Medizinrecht

Anschlussheilbehandlung nur bei abgeschlossener Akutbehandlung

Aktenzeichen  S 11 KR 811/20 ER

Datum:
26.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 42248
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB V § 40 Abs. 6
SGG § 86 b Abs. 2

 

Leitsatz

Ist eine akute Heilbehandlung noch nicht abgeschlossen besteht kein Anspruch auf Anschlussheilbehandlung. (Rn. 18 – 20) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

I.
Im vorliegenden Eilverfahren geht es um die Frage, ob die Antragsgegnerin (AG) im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten ist, dem Antragsteller (Ast) eine stationäre Anschlussrehabilitation zu gewähren.
Der 1948 geborene Ast absolvierte 2018 eine stationäre neurologische Reha im D.. Darüber hinaus erhielt der Ast nach Aktenlage seit Ende 2015 neun weitere Rehabilitationsmaßnahmen, davon acht stationär. Vom 17.06.2020 bis 23.06.2020 befand er sich in stationärer Behandlung in der X. des S.. Als Diagnosen wurden eine fortgeschrittene sensormotorische Polyneuropathie sowie ein schweres Restless-legs-Syndrom gestellt. Es wurde eine Immunglobulin-Therapie alle 4 Wochen im stationären Setting über mehrere Monate geplant.
Kurz vor seiner Entlassung aus der stationären Behandlung stellte der Ast unter Einschaltung des Sozialdienstes des Klinikums am 22.06.2020 einen Antrag auf eine neurologische, stationäre Anschlussrehabilitation bei der AG. Der MDK B. gab am 26.06.2020 eine sozialmedizinische Stellungnahme zu dem Antrag ab, in der er eine stationäre neurologische Rehamaßnahme beim Ast als medizinisch nicht indiziert sah. Mit Bescheid vom 30.06.2020 lehnte die AG den Antrag ab.
Im Juli begann die geplante Immunglobulin-Therapie des Ast.
Gegen den Bescheid vom 30.06.2020 legte der Ast am 21.07.2020 Widerspruch ein. Daraufhin erstellte der MDK Bayern am 14.08.2020 ein weiteres sozialmedizinisches Gutachten. Er sah die Voraussetzungen für eine erneute stationäre neurologische Rehabilitationsbehandlung des Ast weiterhin als nicht gegeben. Insbesondere verwies er darauf, dass eine Besserung des Krankheitsbildes definitiv nur mit einer Immunglobulingabe zu erwarten sei. Dies habe bereits 2018 zu einer stabilen Besserung geführt. Selbst wenn die zu erwartende Besserung nicht eintrete, sei die Durchführung einer stationären Rehabilitation aber nicht indiziert.
Mit Widerspruchsbescheid vom 21.09.2020 wies die AG den Widerspruch des Ast zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 30.09.2020 Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben (Az. S 11 KR 782/20).
Zudem hat er am 13.10.2020 beim SG Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt.
Das SG hat im Verfahren Auskunft bei der den Ast behandelnden neurologischen Klinik eingeholt.
Der Ast beantragt,
die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihm eine neurologische Anschlussheilbehandlung im Neurozentrum D. zu bewilligen,
hilfsweise die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihm eine stationäre neurologische Anschlussheilbehandlung zu bewilligen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakte der AG sowie auf die vorliegende Verfahrensakte ergänzend Bezug genommen.
II.
1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig.
Streitgegenständlich ist im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, ob die AG zu verpflichten ist, dem Ast eine (vorzeitige) stationäre Anschlussrehabilitation zu gewähren.
Mit seinem Antrag begehrt der Ast die Erbringung einer Sachleistung durch die AG. Das vorliegende Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes betrifft somit eine sog. Vornamesache, d.h. es geht um die vorläufige Begründung oder Erweiterung einer Rechtsposition des Ast. Der Antrag des Ast auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist somit als Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft.
2. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist unbegründet. Der Ast hat im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes keinen Anspruch auf Gewährung der beantragten stationären Anschlussrehabilitation. Weder ist – zum jetzigen Zeitpunkt – ein Anordnungsanspruch noch ist ein Anordnungsgrund gegeben.
Gemäß dem hier grundsätzlich einschlägigen § 86 b Abs. 2 S. 2 SGG sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis (= tatbestandlicher Anknüpfungspunkt für die Prüfung des Hauptsacheerfolgs) zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (= tatbestandlicher Anknüpfungspunkt für die Prüfung der Eilbedürftigkeit). Im Hinblick auf den zu fordernden Überzeugungsgrad verweist § 86b Abs. 2 S. 4 SGG unter anderem auf § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO), wonach (Hauptsache-)Anspruch (sog. Anordnungsanspruch) und Anordnungsgrund glaubhaft, d.h. überwiegend wahrscheinlich zu machen sind.
Dass – jedenfalls derzeit – ein Anspruch des Ast auf Gewährung einer Anschlussrehabilitation nicht besteht, ergibt sich bereits denklogisch aus dem Begriff „Anschlussrehabilitation“. Danach schließt die Rehabilitation an eine vorangegangene akute Heilbehandlung an.
Diese Heilbehandlung wird beim Ast derzeit in Form einer wiederholt stationären Immunglobulin-Therapie durch die X. des S. durchgeführt. Entsprechend führt auch der Chefarzt der Klinik in seinem Auskunftsschreiben vom 13.11.2020 – wenn auch mit Rücksicht auf den Patienten und Ast zurückhaltend formuliert – aus, dass eine stationäre neurologische Anschlussheilbehandlung aktuell „unter der laufenden Immunglobulin-Therapie eher nicht sinnvoll“ sei, „möglicherweise aber nach Abschluss des ersten Immunglobulin-Zyklus“. Die Immunglobulin-Therapie erstreckt sich über ein halbes Jahr; von den sechs vorgesehenen Immunglobulin-Gaben sind nach Auskunft der Klinik bislang vier erfolgt. Nach der letzten Immunglobulin-Gabe ist eine klinische und elektrophysiologische Beurteilung geplant, um über die weitere Behandlung zu entscheiden.
Aus den vorherigen Ausführungen ergibt sich zugleich, dass auch ein Anordnungsgrund nicht besteht. Da derzeit beim Ast eine Anschlussrehabilitation sinnvollerweise nicht stattfinden kann, besteht auch keine Eilbedürftigkeit für ihre Durchführung.
Ergänzend weist das Gericht darauf hin, dass es im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes keinen Anlass für weitere Ermittlungen von Amts wegen (vgl. § 103 SGG) sieht. Insoweit führt der Ast in seinem Schriftsatz vom 24.11.2020 aus, dass die Auskunft der behandelnden Klinik vom 13.11.2020 im krassen Widerspruch zu ihrem vorläufigen Entlassungsbrief vom 03.08.2020 stünde, wonach eine neurologische Rehabilitationsbehandlung, wie zuletzt beantragt, dringend anzuraten sei. Deshalb werde angeregt, im Wege der Amtsermittlung nochmals beim Chefarzt der Klinik anzufragen.
Hierzu ist auszuführen, dass die gerichtliche Anfrage vom 11.11.2020 gerade deshalb erfolgte, weil in den vorangegangenen verschiedenen Entlassungsberichten der X. des S. – u.a. nach jeweiliger Verabreichung der geplanten Immunglobulin-Gaben – mal die Empfehlung einer neurologischen Rehabilitationsbehandlung gegeben wurde, mal nicht. Im Entlassungsbericht der Klinik vom 23.06.2020 wurde wiederum vermerkt, dass der Antrag auf neurologische Anschlussheilbehandlung auf Wunsch des Ast – neben dem Antrag auf Kostenübernahme einer stationären Immunglobulin-Therapie – gestellt worden sei. In dem Anschreiben des Gerichts an die behandelnde Klinik vom 11.11.2020 wurde zudem ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sich der Ast im gerichtlichen Verfahren hinsichtlich der Erforderlichkeit einer stationären neurologischen Anschlussheilbehandlung auf eine Empfehlung der Klinik stützt. Vor diesem Hintergrund ist die Auskunft der behandelnden Klinik vom 13.11.2020 erfolgt. Weitere Nachfragen sind daher nicht erforderlich.
Da der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ohne Erfolg blieb, sind dem Ast keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten, § 193 SGG analog.


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