Medizinrecht

Abhängiges Beschäftigungsverhältnis eines Gesellschafters, der nicht Geschäftsführer ist

Aktenzeichen  L 7 R 920/15

Datum:
20.10.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
NZG – 2016, 1382
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB IV SGB IV § 7, § 7a

 

Leitsatz

1. Gesellschafter, die ihnen nicht genehme Beschlüsse der Gesellschafterversammlung aufgrund ihrer gesellschaftlichen Stellung verhindern können, können trotzdem in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis zur Gesellschaft stehen, wenn sie nicht gleichzeitig Geschäftsführer sind. (amtlicher Leitsatz)
2 Anders als bei einem zum Geschäftsführer bestimmten Gesellschafter reicht bei einem mitarbeitenden Gesellschafter eine Sperrminorität nicht aus. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 2 R 8064/12 2013-12-11 Urt SGREGENSBURG SG Regensburg

Tenor

I.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 11. Dezember 2013 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 21. Mai 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. November 2012 abgewiesen.
II.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens, wobei die Beigeladenen ihre Kosten selbst tragen.
III.
Die Revision wird nicht zugelassen.
IV.
Der Streitwert wird für beide Instanzen festgesetzt auf jeweils 5.000,00 Euro.

Gründe

Die zulässige Berufung ist begründet.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 11.12.2013 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 21.05.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.11.2012 abgewiesen.
Diese Entscheidungen der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin und den Beigeladenen zu 1) nicht nach § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG in ihren Rechten. Zu Recht hat die Beklagte mit streitgegenständlichen Bescheiden festgestellt, dass der Beigeladene zu 1 bei seiner Tätigkeit mittels Beratungsvertrages abhängig beschäftigt und damit in der Zeit vom 01.05.2011 und 26.06.2012 versicherungspflichtig in der gesetzlichen Kranken-, Pflege-, Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung war.
Rechtsgrundlage für den angefochtenen Feststellungsbescheid ist § 7a Abs. 1 Satz 1 SGB IV. Danach können Beteiligte schriftlich eine Entscheidung beantragen, ob eine Beschäftigung vorliegt, es sei denn die Einzugsstelle oder ein anderer Versicherungsträger hätte im Zeitpunkt der Antragstellung bereits ein Verfahren zur Feststellung einer Beschäftigung eingeleitet. Hierfür bestehen im vorliegenden Fall jedoch keine Anhaltspunkte.
Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, unterliegen grundsätzlich der Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch [SGB V], § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Elftes Buch [SGB XI], § 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch [SGB VI] und § 25 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch [SGB III]).
Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer solchen versicherungspflichtigen Beschäftigung ist § 7 Abs. 1 SGB IV. Danach ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis.
Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setzt eine solche versicherungspflichtige Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und er dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet.
Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich ausgehend von den genannten Umständen nach dem Gesamtbild der Arbeitsleistung und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (st. Rspr.; vgl. zum Ganzen z. B. BSG, Urteil v. 29.08.2012, B 12 R 14/10 R, BSG, Urteil v. 25.04.2012, B 12 KR 24/10 R,).
Bei der Feststellung des Gesamtbilds kommt dabei den tatsächlichen Verhältnissen nicht voraussetzungslos ein Vorrang gegenüber den vertraglichen Abreden zu (vgl. BSG, Urteil v. 29.08.2012, B 12 R 14/10 R). Nach den vom BSG entwickelten Grundsätzen sind die das Gesamtbild bestimmenden tatsächlichen Verhältnisse die rechtlich relevanten Umstände, die im Einzelfall eine wertende Zuordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung erlauben.
Ob eine „Beschäftigung“ i. S. v. § 7 SGB IV vorliegt, ergibt sich aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es im Rahmen des rechtlich Zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist. Ausgangspunkt ist daher zunächst das Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es sich aus den von ihnen getroffenen Vereinbarungen ergibt oder sich aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lässt. Eine im Widerspruch zu ursprünglich getroffenen Vereinbarungen stehende tatsächliche Beziehung und die hieraus gezogene Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehung gehen der nur formellen Vereinbarung vor, soweit eine – formlose – Abbedingung rechtlich möglich ist. Umgekehrt gilt, dass die Nichtausübung eines Rechts unbeachtlich ist, solange diese Rechtsposition nicht wirksam abbedungen ist. Zu den tatsächlichen Verhältnissen in diesem Sinne gehört daher unabhängig von ihrer Ausübung auch die einem Beteiligten zustehende Rechtsmacht. In diesem Sinne gilt, dass die tatsächlichen Verhältnisse den Ausschlag geben, wenn sie von Vereinbarungen abweichen. Maßgeblich ist die Rechtsbeziehung so, wie sie praktiziert wird, und die praktizierte Beziehung so, wie sie rechtlich zulässig ist (BSG, Urteil v. 28.09.2011, B 12 R 17/09 R).
Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die Beklagte zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, dass der Beigeladene zu 1 im streitgegenständlichen Zeitraum bei der Klägerin als Berater abhängig beschäftigt gewesen ist.
Die Bewertung und Gewichtung der relevanten Abgrenzungsmerkmale zeigt, dass das vertraglich vereinbarte und tatsächlich praktizierte Vertragsverhältnis im Wesentlichen dem einer abhängigen Beschäftigung entspricht, wogegen Aspekte, die für eine selbstständige Tätigkeit sprechen, nicht in relevantem Umfang vorhanden sind.
Diese allgemeinen Grundsätze zur Unterscheidung einer abhängigen Beschäftigung von einer selbstständigen Tätigkeit gelten auch für Geschäftsführer einer GmbH.
Grundsätzlich kann ein Geschäftsführer einer GmbH zu dieser in einem Beschäftigungsverhältnis stehen. Allerdings schließt ein rechtlich maßgeblicher Einfluss auf die Willensbildung der Gesellschaft aufgrund der Gesellschafterstellung ein Beschäftigungsverhältnis aus, wenn der Gesellschafter-Geschäftsführer damit Einzelanweisungen an sich im Bedarfsfall jederzeit verhindern kann. Das Bundessozialgericht bejaht eine selbstständige Tätigkeit, wenn der Geschäftsführer auch Gesellschafter ist und als solcher entweder Mehrheitsgesellschafter ist oder über eine Sperrminorität dergestalt verfügt, dass er an ihn gerichtete Weisungen verhindern kann (BSG, Urteil vom 29.08.2012, B 12 KR 25/10 R, Rn. 25). Demgegenüber geht das BSG in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass Fremdgeschäftsführer (Geschäftsführer ohne Gesellschaftsanteile) in der Regel in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis stehen (siehe BSG, Urteil vom 29.08.2012, B 12 R 14/10 R, Rn. 21).
Die neuere Rechtsprechung des BSG stellt bei der Beurteilung, ob ein Gesellschafter-Geschäftsführer anhängig beschäftigt ist, im Ergebnis in erster Linie darauf ab, ob der Geschäftsführer aufgrund seiner Stellung als Gesellschafter die Rechtsmacht hat, unliebsame Weisungen in Bezug auf seine Geschäftsführertätigkeit zu verhindern (vgl. etwa BSG, Urteil vom 29.08.2012, B 12 KR 25/10 R). Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteile vom 11.11.2015, B 12 KR 10/14 R und B 12 KR 13/14 R) kommt einer solchen Gesellschafterstellung entscheidende Indizwirkung für eine selbstständige Tätigkeit zu.
Dies gilt jedoch nur, wenn ein Gesellschafter gleichzeitig auch Geschäftsführer ist und in keinem anderen Rechtsverhältnis für die Gesellschaft tätig wird, bei dem er Weisungen des Geschäftsführers der Gesellschaft unterliegt (BSG, Urteil vom 25.01.2006, B 12 KR 30/04 R, Rn. 23).
Der Geschäftsführer der Klägerin Cz. war im Rahmen der laufenden Geschäftsführung rechtlich und tatsächlich in der Lage, Weisungen gegenüber Angestellten bzw. anderen abhängig Beschäftigten der Klägerin, damit auch gegenüber dem Beigeladenen zu 1, zu erteilen. Eine Einschränkung des Weisungsrechts sah weder der Gesellschaftsvertrag noch der Geschäftsführervertrag vor (vgl. dazu BayLSG Urteil vom 26.06.2015, L 16 R 1240/13 Rz. 44). Der Geschäftsführer war berechtigt und auch verpflichtet, soweit notwendig, Weisungen zu erteilen.
Der Kläger hätte Weisungen des Geschäftsführers Cz. an sich nur verhindern können, wenn er aufgrund seiner Gesellschafterstellung die Gesellschafterversammlung beherrscht hätte. Eine derartige Rechtsmacht hatte der Kläger nicht. Anders als bei einem zum Geschäftsführer bestimmten Gesellschafter reicht bei einem mitarbeitenden Gesellschafter eine Sperrminorität nicht aus. Vielmehr muss ein beherrschender Einfluss auf die Gesellschafterversammlung bestehen, um von einer selbstständigen Tätigkeit ausgehen zu können. Der Kläger hätte Weisungen der Gesellschafterversammlung und der Geschäftsführung hinsichtlich seiner Tätigkeit als Berater verhindern können müssen. Das war vorliegend nicht der Fall. Der Kläger konnte zwar direkte Weisungen der Gesellschafterversammlung verhindern. Weisungen des Geschäftsführers im Rahmen der ordnungsgemäßen Führung der Geschäfte konnte er jedoch weder rechtlich noch tatsächlich verhindern.
Nachdem aus der gesellschaftsrechtlichen Stellung kein ausschlaggebendes Indiz für die Beurteilung der Tätigkeit als selbstständig oder abhängig beschäftigt abgeleitet werden kann, ist in erster Linie der Beratungsvertrag für die Beurteilung der Tätigkeit ausschlaggebend.
Dieser Vertrag enthält typische Merkmale eines Angestellten, der abhängig beschäftigt ist, vor allem das monatliche Festgehalt. Der Beigeladene zu 1 erhielt damit seine fachlichen Beiträge für die Klägerin unabhängig vom wirtschaftlichen Erfolg der Klägerin ohne unternehmerisches Risiko bezahlt. Bei seiner Tätigkeit im Rahmen der Beratung unterlag er den Weisungen des Gesellschaftergeschäftsführers Cz. Denn die Durchführung des Beratungsvertrages oblag auf Seiten der Klägerin ausschließlich dem Geschäftsführer, der vom Beigeladenen zu 1 die vertraglich geschuldeten Leistungen einfordern konnte. Insoweit war der Geschäftsführer gegenüber dem Beigeladenen zu 1 weisungsbefugt. Bei seiner Tätigkeit, die der Beigeladene zu 1 für die Klägerin ausführte, war der Beigeladene zu 1 auch in die Organisationsstruktur der Klägerin eingegliedert. Er hatte seine Tätigkeit in enger Zusammenarbeit mit der Klägerin zu erbringen, insbesondere auch die Geschäftsidee so umzusetzen, dass die Klägerin erfolgreich auf dem Markt starten konnte.
Demgegenüber fallen die Elemente, die für eine selbstständige Tätigkeit sprechen, nur unwesentlich ins Gewicht. Bezüglich Ort und Zeit der Leistungserbringung war der Beigeladene zu 1 zwar im Wesentlichen frei, auch wenn nach Nr. 2 des Vertrages letztlich Einvernehmen mit der Klägerin hierfür notwendig war. Soweit die Vertragspartner im Vertrag beide eine selbstständige Tätigkeit wollten, kommt diesem Willen ebenso nur eine untergeordnete Bedeutung zu wie dem Fehlen arbeitnehmertypischer Rechte wie z. B. Urlaubsanspruch, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall usw.. Dies alles sind von den Vertragspartnern gewählte Gestaltungselemente, die hinter der in §§ 7, 7a SGB IV zum Ausdruck kommenden gesetzgeberischen Bewertung von Tätigkeiten als Beschäftigung regelmäßig zurücktreten, da sie in erster Linie nur formalen Charakter haben.
Für eine selbstständige Tätigkeit spricht zwar des Weiteren, dass der Beigeladene zu 1 sein Know-how in die Klägerin einbrachte, mit seiner Geschäftsidee auch Mitgründer der Klägerin war und im Kern die Klägerin um die Geschäftsidee des Beigeladenen zu 1 entstanden ist. Jedoch wurde in Umsetzung der Geschäftsidee des Beigeladenen zu 1 die Firmenstruktur mittels des Gesellschaftsvertrages, einem anderen Geschäftsführer und lediglich einem Beratungsvertrages für den Beigeladenen zu 1 so gewählt, dass der Beigeladene zu 1, sollte es zu Schwierigkeiten aufgrund des Beratungsvertrages kommen, sich letztlich insoweit mit dem Geschäftsführer auseinandersetzen musste. Sein Vetorecht innerhalb der Gesellschaft aufgrund seiner Anteile und der gesellschaftsrechtlich abgesicherten Stimmbindung war insoweit unbedeutend, da im Gesellschaftervertrag der Gesellschafterversammlung bei Ausführung des Beratungsvertrages keine eigenständigen Rechte eingeräumt waren.
Im Ergebnis wurde der Kläger daher in der genannten Zeit nicht als Selbstständiger für die Klägerin tätig und der Berufung der Beklagten war im Ergebnis stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG und der Erwägung, dass die Klägerin mit ihrem Begehren erfolglos blieb.
Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.
Der Streitwert wird für beide Instanzen auf 5.000,00 Euro festgesetzt gemäß § 197a SGG i. V. m. § 52 Gerichtskostengesetz (GKG) entsprechend der Rechtsprechung des Senats (Beschluss vom 07.07.2015, 3/15 B), die wiederum auf der Rechtsprechung des BSG beruht.


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