Medizinrecht

Allgemeinverfügung, Aufschiebende Wirkung, Ansteckungsverdächtiger, Verwaltungsgerichte, Anordnung der aufschiebenden Wirkung, Erhebung der Anfechtungsklage, Anfechtungsklage gegen, Kontaktperson, Essenseinnahme, Krankheitsverdächtige, Prozeßbevollmächtigter, Effektiver Rechtsschutz, Streitwertfestsetzung, Prozeßkostenhilfeverfahren, Festsetzung des Streitwerts, Streitwertkatalog, Antragstellers, Beschwerdeschrift, Beschwerde gegen, Wert des Beschwerdegegenstandes

Aktenzeichen  M 26b S 21.1557

Datum:
23.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 6317
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
IfSG § 28 Abs. 1 S. 1
IfSG § 30 Abs. 1 S. 2
Allgemeinverfügung Quarantäne von Kontaktpersonen der Kategorie 1 und von Verdachtspersonen, Isolation von positiv auf das Coronavirus SARS-CoV-2 getesteten Personen (AV Isolation)

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller, der in A … wohnt, wendet sich gegen die Anordnung häuslicher Quarantäne als Kontaktperson der Kategorie 1.
Der Antragsteller lebt in einem Haushalt mit seiner Ehefrau respektive Partnerin und drei Kindern. Am 13. März 2021 wurde einer der beiden Söhne positiv auf SARS-CoV-2 getestet.
Mit E-Mail vom 19. März 2021 teilte das Landratsamt Rosenheim dem Antragsteller unter anderem mit, dass dieser als Kontaktperson der Kategorie 1 gelte und sich bis mindestens 27. März 2021 in Quarantäne begeben müsse.
Mit Schreiben vom 21. März 2021 stellte der Bevollmächtigte des Antragstellers einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung beim Verwaltungsgericht München. Er beantragt,
1. „Die aufschiebende Wirkung einer Klage gegen den Bescheid des Gesundheitsamtes/Landratsamtes Rosenheim vom 19.3.2021 – ohne Aktenzeichen – wird angeordnet.“
2. „Hilfsweise beantrage ich für den Fall der Unzulässigkeit des Antrags:
Es wird einstweilen festgestellt, dass der Antragsteller sich nicht bis zum 27.3.2021 in häusliche Quarantäne zu begeben hat.“
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass der Antragsteller mangels eines Kontakts von mindestens 15 Minuten bei einer Entfernung von unter 1,5 Metern zum Quellfall nicht als Kontaktperson der Kategorie 1 einzuordnen sei. Die Lebensabläufe der Hausstandsmitglieder seien deutlich getrennt voneinander. Der einzige Fall des Zusammentreffens der Familienmitglieder von einigem Gewicht erfolge bei der Essenseinnahme. Die Essenseinnahme, die an einem 2,5 Meter langen Tisch erfolge, dauere jedoch maximal 15 Minuten und erfolge immer im Abstand von 1,5 Metern zueinander. Der Antragsteller sei daher als Verdachtsperson zu qualifizieren, bei der die Quarantäne mit einem negativen PCR-Testergebnis ende. Ein solches negatives PCR-Testergebnis liege seit dem 19. März 2021 vor und sei durch einen weiteren Test vom 22. März 2021 bestätigt worden, so dass die Voraussetzungen für eine Quarantäne von mindestens 14 Tagen gemäß der einschlägigen Allgemeinverfügung nicht gegeben seien. Auch gestalte sich die temporäre Schließung des A … der Familie als schwierig und führe insbesondere zu finanziellen Einbußen. Bei der rechtlichen Beurteilung des Falls sei zu beachten, dass die E-Mail Verwaltungsaktqualität besitze, weshalb ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellt werde. Für den Fall, dass das Gericht der Auffassung sei, dass sich die Rechtswirkungen unmittelbar aus der Allgemeinverfügung ergebe, werde ein Antrag nach § 123 VwGO gestellt.
Der Antragsgegner beantragte mit Schreiben vom 23. März 2021,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO unstatthaft sei mangels erhobener Anfechtungsklage. Auch komme der E-Mail des Landratsamtes Rosenheim keine Verwaltungsaktqualität zu, weshalb der ausdrücklich gegen den Bescheid, der in der E-Mail des Landratsamtes gesehen werde, erhobene Antrag bereits unzulässig sei. Im Übrigen sei der Antrag auch unbegründet, da der Antragsteller zu Recht als Kontaktperson der Kategorie 1 eingeordnet worden sei; eine Freitestungsmöglichkeit bestehe daher erst nach Ablauf der ersten 14 Tage der Quarantäne. Schließlich richte sich der Hilfsantrag gegen den falschen Antragsgegner, weil die Stadt A … insofern der richtige Antragsgegner sei.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
1. Der Antrag ist zunächst gemäß §§ 88, 122 VwGO dahingehend auszulegen, dass der Antragsteller die Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer gegen die Allgemeinverfügung Isolation gerichteten, noch zu erhebenden Klage begehrt.
Aus der Begründung des Antrags ist ersichtlich, dass sich der Antragsteller gegen die Anordnung der Quarantäne und seine Einstufung als Kontaktperson der Kategorie 1 wendet. Da sich die Quarantäneanordnung aus der Allgemeinverfügung „Quarantäne von Kontaktpersonen der Kategorie 1 und von Verdachtspersonen, Isolation von positiv auf das Coronavirus SARS-CoV-2 getesteten Personen“ (AV Isolation) vom 25. Februar 2021 (BayMBl. 2021 Nr. 151), geändert durch Allgemeinverfügung vom 9. März 2021 (BayMBl. 2021 Nr. 176), ergibt, die gemäß Art. 35 Satz 2 BayVwVfG Verwaltungsaktqualität besitzt, ist in der Hauptsache eine Anfechtungsklage statthaft. Die Mitteilung des Landratsamtes über die Einstufung des Antragstellers als Kontaktperson der Kategorie 1 ist als unselbstständige Mitwirkungshandlung zur Allgemeinverfügung gemäß § 44a Satz 1 VwGO nicht selbständig anfechtbar. Nachdem sich sämtliche Pflichten des Betroffenen unmittelbar aus der Allgemeinverfügung ergeben und sich die Bedeutung der Mitteilung des Gesundheitsamts darin erschöpft, für den konkret Betroffenen die Allgemeinverfügung in Kraft zu setzen, geht die Mitteilung über die Einstufung als Kontaktperson I als unselbstständige Verfahrenshandlung in der Allgemeinverfügung auf. Dementsprechend wird diese Einstufung in der Allgemeinverfügung als „Mitteilung“ und nicht als „Anordnung“ bezeichnet. Die Frage, ob die Einstufung als Kontaktperson I zu Recht erfolgt ist, wird vom Gericht im Rahmen des Rechtsschutzes gegen die Allgemeinverfügung inzident geprüft.
In Anbetracht der Eilbedürftigkeit und aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) legt das Gericht den Antrag dahingehend aus, dass er auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer gegen die AV Isolation noch zu erhebenden Klage gerichtet ist (§ 80 Abs. 5 VwGO). Ein Antrag gemäß § 123 VwGO kommt wegen der Vorrangs des Eilrechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO nicht in Betracht (§ 123 Abs. 5 VwGO). Dass der Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers irrtümlich davon ausgeht, dass die Allgemeinverfügung keine Verwaltungsaktqualität besitze, weshalb ausweislich des Antragswortlauts die Mitteilung des Landratsamts über die Einstufung als Kontaktperson 1 vom 19. März 2021 angegriffen wird, ist unschädlich. Ihm geht es jedenfalls erkennbar um ein Vorgehen gegen die bestehende Quarantäneverpflichtung, so dass der Antrag rechtsschutzfreundlich als gegen die Allgemeinverfügung Isolation gerichtet auszulegen ist.
2. Der so verstandene Antrag ist zulässig, aber unbegründet.
a) Statthaft ist ein auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gerichteter Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO, da Widerspruch und Anfechtungsklage gegen Maßnahmen nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) kraft Gesetzes keine aufschiebende Wirkung entfalten, § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 28 Abs. 1, Abs. 3 i. V. m. § 16 Abs. 8 IfSG.
Gegen die Antragstellung vor Klageerhebung bestehen keine rechtlichen Bedenken. Zwar spricht für die Sichtweise der Antragsgegnerin, dass ein Antrag auf aufschiebende Wirkung die Erhebung einer Anfechtungsklage voraussetze, dass ohne eine bereits erhobene Anfechtungsklage kein Rechtsbehelf existiert, dessen aufschiebende Wirkung angeordnet werden kann. Dieser Sichtweise steht jedoch der explizite Wortlaut des § 80 Abs. 5 Satz 2 VwGO entgegen, wonach der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig ist. Zudem würde das Erfordernis der Erhebung einer Anfechtungsklage bis zur Entscheidung über den Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zu einer mit Blick auf das Gebot des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) bedenklichen faktischen Verkürzung der in § 74 Abs. 1 Satz 1 VwGO bestimmten einmonatigen Klagefrist führen (vergleiche zu dieser Problemstellung auch § 80 Abs. 5 VwGO, Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 139).
b) Der Antrag ist jedoch unbegründet.
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Dabei trifft das Gericht im Rahmen einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage eine eigene, originäre Ermessensentscheidung unter Abwägung des von der Behörde geltend gemachten Interesses an der sofortigen Vollziehung ihres Bescheides und des Interesses des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung einer Klage. Wesentliches Element dieser Entscheidung sind die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens. Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO allein erforderliche summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf offensichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid bei kursorischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig, besteht kein Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht hinreichend absehbar, bleibt es bei einer allgemeinen Interessenabwägung.
Im vorliegenden Fall hat die in der Hauptsache zu erhebende Anfechtungsklage voraussichtlich keinen Erfolg, so dass das öffentliche Interesse am Vollzug der Anordnung das private Interesse des Antragstellers überwiegt.
(1.) Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung des Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, da es sich bei der Quarantäneanordnung um einen Dauerverwaltungsakt handelt. Maßgeblich ist die AV Isolation vom 25. Februar 2021 (BayMBl. 2021 Nr. 151) in der Fassung vom 9. März 2021 (ByMBl. 2021 Nr. 176).
(2.) Rechtsgrundlage für die Quarantäneanordnung ist § 28 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 30 Abs. 1 Satz 2 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG). Gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG trifft die zuständige Behörde unter anderem dann, wenn Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt werden, die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in den §§ 29 bis 31 IfSG genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist. Sie kann gemäß § 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG insbesondere die Absonderung von Kranken, Krankheitsverdächtigen, Ansteckungsverdächtigen oder Ausscheidern anordnen (vergleiche zur Anwendung von § 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG auf die häusliche Quarantäne: BayVGH, B.v. 6.11.2020 – 20 CS 20.2573 – beck online Rn. 14; OVG Lüneburg, Beschluss vom 22. Oktober 2020 – 13 ME 386/20 -, Rn. 5, juris; Johann/Gabriel in BeckOK, Infektionsschutzrecht, Stand 1.7.2020, § 30 Rn. 5.1; a.A. Lindner in Schmidt, COVID-19, 2. Aufl. 2020, § 17 Rn. 79).
(3.) Formelle Mängel der Allgemeinverfügung wurden weder vorgetragen noch sind solche ersichtlich.
(4.) Die Anordnung der Quarantäne als Kontaktperson der Kategorie 1 begegnet auch materiell-rechtlich keinen Bedenken.
(a) Das Virus SARS-CoV-2 ist ein Krankheitserreger im Sinne von § 2 Nr. 1 IfSG, der zur Lungenkrankheit COVID-19, einer übertragbaren Krankheit im Sinne von § 2 Nr. 3 IfSG führen kann und rechtfertigt daher grundsätzlich die Anordnung einer Quarantäne als Schutzmaßnahme. Insoweit folgt das Gericht der zutreffenden Begründung der AV Isolation (BayMBl. 2021 Nr. 151, S. 5 f.) und sieht daher von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 117 Abs. 5 VwGO).
(b) Gemäß Nr. 1. 1 und 2.1.1 der AV Isolation haben sich Kontaktpersonen, d. h. Personen, denen vom Gesundheitsamt mitgeteilt wurde, dass sie aufgrund eines engen Kontakts zu einem bestätigten Fall von COVID-19 nach den jeweils geltenden Kriterien des Robert Koch-Instituts Kontaktpersonen der Kategorie 1 sind, unverzüglich nach der Mitteilung des Gesundheitsamtes in Quarantäne zu begeben, sofern keine andere Anordnung der zuständigen Kreisverwaltungsbehörde erfolgt.
Kontaktpersonen der Kategorie 1 nach der geltenden Einstufung des Robert Koch-Instituts sind Ansteckungsverdächtige im Sinne von § 2 Nr. 7 IfSG und daher richtige Adressaten einer Schutzmaßnahme. Nach § 2 Nr. 7 IfSG ist ein Ansteckungsverdächtiger eine Person, von der anzunehmen ist, dass sie Krankheitserreger aufgenommen hat, ohne krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider zu sei. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist Letzteres anzunehmen, wenn der Betroffene mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Kontakt zu einer infizierten Person oder einem infizierten Gegenstand hatte. Dafür ist es nicht erforderlich, dass sich die Aufnahme von Krankheitserregern „geradezu aufdrängt“; eine bloß entfernte Wahrscheinlichkeit genügt aber nicht. Erforderlich und ausreichend ist, dass die Annahme, der Betroffene habe Krankheitserreger aufgenommen, wahrscheinlicher ist als das Gegenteil (vgl. grundsätzlich BVerwG, Urt. v. 22.3.2012, 3 C 16/11, BVerwGE 142, 205, juris Rn. 31). Für die vorzunehmende Risikoprognose gilt der allgemeine Grundsatz des Gefahrenabwehrrechts, dass an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen sind, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist. Bei der Risikoabschätzung ist also das Gewicht des drohenden Schadens bzw. des zu schützenden Rechtsguts wertend einzubeziehen.
Im vorliegenden Fall ist die Einordnung des Antragstellers als Kontaktperson der Kategorie 1 und damit als Ansteckungsverdächtige rechtlich nicht zu beanstanden.
Nach den derzeit gültigen Kriterien des Robert Koch-Instituts, dem der Gesetzgeber im Bereich des Infektionsschutzes mit § 4 IfSG besonderes Gewicht eingeräumt hat, werden Kontaktpersonen der Kategorie 1 (höheres Infektionsrisiko) zugeordnet, wenn entweder (A) ein enger Kontakt (< 1,5 m, Nahfeld) länger als 15 Minuten ohne adäquaten Schutz, d. h. Quellfall und Kontaktperson tragen nicht durchgehend und korrekt einen Mund-Nasen-Schutz oder eine Mund-Nasen-Bedeckung, zu einer positiv auf SARS-CoV-2 getesteten Person bestand oder wenn (B) ein Kontakt unabhängig von Abstand mit wahrscheinlich hoher Konzentration infektiöse Aerosole im Raum für einen Zeitraum von mehr als 30 Minuten zu einer positiv auf SARS-CoV-2 getesteten Person bestand. Unter den beispielhaften Konstellationen für Kontaktpersonen der Kategorie 1 werden Personen mit kumulativ mindestens 15-minütigem Gesichtskontakt („face-to-face“) ohne Mund-Nasen-Schutz oder Mund-Nasen-Bedeckung mit einem Quellfall, z. B. im Rahmen eines Gesprächs. Dazu gehören z. B. Personen aus demselben Haushalt (A) (Robert Koch-Institut, Kontaktpersonen-Nachverfolgung bei SARS-CoV-2-Infektionen, Stand 5.3.2021, abrufbar unter https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Kontaktperson/Management.html).
Bei dem Antragsteller handelt es sich um eine Kontaktperson der Kategorie 1 Situation (A), da er länger als 15 Minuten ohne adäquaten Schutz Kontakt zu (symptomlos) an COVID-19 erkrankten Person hatte. Die Situation des Antragstellers lässt sich unter die beispielhaft genannte Konstellation von kumulativ mindestens 15-minütigem Gesichtskontakt zu einer positiv getesteten Person subsumieren, da zu diesen Personen explizit auch Personen desselben Haushalts gehören. Einen solchen Haushalt bildet der Antragsteller mit einer positiv getesteten Person sowie drei weiteren Person. Bedenken gegen die Einstufung von Hausstandsmitgliedern als Kontaktpersonen der Kategorie 1 bestehen nicht, da bei einer häuslichen Gemeinschaft mit einer positiv getesteten Person nach allgemeiner Lebenserfahrung regelmäßig von einer körperlichen Nähe und somit von einem engen Kontakt zu dieser Person auszugehen ist.
Soweit der Antragsteller vorbringt, dass die dem Haushalt angehörenden Personen deutlich voneinander getrennte Lebensabläufe hätten und enge Kontakte untereinander vermeiden würden, führt dies zu keiner anderen Bewertung. Wie der Antragsteller selbst vorträgt, treffen die Haushaltsmitglieder zur Essenseinnahme zusammen, so dass von einer konsequenten Vermeidung von Kontakten zueinander nicht gesprochen werden kann. Mangels einer konsequenten Vermeidung von Kontakten untereinander kann daher auch das Vorbringen, dass bei der Essenseinnahme ein Abstand von 1,5 Metern gewahrt wird und eine Essenseinnahme maximal 15 Minuten dauere, keine andere Einschätzung rechtfertigen.
Aber auch bei einer Unterstellung des Vorbringens zur Kontaktvermeidung jenseits der Essenseinnahme als zutreffend, rechtfertigt dies keine andere Bewertung. Ausweislich der Vorgaben des Robert Koch-Instituts („kumulativ mindestens 15-minütiger Gesichtskontakt“) ist zum einen auf eine kumulative Betrachtung des Kontakts abzustellen. Da der Antragsteller mit dem Quellfall nicht nur einmalig, sondern regelmäßig zusammen isst, ist davon auszugehen, dass es zu entsprechenden Kontakten von in der Summe mindestens 15 Minuten zur positiv getesteten Person gekommen ist. Zum anderen kann, da der Esstisch des Haushalts nach eigenem Vorbringen nur zweieinhalb Meter lang ist, bei einer gemeinsamen Essenseinnahme von insgesamt fünf Personen an diesem Esstisch nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht davon ausgegangen werden, dass ein Abstand von 1,5 Metern zur infizierten Person strikt eingehalten wird.
Es ist daher davon auszugehen, dass die Einstufung des Antragstellers als Kontaktperson 1 zu Recht erfolgt ist, so dass die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Quarantäneanordnung vorlagen.
(5.) Die Anordnung der Quarantäne steht im Ermessen der Behörde, welches gemäß § 114 VwGO gerichtlich überprüfbar ist. Ermessensfehler sind nicht ersichtlich; insbesondere verstößt die Anordnung nicht gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und auch die Länge der Quarantäne ist nicht zu beanstanden.
(a) Die Anordnung der Quarantäne ist verhältnismäßig.
Das Gericht verkennt nicht, dass die Anordnung einer Isolation (Quarantäne) erheblich in die Grundrechte des Antragstellers, insbesondere in die Bewegungsfreiheit, die allgemeine Handlungsfreiheit und die freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 GG) sowie gewöhnlich die Berufsfreiheit (Art. 12 GG) eingreift und zudem den Familienfrieden einer erheblichen Belastung aussetzt. In Anbetracht des gewichtigen Ziels der Pandemiebekämpfung und des damit verfolgten Schutzes von Leben und Gesundheit der Bevölkerung und des Funktionierens des staatlichen Gesundheitssystems erweist sich die Quarantäneordnung dennoch als verhältnismäßig.
Die Quarantäneanordnung dient einem legitimen Zweck. Das Isolieren von Erkrankten und die Nachverfolgung von Kontaktpersonen ist seit Beginn des Corona-Geschehens in Deutschland eine zentrale Säule der Bekämpfungsstrategie. Die Quarantäneanordnung ist geeignet, Infektionsketten zu unterbrechen und der Ausbreitung der Pandemie entgegenzuwirken. Sie ist auch erforderlich, dieses Ziel zu erreichen. Da die Nachverfolgung und Isolation von Kontaktpersonen eine wesentliche Säule der Pandemiebekämpfung darstellt, ist ein milderes, aber ebenso wirksames Mittel in der derzeitigen Situation nicht ersichtlich. Die getroffene Anordnung ist auch angemessen. Dem Eingriff in die Rechte des Antragstellers steht der Schutz von Gesundheit und Leben der Allgemeinheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG), insbesondere demjenigen von Risikopatienten, sowie der Schutz des öffentlichen Gesundheitssystems vor einer Überlastung bei ungehinderter Ausbreitung des Infektionsgeschehens gegenüber. Angesichts der hochwertigen Rechtsgüter Leib und Leben, der möglichen gravierenden, teils irreversiblen Folgen eines möglichen erneuten Anstiegs von Infektionen und Erkrankungen einer Vielzahl von Personen ist der Eingriff trotz seiner Intensität als angemessen zu bewerten, zumal der Gesetzgeber mit den §§ 56 ff. IfSG Regelungen zur Entschädigungen beruflicher Verdienstausfälle geschaffen hat.
(b) Auch die voraussichtliche Dauer der Quarantäne von 14 Tagen ist nicht zu beanstanden. Diese bemisst sich nach Nr. 6.1.2, da es sich bei dem Antragsteller um eine Kontaktperson der Kategorie 1 handelt, die in einem Hausstand mit einem COVID-19-Fall lebt.
Nach Nr. 6.1.2 der Allgemeinverfügung Isolation, die eine von der allgemeinen für Kontaktpersonen der Kategorie I geltenden Bestimmung (Nr. 6.1.1) abweichende Regelung für Hausstandsmitglieder trifft, werden Hausstandsmitglieder von COVID-19-Fällen, die nicht erkranken oder mit Atemwegssymptomen erkranken, aber durch eine molekularbiologische (PCR-)Testung negativ auf SARS-CoV-2 getesteten wurden, für mindestens 14 Tage nach Symptombeginn des Primärfalls, bei asymptomatischen Primärfällen für mindestens 14 Tage ab dem Datum der Abstrichnahme, die dem Erstnachweis des Erregers zugrunde liegt, unter Quarantäne gestellt, unabhängig vom Auftreten weiterer Fälle im Hausstand. Die Quarantäne endet, wenn eine frühestens 14 Tage nach dem Symptombeginn oder bei asymptomatischen Primärfällen 14 Tage nach der Abstrichnahme des Primärfalls durchgeführte Testung ein negatives Testergebnis zeigt, mit dem Vorliegen des negativen Testergebnisses. Andernfalls entscheidet die jeweils zuständige Kreisverwaltungsbehörde über das Ende der Quarantäne.
Der Bemessung der Quarantänedauer liegt die Inkubationszeit von in den meisten Fällen maximal 14 Tagen zugrunde (Robert-Koch-Institut, Kontaktpersonennach Verfolgung bei SARS-CoV-2 Infektionen, Stand 5.3.2021, https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Kontaktperson/Management.html). Die Forderung eines negativen Testergebnisses am Ende der Quarantänezeit findet seine Rechtfertigung in der Überlegung, dass damit ausgeschlossen werden kann, dass ein Betroffener erst gegen Ende der Quarantänezeit – ggf. auch asymptomatisch – an COVID-19 erkrankt, nach Ablauf der Quarantänezeit unerkannt infektiös ist und so die Gefahr der Ansteckung weiterer Personen besteht.
Die Dauer der am 27. März 2021 endenden Quarantäne (der positive Test des Sohns des Antragstellers datiert vom 13. März 2021) von mindestens 14 Tagen begegnet daher keinen Bedenken. Da die am 18. und 22. März 2021 bei dem Antragsteller durchgeführten, negativ ausgefallenen Tests vor Ablauf von 14 Tagen nach der Abstrichnahme beim Primärfall am 13. März 2021 erfolgt sind, vermögen diese negativen PCR-Testergebnisse die Quarantänedauer von mindestens 14 Tagen nicht zu verkürzen.
Nachdem sich die Quarantäneanordnung einschließlich der voraussichtlichen Dauer somit aller Voraussicht nach als rechtmäßig erweist, ist der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung abzulehnen.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 in Verbindung mit § 52 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes und Ziffer 1.5 Satz 2 das Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen


Nach oben