Medizinrecht

Anfechtungsklage, verkehrsrechtliche Anordnung, beidseitiges absolutes Haltverbot, Anforderung an die Feststellung der objektiven Gefahrenlage für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, Darlegungslast der Straßenverkehrsbehörde, fehlerhafte Ermessensentscheidung, fehlende Bestimmtheit

Aktenzeichen  W 6 K 21.318

Datum:
1.12.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 42622
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVO § 45 Abs. 1
StVO § 45 Abs. 9
Verkehrszeichen 283

 

Leitsatz

Tenor

I.Die verkehrsrechtliche Anordnung der Beklagten vom 10. Februar 2021 wird aufgehoben.
II.Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
III.Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.  

Gründe

Die Klage hat Erfolg, denn sie ist zulässig und begründet.
1. Die erhobene Klage ist als Anfechtungsklage zulässig.
Die durch Verkehrszeichen verlautbarte verkehrsrechtliche Anordnung eines absoluten Haltverbots im nordöstlichen Teilbereich der O* …-H* …-St* … (Fl.Nrn. …4 bis …13 bzw. … bis …6) vom 10. Februar 2021 stellt einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung in Form einer Allgemeinverfügung (Art. 35 Satz 2 BayVwVfG) dar (BVerwG, U.v. 27.01.1993 – 11 C 35/92 – BVerwGE 92, 32). Verkehrszeichen bedürfen einer (vorangehenden) verkehrsrechtlichen Anordnung der zuständigen Straßenverkehrsbehörde, die üblicherweise – wenn auch nicht zwingend – schriftlich ergeht und aus der sich die tragenden Gründe für die Anordnung ergeben (Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Auf. 2019, § 39 Rn. 31, § 45 Rn. 41). Erst die von den aufgestellten Verkehrszeichen ausgehenden Verbote sind dann als Verwaltungsakte verbindlich. Hiergegen kann gemäß § 42 Abs. 1 VwGO Anfechtungsklage erhoben werden, deren Anfechtungsfrist (§ 74 Abs. 1 VwGO) für einen Verkehrsteilnehmer erst dann zu laufen beginnt, wenn er zum ersten Mal auf das Verkehrszeichen trifft und mangels Rechtsbehelfsbelehrungein Jahr beträgt (§ 74 Abs. 1 i.V.m. § 58 Abs. 2 VwGO; BVerwG, U.v. 23.9.2010 – 3 C 37/09 – BVerwGE 138, 21). Die Klage wurde vorliegend am 3. März 2021 und damit unproblematisch innerhalb eines Jahres nach Aufstellung der Verkehrszeichen erhoben.
Der Kläger ist klagebefugt (§ 42 Abs. 2 VwGO), denn ein Verkehrsteilnehmer kann als Verletzung seiner Rechte geltend machen, die rechtssatzmäßigen Voraussetzungen für eine auch ihn betreffende Verkehrsbeschränkung nach § 45 Abs. 1 StVO seien nicht gegeben (BVerwG, U.v. 27.1.1993 – 11 C 35/92 – BVerwGE 92, 32). In diesem Recht auf allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 GG) ist auch der Kläger selbst von dem absoluten Haltverbot als Verkehrsteilnehmer betroffen. Dagegen kann sich der Kläger nicht auf eine Einschränkung seines Anliegergebrauchs (Art. 17, 14 des Bayerischen Straßen und Wegegesetzes – BayStrWG, sog. gesteigerter Gemeingebrauch als Rechtsinstitut des einfachen Rechts) berufen, da dieser lediglich die Zugänglichkeit des Grundstücks zur Straße schützt, soweit eine angemessene Nutzung des Grundstückseigentums die Benutzung der Straße erfordert. Nicht geschützt wird jedoch vor Einschränkungen und Erschwernissen der Zufahrtsmöglichkeit für ein innerörtliches Grundstück; ebenso vermittelt der Anliegergebrauch kein Recht auf einen eigenen Parkplatz vor bzw. in unmittelbarer Nähe eines Grundstücks (BayVGH, U.v. 15.3.2006 – 8 B 05.1356 – juris). Solche abwägungserheblichen qualifizierten (Anlieger-)Interessen des Klägers waren vorliegend nicht gegeben, da die Zugänglichkeit des klägerischen Grundstücks zur Straße durch die verkehrsrechtliche Anordnung selbst nicht tangiert war.
2. Die Klage ist begründet. Die von der Beklagten im nordöstlichen Teilbereich der O* …-H* …-S* … (Fl.Nrn. …4 bis …13 bzw. … bis …6) erlassene verkehrsrechtliche Anordnung eines beidseitigen absoluten Haltverbots vom 10. Februar 2021, verlautbart durch Verkehrszeichen 283 (Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO lfd. Nr. 62), ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), da ihr keine rechtmäßige verkehrsrechtliche Anordnung zugrunde liegt. Zwar war die 1. Bürgermeisterin der Beklagten für den Erlass der verkehrsrechtlichen Anordnung vom 10. Februar 2021 zuständig (2.1.), jedoch leidet die Anordnung an fehlender Bestimmtheit i.S.v. Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG und stimmt nicht mit dem Beschilderungsplan überein (2.2.). Darüber hinaus bestehen erhebliche Defizite bei der Feststellung der Tatbestandsvoraussetzungen für die verlautbarte verkehrsrechtliche Anordnung eines absoluten Haltverbots nach § 45 Abs. 1 Satz 1, Abs. 9 StVO (2.3.). Zudem war die erforderliche Ermessensausübung fehlerhaft (2.4.), sodass die Anordnung keinen Bestand haben kann.
Als Rechtsgrundlage für die verkehrsrechtliche Anordnung kommt nur § 45 Abs. 1 i.V.m. § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO in Betracht. Nach § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO können die Straßenverkehrsbehörden die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken aus Gründen der Sicherheit und Ordnung des Verkehrs beschränken. Zu derartigen Verkehrsbeschränkungen gehört auch die Anordnung eines absoluten Haltverbots (VZ 283 der Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO). Nach § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO sind Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen nur dort anzuordnen, wo dies aufgrund der besonderen Umstände zwingend erforderlich ist. Aus Wortlaut und Systematik der Vorschriften ergibt sich, dass § 45 Abs. 9 StVO die allgemeine Ermächtigungsgrundlage des § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO zwar modifiziert und konkretisiert, aber nicht ersetzt. Zu § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO a.F. hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass Maßnahmen im Regelungsbereich dieser Vorschrift bei Vorliegen der dort aufgeführten tatbestandlichen Voraussetzungen grundsätzlich im Ermessen der zuständigen Straßenverkehrsbehörde stehen (vgl. BVerwG U.v. 5.4.2001 – 3 C 23/00 – NJW 2001, 3139). Dies gilt auch für § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO, wobei angesichts der sehr strengen tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift an die Ermessensausübung keine allzu hohen Anforderungen zu stellen sind (vgl. BayVGH, B.v. 31.10.2012 – 11 ZB 11.2195 – juris; OVG Rh.-Pf., U.v. 24.5.2012 – 7 A 10976/11 – juris).
Die Vorschrift des § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO zielt darauf ab, die allgemeinen Verhaltensvorschriften im Straßenverkehr im Bewusstsein der Verkehrsteilnehmer aufzuwerten und die „Subsidiarität der Verkehrszeichenanordnung“ zu verdeutlichen. „Zwingend erforderlich“ ist ein Verkehrszeichen unter Berücksichtigung dieses Regelungszwecks und des Wortlauts der Vorschriften daher nur dann, wenn das Verkehrszeichen die zur Gefahrenabwehr unbedingt erforderliche und allein in Betracht kommende Maßnahme ist. Das ist nicht der Fall, wenn die allgemeinen und besonderen Verhaltensregeln der Straßenverkehrsordnung – wie z.B. die Regelung über das Halten und Parken in § 12 StVO – mit hinreichender Wahrscheinlichkeit einen sicheren und geordneten Verkehrsablauf gewährleisten (BVerwG, B.v. 1.9.2017 – 3 B 50/16 – juris Rn. 7; BayVGH, B.v. 25.7.2011 – 11 B 11.921 – juris). Dass der Normgeber mit der Ersetzung des in § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO bisher verwendeten Begriffs „geboten“ durch „erforderlich“ durch die Erste Verordnung zur Änderung der Straßenverkehrs-Ordnung vom 30. November 2016 (BGBl. I S. 2848) andere Anforderungen stellen wollte, ist nicht ersichtlich (BVerwG, B.v. 1.9.2017 – 3 B 50/16 – juris Rn. 7).
Das Aufstellen von Verkehrszeichen hat damit Ausnahmecharakter. Die Straßenverkehrsbehörde hat eine besondere Darlegungslast, wenn sie sich für die Anbringung eines Verkehrszeichens entscheidet und ist vor Erlass einer verkehrsrechtlichen Anordnung zu einer Prüfung der objektiven Gefahrenlage für die öffentliche Sicherheit und Ordnung verpflichtet (vgl. VG Würzburg, U.v. 25.2.2015 – W 6 K 14.55, U.v. 4.12.2019 – W 6 K 18.1207; VG München, U.v. 8.7.2014 – M 23 K 13.3214 – juris Rn. 30).
Maßgeblich ist aufgrund des Charakters der Verkehrsregelung als Dauerverwaltungsakt die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw. wenn eine solche nicht durchgeführt wird, der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. BVerwG, U.v. 23.9.2010 – 3 C 32/09 – juris Rn. 17). So können gemäß § 114 Satz 2 VwGO noch im Klageverfahren Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes ergänzt werden. Hierbei handelt es sich jedoch nur um Fälle, in welchen unvollständige Ermessenserwägungen ergänzt werden, nicht hingegen jene, in denen es an Ermessenserwägungen bisher fehlte oder wesentliche Teile der Ermessenerwägungen nachträglich nachgeschoben wurden (Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, § 114 Rn. 50).
2.1. Die 1. Bürgermeisterin der Beklagten war für den Erlass der verkehrsrechtlichen Anordnung zuständig.
Zwar wird grundsätzlich gemäß Art. 29 GO die Gemeinde durch den Gemeinderat verwaltet, soweit nicht der erste Bürgermeister selbstständig nach Art. 37 GO entscheidet. Nach den unbestrittenen Ausführungen der 1. Bürgermeisterin in der mündlichen Verhandlung geht das Gericht davon aus, dass im Rahmen der Geschäftsordnung für den Gemeinderat der Beklagten eine Übertragung auf den ersten Bürgermeister i.S.v. Art. 37 Abs. 2 Satz 1 GO stattgefunden hat. Dem Gericht ist diese Handhabe bei der hiesigen Beklagten bereits aus früheren Verfahren bekannt (VG Würzburg, U.v. 13.11.2019 – W 6 K 18.1524).
2.2. Jedoch leidet die verfahrensgegenständliche verkehrsrechtliche Anordnung vom 10. Februar 2021 an fehlender Bestimmtheit i.S.v. Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG. Zwar lässt sich der Anordnung der Geltungsbereich entnehmen, welcher auf konkrete, an die O* …-H* …-S* … angrenzende Flurnummern bezogen ist. Der Wortlaut der Anordnung weicht aber von dem in der Behördenakte befindlichen Beschilderungsplan ab. Zudem sind die dort benannten Verkehrszeichen fehlerhaft und geben nicht die Anordnung wieder.
Die Beklagte ist als Straßenverkehrsbehörde nach § 45 Abs. 3 StVO verpflichtet festzulegen, wo, wie viele und welche Verkehrszeichen aufgestellt werden sollen und ab wann die Anordnung gelten soll (vgl. BayVGH, B.v. 3.2.2011 – 11 ZB 10.988 – juris Rn. 12; VG München, U.v. 10.3.2010 – M 23 K 09.44 – juris Rn. 26).
Vorliegend ist der Anordnung vom 10. Februar 2021 zu entnehmen, dass im Bereich der O* …-H* …-S* … (Fl.Nr. …2) ein beidseitiges absolutes Haltverbot (VZ 283) verfügt wird. Der Teilbereich wird mit den Worten „im Kurvenbereich bei den Fl.Nr. …4- …13; …6- … näher bezeichnet. Zwar erstaunt die Bezeichnung „im Kurvenbereich“, da ausweislich der Flurkarte die Kurve im nordöstlichen Bereich der O* …-H* …-S* … nach Süden hin im Bereich der Fl.Nr. …13 bereits wieder in eine Gerade übergegangen zu sein scheint. Jedoch erscheint dies in Anbetracht der ausdrücklich aufgeführten Flurstücke im Zuge einer besseren Verständlichkeit als deskriptives Element unschädlich. Denn es geht klar hervor, entlang welcher konkret benannten Flurstücke das Haltverbot gelten soll. Dieser verfügte Geltungsbereich entspricht jedoch nicht dem Beschilderungsplan (Bl. … und … der Akte) und damit der Verlautbarung nach außen. Demnach ist das Grundstück Fl.Nr. …13 auf der östlichen Seite gerade nicht (mehr) erfasst, sondern das absolute Haltverbot beginnt (VZ 283-10) erst ab der Grundstücksgrenze zur nördlich von Fl.Nr. …13 gelegenen Fl.Nr. … Das nördliche Ende des ostseitigen Haltverbots hingegen sollte nach dem Wortlaut der Anordnung noch das Grundstück Fl.Nr. …4 (mangels näherer Einschränkung vollständig) erfassen, ausweislich des Beschilderungsplanes befindet sich ein Schild (VZ 283-10) relativ nahe zur östlichen Grundstücksgrenze der Fl.Nr. …4, sodass der Großteil des an die O* …-H* …-S* … angrenzenden Grundstücks dadurch nicht mehr mitumfasst ist. Zwar ist grundsätzlich möglich, dass die Beschilderung nicht exakt an den jeweiligen Grundstücksgrenzen aufgestellt wird. In diesem Fall ist es jedoch notwendig, auf die den Umfang näher konkretisierende Beschilderung in der Anordnung selbst zu verweisen. In diesem Zusammenhang ist überdies anzumerken, dass die aufgeführten Verkehrszeichen-Nummern selbst irreführend sind. So kennzeichnet das VZ 283-10 den Anfang eines absoluten Haltverbots (Fahrtrichtung), nicht aber das Ende, welches mit VZ 283-20 gekennzeichnet ist, sodass auch aus diesem Grund der der Anordnung zugrundeliegende Beschilderungsplan widersprüchlich und damit ebenfalls unbestimmt ist. Auf beiden Straßenseiten und damit in beiden Fahrtrichtungen scheint es jeweils nur einen Anfang des absoluten Haltverbots (VZ 283-10) zu geben, nicht jedoch ein Ende (VZ 283-20).
Die ergangene verkehrsrechtliche Anordnung wird damit dem Bestimmtheitserfordernis nicht gerecht, da der Geltungsbereich nicht eindeutig aus der Anordnung hervorgeht. Die Beklagte hätte in der verkehrsrechtlichen Anordnung den Geltungsbereich der verkehrsrechtlichen Anordnung hinreichend bestimmt beschreiben und zu diesem Zwecke die genauen Standorte der aufzustellenden Verkehrszeichen (mit deren genauen bzw. korrekten Bezeichnung hinsichtlich Anfang und Ende), eventuell unter Bezugnahme auf einen Plan, festlegen müssen. Denn eine verkehrsrechtliche Anordnung wird erst durch die aufgestellten Verkehrszeichen nach Außen verlautbart, weshalb die in der verkehrsrechtlichen Anordnung geregelte Lage mit den tatsächlich im Straßenverkehr aufgestellten Verkehrszeichen übereinstimmen muss. Sollte im weiteren Verlauf ein eingeschränkter oder erweiterter Geltungsbereich der verkehrsrechtlichen Anordnung erforderlich werden, reicht es auch nicht, nur die Verkehrszeichen zu versetzen. Vielmehr ist es erforderlich, die verkehrsrechtliche Anordnung selbst zu ändern und erst dann entsprechend die Verkehrszeichen umzusetzen (VG Würzburg, U.v. 8.4.2020 – 6 K 19.1174, BeckRS 2020, 6663 Rn. 47, beck-online).
2.3. Darüber hinaus ist zudem fraglich, ob überhaupt die Tatbestandsvoraussetzungen für eine verkehrsrechtliche Anordnung nach § 45 Abs. 1 Satz 1, Abs. 9 StVO gegeben waren. Es ist aus den vorgelegten Unterlagen und dem Vorbringen der Beklagten nämlich nicht zweifelsfrei ersichtlich, ob tatsächlich die Tatbestandsvoraussetzungen, d.h. eine objektive Gefahrenlage für die öffentliche Sicherheit und Ordnung i.S.d. § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO vorgelegen haben. Es ist weder aus der spärlichen Aktendokumentation ersichtlich noch sonst dargelegt, dass die Beklagte als zuständige Straßenverkehrsbehörde vor Erlass der angefochtenen verkehrsrechtlichen Anordnung die objektive Gefahrenlage für die öffentliche Sicherheit und Ordnung geprüft und tatsächlich festgestellt hat.
Zwar hat die Beklagte als zuständige örtliche Verkehrsbehörde eine Einschätzungsprärogative und auch den mit E-Mail vom 24. August 2020 vorgebrachten Einwänden des Kommandanten der Freiwilligen Feuerwehr der Beklagten kommt erhebliches Gewicht zu. Unstreitig ist jede Art von Straßenbarrieren, die durch geparkte Autos verursacht werden, nicht nur wegen des allgemeinen fließenden Straßenverkehrs, sondern auch im Falle eines Einsatzes von Rettungsdienst oder Feuerwehr zu vermeiden. Jedoch ist darüber hinaus – mit Ausnahme von knapp 30 Fotos, die jedoch weder Datum/Uhrzeit noch deren Urheber erkennen lassen – weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, inwieweit Behinderungen des Straßenverkehrs bereits in der Vergangenheit festgestellt worden waren, insbesondere ohne dass dies zumindest in Form von Aktenvermerken festgehalten wurde.
Das Protokoll zur Verkehrsschau am 9. September 2020 ist hierbei unbehelflich. Ungeachtet dessen, dass aus dem Protokoll schon nicht hervorgeht, wer an dieser Verkehrsschau teilgenommen hat, ist der Passus unter TOP 9, dem verfahrensgegenständlichen Bereich der O* …-H* …-S* …, offenkundig inhaltsgleich mit der E-Mail des Feuerwehrkommandanten vom 24. August 2020. Es fehlen Feststellungen zu den Verhältnissen vor Ort, ggf. begleitet durch Fotodokumentation.
Aus der Behördenakte ergibt sich nicht, dass eine Stellungnahme einer sachverständigen Stelle eingeholt wurde. Es wurde erst in der mündlichen Verhandlung von der 1. Bürgermeisterin erklärt, dass bei der Verkehrsschau am 9. September 2020 neben ihr persönlich auch ein Mitarbeiter der Straßenverkehrsbehörde des Landratsamts sowie ein Polizist zugegen waren. Eine (zusätzliche) schriftliche Stellungnahme der sachverständigen Stellen wurde nicht eingeholt. Nach der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung (vom 26.1.2001 in der Fassung vom 22.5.2017, VwV-StVO) ist nach Ziff. II der Erläuterungen zu § 45 Abs. 3 StVO grundsätzlich vor der Entscheidung über die Anbringung oder Entfernung jedes Verkehrszeichens und jeder Verkehrseinrichtung die Polizei zu hören. Dem dürfte wohl die Einbeziehung der Polizei im Rahmen der Verkehrsschau genügen, jedoch sollte dann auch eindeutig dokumentiert werden, was die sachverständige Stelle zu den konkreten Punkten ausgesagt hat. Dass von der Polizei bei der Begehung eine Gefahrlage bejaht bzw. der Erlass einer verkehrsrechtlichen Anordnung eindeutig befürwortet wurde, ist nicht ersichtlich. Aus dem Protokoll ergibt sich auch nicht, von wessen Seite der dort aufgeführte „Vorschlag“ stammte.
Des Weiteren irritiert – worauf der Klägerbevollmächtigte zu Recht hinweist – der Verweis in der Begründung der verfahrensgegenständlichen Anordnung auf Berichte des Bauhofs bei der Verrichtung des Winterdienstes. Bis auf diverse Fotos, die offenbar in Zusammenhang mit der Verrichtung des Winterdienstes zu nicht näher bekannten Zeitpunkten angefertigt wurden, findet sich davon nichts in der Akte. Soweit in der mündlichen Verhandlung eine Beschwerde des in dem dortigen Bereich angesiedelten Z* …betriebs (Hausnr. **) angeführt wurde, ergibt sich auch dies weder aus den Akten noch aus der Anordnung selbst. Nachdem das Aufstellen von Verkehrszeichen Ausnahmecharakter hat und die Beklagte damit darlegungspflichtig ist, wenn sie sich für die Anbringung eines Verkehrszeichens entscheidet (s.o.), genügen die vorhandenen Feststellungen jedenfalls nicht.
Ausweislich der Erläuterungen der 1. Bürgermeisterin in der mündlichen Verhandlung bestand offenbar im Bereich bzw. entlang der Fl.Nr. … bereits zuvor ein absolutes Haltverbot. Dies erklärt zwar die Formulierung des Vorschlags im Protokoll zur Verkehrsschau „ggf. Verlängerung/Ausweitung des bestehenden absoluten Haltverbots“. Dieser Umstand ergibt sich jedoch weder aus den vorgelegten Behördenakten noch aus der verkehrsrechtlichen Anordnung vom 10. Februar 2021 selbst. Es ist weder ersichtlich noch vorgetragen, inwieweit dieser Umstand in die verfahrensgegenständliche Anordnung, insbesondere in die Feststellung einer objektiven Gefahrenlage eingeflossen ist. Es bleibt auch offen, was mit dem ursprünglichen Haltverbot geschehen ist, was jedoch eine Frage der Ermessensausübung darstellt.
Es ist zu betonen, dass ein grundsätzliches Tätigwerden der Beklagten im verfahrensgegenständlichen Bereich durchaus veranlasst sein kann. Denn es ist nicht von der Hand zu weisen, dass trotz einer grundsätzlich ausreichenden Straßenbreite von 7,50 m bei beidseitig ungünstig geparkten Fahrzeugen die Durchfahrt je nach Verteilung der geparkten Fahrzeuge erschwert bis unmöglich gemacht wird, insbesondere wenn ein großes Fahrzeug wie z.B. ein Löschfahrzeug hindurchfahren will. Da es sich vorliegend um ein Gewerbegebiet handelt, stehen immer wieder auch große Pkw, wie z.B. Transporter, Kleinbusse oder große Anhänger an beiden Straßenrändern, wie aus den in der Akte befindlichen Fotos erkennbar ist. Jedoch ist ein „dauerhaftes beidseitiges Abstellen von Kraftfahrzeugen“, wie in der Begründung der verkehrsrechtlichen Anordnung ausgeführt, diesen Fotos nicht zu entnehmen. Insbesondere ist mangels Erläuterung zu den Fotos nicht ganz klar, welche Bereiche der O. Straße jeweils konkret abgebildet sind. Zwar können durch parkende Fahrzeuge verursachte erhebliche Störungen der Flüssigkeit und Leichtigkeit des Verkehrs zumindest die Ordnung des Verkehrs gefährden und zur Erfüllung der in § 45 Abs. 1 StVO enthaltenen Eingriffsvoraussetzung ausreichen (BVerwG, U.v. 25.4.1980 – 3 B 25/90 – juris; OVG Bremen, B.v. 10.11.1998 – 1 BA 20/97 – juris Rn. 30). Jedoch fehlt es an grundsätzlichen Feststellungen durch die Beklagte, wie oft und wie viele Fahrzeuge regelmäßig in dem verfahrensgegenständlichen Bereich der O* …-H* …-S* … geparkt oder abgestellt werden und wie hoch das Verkehrsaufkommen des Durchfahrtsverkehrs dort ausfällt. Denn vorliegend ergeben sich die angeführten Verkehrsbeeinträchtigungen nicht unmittelbar aufgrund der Straßenbreite – die mit 7,50 m für das Passieren (einseitig) geparkter Fahrzeuge ausreicht -, sondern resultieren daraus, dass einzelne Fahrzeugführer die notwendigen Abstände zu dem auf der anderen Straßenseite parkenden Fahrzeug zur Gewährleistung der ausreichende Durchfahrtsbreite nicht einhalten. Aber aus dem Umfahren geparkter Fahrzeuge müssen sich nicht notwendig relevante Beeinträchtigungen des fließenden Verkehrs ergeben, wenn eine geringe Frequenz an Fahrzeugen mit wenig Gegenverkehr festzustellen wäre. Auch wenn einzelne Fahrzeuge wegen parkender Pkw ihre Geschwindigkeit ggf. reduzieren müssten, würde dies deshalb keine erheblichen Störungen der Flüssigkeit und Leichtigkeit des Verkehrs darstellen, sondern diese notwendige Verhaltenspflicht ergäbe sich aus dem Gebot des § 1 Abs. 2 StVO (BayVGH, B.v. 16.3.2015 – 11 ZB 14.2426 – juris Rn. 11).
Die nachvollziehbar dokumentierte Feststellung der Verkehrsverhältnisse und Verkehrsstörungen vor Ort, ein zwingender erster Schritt, um überhaupt abschätzen zu können, ob eine entsprechende objektive Gefahrenlage tatsächlich besteht, ist vorliegend nicht erfolgt.
2.4. Darüber hinaus leidet die verkehrsrechtliche Anordnung vom 10. Februar 2021 an fehlerhaften Ermessenserwägungen, die zu ihrer Rechtswidrigkeit führen.
Eine verkehrsrechtliche Anordnung nach § 45 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 9 StVO steht im Ermessen der Behörde (BVerwG, U.v. 5.4.2001 – 3 C 23.00 – juris), das seitens des Gerichts nur eingeschränkt auf Ermessensfehler überprüfbar ist (§ 114 Satz 1 VwGO). Maßgeblich sind hierbei die in der verkehrsrechtlichen Anordnung selbst dargestellten Ermessenserwägungen (vgl. Art. 39 Abs. 1 Satz 3 BayVwVfG). Hier ist erneut darauf hinzuweisen, dass die Straßenverkehrsbehörde eine besondere Darlegungslast hat, wenn sie sich für die Anbringung eines Verkehrszeichens entscheidet. Dies bedeutet, dass im Rahmen der Ermessenserwägungen auch nachvollziehbar zumindest im Ansatz dargelegt sein muss, weshalb sich die Behörde für die konkrete Maßnahme entschieden hat.
So ist Kern einer jeden Ermessensausübung die Bewertung von verschiedenen Möglichkeiten und deren Abwägung untereinander. Vorliegend ist schon nicht ersichtlich, ob anstelle eines beidseitigen absoluten Haltverbots nicht auch ein eingeschränktes Haltverbot (Parkverbot) oder nur ein einseitiges absolutes Haltverbot als jeweils weniger einschneidendes Mittel dieselbe Wirkung erzielen könnte. In diesem Zusammenhang ist unklar, weshalb trotz des „Vorschlags“ im Protokoll zur Verkehrsschau vom 9. September 2020, welcher von einer Verlängerung des bereits bestehenden absoluten Haltverbots im Bereich Fl.Nr. … spricht, dieser Empfehlung nicht gefolgt, sondern ein beidseitiges absolutes Haltverbot für erforderlich erachtet wurde. Auch ist nicht ersichtlich, dass das bestehende absolute Haltverbot überhaupt in die Ermessenserwägungen mit eingeflossen ist. Zudem spricht die Begründung der Anordnung wiederholt vom „Parken“ von Kraftfahrzeugen, sodass zweifelhaft erscheint, ob die Abwägung mit den richtigen Möglichkeiten vorgenommen wurde, denn Parken (i.S. eines eingeschränkten Haltverbots) ermöglicht im Gegensatz zum absoluten Haltverbot ein Halten bis zu drei Minuten und stellt dadurch einen geringeren Eingriff dar. Auch soweit die Anordnung damit begründet wird, dass die „uneingeschränkte Nutzbarkeit der Straße zu gewährleisten“ ist, begegnet dies Bedenken, da auch das Parken von Fahrzeugen zum Nutzungsumfang einer öffentlichen Straße gehört, vgl. § 12 Abs. 4 Satz 1 StVO. Auch erscheint der pauschale Verweis auf „§ 12 Abs. 1 StVO“ wenig nachvollziehbar, da § 12 Abs. 1 StVO eine Vielzahl an Unternummern hat, welche einerseits hinsichtlich Nrn. 3 bis 5 sehr unterschiedliche und vorliegend eindeutig nicht zutreffende Konstellationen betreffen, andererseits die Frage aufwerfen, was von der Behörde gemeint gewesen sein könnte. Soweit die Beklagte konkret „unübersichtliche Straßenstellen“ (§ 12 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 StVO) benennt, scheint dies vorliegend nicht einschlägig zu sein. Unübersichtlich ist eine Stelle, wenn ungenügender Überblick es hindert, den Verkehr vollständig zu überblicken und Gefahren zu vermeiden, auch Kreuzungen/Einmündungen, verdeckte Kuppen, auch wenn dort stehende Fahrzeuge von beiden Seiten aus gut sichtbar sind. Zusätzliche Erschwernisse und Gefährdung durch haltende Fahrzeuge (Sichtverkürzungen) sollen von an sich schon unübersichtlichen Stellen ferngehalten werden (Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl. 2019, § 12 StVO Rn. 23). Ausweislich der Fotos liegt hier gerade keine unübersichtliche Straßenstelle vor. Bei dem im Rahmen des Klageverfahrens vorgebrachten weiteren Aspekt der Schutzgüter des § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 StVO handelt es sich um eine eigenständige Rechtsgrundlage für den Erlass von verkehrsrechtlichen Anordnungen und damit um einen völlig neuen Aspekt.
2.5. Der in der mündlichen Verhandlung gestellte Hilfsbeweisantrag auf Einvernahme des zuständigen Polizeibeamten stellt lediglich eine Anregung zur weiteren Erforschung des Sachverhalts nach § 86 Abs. 1 VwGO dar (BVerwG, B.v.10.6.1999 – 9 B 81.99 – Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 302 und BVerwG, B.v. 19.8.2010 – 10 B 22.10, 10 PKH 11.10 – juris Rn. 10). Das Gericht brauchte den Sachverhalt jedoch nicht weiter aufzuklären, da selbst bei Wahrunterstellung des unter Beweis zu stellenden Sachverhalts – nämlich, dass seitens der Polizei die Anordnung eines absoluten Haltverbots empfohlen worden sei – dies nichts daran ändert, dass es an einer hinreichenden Feststellung der objektiven Gefahrenlage für die öffentliche Sicherheit und Ordnung durch die Beklagte als zuständige Straßenverkehrsbehörde fehlt (vgl. 2.3.). Ungeachtet dessen leidet die verkehrsrechtliche Anordnung nach dem oben Gesagten an weiteren Fehlern, die jeder für sich zu ihrer Rechtswidrigkeit führen.
3. Nach allem war die verkehrsrechtliche Anordnung vom 10. Februar 2021 mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO aufzuheben. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.


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