Medizinrecht

Anordnung häuslicher Isolation bei Coronavirus-Kontaktpersonen

Aktenzeichen  M 26b S 20.5334

Datum:
23.10.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 29651
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
IfSG § 16 Abs. 8, § 28 Abs. 1 S. 1, § 30 Abs. 1 S. 2
VwGO § 80 Abs. 5

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Anträge werden abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin wendet sich gegen die Anordnung häuslicher Isolation durch die Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege zum Vollzug des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) über die Isolation von Kontaktpersonen der Kategorie I, von Verdachtspersonen und von positiv auf das Coronavirus getesteten Personen vom 18. August 2020, einschließlich der Feststellung des Landratsamts, sie sei Kontaktperson der Kategorie I nach den jeweils geltenden Kriterien des Robert Koch-Instituts (RKI).
Die Antragstellerin beantragt mit Schriftsatz vom … Oktober 2020 sinngemäß,
1. anzuordnen, dass der Klage vom selben Tag gegen die Allgemeinverfügung zur „Isolation von Kontaktpersonen der Kategorie I, von Verdachtspersonen und von positiv auf das Coronavirus getesteten Personen vom 18. August 2020, verlängert durch die Allgemeinverfügung vom 29. September 2020, aufschiebende Wirkung zukommt,
2. anzuordnen, dass der Klage vom selben Tag gegen die Zuordnung der Antragstellerin als Kontaktperson der Kategorie I aufschiebende Wirkung zukommt,
Hilfsweise wird beantragt,
festzustellen, dass die Antragstellerin nicht verpflichtet ist sich einem PCR-Test zu unterziehen, sich in Quarantäne bis zum 26. Oktober 2020 zu begeben und ein Kontakttagebuch zu führen,
Mit Schriftsatz vom 23. Oktober 2020 beantragte der Antragsgegner,
den Antrag abzulehnen.
Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
1. Der Antrag ist zulässig.
Der Antrag richtet sich gegen die Allgemeinverfügung zur Isolation von Kontaktpersonen der Kategorie I, von Verdachtspersonen und von positiv auf das Coronavirus getesteten Personen des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 18. August 2020, in Kraft getreten am 19. August 2020, Az. GZ6a-G8000-2020/572, BayMBl. 2020 Nr. 464, geändert durch Allgemeinverfügung vom 29. September 2020, Az. G5ASz-G8000-2020/122-622 (BayMBl. 2020 Nr. 555) (Allgemeinverfügung), sowie gegen die Mitteilung des Gesundheitsamtes, die Antragstellerin sei Kontaktperson der Kategorie I, mit der die Allgemeinverfügung für die Antragstellerin persönlich wirksam wurde. Ob es sich bei dem vom Antragsgegner gewählten Konstrukt, dass die Qualifizierung als Kontaktperson der Kategorie I durch das Gesundheitsamt die Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege im konkreten Einzelfall in Kraft setzt, um zwei jeweils selbständig anfechtbare Verwaltungsakte oder um einen einheitlichen Verwaltungsakt handelt, bedarf im vorliegenden Eilverfahren keiner Klärung. Jedenfalls ist als Rechtsträger der handelnden Behörden jeweils der Freistaat Bayern der richtige Antragsgegner und findet einstweiliger Rechtsschutz im Wege des § 80 Abs. 5 VwGO (Verwaltungsgerichtsordnung) statt.
Der Antrag ist sachgerecht als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer noch zu erhebenden Anfechtungsklage gegen die Isolationsanordnung auszulegen. Gemäß § 28 Abs. 1, Abs. 3 i.V.m. § 16 Abs. 8 IfSG entfalten Widerspruch und Anfechtungsklage gegen Maßnahmen nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) kraft Gesetzes keine aufschiebende Wirkung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO).
2. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist unbegründet und war daher abzulehnen.
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Dabei trifft das Gericht im Rahmen einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage eine eigene, originäre Ermessensentscheidung unter Abwägung des von der Behörde geltend gemachten Interesses an der sofortigen Vollziehung ihres Bescheides und des Interesses des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung einer Klage. Wesentliches Element dieser Entscheidung sind die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens. Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO allein erforderliche summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf offensichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid bei kursorischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig, besteht kein Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht hinreichend absehbar, bleibt es bei einer allgemeinen Interessenabwägung.
Im vorliegenden Fall hat die in der Hauptsache zu erhebende Anfechtungsklage voraussichtlich keinen Erfolg.
Rechtsgrundlage für die Quarantäneanordnung ist § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG i.V.m. §§ 29 bis 31 IfSG.
Formelle Mängel der Allgemeinverfügung wurden nicht vorgetragen und sind auch sonst im Rahmen der erforderlichen, aber auch ausreichenden lediglich summarischen Prüfung nicht ersichtlich.
2.1. Auch in materieller Hinsicht ist die Allgemeinverfügung im Hinblick auf die im vorliegenden Fall streitgegenständliche Anordnung der häuslichen Isolation von Kontaktpersonen der Kategorie I (Allgemeinverfügung Ziffern 1.1, 2.1.1 und 6.1) voraussichtlich rechtmäßig. Die Anordnung findet ihre Rechtsgrundlage zwar nicht in § 30 Abs. 1 Satz2 IfSG, aber in § 28 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 IfSG.
Die von der Allgemeinverfügung zitierte Rechtsgrundlage des § 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG, wonach insbesondere die Absonderung Kranker, Krankheitsverdächtiger, Ansteckungsverdächtiger oder Ausscheider angeordnet werden kann, ist vorliegend nicht einschlägig, da sie nicht die hier getroffene Maßnahme häuslicher Absonderung ermöglicht, sondern die Absonderung in einem Krankenhaus oder in einer sonstigen geeigneten Einrichtung betrifft (statt vieler Häberle/Lutz in Erbs/ Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, § 30 IfSG).
Dies führt hier indes nicht zur Rechtswidrigkeit der Anordnung. Denn die Frage, ob ein angefochtener Bescheid materiell rechtmäßig ist, richtet sich, sofern höherrangiges oder spezielleres Recht nichts Abweichendes vorgeben, nach dem Recht, das geeignet ist, seinen Spruch zu tragen. Erweist sich dieser aus anderen als den angegebenen Rechtsgründen als rechtmäßig, ohne dass diese anderen Rechtsgründe wesentliche Änderungen des Spruchs erfordern würden, dann ist der Verwaltungsakt im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht rechtswidrig (BVerwG, U.v. 19.8.1988 – 8 C 29.87 – BVerwGE 80, 96; BayVGH, B.v. 23.6.2016 – 11 CS 16.907 – juris Rn. 23 ff.).
Im vorliegenden Fall ist die Einordnung der Antragstellerin als Kontaktperson der Kategorie I bei summarischer Prüfung im Ergebnis rechtlich nicht zu beanstanden.
Kontaktpersonen werden nach den Vorgaben des RKI (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Kontaktperson/Management.html, abgerufen am 23. Oktober 2020) in folgenden zwei Situationen in die Kategorie 1 eingruppiert:
„A. Enger Kontakt (<1,5 m, Nahfeld)
Infektiöses Virus wird vom Quellfall über Aerosole/Kleinpartikel (im Folgenden als „Aerosol(e)“ bezeichnet) und über Tröpfchen ausgestoßen (emittiert). Die Zahl der emittierten Partikel steigt von Atmen über Sprechen, zu Schreien bzw. Singen an. Im Nahfeld (etwa 1,5 m) um eine infektiöse Person ist die Partikelkonzentration größer („Atemstrahl“). Es wird vermutet, dass die meisten Übertragungen über das Nahfeld erfolgen. Die Exposition im Nahfeld kann durch korrekten Einsatz einer Maske (Mund-Nasenschutz (MNS), Mund-Nasen-Bedeckung (MNB, entspricht Alltagsmaske) oder FFP-Maske) gemindert werden.
B. Kontakt unabhängig vom Abstand (hohe Konzentration infektiöser Aerosole im Raum)
Darüber hinaus können sich Viruspartikel in Aerosolen bei mangelnder Frischluftzufuhr in Innenräumen anreichern, weil sie über Stunden in der Luft schweben können. Vermehrungsfähige Viren haben (unter experimentellen Bedingungen) eine Halbwertszeit von etwa 1 Stunde. In einer solchen Situation mit hoher Konzentration infektiöser Viruspartikel im Raum sind auch Personen gefährdet, die sich weit vom Quellfall entfernt aufhalten („Fernfeld“, siehe auch Steckbrief des RKI).
Das Risiko steigt dann an mit
– der Zahl der infektiösen Personen
– der Infektiosität des Quellfalls (um den Erkrankungsbeginn herum höher als später im Erkrankungsverlauf)
– der Länge des Aufenthalts der infektiösen Person(en) im Raum
– der Intensität der Partikelemission (Atmen
– der Intensität der Atemaktivität der exponierten Personen (z.B. Sporttreiben)
– der Enge des Raumes und
– dem Mangel an Frischluftzufuhr (Details siehe Stellungnahme der Kommission Innenraumlufthygiene am Umweltbundesamt).
Die Exposition einer Einzelperson zu im Raum hochkonzentriert schwebenden infektiösen Partikeln kann durch MNS/MNB kaum gemindert werden, da die Aerosole an der Maske vorbei eingeatmet werden.
Beispielhafte Konstellationen für Kontaktpersonen der Kategorie I
– Personen mit kumulativ mindestens 15-minütigem Gesichts- („face-to-face“) Kontakt mit einem Quellfall, z.B. im Rahmen eines Gesprächs. Dazu gehören z.B. Personen aus demselben Haushalt (A)
– Personen mit direktem Kontakt zu Sekreten oder Körperflüssigkeiten, insbesondere zu respiratorischen Sekreten eines Quellfalls, wie z.B. Küssen, Anhusten, Anniesen, Kontakt zu Erbrochenem, Mund-zu-Mund Beatmung, etc (A).
– Personen, die nach Risikobewertung durch das Gesundheitsamt mit hoher Wahrscheinlichkeit einer hohen Konzentration von infektiösem Aerosol im Raum ausgesetzt waren (z.B. Feiern, gemeinsames Singen oder Sporttreiben in Innenräumen ohne adäquate Lüftung) (B)
– Optional: Personen in relativ beengter Raumsituation oder schwer zu überblickender Kontaktsituation mit dem bestätigten COVID-19-Fall (z.B. Schulklassen, Gruppenveranstaltungen), unabhängig von der individuellen Risikoermittlung (A, B)
– Medizinisches Personal in einem Raum mit Kontakt zum Quellfall z.B. im Rahmen von Pflege oder medizinischer Untersuchung (≤ 1,5 m) ohne adäquate Schutzausrüstung (A) (siehe unten)
– Medizinisches Personal in einem Raum mit hoher Konzentration infektiöser Aerosole (z.B. Intubation oder Bronchoskopie) ohne adäquate Schutzausrüstung (B) (siehe unten).“
Ausgehend von diesen fachlichen Vorgaben und den Angaben der Parteien ist die Einordnung der Antragstellerin als Kontaktperson der Kategorie I durch den Antragsgegner im Ergebnis nicht zu beanstanden.
Die Antragstellerin nahm nach eigenen Angaben am … Oktober 2020 an einem Empfang zur Einweihung eines Parkhauses … … in A* … … … … teil, der auch einen kurzen, aber zeitlich nicht näher bezifferbaren Imbiss im Empfangsbereich respektive der Cafeteria … … umfasste. Diesem Empfang wohnte auch eine Person bei, die nach Angabe des Antragsgegners später positiv auf SARS-CoV-2 getestet wurde.
Nach der glaubhaften schriftlichen Darstellung des Antragsgegners vom 22. Oktober 2020 war es ausweislich der Aussagen der Personen, die an der Veranstaltung teilgenommen hatten und die vom Antragsgegner infolge des Bekanntwerdens des Infektionsfalles kontaktiert wurden, nicht möglich, während des Empfangs den empfohlenen Mindestabstand von 1,5 Metern einzuhalten. Vielmehr habe eine räumliche Enge geherrscht und ein stetiger Platzwechsel der sich dort aufhaltenden Personen stattgefunden. Die Beteuerung der Antragstellerin, dass sie während des Empfangs stets einen Mindestabstand zu den anderen Gästen eingehalten habe, vermag das Gericht hingegen nicht zu überzeugen. Nach allgemeiner Lebenserfahrung sind Empfänge durch Gespräche in kleinen Gruppen in abwechselnder Zusammensetzung unter Unterschreitung eines Abstands von 1,5 Metern geprägt, wobei aufgrund der Vielzahl an Gesprächen und dem allgemeinen Stimmengewirr auch von lautstarken Gesprächen auszugehen ist.
Zwar mag die Antragstellerin nach den Schilderungen der Parteien nicht aufgrund engen Kontaktes zu einer infizierten Person im Sinne der Situation A als Kontaktperson der Kategorie I einzuordnen sein, wohl aber aufgrund eines Kontakts zu einer infizierten Person unabhängig vom Abstand angesichts einer hohen Konzentration infektiöser Aerosole im Raum (Situation B). Angesichts der bei lebensnaher Betrachtung anzunehmenden teils lautstarken Gespräche zur gegenseitigen Verständigung ist es wahrscheinlich, dass es zu einer erhöhten Intensität der Partikelemission durch die infektiöse Person und somit zu einer höheren Konzentration von infektiösen Aerosolen im Raum gekommen ist. Es ist weiterhin wahrscheinlich, dass die Antragstellerin aufgrund des zwar subjektiv empfunden kurzen, aber zeitlich nicht bezifferbaren Aufenthalts in einem Raum mit der infektiösen Person infektiösen Aerosolen in einem voraussichtlich nicht unerheblichen Umfang ausgesetzt gewesen ist. Und schließlich stützt der Blick auf die wohl relativ beengte, jedenfalls aber schwer zu überblickende konkrete Kontaktsituation mit der infektiösen Person die hinreichend wahrscheinliche Annahme, dass die Antragstellerin einem nicht zu vernachlässigenden Infektionsrisiko ausgesetzt war. Die Einordnung der Antragstellerin als Kontaktperson der Kategorie I begegnet daher keinen durchgreifenden Bedenken.
Zu einer anderen Bewertung führt auch nicht der Vortrag des Bevollmächtigten der Antragstellerin, mit dem er sich gegen die Feststellung von COVID-19-Fällen mittels eines PCR-Tests wendet. Bei einem PCR-Test handelt es sich um einen Test zum direkten Erregernachweis, der zur Diagnostik einer Vielzahl von Infektionskrankheiten eingesetzt wird (Österreichisches Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, Laborbefund: Polymerase-Ketten-Reaktion (PCR), https://www.gesundheit.gv.at/labor/laborbefund/polymerase-ketten-reaktion). Dieser wird sowohl vom Robert-Koch-Institut (Hinweise zur Testung von Patienten auf Infektionen mit dem neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2, Stand: 24.9.2020, https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Vorl_Testung_nCoV.html) als auch von der Weltgesundheitsorganisation (Laboratory testing for coronavirus disease (COVID-19) in suspected human cases, Interim guidance 19 March 2020, https://www.who.int/publications-detail/laboratory-testing-for-2019-novel-coronavirus-in-suspected-human-cases-20200117) auch bei SARS-CoV-2 als geeigneter Test zum Nachweis einer Infektion angesehen. Soweit der Bevollmächtigte der Antragstellerin auf die Möglichkeit sog. falsch-positiver Testergebnisse abgestellt hat, sei auf die Ausführungen des RKI verwiesen, wonach die Richtigkeit des Ergebnisses von diagnostischen Tests neben deren Qualitätsmerkmalen und der Qualität von Probennahme, Transport, Durchführung und Befundung auch von der Verbreitung einer Erkrankung/eines Erregers in der Bevölkerung beeinflusst wird (positiver und negativer Vorhersagewert). Je seltener eine Erkrankung ist und je ungezielter getestet wird, umso höher sind die Anforderungen an die Sensitivität (= die Empfindlichkeit) und die Spezifität (die Zielgenauigkeit des Tests, also wie wahrscheinlich es ist, dass nur der gesuchte Erreger sicher erkannt wird) der zur Anwendung kommenden Tests. Ein falsch-positives Testergebnis bedeutet, dass eine Person ein positives Testergebnis bekommt, obwohl keine Infektion mit SARS-CoV-2 vorliegt. Aufgrund des Funktionsprinzips von PCR-Tests und hohen Qualitätsanforderungen liegt die analytische Spezifität bei korrekter Durchführung und Bewertung bei nahezu 100%. Im Rahmen von qualitätssichernden Maßnahmen nehmen diagnostische Labore an Ringversuchen teil. Die bisher erhobenen Ergebnisse spiegeln die sehr gute Testdurchführung in deutschen Laboren wider (siehe www.instand-ev.de). Die Herausgabe eines klinischen Befundes unterliegt einer fachkundigen Validierung und schließt im klinischen Setting Anamnese und Differentialdiagnosen ein. In der Regel werden nicht plausible Befunde in der Praxis durch Testwiederholung oder durch zusätzliche Testverfahren bestätigt bzw. verworfen (siehe auch: www.rki.de/covid-19-diagnostik). Bei korrekter Durchführung der Teste und fachkundiger Beurteilung der Ergebnisse geht das RKI demnach von einer sehr geringen Zahl falsch positiver Befunde aus, die die Einschätzung der Lage nicht verfälscht (https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/NCOV2019/gesamt.html, Stand: 07.09.2020). Das Gericht geht vor diesem Hintergrund im Rahmen der im Eilverfahren gebotenen Prüfungstiefe davon aus, dass der PCR-Test hinreichend plausible Ergebnisse liefert, um eine Infektion nachzuweisen.
Die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Anordnung gegenüber der Antragstellerin liegen daher im vorliegenden Fall jedenfalls bei der im Eilverfahren gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung vor.
Die häusliche Quarantäne durfte dabei auch durch den Antragsgegner angeordnet werden. Ein Fall einer Freiheitsentziehung, über deren Zulässigkeit und Fortdauer nur ein Richter zu entscheiden hat, vgl. Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG, dürfte entgegen der Ansicht der Antragstellerin nicht vorliegen, da die Quarantäneanordnung lediglich eine Anordnung ist, der der Adressat zwar Folge zu leisten hat, aber letztlich willentlich nachkommt; ein Festhalten der Antragstellerin auf einem eng umgrenzten Raum (BVerwG, U. v. 23.6.1981 – 1 C 78/77 – NJW 1982, 537; ähnlich von Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, 7 Auflage 2018, Art. 104 Rn. 20: „Einsperren“), mithin ein Festhalten durch physischen Zwang oder mit physischen bzw. technischen Mitteln (so Sachs, Grundgesetz, 8. Auflage 2018, Art. 104 Rn. 7;) dürfte gerade nicht vorliegen (Lutz, 2. Aufl. 2020, IfSG § 30 Rn. 2). Ausweislich der Gesetzesbegründung setzt die Quarantäne die Freiwilligkeit des Betroffenen und damit seine „Einsicht in das Notwendige“ voraus (BT-Drs. 14/2530, 75).
Hinsichtlich der Auswahl der zu treffenden Maßnahme entscheidet die zuständige Behörde nach pflichtgemäßem Ermessen (Auswahlermessen). Das behördliche Ermessen wird dadurch beschränkt, dass es sich um notwendige Schutzmaßnahmen handeln muss. Zudem sind dem Ermessen durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Grenzen gesetzt (vgl. BVerwG, U.v. 22.3.3012 – 3 C 16.11 – juris Rn. 24; BayVGH, B.v. 13. 8. 2020 – 20 CS 20.1821 – juris Rn. 27).
Die Anordnung einer Isolation für einen Zeitraum von 14 Tagen (bis 26. Oktober 2020) seit dem Kontakt mit der infektiösen Person (12. Oktober 2020) für Kontaktpersonen der Kategorie I (Ziffer 1.1 und 2.1.1 der Allgemeinverfügung vom 18. August 2020) ist notwendig und verstößt nicht gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.
Die Maßnahme ist notwendig. Da nach wie vor weder ein Impfstoff noch eine wirksame Therapie gegen eine COVID-19-Erkrankung vorhanden ist, besteht insbesondere bei älteren Menschen und bei Menschen mit Vorerkrankungen ein erhöhtes Risiko eines schweren Verlaufs der Erkrankung mit erheblichen Folgen für Leben und Gesundheit und mit der Gefahr einer Überforderung des Gesundheitssystems. Nach der Risikobewertung des RKI (s.o.) handelt es sich weltweit und in Deutschland nach wie vor um eine sehr dynamische und ernst zu nehmende Situation mit einer hohen, für Risikogruppen sehr hohen Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland. Angesichts teils schwerer und lebensbedrohlicher Krankheitsverläufe muss es Ziel sein, durch geeignete Maßnahmen eine Ausbreitung der Infektion mit SARS-CoV-2 einzudämmen und so weit wie möglich zeitlich zu verlangsamen. Laut Empfehlung des RKI soll eine Ausbreitung von SARS-CoV-2 in Deutschland so weit wie möglich verlangsamt und Krankheitsfälle verhindert werden. Hierfür ist es notwendig, die Kontaktpersonen von labordiagnostisch bestätigten Infektionsfällen zu identifizieren und – je nach individuellem Infektionsrisiko – ihren Gesundheitszustand für die maximale Dauer der Inkubationszeit (14 Tage) zu beobachten, enge Kontaktpersonen müssen in häusliche Quarantäne. Das Isolieren von Erkrankten und die Nachverfolgung von Kontaktpersonen ist seit Beginn des Corona-Geschehens in Deutschland eine zentrale Säule der Bekämpfungsstrategie (https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/NCOV2019/gesamt.html).
Das Gericht verkennt nicht, dass die Anordnung einer Isolation (Quarantäne) erheblich in die Grundrechte der Antragstellerin, insbesondere ihre Bewegungsfreiheit, allgemeine Handlungsfreiheit und die freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Grundgesetz) eingreift. In Anbetracht des gewichtigen Ziels der Pandemiebekämpfung und des damit verfolgten Schutzes von Leben und Gesundheit der Bevölkerung und des Funktionierens des staatlichen Gesundheitssystems erweist sich die Quarantäneordnung dennoch als verhältnismäßig. Sie ist geeignet, Infektionsketten zu unterbrechen und der Ausbreitung der Pandemie entgegenzuwirken. Sie ist auch erforderlich, dieses Ziel zu erreichen. Da die Nachverfolgung und Isolation von Kontaktpersonen eine wesentliche Säule der Pandemiebekämpfung darstellt, ist ein milderes, aber ebenso wirksames Mittel nicht ersichtlich. Die getroffene Anordnung ist auch verhältnismäßig im engeren Sinn, d.h. zumutbar. In Anbetracht der gewichtigen Ziele der Pandemiebekämpfung erscheint die vorübergehende Isolierung der Antragstellerin als zumutbar. Auch die Länge der Isolation ist voraussichtlich rechtlich nicht zu beanstanden. Gemäß Ziffer 6.1 der Allgemeinverfügung endet die häusliche Isolation bei Kontaktpersonen der Kategorie I, bei denen kein positives Testergebnis auf das Vorhandensein von Coronavirus SARS-CoV-2 vorliegt, wenn der enge Kontakt zu einem bestätigten Covid-19-Fall mindestens 14 Tage zurückliegt und während der Isolation keine für COVID-19 typischen Krankheitszeichen aufgetreten sind. Die Entscheidung hierüber trifft das Gesundheitsamt.
Die Qualifizierung der Antragstellerin als Kontaktperson der Kategorie I und die darauf beruhende Anordnung einer häuslichen Isolierung für mindestens 14 Tage erweist sich daher aller Voraussicht nach als rechtmäßig.
2.2. Auch im Hinblick auf die streitgegenständliche Anordnung, während der Zeit der Isolation (Quarantäne) ein Tagebuch zu führen (Allgemeinverfügung 1.1 und 4.2), erweist sich die Allgemeinverfügung voraussichtlich als rechtmäßig. Die Anordnung ist von der Rechtsgrundlage des § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 IfSG gedeckt.
Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 IfSG sind erfüllt; insofern wird auf die oben gemachten Ausführungen verwiesen.
Die Anordnung, während der Zeit der Isolation (Quarantäne) ein Tagebuch zu führen, ist notwendig und verstößt nicht gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Wie sich bereits aus der Begründung der Allgemeinverfügung ergibt, unterstützt das zu führende Tagebuch die Kontaktperson, frühzeitig Krankheitssymptome zu erkennen und ermöglicht dem Gesundheitsamt, gesundheitliche Risiken von anderen Personen, zum Beispiel Haushaltsangehörigen, sowie den Verlauf der Isolation bzw. Erkrankung einschätzen zu können. Auch nach den Empfehlungen des RKI stellt das Führen eines Tagebuchs durch die Kontaktperson selbst bezüglich Symptomen, Körpertemperatur, allgemeinen Aktivitäten und Kontakten zu weiteren Personen eine der empfohlenen Maßnahmen im Rahmen der Gesundheitsüberwachung bis zum 14. Tag nach dem letzten Kontakt mit dem Quellfall dar (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Kontaktperson/Management.html#doc13516162bodyText5).
In Anbetracht des gewichtigen Ziels der Pandemiebekämpfung und dem damit verfolgten Schutz von Leben und Gesundheit der Bevölkerung, insbesondere von Personen mit erhöhtem Risiko schwer oder tödlich an COVID-19 zu erkranken, und des Funktionierens des staatlichen Gesundheitssystems, und vor dem Hintergrund des geringen Eingriffs in die allgemeine Handlungsfreiheit der Antragstellerin stellt sich die Anordnung, für die Dauer der Quarantäne ein Tagebuch zu führen, als verhältnismäßig dar.
2.3. Auch im Hinblick auf die streitgegenständliche Anordnung, während der häuslichen Isolation (Quarantäne) die Entnahme von Untersuchungsmaterial (insbesondere Abstriche von Schleimhäuten und Blutentnahmen) an sich vornehmen zu lassen (Allgemeinverfügung 1.1 und 4.3), erweist sich die Allgemeinverfügung voraussichtlich als rechtmäßig. Die Anordnung ist von der Rechtsgrundlage des § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 IfSG gedeckt.
Das Gericht folgt dabei nicht den Ausführungen des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege in der Stellungnahme vom 23. Oktober 2020, wonach eine Testpflicht in Nr. 4.3 der Allgemeinverfügung nicht statuiert wird, sondern sich aus § 25 Abs. 3 Satz 1 und Satz2 Nr. 1 IfSG ergibt.
§ 25 IfSG ist von durch die Behörden zu ergreifenden Schutzmaßnahmen, insbesondere solchen, die auf § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG gestützt werden, abzugrenzen. § 25 IfSG dient der Ermittlung des Sachverhalts, auf dessen Grundlage die zuständige Behörde anschließend konkrete Schutzmaßnahmen erlässt. Dies wird insbesondere relevant, wenn noch keine Kranken, Krankheitsverdächtigen, Ansteckungsverdächtigen oder Ausscheider positiv festgestellt wurden, sondern lediglich ein solcher Verdacht besteht. In diesen Fällen kann die Behörde ihre Schutzmaßnahmen (noch) nicht auf § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG stützen, sondern hat zunächst auf § 25 IfSG gestützte Gefahrerforschungsmaßnahmen zu ergreifen (BeckOK InfSchR/Gabriel, 1. Ed. 1.7.2020, IfSG § 25 Rn. 2).
Vorliegend wurden jedoch – wie oben dargelegt – Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider des Coronavirus SARS-CoV-2 bereits positiv festgestellt, die Antragstellerin als Kontaktperson der Kategorie I eingeordnet und ihr insoweit die Verpflichtung zur 14-tägigen häuslichen Quarantäne auf der Grundlage von § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 IfSG auferlegt. Insofern ist die Rechtsgrundlage für die Verpflichtung, während der angeordneten 14-tägigen häuslichen Quarantäne die Entnahme von Untersuchungsmaterial durch Beauftragte des Gesundheitsamtes an sich vornehmen zu lassen (Nr. 4.3 der Allgemeinverfügung) in § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 IfSG zu sehen.
Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 IfSG sind erfüllt; auch insoweit wird auf die im Rahmen der Anordnung der häuslichen Quarantäne oben gemachten Ausführungen verwiesen.
Die Anordnung zur Duldung einer solchen Untersuchung, vorliegend einer PCR-Testung, ist im Hinblick auf den oben bereits dargelegten Schutzzweck auch geeignet, erforderlich und angemessen. Zweck der Maßnahme ist, durch die Identifizierung von weiteren infizierten Personen eine Nachverfolgung weiterer Kontaktpersonen effektiv durchführen und so die Entstehung weiterer Infektionsketten wirksam begrenzen zu können. Denn soweit die Antragstellerin mittels der angeordneten PCR-Testung positiv getestet werden würde, wären die zur ihr als Kontaktpersonen in ihrem häuslichen Umfeld stehenden Personen ebenfalls unter häusliche Quarantäne zu stellen und die der Antragstellerin angeordnete häusliche Quarantäne würde verlängert werden. Die Maßnahme ist auch erforderlich, da durch die frühzeitige Testung herausgefunden werden kann, ob die Antragstellerin als Kontaktperson der Kategorie I selbst infiziert ist, und damit frühzeitig eine Weiterverbreitung des Virus verhindert werden kann.
In Anbetracht des gewichtigen Ziels der Pandemiebekämpfung und dem damit verfolgten Schutz von Leben und Gesundheit der Bevölkerung, insbesondere von Personen mit erhöhtem Risiko schwer oder tödlich an COVID-19 zu erkranken, und des Funktionierens des staatlichen Gesundheitssystems, und vor dem Hintergrund des geringen Eingriffs in das Recht der Antragstellerin aus Art. 2 Abs. 2 GG auf körperliche Unversehrtheit erweist sich die Anordnung, einen Schleimhautabstrich für die PCR-Testung vornehmen zu lassen, auch als verhältnismäßig im engeren Sinne.
2.4. Im Hinblick auf den Hilfsantrag sind weitere Ausführungen nicht angezeigt, da sich bereits aus dem oben Gesagten ergibt, dass die Antragstellerin zu Recht verpflichtet wurde, sich einem PCR-Test zu unterziehen und ein Kontakttagebuch zu führen. Vor diesem Hintergrund war ein richterlicher Hinweis auch in Anbetracht der Eilbedürftigkeit nicht veranlasst.
3. Der Antrag war mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 in Verbindung mit § 52 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes und Ziffer 1.5 Satz 2 das Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.


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