder weil ihm aus der bisherigen Korrespondenz bekannt sein musste, dass es sich bei der Abteilung „Öffentliche Sicherheit und Ordnung“ um eine staatliche Abteilung handelt, wie der Antragsgegner meint. Denn die Abgrenzung der Zuständigkeit kann sich auch für einen Juristen wegen der „Janusköpfigkeit“ des Landratsamts, das sowohl als Kreisbehörde als auch als Staatsbehörde handeln kann (Art. 37 Abs. 1 LKrO), im Einzelfall als schwierig erweisen. Zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes dürfen die prozessualen Anforderungen an die Beteiligten nicht derart erschwert werden, dass sie auch von einem durchschnittlichen, nicht auf das gerade einschlägige Rechtsgebiet spezialisierten Rechtsanwalt mit zumutbarem Aufwand nicht mehr erfüllt werden können (vgl. BVerfG, B. v. 22.8.2011 – 1 BvR 1764/09 – NVwZ-RR 2011, 963 = juris Rn. 30). Schon wegen der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gegebenen Eilbedürftigkeit hätte es aber die Anforderungen an den Prozessbevollmächtigten der Antragsteller überspannt, wenn man verlangt hätte, dass dieser – trotz der irreführenden Angaben im e-mail-Schreiben vom 19. Mai 2016 – hätte ermitteln müssen, ob es sich bei dem darin angegebenen Aussteller tatsächlich um den richtigen Antragsgegner handelt.
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1 und § 52 Abs. 1 GKG. Der Senat folgt der Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts im angefochtenen Beschluss, gegen die die Beteiligten keine Einwände erhoben haben.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO; § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).


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