Medizinrecht

Anordnung der Vorlage eines amtsärztlichen Zeugnisses für eine privatärztlich attestierte Arbeitsunfähigkeit

Aktenzeichen  3 ZB 19.1851

Datum:
18.2.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 2742
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayUrlMV § 16 Abs. 2 S. 2, 2. Alt.
BayBG Art. 65 Abs. 2, Art. 67
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 3

 

Leitsatz

1. Die Bestimmung des § 16 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 UrlMV erfasst auch längerfristige Erkrankungen, deren Natur dem Grunde nach zwar bekannt, jedoch in ihren konkreten Auswirkungen auf die Dienstfähigkeit des Beamten zweifelhaft ist (Rn. 3). (redaktioneller Leitsatz)
2. § 16 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 UrlMV stellt eine geeignete Rechtsgrundlage dar, um die sachliche Richtigkeit der für einen vorübergehenden Zeitraum ausgestellten privatärztlichen Bescheinigung zu klären (Rn. 7). (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Anordnung nach § 16 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 UrlMV (aktuelle Dienstunfähigkeit) und die Anordnung nach § 26 BeamtStG i.V.m. Art. 65 Abs. 2 BayBG (prognostische Dienstunfähigkeit) nehmen unterschiedliche Bezugspunkte in den Blick (Rn. 9). (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 2 K 19.884 2019-07-18 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Antragsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Antragsverfahren wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe

Der auf die Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils) und des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (grundsätzliche Bedeutung) gestützte Antrag bleibt ohne Erfolg.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts i.S.v. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen auf der Grundlage des Zulassungsvorbringens nicht. Solche sind nur zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und die Zweifel an der Richtigkeit dieser Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen. Dies ist vorliegend nicht der Fall.
Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass der Beklagte die streitgegenständliche Anordnung (Vorlage eines amtsärztlichen Zeugnisses für eine am 16.5.2019 privatärztlich attestierte Arbeitsunfähigkeit bis zum 28.6.2019) auf § 16 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 UrlMV stützen konnte, weil die Bestimmung auch längerfristige Erkrankungen erfasst, deren Natur dem Grunde nach zwar bekannt, jedoch in ihren konkreten Auswirkungen auf die Dienstfähigkeit des Beamten zweifelhaft ist. Weder der Wortlaut der Bestimmung, noch Systematik oder Sinn und Zweck stünden dieser Auslegung entgegen.
a. Die Klägerin führt aus, bei teleologischer Auslegung eröffne § 16 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 UrlMV dem Dienstherrn lediglich Handlungsmöglichkeiten im Hinblick auf eine vorübergehende Dienstunfähigkeit, und begründet das insbesondere mit der redaktionellen Überschrift „Fernbleiben vom Dienst bei vorübergehender Dienstunfähigkeit“. Ernstliche Zweifel ergeben sich hieraus nicht. Hier geht es nicht um die Feststellung einer dauerhaften Dienstunfähigkeit der Klägerin, sondern um die Feststellung, ob die privatärztlich attestierte vorübergehende Dienstunfähigkeit zutreffend ist. Dass diese Sachverhaltsgestaltung nicht von dem Wortlaut der Bestimmung, der Systematik oder Sinn und Zweck erfasst wäre, legt die Klägerin nicht dar.
b. Die Klägerin wendet ein, sie sei aufgrund einer Erkrankung auf psychiatrischem Fachgebiet dauerhaft dienstunfähig. Dieser Fall sei nicht von § 16 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 UrlMV erfasst, der eine andere Zielrichtung (nur vorübergehende Dienstunfähigkeit) habe.
Ernstliche Zweifel ergeben sich auch hieraus nicht. Die streitgegenständliche Anordnung erging, weil zwischen den von der Klägerin vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen einerseits und der Stellungnahme der Medizinischen Untersuchungsstelle der Regierung von Schwaben vom 29. März 2019 andererseits ein Widerspruch bestand. In der Stellungnahme vom 29. März 2019 wurde unter anderem festgestellt, dass „unter der Voraussetzung einer familienfreundlichen Dienstzeitgestaltung es der Untersuchten möglich ist, ab dem 6. April 2019 ihren zuletzt ausgeübten Dienst zumindest im Umfang von 19 Wochenstunden wieder auszuüben“ und die Wiederherstellung der vorigen tätigkeitsbezogenen Leistungsfähigkeit ab dem 6. April 2019 zu erwarten sei. Eine Arbeitsaufnahme zum 6. April 2019 erfolgte nicht. Die Klägerin legte vielmehr privatärztliche Atteste vom 3. April bzw. 16. Mai 2019 vor, worin weitere Arbeitsunfähigkeiten bis zum 17. Mai bzw. 28. Juni 2019 bescheinigt worden sind.
Vor diesem Hintergrund geht es gerade um die Klärung der sachlichen Richtigkeit der für einen vorübergehenden Zeitraum ausgestellten privatärztlichen Bescheinigung, wofür § 16 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 UrlMV eine geeignete Rechtsgrundlage darstellt.
c. Die Klägerin rügt, dass allein der Umstand, dass die privatärztlich bescheinigte Arbeitsunfähigkeit in ihrer Dauer über die vom Amtsarzt prognostizierte Dauer hinausgeht, allein nicht geeignet sei, konkrete Zweifel an ihr zu wecken. Eine sichere medizinische Prognose hinsichtlich des Endzeitpunkts sei aus tatsächlichen Gründen unmöglich. Wenn daher eine Genesung nicht innerhalb des prognostizierten Zeitpunkts eintrete, begründe dieser Umstand als solcher noch keine vernünftigen Zweifel. Vielmehr stelle sich in diesem Fall die Frage nach der Richtigkeit der abgegebenen Prognose bzw. den Gründen ihrer Fehlerhaftigkeit. Mithin sei die sich hieraus stellende Frage durch eine erneute Befassung des Amtsarztes, der für die Untersuchung nach Art. 65 Abs. 2 BayBG zuständig sei, zu lösen und nicht durch die angefochtene Maßnahme.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils kann die Klägerin auch damit nicht darlegen. Die Anordnung nach § 16 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 UrlMV (aktuelle Dienstunfähigkeit) und die Anordnung nach § 26 BeamtStG i.V.m. Art. 65 Abs. 2 BayBG (prognostische Dienstunfähigkeit) nehmen unterschiedliche Bezugspunkte in den Blick. Dementsprechend haben diese Anordnungen abweichende Zielrichtungen (UA Rn. 53; vgl. dazu auch Summer in Weiss/Niedermaier/Summer/Zängl, Beamtenrecht in Bayern, Stand: Okt. 2019, § 26 BeamtStG Rn. 7 ff.). Mit dieser erstgerichtlichen Argumentation setzt sich das Zulassungsvorbringen nicht auseinander.
c. Ernstliche Zweifel ergeben sich auch nicht aus dem Vortrag, die angefochtene Anordnung weise rein maßregelnden Charakter auf. Hierfür bestehen keinerlei Anhaltspunkte. Die Anordnung dient allein dem Zweck, den Widerspruch zwischen den weiteren privatärztlichen Attestierungen der Dienstunfähigkeit und der amtsärztlichen Stellungnahme vom 29. März auszuräumen. Das ist ein legitimer Zweck.
d. Die Klägerin weist darauf hin, dass im Falle der angefochtenen Anordnungen im Gegensatz zur Untersuchungsanordnung nach Art. 65 Abs. 2 BayBG die Regelungen des Art. 67 BayBG nicht gelten. Richtig ist, dass Art. 67 BayBG in „Abschnitt 3: Ruhestand“, „Unterabschnitt 2: Ruhestandsversetzung“ des Bayerischen Beamtengesetzes eingeordnet ist. Die Klägerin führt jedoch nicht aus, warum die Bestimmung im vorliegenden Verfahren nicht analog angewendet werden kann (vgl. zum Anwendungsbereich des Art. 67 BayBG trotz fehlender Direktverweisung z.B. auf die begrenzte Dienstfähigkeit i.S.d. § 27 BeamtStG: Baßlsperger in Weiss/Niedermaier/Summer/Zängl, Beamtenrecht in Bayern, Stand: Okt. 2019, Art. 67 BayBG Rn. 6).
2. Die Berufung ist nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen. Der Sachvortrag der Klägerin entspricht insoweit bereits nicht den Darlegungsanforderungen. Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung ist nur dann den Vorgaben von § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend dargetan, wenn der Rechtsmittelführer eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert, ihre Entscheidungserheblichkeit und Klärungsbedürftigkeit erläutert und darüber hinaus darlegt, warum der genannten Frage eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn. 72). Hier hat die Klägerin schon keine konkrete Frage formuliert, sondern sich auf den Vortrag beschränkt, wonach die amtsärztliche Untersuchung gemäß Art. 65 Abs. 2 Satz 1 BayBG und die Anordnung nach Art. 16 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 UrlMV grundsätzlich unterschiedliche Zielrichtungen verfolgen und deshalb die Anordnung der Beibringung eines amtsärztlichen Zeugnisses hier nicht als behördliche Verfahrenshandlung im Sinne des § 44a Satz 1 VwGO einzuordnen sei.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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