Medizinrecht

Allgemeinverfügung, Ermächtigungsgrundlage, Ansteckungsverdächtiger, besonderes Feststellungsinteresse, Klagebefugnis, Entschädigungsansprüche, Verwaltungsgerichte, Krankheitsverdächtige, Befähigung zum Richteramt, Eigentumsgarantie, Übertragbare Krankheiten, Rechtsschutzbedürfnis, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Schutzmaßnahmen, Zeitnahe Geltendmachung, Auswahlermessen, Schriftsätze, Berufsfreiheit, Maßgeblicher Zeitpunkt, Rechtsmittelbelehrung

Aktenzeichen  W 8 K 20.519

Datum:
22.1.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 639
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1
IfSG § 28 Abs. 1
IfSG § 16
GG Art. 14 Abs. 1
GG Art. 12 Abs. 1
GG Art. 3 Abs. 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Die Klage ist schon unzulässig und im Übrigen auch unbegründet.
1. Statthafte Klageart ist die Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO.
Die Änderung der mit Klageschrift vom 7. April 2020 ursprünglich als Anfechtungsklage erhobenen Klage in eine Fortsetzungsfeststellungsklage ist gem. § 173 Satz 1 i.V.m. § 264 Nr. 2 ZPO kraft Gesetzes zulässig. § 91 VwGO ist insoweit nicht anwendbar. Die Geltung der Allgemeinverfügung war nach ihrer Nr. 6 bis einschließlich 19. April 2020 befristet, so dass mit Zeitablauf inzwischen Erledigung eingetreten ist.
Bei den Nummern 3 bis 8 der Allgemeinverfügung handelt es sich mangels Regelung schon um keinen Verwaltungsakt im Sinne von Art. 35 BayVwVfG, so dass diese schon keinen tauglichen Gegenstand einer Fortsetzungsfeststellungsklage darstellen und die Klage insoweit unzulässig ist.
In Bezug auf die übrigen Regelungen der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung fehlt es der Klägerin an der auch bei der Fortsetzungsfeststellungsklage erforderlichen Klagebefugnis gemäß § 42 Abs. 2 VwGO.
Für die Klagebefugnis ist die Geltendmachung einer zumindest möglichen Verletzung eigener subjektiver Rechte der Klägerin erforderlich. Bei Allgemeinverfügungen – wie hier – ist jeder Betroffene nur im Hinblick auf die ihn betreffende Regelung, nicht schlechthin gegen die Allgemeinverfügung als solche oder die materiell andere Personen betreffenden Regelungen klagebefugt (Kopp/Schenke, VwGO, 26. Auflage 2020, § 42 Rn. 21, 170). Die Klägerin muss geltend machen, dass sie in ihrer konkreten Situation aufgrund konkreter Umstände tatsächlich durch die Regelung beschwert gewesen sein könnte.
Es wird angemerkt, dass ab 11. März 2020 ohnehin schon eine Allgemeinverfügung des Freistaates Bayern für Veranstaltungen mit mehr als 1.000 Teilnehmern galt. Durch die landesweit geltende Allgemeinverfügung des Freistaates Bayern vom 16. März 2020, deren Nr. 1 alle Veranstaltungsarten untersagte und am 17. März 2020 in Kraft getreten war, hatte die streitgegenständliche Allgemeinverfügung der Stadt Würzburg ab dem Gültigkeitszeitraum der Allgemeinverfügung des Freistaates Bayern keine (lokale) Beschwer mehr. Durch die Allgemeinverfügungen und die sonstigen Regelungen des Freistaates Bayern (wie etwa die Bayerische Verordnung über Infektionsschutzmaßnahmen vom 27.3.2020) war die streitgegenständliche Allgemeinverfügung der Stadt … unabhängig von ihrer bis 19. April 2020 beschränkten Geltungsdauer inhaltlich überholt und hinfällig geworden und insoweit ohne eigene zusätzliche Beschwer für die Klägerin (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, § 113 Rn. 103). Für die Frage der Klagebefugnis ist damit maßgeblich auf den Zeitraum vom 12. März 2020 bis 16. März 2020 abzustellen.
Die Allgemeinverfügung richtete sich in ihren Nummern 1.1, 1.2, 1.3 und 1.4 unmittelbar (nur) an Veranstalter. Diese werden durch die Vorgaben der Allgemeinverfügung hinsichtlich der Durchführung von Veranstaltungen möglicherweise in ihren Rechten verletzt. Die Klägerin dagegen betreibt zwar ein Hotel im örtlichen Geltungsbereich der Allgemeinverfügung. Es wurde jedoch nicht dargelegt, inwieweit die Allgemeinverfügung der Klägerin ein Handeln, Tun oder Unterlassen geboten hat und die Klägerin konkret und mehr als nur reflexhaft und potentiell (vgl. VG München, B.v. 24.3.2020 – M 26 S 20.1255 – juris) betroffen ist bzw. war. So ergibt sich aus dem klägerischen Vortrag nicht, dass die Klägerin selbst Veranstalterin war. Vielmehr erklärte die Klägerbevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung, dass die Klägerin im Geltungszeitraum der Allgemeinverfügung in … keine eigene Veranstaltung gehabt habe. Die Klägerin war mangels Durchführung eigener Veranstaltungen nicht Adressatin der Allgemeinverfügung. Es ist deshalb entgegen ihrer Rüge fehlender entsprechender Hinweise durch das Gericht umso mehr selbstverständlich, dass sie ihre individuelle Betroffenheit von sich aus geltend machen muss. Dies ist ihr nicht gelungen. Das bloße Vorbringen, weniger Übernachtungen und dadurch weniger Umsatz gehabt zu haben, genügt nicht für die Bejahung einer möglichen Verletzung subjektiver Rechte der Klägerin, sondern stellt vielmehr eine reflexhafte Betroffenheit dar. In Bezug auf die von Nr. 1.1, 1.2 und 1.3 (i.V.m. Nr. 2) der Allgemeinverfügung – auch zeitlich – betroffenen Veranstaltungen mit einer Teilnehmerzahl zwischen 500 und 1.000 Personen fehlt es schon an klägerischem Vortrag, dass solche Veranstaltungen überhaupt (von ihr oder Dritten) geplant waren und zudem infolge der Allgemeinverfügung, die schließlich kein Verbot solcher Veranstaltungen anordnete, sondern diese lediglich beschränkte, abgesagt wurden bzw. in welcher Weise die Klägerin als mögliche Veranstalterin oder in sonstiger Weise von diesen Regelungen in ihren subjektiven Rechten verletzt gewesen sein soll.
Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung des nachgelassenen Schriftsatzes vom 21. Januar 2021. Die Klägerin hat auch in diesem nicht vorgetragen, in maßgeblichen Zeitraum selbst Veranstalterin gewesen zu sein. Soweit die Klägerin mit Schriftsatz vom 21. Januar 2021 erklärt, in ihrem Hotel seien kleinere Veranstaltungen (weniger als 500 Personen) storniert worden, wurde nicht dargelegt, dass die Klägerin selbst deren Veranstalterin war. Unabhängig davon und unter Berücksichtigung, dass die Veranstaltungen im Hotel der Klägerin durchgeführt werden sollten, erschließt sich dem Gericht jedenfalls nicht, inwiefern sich durch die Allgemeinverfügung über eine bloße reflexhafte Betroffenheit der Klägerin hinaus eine mögliche Rechtsverletzung der Klägerin ergeben sollte. Einschlägig sind angesichts der von der Klägerin angegebenen Personenzahl der stornierten Veranstaltungen (vgl. Anlage K 14) nur Nr. 1.4 (und Nr. 2) der Allgemeinverfügung, die kein Veranstaltungsverbot beinhalten, sondern eine vom Veranstalter selbständig durchzuführende Risikobewertung anhand der Kriterien des Robert-Koch-Instituts und des Bayerischen Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit fordert. Das pauschale Vorbringen der Klägerin, es habe insoweit keine eindeutigen Vorgaben gegeben und die Veranstalter – nicht die Klägerin selbst – hätten offensichtlich verunsichert durch die Allgemeinverfügung und angesichts der dort enthaltenen Einschränkungen diese Veranstaltungen storniert, genügt insoweit nicht. Zum einen zeigt dieses Vorbringen, dass sich die Klägerin selbst nicht als von der Regelung der Nr. 1.4 der Allgemeinverfügung unmittelbar betroffene Veranstalterin sieht. Zum anderen wurde nicht substantiiert vorgetragen, dass die Klägerin die in der Allgemeinverfügung geregelten Vorgaben nicht hätte einhalten können und die im Schriftsatz vom 21. Januar 2021 aufgezeigten Stornierungen gerade wegen der nach Nr. 1.4 der Allgemeinverfügung erforderlichen Risikobewertung erfolgt sind und nicht schon wegen des allgemein gegebenen Infektionsrisikos oder anderweitiger Regelungen. Dies gilt erst recht hinsichtlich der stornierten Veranstaltungen im Zeitraum vom 17. März 2020 bis 19. April 2020 (Anlage K 15), deren Stornierungen sämtlich erst nach Bekanntmachung der Allgemeinverfügung des Freistaats Bayern vom 16. März 2020, durch die Veranstaltungen landesweit untersagt wurden, erfolgten. Im Übrigen ist die Klägerin in Fall von Stornierungen von Veranstaltungen im Hotel der Klägerin durch Dritte ebenfalls durch die Allgemeinverfügung lediglich reflexhaft betroffen.
Soweit die Klägerin vorbringt, der Absage der Karosserie- und Schadenstage in … sei zu entnehmen, dass diese aufgrund des Erlasses der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung erfolgt sei, ist entgegenzuhalten, dass sich aus der Verlautbarung lediglich ergibt, dass mit Blick auf die Ergebnisse aus der Kabinettssitzung der Bayerischen Staatsregierung vom 10. März 2020 und offenbar unabhängig von der späteren Allgemeinverfügung den Empfehlungen gefolgt werde. Unabhängig davon macht die Klägerin jedoch auch insoweit nur Stornierungen von Übernachtungsbuchungen geltend und damit nur eine reflexhafte Betroffenheit.
Eine Klagebefugnis der Klägerin ergibt sich auch nicht aus einer möglichen Verletzung grundrechtlicher Positionen (Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 GG), wobei auch eine juristische Person grundsätzlich Träger von Grundrechten sein kann. Zwar ist der Klägerin dahingehend zuzustimmen, dass es hierfür nicht nur auf eine unmittelbare Betroffenheit ankommt, sondern auch faktische bzw. mittelbare Grundrechtsbeeinträchtigungen eine Klagebefugnis begründen können, wobei diese eine gewisse Beeinträchtigungsschwere voraussetzen. Unter Berücksichtigung der obigen Ausführungen wurden jedoch auch insoweit eine Beschwer möglicherweise begründende Tatsachen nicht ausreichend dargelegt. Das bloße Vorbringen, weniger Übernachtungen und Veranstaltungen Dritter und dadurch weniger Umsatz gehabt zu haben, genügt insoweit nicht.
Weiterhin ist das für eine Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO erforderliche besondere Feststellungsinteresse nicht gegeben. Entgegen der Ansicht der Klägerbevollmächtigten ist eine hinreichend konkrete Wiederholungsgefahr nicht gegeben. Zwar genügt insoweit nur eine vergleichbare, nicht eine identische Situation, jedoch spricht die von der Klägerin angeführte inzwischen eingetretene Verschlimmerung der Situation im Vergleich zu Frühjahr 2020 gerade für die fehlende Vergleichbarkeit. Dies gilt auch infolge der inzwischen eingetretenen Entwicklung des Pandemiegeschehens und Gewinnung neuer Erkenntnisse in Bezug auf erforderliche Maßnahmen sowie des sich fortentwickelten Regelungsregimes mit Änderung des Infektionsschutzgesetzes und des Erlasses landesweiter Regelungen.
Auch ein Feststellungsinteresse in Form eines Präjudizinteresses ist nicht gegeben. Bei einer Fortsetzungsfeststellungklage, die der Vorbereitung eines Amtshaftungs- bzw. Entschädigungsprozesses vor dem Zivilgericht dienen soll, ist das Feststellungsinteresse nur dann zu bejahen, wenn ein solcher Prozess bereits anhängig, mit Sicherheit zu erwarten oder ernsthaft beabsichtigt ist, die begehrte Feststellung in diesem Verfahren erheblich und die Rechtsverfolgung nicht offensichtlich aussichtslos ist (z.B. BVerwG, U.v. 18.10.1985 – 4 C 21.80 – BVerwGE 72,172). Dieses sog. Präjudizinteresse muss die Klägerin von sich aus substantiiert darlegen. Insbesondere muss sie aufzeigen, was sie konkret anstrebt, welchen Schaden bzw. welche Schadens- oder Entschädigungspositionen sie im Zivilrechtsweg geltend machen will und dass ein Schadensersatz- bzw. Entschädigungsprozess bereits anhängig oder mit hinreichender Sicherheit zu erwarten ist. Die bloße Behauptung, einen Schadensersatzprozess führen zu wollen, genügt hierfür nicht (z.B. BayVGH, B.v. 24.10.2011 – 8 ZB 10.957 – juris; ders., B.v. 27.3.2014 – 15 ZB 12.1562 – juris Rn. 12 m.w.N.; OVG NRW, U.v. 25.3.2014 – 2 A 2679/12 – juris Rn. 47 m.w.N.). Zwar dürfen an den Vortrag keine überzogenen Anforderungen gestellt werden, insbesondere bedarf es regelmäßig nicht der Vorlage einer genauen Schadensberechnung. Jedoch muss das Vorbringen zur Rechtfertigung des mit der Fortsetzung des Prozesses verbundenen Aufwands über die bloße Behauptung hinaus nachvollziehbar erkennen lassen, dass ein Amtshaftungs- bzw. Entschädigungsprozess tatsächlich angestrebt wird und dieser nicht offensichtlich aussichtslos ist. Hierzu gehört auch eine zumindest annähernde Angabe der Schadenshöhe (BayVGH, B.v. 23.6.2015 – 1 ZB 13.92 – juris Rn. 5; B.v. 24.10.2011 – 8 ZB 10.957 – juris; B.v. 27.3.2014, 15 ZB 12.1562 – juris; B.v. 13.6.2014 – 15 ZB 14.510 – juris; OVG NRW, B.v. 5.7.2012 – 12 A 1423/11 – juris Rn. 22 ff.; U.v. 25.3.2014 – 2 A 2679/12 – juris Rn. 47 m.w.N; OVG MV, B.v. 27.5.2010 – 2 L 351/06 – ZfB 2010, 144 Rn. 7; Wolff in Sodan/Ziekow, a.a.O., § 113 Rn. 277 ff.).
Diesen Anforderungen wird der Vortrag der Klägerin nicht gerecht, der über die bloße Ankündigung der zeitnahen Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen nicht hinausgeht und keine Angaben enthält, in welcher Höhe sich der Schaden zumindest annähernd bewegt. Zwar enthält der Schriftsatz der Klägerin vom 12. Januar 2021 umfangreiche Ausführungen zu Umsatzeinbußen, allerdings betreffen diese den Konzern insgesamt und beziehen sich nicht konkret auf Umsatzeinbußen durch die gegenständliche Allgemeinverfügung. Im Schriftsatz vom 21. Januar 2021 werden allgemein als Schäden durch Stornierungen 38.688,93 EUR benannt. Es fehlt jedoch eine genauere Darlegung, dass diese Schäden aufgrund von Stornierungen wegen der streitgegenständliches Allgemeinverfügung entstanden sein sollen und deswegen in dieser Höhe gegen die Beklagte ein Amtshaftungsprozess angestrengt werde. Die fehlende Möglichkeit, einen infolge der Allgemeinverfügung bei der Klägerin entstanden Schaden beziffern zu können, ergibt sich auch aus dem Einverständnis der Klägerin mit dem Auffangstreitwert von 5.000,00 EUR (nachdem zuvor von 100.000,00 EUR die Rede war).
Ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse der Klägerin ergibt sich auch nicht unter dem Aspekt, dass es ohne die Zulassung einer Fortsetzungsfeststellungsklage nie zu einer Hauptsacheentscheidung hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Allgemeinverfügung käme, da sich diese nicht typischerweise so kurzfristig erledigt, dass kein Rechtsschutz dagegen möglich ist. Art. 19 Abs. 4 GG garantiert jedenfalls eine gerichtliche Instanz, die hier im Wege des gerichtlichen Eilrechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO erreichbar gewesen wäre.
2. Die Klage ist zudem auch unbegründet. Die streitgegenständliche Allgemeinverfügung war rechtmäßig und verletzte die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 4 i.V.m. Satz 1 VwGO.
Bei der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung handelt sich um einen Verwaltungsakt, der für einen bestimmten Zeitraum Geltung beansprucht, und damit um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist hier der Zeitpunkt der Erledigung.
Die Regelungen unter Nr. 1, 1.1, 1.2, 1.3, 1.4 und 2 der Allgemeinverfügung sind von der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage des § 28 IfSG gedeckt. Entgegen der Ansicht der Klägerin ist § 16 IfSG ist nicht einschlägig.
§ 28 IfSG ermächtigt die zuständige Behörde zum Treffen von Schutzmaßnahmen zur Bekämpfung einer übertragbaren Krankheit nach ihrem Auftreten. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG enthält eine Generalklausel für notwendige Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten. § 16 IfSG regelt hingegen allgemeine Maßnahmen zur Verhütung übertragbarer Krankheiten. Maßnahmen nach § 16 IfSG sind demnach stets präventiver Natur und finden Anwendung, bevor eine übertragbare Krankheit auftritt. Schutzmaßnahmen nach § 28 IfSG sind demgegenüber in erster Linie repressiv ausgerichtet (BeckOK Infektionsschutzrecht, 2. Edition, Stand: 1.12.2020, § 28 Rn. 1 m.w.N.; Kießling, IfSG, § 16 Rn. 1; vgl. ThürOVG BeckRS 2020, 8272 Rn. 25). Ungeachtet dessen kann und darf eine Schutzmaßnahme nach § 28 IfSG zugleich präventive Wirkungen entfalten (VGH BW, B.v. 9.4.2020 – 1 S 925/20 – juris Rn. 24 ff.; OVG NRW BeckRS 2020, 5957 Rn. 23). Präventive Wirkungen entsprechen ebenfalls dem mit § 28 IfSG verfolgten Zweck der Verhinderung der (Weiter-)Verbreitung übertragbarer Krankheiten (BeckOK Infektionsschutzrecht, 2. Edition, Stand: 1.12.2020, § 28 Rn. 1 m.w.N.). Auch wenn sowohl für verhütende als auch für bekämpfende Maßnahmen eine eigenständige Ermächtigungsgrundlage im jeweiligen Gesetzesabschnitt geschaffen wurde, ändert dies nichts daran, dass in der Praxis bei Maßnahmen mit potentiellem Doppelcharakter eine Auswahl der im Einzelfall einschlägigen Ermächtigungsgrundlage erfolgen muss (Kießling, IfSG, § 16 Rn. 3).
Damit § 28 IfSG und nicht § 16 IfSG einschlägig ist, muss es einen örtlichen Bezug zum Krankheitsgeschehen geben, der sich entweder daraus ergibt, dass das Krankheitsgeschehen selbst auf dem Gebiet der zuständigen Behörde aufgetreten ist oder dass ein Ansteckungsverdächtiger aus einem Gebiet mit Krankheitsausbruch in den Zuständigkeitsbereich der Behörde eingereist ist (Kießling, IfSG, § 28 Rn. 11). Dies ist hier der Fall.
Vorliegend ist Zweck der Allgemeinverfügung, die Weiterverbreitung des Virus zu verhindern. Aus ihrer Begründung geht hervor, dass der Krankheitserreger aktuell in Bayern und auch im Bereich … bereits vorhanden war, also Kranke bereits konkret festgestellt worden waren. So gab es nach den Ausführungen der Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung am 11. März 2020 24 COVID-19 Fälle in … und am 12. März 2020 31 Fälle. Zudem sei das Gesundheitsamt der Beklagten von einer sehr hohen Dunkelziffer von Infizierten ausgegangen. Folglich ist § 28 IfSG einschlägig (vgl. VG Regensburg, B.v. 29.4.2020 – RN 14 S 20.700 – juris Rn. 34).
Die Allgemeinverfügung ist formell rechtmäßig.
Die Wahl des Instruments der Allgemeinverfügung ist für die vorliegend getroffene Maßnahme nicht zu beanstanden. Die Anordnung durfte in Form der Allgemeinverfügung ergehen, weil es sich um die Regelung eines Einzelfalls für den bestimmten Personenkreis der Veranstalter, mithin um eine konkret-generelle Regelung handelt. Auch wenn die Allgemeinverfügung eine Vielzahl von Personen betrifft, handelt es sich um eine Regelung des Einzelfalls im Sinn von Art. 35 Satz 1 und 2 BayVwVfG, da die Zahl der von der Regelung umfassten Fälle und der Adressatenkreis nach allgemeinen Merkmalen bestimmt und bestimmbar ist und sich auf einen konkreten Sachverhalt bezieht. Zudem ist die Allgemeinverfügung anlassbezogen ergangen, zeitlich befristet und erfasst konkret bestimmte Fallkonstellationen.
Die Allgemeinverfügung wurde auch ordnungsgemäß bekannt gemacht. Die Bekanntgabe durfte wegen der besonderen Eilbedürftigkeit und wegen der nicht übersehbaren Anzahl der Adressaten nach Art. 41 Abs. 3 Satz 2 BayVwVfG öffentlich erfolgen. Die öffentliche Bekanntgabe eines schriftlichen oder elektronischen Verwaltungsaktes wird dadurch bewirkt, dass sein verfügender Teil ortsüblich bekanntgemacht wird (Art. 41 Abs. 4 Satz 1 BayVwVfG). Die öffentliche Bekanntgabe auch der Begründung der Allgemeinverfügung ist nicht erforderlich (vgl. Art. 41 Abs. 4 Satz 2 BayVwVfG). In Nr. 8 der Allgemeinverfügung wird mitgeteilt, wo ihre Begründung eingesehen werden kann. Eine Veröffentlichung der Begründung im Internet mag zwar durchaus sinnvoll sein, ist jedoch rechtlich nicht geboten.
Die Allgemeinverfügung ist auch materiell rechtmäßig.
Nach § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG (i.d.F. vom 27.3.2020) trifft die zuständige Behörde, wenn Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt werden, die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in den §§ 29 bis 31 genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist; sie kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten. Nach Satz 2 kann die zuständige Behörde unter den Voraussetzungen von Satz 1 Veranstaltungen oder sonstige Ansammlungen von Menschen beschränken oder verbieten und Badeanstalten oder in § 33 genannte Gemeinschaftseinrichtungen oder Teile davon schließen.
Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 28 Abs. 1 IfSG lagen angesichts der Pandemielage vor. Bei dem Corona-Virus SARS-CoV-2 (sog. Covid-19-Virus) handelt es sich um eine übertragbare Krankheit im Sinne der Begriffsbestimmung in § 2 Nr. 3 IfSG, die bereits landesweit aufgetreten ist, sich sehr schnell ausbreitet, nach dem wissenschaftlichen Erkenntnisstand zum maßgeblichen Zeitpunkt auch bereits bei Symptomfreiheit hoch infektiös ist und für die weder ein Impfstoff noch eine spezifische medikamentöse Behandlung verfügbar ist (vgl. VG München, B.v. 20.3.2020 – M 26 S 20.1222 – juris Rn. 20). Nach der Begründung der Allgemeinverfügung war der Krankheitserreger aktuell in Bayern und auch im Bereich … vorhanden. Zum Erlasszeitpunkt (11.3.2020) gab es im Bereich … insgesamt 24 Corona-Infizierte (19 Fälle am Vortag und 31 Fälle am 12.3.2020). Die WHO hat zudem am 11. März 2020 die weltweite Ausbreitung von Covid-19 zu einer Pandemie erklärt. Das Robert-Koch-Institut (RKI), dem vom Gesetzgeber im Bereich des Infektionsschutzes mit § 4 IfSG besonderes Gewicht eingeräumt wurde (vgl. BayVGH, B.v. 16.7.2020 – 20 NE 20.1500 – juris Rn. 16 m.w.N.), schätzte in seiner aktuellen Risikobewertung die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland am 12. März 2020 insgesamt als mäßig ein, wobei diese Gefährdung aber von Region zu Region variiere und in „besonders betroffenen Gebieten“ hoch sei, (https://www.rki.de/DE/Conten/InfAZ/ N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/2020-03-12-de.pdf?_blob=publicationFile; vgl. zur Lage zum maßgeblichen Zeitraum VG Regensburg, B.v. 29.4.2020 – RN 14 S 20.700 – juris Rn. 36 und VG München, B.v. 20.3.2020 – M 26 S 20.1222 – juris Rn. 20). Zum Zeitpunkt der Klageerhebung wurde die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland durch das RKI insgesamt als hoch eingeschätzt, für Risikogruppen als sehr hoch (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/2020-04-07-de.pdf? blob=publicationFile).
Nach der Allgemeinverfügung stützen sich die Anordnungen unter Nr. 1.1, Nr. 1.2 und Nr. 2 der Allgemeinverfügung auf § 28 Abs. 1 Satz 2 IfSG, die Anordnungen unter Nr. 1.3 und 1.4 auf § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG. Dies ist nicht zu beanstanden.
Dass – wie von der Klägerin vorgetragen – in ihrem Hotel in … Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider nicht festgestellt wurden und auch kein Gast an Covid-19 verstorben ist, ist nicht relevant. § 28 Abs. 1 Satz 2 IfSG verlangt nicht, dass die infektionsschutzrechtliche Gefahrenlage an diesen Orten auftritt (Kießling, IfSG, § 28 Rn. 42).
Die Klägerin ließ zudem vortragen, dass der Gesetzestext zum Zeitpunkt des Erlasses der Allgemeinverfügung unterstrichen habe, dass es um Veranstaltungen und Ansammlungen,,einer großen Anzahl von Menschen“ ging. Somit sei die Beklagte unabhängig von irgendwelchen Weisungen der Ministerien nicht berechtigt gewesen, andere Veranstaltungen über die zum damaligen Zeitpunkt bereits verbotenen Großveranstaltungen hinaus zu beschränken und zu verbieten. Da keine Einzelveranstaltungen oder Veranstaltungen an einem bestimmten Ort beschränkt oder verboten worden seien, sondern alle Veranstaltungen auf dem Stadtgebiet der Beklagten, seien die Beschränkungen und Verbote über das in § 28 IfSG Zulässige auf ein generelles Verbot der Veranstaltungsbranche hinausgegangen. Zu derartigen Schließungen von ganzen Branchen sei § 28 IfSG nicht konzipiert und diese seien davon nicht gedeckt gewesen. So unterscheide auch der Wortlaut des § 28 IfSG selbst, dass Schließungen – eine andauernde Maßnahme – nur hinsichtlich Badeanstalten und Gemeinschaftseinrichtungen zulässig sind. Im Unterschied dazu können Veranstaltungen und Ansammlungen beschränkt oder verboten werden, woraus zu folgern ist, dass nur Beschränkungen und Verbote im Einzelfall zulässig waren und nicht generelle Branchenlahmlegungen.
Die Voraussetzung „einer größeren Anzahl von Menschen“, für die mindestens sieben Personen verlangt wurden, ist mit der Neufassung des § 28 IfSG durch Gesetz vom 27. März 2020 entfallen (Kießling, IfSG, § 28 Rn. 39). Die Allgemeinverfügung beinhaltet jedoch entgegen dem klägerischen Vorbringen keine Betriebsschließung und zudem kein generelles Veranstaltungsverbot. Ferner ergibt sich weder aus dem Gesetzeswortlaut noch aus einer Auslegung, dass – bei Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes Veranstaltungen nur im Einzelfall und nicht allgemein Einschränkungen unterworfen werden können (vgl. Kießling, IfSG, § 28 Rn. 42).
Es kann vorliegend jedoch letztlich dahinstehen, ob die Regelungen unter Nr. 1.1, Nr. 1.2 und Nr. 2 der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung auf die hierin angegebene Rechtsgrundlage des § 28 Abs. 1 Satz 2 IfSG gestützt werden können. Denn jedenfalls ist ein Rückgriff auf die Generalklausel des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG möglich und die verfügten Maßnahmen sind tatbestandlich hiervon umfasst. § 28 Abs. 1 Sätze 1 und 2 IfSG stehen nicht im Verhältnis der Spezialität. Dies ließe sich weder mit der aktuellen Gesetzesfassung vereinbaren, weil nunmehr auch in § 28 Abs. 1 Satz 1 2. Halbs. IfSG konkrete Maßnahmen von erheblicher Bedeutung in einer beispielhaften Aufzählung genannt werden, noch dem Wortlaut oder der historischen Auslegung der Norm entnehmen (vgl. hierzu den Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Bundesseuchengesetzes (BT-Drs. 8/2568 S. 27). Vielmehr können alle notwendigen Schutzmaßnahmen auf die Generalklausel des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG gestützt werden; lediglich beispielhaft werden einige Maßnahmen in Satz 2 IfSG erwähnt, zum einen, weil es sich um besonders bedeutsame Maßnahmen handelt, zum anderen, weil Verstöße gegen die dort genannten Maßnahmen gemäß § 73 Abs. 1a Nr. 6 i.V.m. § 74 IfSG strafbewehrt sind (BayVGH, B.v. 30.3.2020 – 20 CS 20.611 – juris Rn. 11).
Ein „Austausch“ der Rechtsgrundlage durch das Gericht ist – soweit überhaupt erforderlich – im vorliegenden Fall möglich, da § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG der Behörde kein Entschließungsermessen, sondern lediglich ein Auswahlermessen einräumt, welches vorliegend ausgeübt wurde (hierzu näher sogleich). Die Frage, ob ein angefochtener Bescheid materiell rechtmäßig ist, richtet sich, sofern höherrangiges oder spezielleres Recht nichts Abweichendes vorgibt, nach dem Recht, das geeignet ist, seinen Spruch zu tragen. Erweist sich dieser aus anderen als den angegebenen Rechtsgründen als rechtmäßig, ohne dass diese anderen Rechtsgründe wesentliche Änderungen des Spruchs erfordern würden, dann ist der Verwaltungsakt im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht rechtswidrig (BVerwG, U.v. 19.8.1988 – 8 C 29.87 – BVerwGE 80, 96; BayVGH, B.v. 23.6.2016 – 11 CS 16.907 – juris Rn. 23 ff.; VG München, B.v. 20.3.2020 – M 26 S 20.1222 – juris Rn. 17).
Soweit die Klägerin vorbringt, § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 IfSG decke die Maßnahmen und Beschränkungen bzw. Verbote aller Betriebe einer gewissen Gattung nicht, da von den betroffenen Orten nachgewiesenermaßen eine Gefahr ausgehen müsse, was für alle Maßnahmen nach § 28 IfSG gelte, ist entgegenzuhalten, dass § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 IfSG eine weitere – hier nicht einschlägige – Maßnahme regelt (vgl. Kießling, IfSG, § 28 Rn. 3, 25). Insbesondere ist hier kein Betriebsverbot des klägerischen Hotels streitgegenständlich, sondern lediglich die Einschränkung der Durchführung von Veranstaltungen.
Hinsichtlich des Einwands, Nichtstörer kämen nur ausnahmsweise als Adressat in Betracht, ist darauf hinzuweisen, dass Schutzmaßnahmen auch gegen die Allgemeinheit und gegen Nichtstörer ergriffen werden können, wobei der erforderliche Zurechnungszusammenhang durch die Begrenzung auf verhältnismäßige Schutzmaßnahmen hergestellt wird (vgl. BayVGH, B.v. 13.8.2020 – 20 CS 20.1821 – juris Rn. 38; VG München, B.v. 20.3.2020 – M 26 S 20.1222 – juris Rn. 19). Aus dem Wortlaut des § 28 IfSG folgt nicht, dass nur der in Halbs. 1 bezeichnete Personenkreis Adressat einer Schutzmaßnahme sein kann (BayVGH, B.v. 29.5.2020 – 20 NE 20.1065 – BeckRS 2020, 10399 Rn. 36).
Bei § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG handelt es sich um eine Generalklausel, die die zuständigen Behörden zum Handeln verpflichtet (gebundene Entscheidung). Hinsichtlich Art und Umfang der Bekämpfungsmaßnahmen – dem „Wie“ des Eingreifens – ist der Behörde jedoch ein Auswahlermessen eingeräumt. Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass sich die Bandbreite der Schutzmaßnahmen, die bei Auftreten einer übertragbaren Krankheit in Frage kommen können, nicht im Vorfeld bestimmen lässt. Das behördliche Ermessen wird dadurch beschränkt, dass es sich um „notwendige Schutzmaßnahmen“ handeln muss, nämlich Maßnahmen, die zur Verhinderung der (Weiter-)Verbreitung der Krankheit geboten sind. Darüber hinaus sind dem Ermessen durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Grenzen gesetzt (VG München, B.v. 20.3.2020 – M 26 S 20.1222 – juris Rn. 18).
Bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der verfügten Beschränkungen ist der im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht geltende Grundsatz heranzuziehen, dass an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen sind, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist. Dafür sprechen das Ziel des Infektionsschutzgesetzes, eine effektive Gefahrenabwehr zu ermöglichen (§ 1 Abs. 1, § 28 Abs. 1 IfSG), sowie der Umstand, dass die betroffenen Krankheiten nach ihrem Ansteckungsrisiko und ihren Auswirkungen auf die Gesundheit des Menschen unterschiedlich gefährlich sind. Es erscheint sachgerecht, einen am Gefährdungsgrad der jeweiligen Erkrankung orientierten, „flexiblen“ Maßstab für die hinreichende (einfache) Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen (vgl. zum Ganzen BVerwG, U.v. 22.3.2012 – 3 C 16/11 – juris; VG München, B.v. 20.3.2020 – M 26 S 20.1222 – juris Rn. 19).
Ermessensfehler sind bei der Ausübung des Auswahlermessens nicht ersichtlich. Die getroffenen Maßnahmen sind zudem verhältnismäßig. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der Bedeutung der Grundrechte.
Die streitgegenständlichen Regelungen der Allgemeinverfügung stellten notwendige Schutzmaßnahmen dar, um die rasche Ausbreitung des Covid-19-Virus zu verhindern. Als Strategie zur Bekämpfung empfahl das RKI insbesondere, die weitere Ausbreitung des Virus so weit wie möglich zu verzögern, wodurch die Zahl der gleichzeitig Erkrankten so gering wie möglich gehalten und Zeit gewonnen werden sollte, um weitere Vorbereitungen zu treffen. Die massiven Anstrengungen des öffentlichen Gesundheitsdienstes, dem insbesondere die möglichst frühzeitige Identifizierung von Kontaktpersonen und deren Management obliegt, sollten nach dem Strategieplan des RKI durch gesamtgesellschaftliche Anstrengungen wie die Reduzierung von sozialen Kontakten mit dem Ziel der Vermeidung von Infektionen im privaten, beruflichen und öffentlichen Bereich sowie eine Reduzierung der Reisetätigkeit ergänzt werden (vgl. VG München, B.v. 20.3.2020 – M 26 S 20.1222 – juris Rn. 20; https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/ Ergaenzung_Pandemieplan_Covid.pdf; jsessionid= B9DE8761C459805…68.internet051? blob=publicationFile).
Die in Nr. 1.3 und Nr. 1.4, Nr. 2 der Allgemeinverfügung gegenüber Veranstaltern verfügte Pflicht zur aktiven Information über allgemeine Schutzmaßnahmen sowie der selbständigen Durchführung einer Risikobewertung sind notwendige geeignete, gebotene und angemessene Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung des Corona-Virus. Mildere Mittel sind insoweit nicht ersichtlich.
Auch die unter Nr. 1.1 und Nr. 1.2, Nr. 2 geregelten Einschränkungen von Veranstaltungen mit ab 500 bis 1.000 Personen waren geeignet, die weitere Verbreitung des Virus und vor allem die Verbreitungsgeschwindigkeit einzudämmen. Durch die Vorgaben zur Bestuhlung, zu Interaktionen und zur maximal zulässigen Zahl gleichzeitig anwesender Personen konnte eine hohe Personendichte vermieden werden und somit das Risiko einer möglichen Weiterverbreitung des Corona-Virus reduziert werden. Bei der Auswahl und Beurteilung der Wirksamkeit von Maßnahmen zur Bekämpfung einer neuartigen Viruserkrankung muss den zuständigen Gesundheitsbehörden ein Beurteilungsspielraum zugebilligt werden, zumal die Wirksamkeit der in Rede stehenden Maßnahmen zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt freilich nicht abschließend wissenschaftlich untersucht und belegt war.
Mildere, gleich geeignete Mittel sind nicht ersichtlich. Je größer die Personengruppe ist, die bei einer Veranstaltung zusammenkommt, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit von aus Gründen des Infektionsschutzes riskanten Kontakten innerhalb dieser Gruppe. Insbesondere wurde durch die Allgemeinverfügung kein generelles Veranstaltungsverbot verfügt. Zudem war die Allgemeinverfügung zeitlich befristet; nach Ablauf des Geltungszeitraums sollte eine erneute Risikoeinschätzung stattfinden.
Zuletzt begegnen die Anordnungen auch keinen Bedenken im Hinblick auf ihre Angemessenheit. In Rede stehen vorliegend hochrangige Gemeinschaftsgüter, wie etwa der Schutz der Gesundheit der Bevölkerung sowie ein funktionsfähiges Gesundheitswesen.
Eine Verletzung von Grundrechtspositionen der Klägerin ist nicht gegeben.
In Bezug auf die Eigentumsgarantie nach Art. 14 Abs. 1 GG ist bereits der sachliche Schutzbereich nicht eröffnet. Bloße Gewinnerwartungen, Umsatz- und Gewinnchancen oder Erwerbsmöglichkeiten werden nicht vom Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG erfasst, der grundsätzlich den Bestand des Erworbenen schützt, also Bestandsschutz bietet.
Der Schutzbereich des Art. 14 I GG ist auch unter dem Gesichtspunkt des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb und bei Annahme der Veranstaltereigenschaft der Klägerin nicht eröffnet. Denn wirkt sich ein Gesetz auf den Betrieb aus, ist der Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG unter dem Gesichtspunkt des Schutzes des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebes nur tangiert, wenn wesensmäßige Funktionsabläufe des betrieblichen Organismus und das Recht des Eigentümers, von dem Gewerbebetrieb als der von ihm aufgebauten und aufrechterhaltenen Organisation sachlicher und persönlicher Mittel bestimmungsgemäß Gebrauch zu machen, berührt werden. An einer solchen Verbindung fehlt es, wenn lediglich Einfluss auf die Gestaltung eines einzigen Produktes genommen wird, ohne dass dies zur Erdrosselung des Betriebs führt (BVerfG, DVBl 1991, 1253 f.)
Die streitgegenständliche Allgemeinverfügung nahm Einfluss auf das „Wie“, nicht aber generell auf das „Ob“ der Durchführung von Veranstaltungen. Wesensmäßige Funktionsabläufe des Hotelbetriebs und das Recht vom Hotel bestimmungsgemäß Gebrauch zu machen, wurden nicht tangiert, da die Durchführung von Veranstaltungen nur einen Teilbereich darstellt. Insoweit wurde lediglich die Möglichkeit genommen, mit uneingeschränkten Veranstaltungen Gewinn zu erzielen. Solche bloßen Gewinnaussichten unterfallen nicht dem Schutz des Art. 14 Abs. 1 GG, sondern sind dem Schutz des Art. 12 Abs. 1 GG unterstellt.
Das Vorbringen der Klägerin, ihr sei die Nutzung des Hotels entzogen worden, dringt – unabhängig davon, dass die Klägerin nicht substantiiert vorgetragen hat, dass eine in ihrem Hotel geplante Veranstaltung betroffen war – nicht durch, da der Regelungsgehalt der Allgemeinverfügung den eigentlichen Hotelbetrieb unberührt ließ. Eine Betriebsschließung wurde nicht angeordnet, die Durchführung von Veranstaltungen wurde nicht an sich untersagt; Privatfeiern waren ausgenommen. Dass der Klägerin die Einhaltung der Vorgaben in ihren Räumlichkeiten, insbesondere die Bestuhlung, durch die Allgemeinverfügung nicht möglich gewesen wäre, wurde nicht substantiiert vorgetragen.
Die Klägerin ist auch nicht in ihrer von Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Berufsausübungsfreiheit verletzt.
Ein Eingriff setzt einen unmittelbaren Bezug zur Berufstätigkeit oder zumindest eine objektiv berufsregelnde Tendenz voraus (BVerfGE 97, 228, 254). Der besondere Freiheitsraum, den das Grundrecht der Berufsfreiheit sichert, kann auch durch Vorschriften ohne primär berufsregelnde Zielrichtung berührt sein, wenn ihre tatsächlichen Auswirkungen zu einer Beeinträchtigung der freien Berufsausübung führen (BVerfGE 110, 226, 254)
Wie bereits oben ausgeführt fehlt es hier insoweit zum einen am substantiierten Vortrag der Klägerin, dass von ihr geplante Veranstaltungen abgesagt wurden. Doch selbst bei Annahme eines Eingriffs in die Berufsfreiheit der Klägerin würde es sich bei den einschlägigen Regeln der Allgemeinverfügung lediglich um Berufsausübungsregelungen handeln, die nur eine geringe Einschränkung der Berufsfreiheit darstellen und als rechtmäßig angesehen werden, wenn vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls sie als zweckmäßig erscheinen lassen (BVerfG, B.v. 20.12.2017 – 1 BvR 2233/17 – juris Rn. 11 m.w.N.). Dies ist hier im Hinblick auf den angestrebten Schutz der Gesundheit der Bevölkerung (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) zu bejahen. Ferner ordnete die Allgemeinverfügung kein vollständiges Verbot von Veranstaltungen und erst recht keine Hotelschließung an. Zudem waren die Maßnahmen aufgrund der Befristung der Allgemeinverfügung bis zum 19. April 2020 zeitlich beschränkt. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die zeitlich befristeten Maßnahmen die Klägerin in eine existenzielle Notlage gebracht hat, zumal nicht konkret dargelegt werden konnte, welche Umsatzeinbußen durch die angegriffenen Regelungen der Allgemeinverfügung verursacht wurde und welche auf die Pandemie als solche und das veränderte Ausgehverhalten der Bevölkerung zurückzuführen wären.
Nach Ansicht des Gerichts ist eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes nach Art. 3 Abs. 1 GG nicht gegeben. Eine solche Verletzung wurde von der Klägerin lediglich behauptet, ohne dies näher zu begründen. Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz sind für das Gericht nicht ersichtlich.
Ferner hat das Gericht keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des IfSG, insbesondere auch nicht hinsichtlich einer fehlenden Ausgleichs- und Entschädigungsmöglichkeit.
Die Klägerin weist darauf hin, dass § 28 IfSG von mehreren Gerichten wegen eines Verstoßes gegen den Vorbehalt des Gesetzes als keine taugliche Ermächtigungsgrundlage für die Betriebsschließungen angesehen worden ist. Hinsichtlich der von der Klägerin zitierten und weiterer Entscheidungen ist darauf hinzuweisen, dass diese grundsätzlich die Frage betreffen, ob § 32 i.V.m, § 28 Abs. I Satz 1, 2 IfSG dem Verordnungsgeber im Hinblick auf den Vorbehalt des Gesetzes in seiner Ausprägung als Parlamentsvorbehalt eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage gibt, und zudem hinsichtlich der landesweiten Schließung von Betrieben, Verkaufsstellen etc. und erhebliche Grundrechtseingriffe über einen längeren Zeitraum (vgl. BayVGH, B.v. 29.10.2020 – 20 NE 20.2360 – juris Rn. 28). Hier geht es jedoch um die zeitlich befristete Allgemeinverfügung der Beklagten auf deren Stadtgebiet zu Beginn der Corona-Pandemie, wobei die Allgemeinverfügung nur Veranstaltungen mit einer bestimmten Personenzahl betraf und diese nicht generell verbot. Insoweit wird Bezug genommen auf den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 30. März 2020 – 20 CS 20.611 – juris Rn. 17 f., wonach für einen Verstoß des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG gegen den Parlamentsvorbehalt („Wesentlichkeitstheorie“), angesichts des aktuellen Tätigwerdens des Bundesgesetzgebers keine Bedenken bestehen.
Im Übrigen ist die Einholung einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nach Art. 100 Abs. 1 GG zu der Frage, ob die die §§ 28, 28a lfSG im Zusammenspiel mit den Entschädigungsregelungen des 12. Abschnittes verfassungskonform sind, wenn sie so ausgelegt werden, dass diese eine abschließende Regelung in der Gestalt darstellen, dass es keine Entschädigung für Anordnungen von Maßnahmen nach § 28a IfSG geben soll, unter Berücksichtigung des oben Gesagten nicht angezeigt. Nach Ansicht des Gerichts ist eine Verfassungswidrigkeit nicht gegeben.
Dem Antrag der Prozessbevollmächtigten der Klägerin auf Fristverlängerung um weitere vier Wochen zum Zwecke der Nachforschung zu den konkreten Gründen für die einzelnen Stornierungen musste nicht entsprochen werden, da dieser Aspekt – abgesehen davon, dass im Klageverfahren genügend Zeit war, die konkrete eigene Betroffenheit darzulegen – letztlich nicht entscheidungserheblich ist, sondern die Klage, wie oben aufgezeigt, aus verschiedenen, voneinander unabhängigen Gründen nicht erfolgreich ist.
3. Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.


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