Medizinrecht

Anordnung einer FFP2-Maskenpflicht, Stadtratssitzung, Stadtratsmitglieder, Ordnungsgewalt des Oberbürgermeisters

Aktenzeichen  AN 18 E 22.01329

Datum:
19.5.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 12020
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
IfSG § 28a
GO Art. 53
VwGO § 123

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Anträge werden abgelehnt.
2. Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 10.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsteller wenden sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die von der Antragsgegnerin ausgesprochene Verpflichtung zum Tragen einer FFP2-Maske im Bereich der städtischen Liegenschaften.
Die Antragsteller gehören zur Stadtratsgruppe der … im Stadtrat der Antragsgegnerin. Am Freitag, den 13. Mai 2022 versandte die Antragsgegnerin u.a. an die beiden Antragsteller die Einladung zur Sitzung des Stadtrates am Donnerstag, den 19. Mai 2022 um 18.00 Uhr. Der Sitzungseinladung, welche per Email über das Ratsinformationssystem versandt wurde, war folgender Hinweis beigefügt: „Die Stadt … ordnet im Rahmen des Hausrechts an, dass für die Teilnahme an der städtischen Gremiensitzung im … auf allen Begegnungsflächen durchgängig das Tragen einer Maske mit mindestens der Schutzklasse FFP2 vorgeschrieben ist. In den Sitzungsräumlichkeiten ist durchgängig das Tragen einer Maske mit mindestens der Schutzklasse FFP2 vorgeschrieben, wenn ein Mindestabstand von 1,5 m nicht eingehalten werden kann.“
Mit Schriftsatz vom 17. Mai 2022, beim Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach am selben Tage eingegangen, begehrten die Antragsteller durch ihren Prozessbevollmächtigten einstweiligen Rechtsschutz nach § 123 VwGO und ließen beantragen,
die Antragsgegnerin zu verpflichten, den Antragstellern den Zutritt zu und den Aufenthalt in ihren Liegenschaften, insbesondere des …, zu gestatten, ohne dass sie verpflichtet sind, eine Maske mit mindestens der Schutzklasse FFP2 zu tragen.
Hilfsweise ließen sie beantragen,
die Antragsgegnerin zu verpflichten, den Zutritt zu ihren Liegenschaften, insbesondere des …, auf der Grundlage der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu regeln.
Zur Begründung ließen die Antragsteller ausführen, dass sie in eigener Verantwortung zu entscheiden wünschten, ob und gegebenenfalls welche Schutzmaske sie in öffentlichen Gebäuden, auch in solchen der Antragsgegnerin, tragen wollten. Die Sieben-Tage-Inzidenz für die Stadt … habe am 15. Mai 2022 bei 477,3 gelegen und am Tag der Antragstellung bei 475,7. In den … Krankenhäusern habe es am 16. Mai 2022 keinen intensivmedizinisch behandelten COVID-19-Patienten gegeben, auch keinen invasiv beatmeten COVID-19-Patienten. Demgemäß habe der Anteil der COVID-19-Patienten an den belegten Intensivbetten 0% betragen. Vorliegend werde das Recht der Antragsteller auf die Teilnahme an Stadtratssitzungen, insbesondere am 19. Mai 2022, im … der Stadt …, beeinträchtigt, wenn sie trotz fehlender epidemischer Lage von nationaler Bedeutung oder wenigstens der konkreten Gefahr einer sich dynamisch ausbreitenden Infektionslage verpflichtet sein sollten, einer persönlich als beeinträchtigend empfundenen Verpflichtung zum Tragen einer solchen Maske nachzukommen. Das Tragen einer solchen Maske sei auch nicht eine vernachlässigbar unwesentliche Beeinträchtigung des Wohlbefindens, sondern insbesondere über längere Zeit hinweg äußerst unangenehm. Das Hausrecht sei keine geeignete Rechtsgrundlage zum Erlass einer solchen Anordnung. Denn jeder Eingriff in die persönliche Freiheit müsse geeignet, erforderlich und verhältnismäßig sein, um eine Gefahr für die Allgemeinheit abzuwehren. Aktuell lägen diese Voraussetzungen ersichtlich nicht vor. Die Antragsteller müssten in Ausübung ihrer Pflichten aus dem Stadtratsmandat städtische Liegenschaften, insbesondere am 19. Mai 2022 das …, aufsuchen. Man möge die Befugnis des Hausrechtsinhabers zu Zutrittsregelungen für Personen, die sich freiwillig und ohne dienstliche Verpflichtung dorthin begeben wollten, weiterfassen können. Jedenfalls dann, wenn es um das Betreten eines Gebäudes zu dienstlichen Verrichtungen und noch mehr in Ausübung des von den Wählern erteilten Mandats gehe, könne auch der Inhaber des Hausrechts eine solche Verpflichtung nur unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zur Abwehr einer konkreten und nicht anders zu beherrschenden Gefahr aussprechen. Dies sei im vorliegenden Fall offensichtlich nicht gegeben. Demgemäß habe das Oberverwaltungsgericht des Landes Mecklenburg-Vorpommern auch mit Beschluss vom 22.4.2022, 1 KM 221/22 OVG, die einschlägige Regelung des § 11 der Corona-LVO Mecklenburg-Vorpommern vom 31.3.2022 vorläufig außer Vollzug gesetzt, soweit die darin geregelte Verpflichtung zur Einhaltung von Schutzmaßnahmen in Gestalt der Pflicht zum Tragen einer medizinischen Maske oder Atemschutzmaske für bestimmte Bereiche betroffen sei. Denn die nach den oben genannten Regelungen des IfSG notwendigen Voraussetzungen für derartige Maßnahmen seien nicht gegeben. Eine Öffnungsklausel enthalte § 28a Abs. 7 IfSG. Danach könne unabhängig von einer durch den Deutschen Bundestag festgestellten epidemischen Lage von nationaler Tragweite u.a. die Verpflichtung zum Tragen einer Atemschutzmaske oder einer medizinischen Gesichtsmaske angeordnet werden, soweit das zur Verhinderung der Verbreitung des Coronavirus erforderlich sei. Die weitere Öffnungsklausel des § 28a Abs. 8 IfSG indessen könne hier nicht herangezogen werden, denn der Bayerische Landtag habe das Vorliegen der konkreten Gefahr und die Anwendung konkreter Maßnahmen in der betroffenen Gebietskörperschaft, hier der Stadt …, nicht festgestellt. Mithin könne eine solche Maßnahme, welche über die Vorschriften der 16. BayIfSMV hinausgehe, nur dann angeordnet werden, wenn dies zur Verhinderung der Verbreitung des Coronavirus erforderlich sei. Insoweit habe der Gesetzgeber ersichtlich nicht nur eine Regelung der Anordnungsbefugnis getroffen. Vielmehr ergebe sich aus der Änderung des Infektionsschutzgesetzes insgesamt, dass der Gesetzgeber ab dem Zeitpunkt des Erlasses von einer merklich gesunkenen Infektionsgefahr ausgehe. Dem entspreche auch das Vorgehen des Bayerischen Gesetzgebers. Damit sei aber auch in der Sache selbst eine Festlegung durch den Gesetzgeber erfolgt. Soweit der Inhaber eines Hausrechts von seinem pflichtgemäßen Ermessen zur Bekämpfung der Infektionskrankheit Gebrauch mache, könne er sich nicht über den Willen des Gesetzgebers hinwegsetzen und schärfere Maßnahmen anordnen, als der Gesetzgeber dies getan habe, wenn die Voraussetzungen hierfür nicht vorlägen. Er könnte das nur dann tun, wenn tatsächlich im Bereich der Antragsgegnerin in den letzten Wochen ein merkliches Ansteigen der Infektionsrate und der Krankenhauseinweisungen, insbesondere im Bereich der Intensivbehandlungen, festzustellen sei. Indessen sei vorliegend das Gegenteil der Fall. Die angefochtene Anordnung der Antragsgegnerin setze sich über die gesetzliche Regelung hinweg, die Antragsgegnerin maße sich eine Befugnis an, die nur dem Gesetzgeber zustehe. Die angefochtene Regelung der Antragsgegnerin greife auch massiv in das Recht der Antragsteller auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG), das Recht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) und die Unverletzlichkeit der Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) ein. Die vielfach geäußerte Auffassung, das verpflichtende Tragen einer Gesichtsmaske sei wenig beeinträchtigend und daher ohne Weiteres zumutbar, rede das Problem schön. Diese Behauptung sei in etwa so glaubhaft wie die Behauptung, Mundgeruch sei nicht störend. Ebenso habe das VG Gießen mit Beschluss vom 2.5.2022, 3 L 793/22.GI, die Maskenpflicht an der Philipps-Universität Marburg zugunsten des dortigen Antragstellers ausgesetzt. Auch das VG Hamburg habe mit Beschluss vom 27.4.2022, 5 E 1707/22, die aufschiebende Wirkung der Widersprüche der Antragsteller gegen die in der von der Freien und Hansestadt Hamburg erlassene einschlägige Verpflichtung zum Tragen derartiger Masken in ihrem sogenannten Muster-Corona-Hygiene-Plan für alle Schulen im Stadtgebiet wiederhergestellt.
Mit Schriftsatz vom 18. Mai 2022 beantragte die Antragsgegnerin,
die Anträge abzulehnen.
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass für die Gremiensitzungen bereits seit Herbst 2021 je nach Entwicklung der Pandemie verschiedene Maßnahmen auf Basis der Befugnis zur Sitzungsverantwortung festgelegt worden seien. Diese hätten sich von Maskenpflicht zu „G-Regelungen“ und wieder zurück zur aktuell noch bestehenden FFP2-Maskenpflicht entwickelt. Die Anordnungen des Oberbürgermeisters seien jeweils durch den Sitzungsdienst an Stadtratsmitglieder, Verwaltung und Öffentlichkeit kommuniziert worden. Zur Sondersitzung des Stadtrates … sei am Freitag, den 13. Mai 2022 geladen worden. Diese Sondersitzung sei jedoch bereits am 4. Februar 2022 vorangekündigt worden, als die Sitzung in den Sitzungskalender aufgenommen worden sei. Die Stadtratsmitglieder hätten am 4. Februar 2022 eine entsprechende Email mit der Terminankündigung erhalten. Eine Abkehr von der Praxis, dass im Rahmen von Sitzungen FFP2-Masken zu tragen seien, sei für die Sitzung am 19. Mai 2022 nicht kommuniziert worden. Die entsprechenden Regelungen würden bei jeder Ladung mehrfach vollständig kommuniziert. In Anbetracht der in den letzten Wochen kontinuierlich sinkenden Inzidenzen habe der Oberbürgermeister nach Erörterung in der Referentenrunde am 16. Mai 2022 entschieden, die FFP2-Pflicht bei Gremiensitzungen ab dem 30. Mai 2022 aufzuheben. Das Tragen einer FFP2-Maske oder mindestens eines medizinischen Mund-Nasen-Schutzes werde allerdings weiterhin empfohlen. Der gestellte Eilantrag stelle sich zumindest als unbegründet dar, da der Oberbürgermeister die Anordnung der Maskenpflicht auf Basis seiner Sitzungsverantwortung habe anordnen können und sich die Maßnahme auch im Übrigen als verhältnismäßig und damit rechtmäßig darstelle. Die Antragsteller hätten bereits seit Wochen gewusst, dass die Sondersitzung stattfinde und dass diese, da keine Änderung kommuniziert worden sei, unter die FFP2-Maskenpflicht falle. Es dürfte daher auch an der Eilbedürftigkeit im Sinne eines Anordnungsgrundes nach § 123 VwGO fehlen. Die Befugnis des Sitzungsverantwortlichen zur Sitzungsordnung gegenüber den Gremienmitgliedern ermögliche während der Pandemie Schutzmaßnahmen wie die Maskenpflicht und Zugangsregelungen. Allein aus der Tatsache, dass der Gesetzgeber es momentan nicht für erforderlich erachte, den Ländern mittels einer bundeseinheitlichen Regelung die Möglichkeit zu geben, generell eine Maskenpflicht in Innenräumen (über § 28a Abs. 7 und 8 IfSG hinaus) anzuordnen, könne nicht der Schluss gezogen werden, dass deshalb derartige Maßnahmen im Rahmen der Sitzungsverantwortung pauschal unzulässig wären. Für eine Intention des Gesetzgebers, die Sitzungsverantwortung mit einem derart umfassenden Verbot einzuschränken, gebe es keinerlei Anhaltspunkte. Vielmehr sei anhand der konkreten Umstände des Einzelfalles zu entscheiden, ob die Maßnahme verhältnismäßig sei. Der Oberbürgermeister sei somit nicht auf die Vorgaben der aktuell gültigen 16. BayIfSMV beschränkt, sondern könne auch ohne ausdrückliche Rechtsgrundlage darüber hinausgehen, um den Gesundheitsschutz von Stadtratsmitgliedern und Verwaltungsmitarbeitenden sicherzustellen und somit auch die Aufrechterhaltung der Arbeit der kommunalen Gremien zu gewährleisten. Das Staatsministerium des Innern habe in seinem Rundschreiben vom 8. April 2022 betont, dass es gelte, „neben den örtlichen Verhältnissen … (bei Gremiensitzungen) (den) Anspruch der zur Teilnahme an der Sitzung verpflichteten Gremienmitglieder auf den Schutz ihrer Gesundheit, ihr Recht auf Sitzungsteilnahme, (den) Grundsatz der Sitzungsöffentlichkeit, aber auch das Interesse an der Aufrechterhaltung durch mögliche Erkrankungs- und Quarantänefälle potentiell bedrohten Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit der Gremien“ abzuwägen. Im Folgenden habe das StMI noch am 8. April 2022 die Anordnung einer FFP2-Maskenpflicht und sogar noch einer 3G-Zugangsregelung empfohlen. Diese Vorgaben habe die Stadt … beachtet. Einerseits sei das weiterhin hohe Infektionsgeschehen zu berücksichtigen gewesen. Die 7-Tages-Inzidenz habe in dem fraglichen Zeitraum über dem Bundesdurchschnitt gelegen. Dies sei nach wie vor der Fall; am 13. Mai 2022 habe die Inzidenz im … Stadtgebiet laut RKI bei 572,4, im Bundesdurchschnitt bei 485,7 gelegen. Weiterhin sei zu bedenken, dass auf den Begegnungsflächen und in den Sitzungssälen ein gebotener Mindestabstand oft nicht eingehalten werden könne. Ferner werde bei Gremiensitzungen viel und oft energisch gesprochen, was eine Verbreitung der potentiell virenhaltigen Aerosole begünstige. Der Verweis auf die Möglichkeit, freiwillig eine Maske zu tragen, ändere hier nichts. Denn wenn sich infektiöse Personen im unmittelbaren Umfeld befänden, sei auch in diesem Fall das Risiko einer Ansteckung höher, als wenn sämtliche Personen Maske trügen. Daher stelle eine reine Empfehlung zum Maskentragen kein gleich effektives Mittel dar. Unter Abwägung der betroffenen Gesichtspunkte sei daher durch den Sitzungsverantwortlichen entschieden worden, dem Gesundheitsschutz und der Aufrechterhaltung der Gremienarbeit den Vorrang gegenüber dem Interesse zu geben, ohne Maske die Sitzung besuchen zu dürfen. Die streitgegenständliche Sondersitzung finde im … statt, um … einen feierlichen Rahmen zu geben. Da die … Gäste mitbrächten, werde dort ein Abstandshalten nicht gewährleistet sein. Ergänzend sei noch darauf hinzuweisen, dass mit dem voraussichtlichen Auslaufen zum 30. Mai 2022 die streitgegenständliche Sondersitzung die einzige Sitzung des Gesamtgremiums sei, die noch betroffen sei. Die nächste Stadtratssitzung finde erst am 1. Juni 2022 statt. Die Antragsteller hätten weder gegen die Maskenpflicht in der Sitzung des …ausschusses am 18. Mai 2022 noch im …Aufsichtsrat am 19. Mai 2022 etwas vorgebracht. Sie störten sich offenbar vor allem dann daran, wenn es um eine publikumsträchtige Veranstaltung gehe.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakte Bezug genommen.
II.
Die gestellten Anträge gemäß § 123 VwGO erweisen sich zwar als zulässig, sind jedoch unbegründet und daher abzulehnen.
1. Gemäß § 123 VwGO kann das angerufene Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch die Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Satz 1). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden (Satz 2).
Nach dem Wortlaut der gestellten Anträge scheinen die Antragsteller in der noch nicht erhobenen Hauptsache von einer Verpflichtungssituation auszugehen. Allerdings bedürften die Antragsteller für den begehrten Zutritt zu den städtischen Liegenschaften keiner gesonderten Erlaubnis oder eines sonstigen begünstigenden Verwaltungsaktes. Vielmehr resultiert das Zutrittsrecht aus dem Teilhabeanspruch der Antragsteller als Mandatsträger für den Stadtrat und dessen Ausschüsse gegenüber der Antragsgegnerin. Somit wäre in der Hauptsache wohl eine Feststellungsklage im Sinne von § 43 VwGO zu erheben, weil inmitten ein streitiges Rechtsverhältnis steht, nämlich die Frage, ob die Antragsteller die städtischen Liegenschaften auch ohne FFP2-Maske betreten bzw. ob sie an den Gremiensitzungen der Antragsgegnerin ohne Verwendung einer FFP2-Maske teilhaben dürfen. Dies kann jedoch dahinstehen, da ein Antrag gemäß § 123 VwGO sowohl bei Feststellungsklage als auch bei einer Verpflichtungsklage in der Hauptsache statthaft ist.
2. Die Begründetheit eines Antrags nach § 123 Abs. 1 VwGO setzt voraus, dass ein Antragsteller sowohl das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d.h. eine materielle Anspruchsberechtigung, als auch eines Anordnungsgrundes, d.h. eine besondere Dringlichkeit, glaubhaft macht, § 123 Abs. 3 VwGO, § 920 Abs. 2 ZPO. Dem Wesen und Zweck der einstweiligen Anordnung entsprechend kann das Gericht regelmäßig nur vorläufige Entscheidungen treffen und einem Antragsteller noch nicht in vollem Umfang das gewähren, was er nur in einem Hauptsacheverfahren erstreiten könnte. Im Hinblick auf die Garantie effektiven Rechtsschutzes durch Art. 19 Abs. 4 GG gilt dieses Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache jedoch nicht, wenn die sonst zu erwartenden Nachteile des Antragstellers unzumutbar und in einem Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären sowie ein hoher Wahrscheinlichkeitsgrad für einen Erfolg in der Hauptsache spricht, der Antragsteller dort also schon auf Grund der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes einzustellenden, bloß summarischen Prüfung des Sachverhalts erkennbar Erfolg haben würde (vgl. etwa BVerwG, B.v. 26.11.2013 – 6 VR 3.13 – juris Rn. 5, 7).
Gemessen an diesen Voraussetzungen dringen die Antragsteller mit ihren Begehren nicht durch. Denn vorliegend besteht jedenfalls kein Anordnungsanspruch.
Die Erfolgsaussichten der – hier noch nicht anhängigen – Hauptsachen, sind nach ausreichender, aber auch erforderlicher summarischer Prüfung durch das Gericht nicht als hoch anzusehen. Die inmitten stehende Anordnung der Antragsgegnerin zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung mit mindestens FFP2-Standard erweist sich als voraussichtlich rechtmäßig.
Vorliegend bleibt nach der Antragstellung und den Ausführungen des Antragstellerbevollmächtigten unklar, ob sich die Antragsteller ausschließlich gegen die Pflicht zum Tragen einer FFP2-Maske während der Gremiensitzungen, hier insbesondere während der Stadtratssitzung am heutigen Tage, wenden, wofür vor allem die Begründung und die eingereichten Anlagen sprechen, oder ob die Maskenpflicht, welche wohl auch für Besucher städtischer Liegenschaften gilt, generell in Streit gestellt werden soll. Für diese Auslegung spricht der Wortlaut der gestellten Anträge. Insoweit bestünden bereits Zweifel am Vorliegen eines Anordnungsgrundes, der zwar bezogen auf die Stadtratssitzung am 19. Mai 2022 um 18.00 Uhr glaubhaft gemacht worden sein mag. Im Hinblick auf den Zutritt zu anderen Liegenschaften ist eine besondere Dringlichkeit jedoch bisher nicht dargetan worden. Allerdings wäre auch bezogen auf einen etwa weiter zu verstehenden Eilantrag ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht worden.
Während die Anordnung einer Maskenpflicht für Besucher auf dem Hausrecht als notwendiger (gewohnheitsrechtlicher) Annex zur eigentlichen Verwaltungsaufgabe beruht (vgl. beispielsweise BSG, B.v. 1.4.2009 – B 14 SF 1/08 R – juris Rn. 16; OVG Hamburg, B.v. 17.10.2013 – 3 SO 119/13 – juris Rn. 10; OVG NRW, U.v. 5.5.2017 – 15 A 3048/15 – juris Rn. 52; VG Schleswig, B.v. 6.11.2020 – 3 B 132/20 – juris Rn. 10) und dabei insbesondere die Befugnis beinhaltet, die Zweckbestimmung eines im Verwaltungsgebrauch stehenden Gebäudes zu wahren, Störungen des Dienstbetriebes abzuwehren und die Sicherheit der Mitarbeiter und Besucher zu gewährleisten, ergibt sich die Befugnis gegenüber den Stadtratsmitgliedern aus der Ordnungsgewalt des Oberbürgermeisters gemäß Art. 53 Abs. 1 Satz 1 Gemeindeordnung.
Die Kammer nimmt insoweit Bezug auf den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 8. Juni 2021 – 4 CE 21.1599 – juris Rn. 19: „Nach Auffassung des Senats beinhaltet diese Ordnungsgewalt des ersten Bürgermeisters auch die Anordnung der Pflicht zum Tragen einer FFP2-Maske nicht nur beim Betreten des Ratsgebäudes und während des Aufenthalts darin, sondern auch während der Sitzung des Gemeinderats.“ Demnach besteht grundsätzlich die Möglichkeit, für das Betreten der städtischen Liegenschaften im Rahmen des Sitzungsbetriebs wie auch für die Dauer der Sitzungen in der konkreten Sitzungsräumlichkeit, die Gremienmitglieder zu verpflichten, eine FFP2-Maske zu tragen. Die von den Antragstellern vorgebrachten Einwände sind nicht geeignet, die hier in Streit stehende Anordnung für die heutige Sitzung des Stadtrats im … … um 18:00 Uhr unverhältnismäßig oder gar willkürlich erscheinen zu lassen:
a) Soweit die Antragsteller vortragen lassen, dass mangels Vorliegen einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite oder der sogenannten Hotspot-Regelung keine rechtliche Möglichkeit mehr besteht, das Tragen einer Maske verpflichtend anzuordnen, ist dem entgegenzuhalten, dass das Ordnungsrecht des Oberbürgermeisters gemäß Art. 53 GO nicht unmittelbar durch die Vorgaben des § 28a IfSG beschränkt wird. Vielmehr muss sich die Anordnung innerhalb der Grenzen der Ordnungsgewalt des Oberbürgermeisters bewegen und sich als nicht willkürlich darstellen und, insoweit ist den Antragstellern Recht zu geben, verhältnismäßig sein. Dass der Bundestag nicht mehr von einer epidemischen Lage nationaler Tragweite ausgeht und der Bayerische Landtag nicht von der Möglichkeit der sog. Hot-Spot-Regel Gebrauch gemacht hat, führt nicht dazu, dass der Oberbürgermeister der Antragsgegnerin gehindert wäre, eine Maskenpflicht für die Gremiensitzungen anzuordnen. Die Ordnungsgewalt des Oberbürgermeisters resultiert aus seiner Verantwortung für die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Rahmen der von ihm zu leitenden Sitzung, aber auch aus der Fürsorgepflicht, die er auch gegenüber den Stadtratsmitgliedern hat. Dass der Deutsche Bundestag und der Bayerische Landtag die gemäß § 28a IfSG möglichen Maßnahmen nicht ergreifen, schlägt nicht auf die Ordnungsgewalt im Sinne von Art. 53 GO durch.
b) Soweit die Antragsteller vortragen, aktuell drohe keine Überlastung der Krankenhäuser, da insbesondere im Gebiet der Antragsgegnerin kein einziges Intensivbett für die Behandlung eines COVID-Patienten belegt sei, mag dies zwar richtig sein. Allerdings hat der Oberbürgermeister der Antragsgegnerin in erster Linie die Sicherheit der Sitzungsteilnehmer und der Öffentlichkeit zu berücksichtigen und nicht die Belastungssituation des Gesundheitswesens. Insoweit ist in die Abwägung einzustellen, dass es um Sitzungen innerhalb eines geschlossenen Raumes geht, dass Abstände zwischen den Teilnehmern und den Besuchern nach dem Vortrag der Beteiligten nicht gewahrt werden können, dass die momentan grassierende sogenannte Omikron-Variante des Coronavirus hochgradig ansteckend ist und die Impfung gegen das Coronavirus nur begrenzt vor Ansteckung schützt. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass nicht jeder Sitzungsteilnehmer geimpft ist und dass auch vulnerable Personengruppen, die sich möglicherweise nicht impfen lassen können, weil sie unter einer schweren Erkrankung leiden und die Impfung kontraindiziert ist, unter den Sitzungsteilnehmern bzw. den Besuchern sein können. Darüber hinaus ist im Hinblick auf die schnelle Übertragbarkeit, insbesondere der Omikron-Variante, die Aufrechterhaltung der Arbeits- und Beschlussfähigkeit der Gremien sicherzustellen.
c) Was die seitens der Antragsteller angeführte niedrige 7-Tages-Inzidenz im Gebiet der Antragsgegnerin angeht, ist darauf hinzuweisen, dass diese sich immer noch im mittleren dreistelligen Bereich bewegt (Stand heute: 419,6) und oberhalb des Bundesdurchschnitts (383,2) liegt. Nach der aktuellen Risikobewertung des Robert-Koch-Instituts vom 5. Mai 2022 (abrufbar unter rki.de/de/content/infaz/n/neuartiges_coronavirus/risikobewertung.html, zuletzt abgerufen am 18.5.2022 um 20.02 Uhr) schätzt dieses die derzeitige Gefährdung durch COVID19 für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland insgesamt als hoch ein.
d) Was die Verhältnismäßigkeit der Anordnung angeht, ist außerdem darauf hinzuweisen, dass die Antragsgegnerin im Falle der Vorlage eines ärztlichen Attests offenbar Ausnahmen macht und von der Maskenpflicht befreit, wenn dies aus medizinischen Gründen erforderlich ist. Dies ist aufgrund der für den Antragsteller zu 3) gestellten Anträge, welche jedoch zurückgenommen wurden und unter dem gerichtlichen Aktenzeichen AN 18 E 22.01337 geführt werden, gerichtsbekannt.
e) Angesichts dieser Risikoeinschätzung und dem verfolgten Ziel der Antragsgegnerin, die Gesundheit der Sitzungsteilnehmer und der Besucher zu schützen und die Arbeitsfähigkeit zu erhalten, erscheint die dem gegenüber stehende Einschränkung der Antragsteller, die Liegenschaften der Antragsgegnerin mit FFP2-Maske betreten bzw. an den Sitzungen nur mit FFP2-Maske teilzunehmen, verhältnismäßig und insbesondere frei von Willkür. Insoweit ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die hier streitgegenständliche Anordnung des Tragens einer FFP2-Maske die Antragsteller nicht von einer Teilhabe an den Sitzungen der Gremien ausschließt. Gegenüber einer 2G- oder 3G-Regelung stellt die Verpflichtung zum Tragen einer FFP2-Maske ein milderes Mittel dar. Das Tragen einer FFP2-Maske mag zwar unter Umständen als lästig oder unangenehm empfunden werden, hierfür ist aber kaum ein objektivierbarer, hier nachprüfbarer Maßstab zu finden.
Nach alledem erweist sich die getroffene Anordnung der Antragsgegnerin als voraussichtlich rechtmäßig, ohne dass es auf die Einlassungen der Beteiligten zu der Frage des Bestehens eines Anordnungsgrundes ankäme, so dass die – auch hilfsweise – gestellten Anträge mangels Vorliegen eines Anordnungsanspruchs mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen waren.
Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 53 Abs. 2, 52 Abs. 1 und 2 GKG. Das Gericht orientiert sich dabei am Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Nach dessen Ziffer 1.5 beträgt in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes der Streitwert in der Regel 1/2. Allerdings kann auch im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, welche die Entscheidung in der Sache ganz oder zum Teil vorwegnehmen, der Streitwert bis zur Höhe des für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Streitwerts angehoben werden. Hiervon wurde vorliegend Gebrauch gemacht. Da ein Fall der subjektiven Antragshäufung vorliegt, wurden die Werte der einzelnen Anträge addiert (vgl. Ziffer 1.1.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013). Die unter Ziffer 2 gestellten Hilfsanträge wirken sich hingegen nicht streitwerterhöhend aus, weil diese keinen weiteren Streitgegenstand beinhalten.


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