Medizinrecht

Ansteckungsverdächtiger, Aufschiebende Wirkung, Vorläufiger Rechtsschutz, Verwaltungsgerichte, Berufliche Tätigkeit, Interessenabwägung, Krankheitsverdächtige, Anordnung der aufschiebenden Wirkung, Antragstellers, Zwangsgeldandrohung, Sofortvollzug, Sofortige Vollziehbarkeit, Prozeßbevollmächtigter, Festsetzung des Streitwerts, Streitwertbeschwerde, Streitwertfestsetzung, Streitwertkatalog, Tätigkeitsverbot, Kontaktperson, Ermessenserwägungen

Aktenzeichen  RN 14 S 20.3125

Datum:
22.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 38235
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
§§ 80 Abs. 5 VwGO, 28 Abs. 1 S. 1, 31 IfSG
AV Isolation vom 2.12.2020

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Antragstellerin zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 5.000,– EUR festgesetzt.

Gründe

I
Die Antragstellerin begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer noch zu erhebenden Klage gegen einen Bescheid des Landratsamts Rottal-Inn, durch den ihr die Aufnahme ihrer beruflichen Tätigkeit als zahnmedizinische Assistentin bis zum 26.12.2020 untersagt und ihr für den Fall der Zuwiderhandlung ein Zwangsgeld in Höhe von 500,- EUR angedroht wurde.
Die Antragstellerin ist als zahnmedizinische Fachangestellte in einer Zahnarztpraxis in E* … tätig. Zum Schutz der Patienten und der Mitarbeiter werden von den Praxismitarbeitern während der Behandlungen ausschließlich sogenannte FFP2-Masken sowie zusätzlich Gesichtsvisiere verwendet.
Am 2.12.2020 hatte die Antragstellerin im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit Kontakt mit einer Patientin, die zwei Tage später positiv auf Sars-CoV-2 getestet wurde. Nachdem das Gesundheitsamt des Landratsamts Rottal-Inn diesen Sachverhalt ermittelt hatte, wurde die Antragstellerin seitens des Gesundheitsamtes am 7.12.2020 telefonisch und schriftlich in Kenntnis gesetzt, dass sie als Kontaktperson der Kategorie I gemäß der Allgemeinverfügung Isolation von Kontaktpersonen der Kategorie I, von Verdachtspersonen und von positiv auf das Coronavirus getesteten Personen (AV Isolation) vom 18.8.2020 (GZ6a-G80000-2020/572) verpflichtet sei, sich umgehend in häusliche Quarantäne zu begeben. Es wurde mitgeteilt, dass die Quarantäne ende, wenn der enge Kontakt zu dem bestätigten COVID-19-Fall mindestens 14 Tage zurückliege und während der Isolation keine COVID-19 typischen Krankheitszeichen auftreten, frühestens am 16.12.2020 um 24 Uhr. Ferner wurde sie darauf hingewiesen, dass für die Wiederaufnahme der beruflichen Tätigkeit ein negatives Testergebnis erforderlich sei.
Am 8.12.2020 wurde seitens des Landratsamts für die Antragstellerin für den 14.12.2020 ein Termin zur PCR-Testung an der Teststation des Landkreises Rottal-Inn vereinbart. Ob die Antragstellerin den Termin wahrgenommen hat, war dem Landratsamt nicht bekannt. Ein negatives Testergebnis wurde seitens der Antragstellerin jedenfalls nicht vorgelegt. Da die Antragstellerin darüber hinaus durch ihren Prozessbevollmächtigten mitteilen ließ, dass sie ihre berufliche Tätigkeit auch ohne Vorlage eines negativen Testergebnisses wiederaufnehmen werde, wurde der Antragstellerin am 16.12.2020 durch den zuständigen Amtsarzt telefonisch mitgeteilt, dass die Aufnahme ihrer beruflichen Tätigkeit bis zum 26.12.2020 untersagt sei, sofern nicht vorher ein negativer PCR-Test vorgelegt werde.
Am gleichen Tag erließ das Landratsamt folgenden Bescheid:
1. Die bisher fernmündlich am 16.12.2020 von Herrn Dr. M* …, Amtsarzt des Landratsamtes Rottal-Inn, getroffenen Anordnungen werden hiermit schriftlich bestätigt:
1.1 Frau … …, geb. am …, wohnhaft in …, …, wird bis zum 26.12.2020 untersagt, ihre berufliche Tätigkeit als zahnmedizinische Assistentin auszuüben.
1.2 Die Wiederaufnahme der beruflichen Tätigkeit vor dem 26.12.2020 wird Frau … wieder gestattet, wenn ein bei ihr vorzunehmender PCR-Test ein negatives Ergebnis auf das Vorhandensein von Coronavirus SARS-CoV-2 ergibt und keine für COVID-19 typischen Krankheitszeichen aufgetreten sind.
2. Die Vollziehung der Ziffer 1 dieses Bescheides wird angeordnet.
3. Für den Fall, dass … … der in Ziffer 1.1 dieses Bescheides festgelegten Verpflichtung zuwiderhandelt, wird ab Zustellung dieses Bescheids ein Zwangsgeld in Höhe von 500 EUR zur Zahlung fällig.
4. … … hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Für die Erstellung dieses Bescheids wird eine Gebühr von 50,00 EUR festgesetzt.
Zur Begründung des Bescheids wird ausgeführt, dem Landratsamts sei nicht bekannt, ob die Antragstellerin den Termin zur PCR-Testung am 14.12.2020 wahrgenommen habe. Dem Landratsamt liege jedenfalls kein negatives Testergebnis vor. Die Anordnung beruhe auf § 31 Satz 1 IfSG. Aufgrund des engen Kontakts zu einer Person, die nachweislich mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 infiziert sei, sei die Antragstellerin Ansteckungsverdächtige im Sinne des § 2 Nr. 7 IfSG. Sie sei in einer Zahnarztpraxis als zahnmedizinische Assistentin tätig, weshalb die Gefahr bestehe, dass sie den Erreger in ihrem Arbeitsumfeld weiterverbreite. Nach einem Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 5.12.2020 könnten Kontaktpersonen der Kategorie I nach Ablauf der Quarantäne ihre Arbeitstätigkeit erst nach dem Vorliegen eines negativen PCR-Tests wiederaufnehmen. Die Testung könne frühestens am 10. Tag nach der Exposition vorgenommen werden.
Bei der Antragstellerin sei eine entsprechende Testung nicht vorgenommen worden. Nach pflichtgemäßem Ermessen werde ihr daher ihre berufliche Tätigkeit als zahnmedizinische Assistentin solange untersagt, bis ein bei ihr vorgenommener PCR-Test ein negatives Ergebnis auf das Vorhandensein des Coronavirus ergebe und keine COVID-19 typischen Krankheitszeichen aufgetreten seien, längstens aber bis zum 26.12.2020. Die Inkubationszeit von SARS-CoV-2 betrage 14 Tage. Dementsprechend sei bei der Antragstellerin noch am 14. Tag nach der Begegnung mit der infizierten Person eine Ansteckung möglich gewesen. Da wiederum nach medizinischem Wissensstand eine Infektiosität in einem Zeitraum von 10 Tagen nach der Ansteckung bestehe, dürfe die Antragstellerin ihre berufliche Tätigkeit in der Zahnarztpraxis bis zum 26.12.2020 nicht ausüben. Die Anordnung eines beruflichen Tätigkeitsverbots sei verhältnismäßig. Sie sei geeignet, erforderlich und angemessen, um sicherzustellen, dass der Krankheitserreger nicht durch die Tätigkeit der Antragstellerin im medizinischen Bereich weiterverbreitet werde. Die getroffenen Anordnungen seien erforderlich, um einen umfassenden Schutz der Patienten und Mitarbeiter in der Zahnarztpraxis zu gewährleisten. Eine gegenüber dem Tätigkeitsverbot mildere Maßnahme sei nicht vorhanden. Insbesondere sei die Anordnung bestimmter Verhaltensregelungen in der Praxis aus amtsärztlicher Sicht nicht ausreichend. Die Antragstellerin arbeite als zahnmedizinische Fachassistentin nah am Patienten. Ein Mindestabstand könne bei dieser Art der Tätigkeit nicht eingehalten werden. Auch die Anordnung einer Verpflichtung zum Tragen von Schutzausrüstung stelle kein gleich geeignetes Mittel dar, da jedenfalls der Patient während der Behandlung keine Schutzausrüstung – etwa eine FFP2-Maske – tragen könne und bei der Assistenztätigkeit, die die Antragstellerin ausübe, ein körperlicher Kontakt mit dem Patienten unvermeidbar sei.
Am 18.12.2020 ließ die Antragstellerin einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO stellen. Der streitgegenständliche Bescheid sei rechtswidrig. Im Falle der Antragstellerin sei es bereits zweifelhaft, ob sie jemals Ansteckungsverdächtige im Sinne des § 2 Nr. 7 IfSG gewesen sei. In der Zahnarztpraxis ihres Arbeitgebers seien zum Zeitpunkt der Behandlung der mit SARS-CoV-2 infizierten Patienten hohe Sicherheitsstandards eingehalten worden, die den Vorgaben der zahnärztlichen Bundesvereinigung zur Behandlung von positiv auf SARS-CoV-2 getesteten Personen entsprächen und ebenso in Krankenhäusern bei der Behandlung von an COVID-19 erkannten Personen Anwendung fänden. Selbst wenn man die Antragstellerin jedoch aufgrund des stattgefundenen Kontakts mit der positiv getesteten Patientin als Ansteckungsverdächtige einstufen wolle, habe sie diese Eigenschaft jedenfalls nach Ablauf der regulären 14-tägigen Quarantäne verloren.
Darüber hinaus sei der streitgegenständliche Bescheid ermessensfehlerhaft. Das Landratsamt gehe erkennbar davon aus, dass aufgrund des Ministerialschreibens bei medizinischem Personal unterschiedslos eine Wiederaufnahme der Tätigkeit erst nach Vorliegen eines negativen PCR-Tests zugelassen werden könne. Auf die konkreten Umstände des Einzelfalls werde jedoch nicht eingegangen. Es werde weder die Frage erörtert, ob sich die Antragstellerin überhaupt mit dem Coronavirus infiziert haben könne, noch die Frage, welcher Grad an Ansteckungsgefährlichkeit nach Ablauf der regulären Quarantäne noch bestehe.
Auch die Einschätzung des Landratsamts, wonach eine Infektion der Antragstellerin noch am 14. Tag der Quarantäne habe erfolgen können, stimme nicht mit den Erkenntnissen des Robert Koch-Instituts (RKI) überein. Dieses gehe davon aus, dass alle Kontaktpersonen der Kategorie I grundsätzlich nach 14 Tagen aus der Quarantäne zu entlassen seien, weil ab diesem Zeitpunkt keine Gefahr mehr für die Gesundheit anderer von ihnen ausgehe. Ein Berufsverbot sei somit auch unverhältnismäßig, da es nicht erforderlich sei. Auch die AV Isolation differenziere an keiner Stelle zwischen medizinischem Personal und anderen Kontaktpersonen der Kategorie I.
Zuletzt verstoße das Verbot der Berufsausübung auch gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG, 118 Abs. 1 BV. Nach den Erkenntnissen des RKI, die ihren Niederschlag in der AV Isolation gefunden haben, gehe von Kontaktpersonen der Kategorie I, welche aufgrund eines negativen Testergebnisses vorzeitig aus der Quarantäne entlassen worden seien, und solchen, die ohne Testung die Quarantäne nach Ablauf von 14 Tagen verlassen, ein gleich großes Ansteckungsrisiko aus. Wenn das Landratsamt nunmehr nach Ablauf der 14-tägigen Quarantäne noch ein Berufsverbot verhänge, stelle dies eine unzulässige Ungleichbehandlung dar.
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
die aufschiebende Wirkung einer noch zu erhebenden Anfechtungsklage gegen die Nrn. 1.1 sowie 3. des Bescheids des Landratsamts Rottal-Inn vom 16.12.2020 anzuordnen.
Der Antragsgegner beantragt
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wiederholt er im Wesentlichen die bereits im angegriffenen Bescheid genannten Gründe. Ein Ansteckungsverdacht nach § 2 Nr. 7 IfSG habe aufgrund des Kontakts mit der positiv getesteten Patientin bei der Antragstellerin vorgelegen. Sie habe einen körperlichen Kontakt während einer etwa 30-minütigen Behandlung der Patientin gehabt. Sie habe bei der Patientin eine Zahnsteinbehandlung durchgeführt, weshalb sie direkten Kontakt zu Körperflüssigkeiten aus dem Mund- und Rachenraum gehabt habe. Dies würde nach den geltenden RKI-Richtlinien zu einem hohen Ansteckungsrisiko führen und zur Einstufung als Kontaktperson der Kategorie I. Trotz des Tragens einer FFP2-Maske sei die Ansteckungsgefahr aufgrund des direkten Kontakts zu respiratorischen Sekreten erhöht gewesen, was umso mehr gelte, da die infektiöse Patientin während der Behandlung keinerlei Mund-Nasen-Schutz getragen habe.
Nach dem Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 5.12.2020 (Az. G54p-G8300-2020/4456-3) müssten sich Kontaktpersonen der Kategorie I aus dem medizinischen Personal in Arztpraxen, Krankenhäusern sowie aus dem Personal in Alten- und Pflegeheimen entsprechend den Empfehlungen des RKI grundsätzlich in Quarantäne begeben. Voraussetzung für die anschließende Wiederaufnahme der beruflichen Tätigkeit sei das Vorliegen eines negativen PCR-Tests. Hintergrund für diese Vorgaben sei, dass bei einem – wenn auch nur kleinen Teil der Infizierten – der Erkrankungsbeginn erst nach Ablauf von 14 Tagen nach dem Kontakt mit einem Infizierten auftrete. Zudem verlaufe jede 3. oder 4. Infektion mit SARS-CoV-2 unbemerkt, obwohl eine Infektiosität bestehen könne. Nur mit einer abschließenden Testung könne ausgeschlossen werden, dass die Antragstellerin unter diese Gruppe falle und das Virus weiterverbreite. Aufgrund der besonderen Sensibilität des Arbeitsbereichs der Antragstellerin habe das Landratsamt die Anordnung nach pflichtgemäßem Ermessen getroffen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, insbesondere auf die gewechselten Schriftsätze, Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag keinen Erfolg.
1. Der Antrag ist zulässig.
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung einer Klage in den Fällen, in denen die aufschiebende Wirkung der Klage kraft Gesetzes entfällt (vgl. § 80 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 VwGO), ganz oder teilweise anordnen. Wird die aufschiebende Wirkung von der Behörde nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten angeordnet, so kann das Gericht die aufschiebende Wirkung wiederherstellen.
Im vorliegenden Fall hat das Landratsamt ein berufliches Tätigkeitsverbot nach § 31 IfSG gegenüber der Antragstellerin ausgesprochen. Das Ergreifen dieser Maßnahme ist unter den Voraussetzungen des § 28 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 IfSG möglich. Liegen diese vor, so hat die zuständige Behörde Schutzmaßnahmen zu treffen, und zwar insbesondere die in § 28a Abs. 1 IfSG und in den § 29 bis 31 IfSG genannten Maßnahmen. Nach § 28 Abs. 3 IfSG gilt die Vorschrift des § 16 Abs. 8 IfSG entsprechend. Danach haben Widerspruch und Klage keine aufschiebende Wirkung, weshalb sich vorliegend die sofortige Vollziehbarkeit der streitgegenständlichen Untersagung der Ausübung des ärztlichen Berufs unmittelbar aus dem Gesetz ergibt (VG München, B.v. 18.9.2020 – M 18 S 17.3676 – juris, Rn. 19; Kießling, IfSG, 1. Aufl. 2020, § 28, Rn. 85; Lutz, Infektionsschutzgesetz, 2. Aufl. 2020, § 28, Rn. 8). Einer gesonderten behördlichen Anordnung des Sofortvollzugs bedurfte es damit nicht. Die Anordnung in Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheids geht damit ins Leere.
Die sofortige Vollziehbarkeit der Zwangsgeldandrohung in Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheids folgt ebenfalls aufgrund einer gesetzlichen Regelung, nämlich aufgrund des Art. 21a Satz 1 VwZVG.
Nach alledem ist ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage statthaft.
Auch wenn im vorliegenden Fall eine Hauptsacheklage (noch) nicht erhoben worden ist, hält das Gericht den Antrag für zulässig. Dies ergibt sich schon aus § 80 Abs. 5 Satz 2 VwGO. Dort ist explizit geregelt, dass ein Eilrechtsschutzantrag nach § 80 Abs. 5 VwGO schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig ist. Dies entspricht im Übrigen auch dem Grundsatz des § 123 Abs. 1 VwGO, wonach auch ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vor Klageerhebung gestellt werden kann. Außerdem würden andernfalls die im Hauptsacheverfahren geltenden Rechtsbehelfsfristen, die dem Betroffenen auch Überlegungs- und Vorbereitungszeit einräumen sollen, in einer mit dem Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes (vgl. Art. 19 Abs. 4 GG) unvereinbaren Weise verkürzt (vgl. OVG NRW, B.v. 18.9.2020 – 14 B 985/20 – juris, Rn. 8 m.w.N.; Kopp/Schenke, VwGO, § 80, Rn. 139 m.w.N. auch zur Gegenmeinung).
2. Der Antrag ist jedoch nicht begründet.
Im Rahmen der Begründetheitsprüfung hat das Gericht eine Interessenabwägung zwischen dem Interesse der Antragstellerin an einer sofortigen Wiederaufnahme ihrer beruflichen Tätigkeit und dem Interesse der Allgemeinheit an der Aufrechterhaltung des Sofortvollzugs vorzunehmen. Im Rahmen dieser Interessenabwägung spielen grundsätzlich die Erfolgsaussichten der Hauptsache eine maßgebliche Rolle; denn nach allgemeiner Meinung besteht an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer voraussichtlich aussichtslosen Klage kein überwiegendes Interesse. Wird dagegen der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf bei der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage voraussichtlich erfolgreich sein, ist regelmäßig die aufschiebende Wirkung anzuordnen (BayVGH, B.v. 26.11.2020 – 20 CE 20.2735 – juris, Rn. 16; BayVGH, B.v. 27.3.2019 – 8 CS 18.2398 – juris, Rn. 25 m.w.N.). Lassen sich die Erfolgsaussichten der Hauptsacheklage dagegen im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht eindeutig abschätzen, so hat das Gericht eine echte Interessenabwägung zwischen dem Interesse eines Antragstellers, von der Vollziehung des Verwaltungsakts vorübergehend verschont zu bleiben, und dem Interesse der Allgemeinheit am Sofortvollzug vorzunehmen. Diese Abwägung fällt hier zulasten der Antragstellerin aus.
Das Landratsamt hat die Untersagung der beruflichen Tätigkeit in Nr. 1.1 des Bescheids vom 16.12.2020 auf die §§ 28 Abs. 1 Hs. 1, 31 IfSG gestützt. Nach § 28 Abs. 1 Hs. 1 IfSG trifft die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in § 28a Abs. 1 IfSG und in den § 29 bis 31 IfSG genannten, wenn Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt werden oder wenn es sich ergibt, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war, und zwar soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist.
Der Anwendungsbereich des § 28 IfSG ist grundsätzlich eröffnet. Es bestehen keine ernstlichen Zweifel daran, dass es sich bei der Erkrankung COVID-19 um eine übertragbare Krankheit im Sinne des § 2 Nr. 3 IfSG handelt (vgl. hierzu den Steckbrief des RKI zur Coronavirus-Krankheit, Stand: 11.12.2020, https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html sowie die Risikoeinschätzung vom 11.12.2020, https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.html). Angesichts des Vorliegens einer übertragbaren Krankheit ist die zuständige Stelle zum Handeln verpflichtet. Sie hat lediglich ein Ermessen hinsichtlich der Auswahl der anzuwendenden Schutzmaßnahmen.
Nach dem engen Kontakt der Antragstellerin zur positiv auf das Coronavirus getesteten Patientin war die Antragstellerin auch Ansteckungsverdächtige im Sinne des § 2 Nr. 7 IfSG. Danach ist Ansteckungsverdächtiger eine Person, von der anzunehmen ist, dass sie Krankheitserreger aufgenommen hat, ohne krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider zu sein. Nach dem Bundesverwaltungsgericht ist die Aufnahme von Krankheitserregern im Sinne von § 2 Nr. 7 IfSG „anzunehmen“, wenn der Betroffene mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Kontakt zu einer infizierten Person oder einem infizierten Gegenstand hatte. Die Vermutung, der Betroffene habe Krankheitserreger aufgenommen, muss naheliegen. Eine bloß entfernte Wahrscheinlichkeit genügt nicht. Demzufolge ist die Feststellung eines Ansteckungsverdachts nicht schon gerechtfertigt, wenn die Aufnahme von Krankheitserregern nicht auszuschließen ist. Andererseits ist auch nicht zu verlangen, dass sich die Annahme „geradezu aufdrängt“. Erforderlich und ausreichend ist, dass die Annahme, der Betroffene habe Krankheitserreger aufgenommen, wahrscheinlicher ist als das Gegenteil (BVerwG, U.v. 22.3.2012 – 3 C 16.11 – juris, Rn. 31).
Obwohl die Antragstellerin bei der Zahnsteinbehandlung der infizierten Patientin Schutzkleidung – insbesondere eine FFP2-Maske sowie ein Gesichtsvisier – trug, wurde sie durch den Kontakt eine ansteckungsverdächtige Person. Das Landratsamt hat in seiner Antragserwiderung zu Recht darauf hingewiesen, dass im Rahmen einer zahnärztlichen Behandlung ein besonderes Infektionsrisiko besteht, und zwar auch dann, wenn Schutzkleidung getragen wird. Bei der Behandlung besteht ein äußerst enger Kontakt und es liegt auf der Hand, dass trotz des Tragens von Schutzkleidung ein Kontakt mit Körperflüssigkeiten aus dem Mund- und Rachenbereich stattfindet. Im Rahmen der Zahnbehandlung spritzen diese Flüssigkeiten umher und verteilen sich im näheren Umfeld der Behandlung, weshalb es wahrscheinlich ist, dass ein unmittelbarer Kontakt während oder nach der Behandlung zustande kommt, der durch die Schutzmaßnahme nicht verhindert wird.
Hinsichtlich der Art und des Umfanges der Bekämpfungsmaßnahmen wird der Behörde durch die Generalklausel des § 28 Abs. 1 IfSG ein Ermessen eingeräumt, denn es lässt sich nicht im Vorfeld für sämtliche Krankheiten bestimmen, welche Schutzmaßnahmen notwendig, d.h. zur Verhinderung der (Weiter-)Verbreitung der Krankheit erforderlich sind. Darüber hinaus dürfen Maßnahmen nur getroffen werden, „solange“ sie erforderlich sind. Insgesamt sind dem Ermessen durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Grenzen gesetzt (vgl. BVerwG, U.v. 22.3.2012 – 3 C 16.11 – juris, Rn. 24 unter Bezugnahme auf die Gesetzgebungsmaterialien: BT-Drs. 8/2468, S. 27). Dementsprechend war die Antragstellerin Kontaktperson der Kategorie I und als solche verpflichtet, sich in häusliche Isolation zu begeben, was aus Nr. 2.1.1 i.V.m. Nr. 1.1 der zum Zeitpunkt der Mitteilung der Quarantäneverpflichtung durch das Gesundheitsamt geltenden Allgemeinverfügung „Quarantäne von Kontaktpersonen der Kategorie I und von Verdachtspersonen, Isolation von positiv auf das Coronavirus getesteten Personen“ (AV Isolation) vom 2.12.2020 (Az. GZ6a-G80000-2020/122-736, BayMBl. 2020 Nr. 705 vom 2.12.2020) folgt. Die seitens des Antragsgegners im streitgegenständlichen Bescheid zitierte AV Isolation vom 18.8.2020 galt zum Zeitpunkt der Anordnung nicht mehr. Dieser Isolationsverpflichtung ist die Antragstellerin nachgekommen.
Im vorliegenden Fall vermag die zur Entscheidung berufenen Kammer im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht zu klären, ob die Antragstellerin zum Zeitpunkt der Anordnung der Untersagung der beruflichen Betätigung bis zum 26.12.2020 (noch) immer eine „Ansteckungsverdächtige“ war. Einerseits ist insoweit zu bedenken, dass in Nr. 6.1 Abs. 1 Satz 1 AV Isolation geregelt ist, dass die häusliche Quarantäne bei Kontaktpersonen der Kategorie I, bei denen kein positives Testergebnis auf das Vorhandensein von Coronavirus SARS-CoV-2 vorliegt, endet, wenn der enge Kontakt zu einem bestätigten COVID-19-Fall mindestens 14 Tage zurückliegt und während der Isolation keine für COVID-19 typischen Krankheitszeichen aufgetreten sind. Darüber hinaus regelt Nr. 6.1 Abs. 1 AV Isolation, dass die Quarantäne für asymptomatische Kontaktpersonen der Kategorie I mit dem Vorliegen eines negativen Testergebnisses vorzeitig endet, wenn eine frühestens am 10. Tag nach dem letzten engen Kontakt vorgenommene Testung (PCR-Test oder Antigentest) ein negatives Ergebnis ergibt. Aus den zitierten Regelungen der AV Isolation ergibt sich somit, dass das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege, welches die AV Isolation erlassen hat, regelmäßig davon ausgeht, dass das von Kontaktpersonen der Kategorie I ausgehende Risiko der Weiterverbreitung von SARS-CoV-2 beim Vorliegen der in Nr. 6.1 AV Isolation genannten Voraussetzungen für die Beendigung der Isolation so weit zurückgegangen ist, dass grundsätzlich die Isolation nicht mehr erforderlich ist, um die Weiterverbreitung des Virus einzudämmen. Bedenkt man darüber hinaus, dass die Allgemeinverfügung ebenso auf § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG gestützt ist, wie die Anordnung der Untersagung der beruflichen Tätigkeit durch das Landratsamt, und zieht in die Erwägungen mit ein, dass Maßnahmen nach der genannten Vorschrift nur soweit und solange zulässig sind, wie dies zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist, spricht einiges dafür, dass im „Normalfall“ eine nach ordnungsgemäßer Durchführung der Quarantäne angeordnete Untersagung der beruflichen Betätigung nicht mehr erforderlich und somit rechtswidrig ist.
Andererseits ist jedoch zu bedenken, dass gerade im Fall der Antragstellerin eine besondere Konstellation besteht. Die Antragstellerin ist als Zahnarzthelferin im medizinischen Bereich tätig. Gerade in Zahnarztpraxen besteht ein enger Kontakt zu den Patienten, bei denen am „offenen Mund“ gearbeitet wird. Damit versteht es sich von selbst, dass die Übertragung des Virus im Vergleich zu sonst üblichen zwischenmenschlichen Begegnungen erheblich gesteigert ist. Ob und inwieweit die symptomfreie Antragstellerin daher auch nach ordnungsgemäßer Beendigung der Quarantäne noch als ansteckungsverdächtige Person eingestuft werden kann und bei ihr daher die Verbreitung des Virus aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit besonders ausgeprägt ist, vermag das Gericht im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht zu beurteilen. Insofern dürfte im Hauptsacheverfahren zumindest die Einholung einer sachverständigen Stellungnahme erforderlich sein. Hiervon dürfte es dann im Ergebnis auch abhängen, ob die vom Landratsamt vorgenommenen Ermessenserwägungen haltbar sind oder nicht; denn je nach der Intensität der von der Antragstellerin möglicherweise ausgehenden Ansteckungsgefahr hängt es ab, ob die vom Landratsamt angestellten Ermessenserwägungen sachgerecht und angemessen sind. Es erscheint jedenfalls nicht von vorneherein ermessensfehlerhaft oder gar unverhältnismäßig, dass das Landratsamt die streitgegenständliche Anordnung getroffen hat.
Nach alledem ist im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes eine echte Interessenabwägung vorzunehmen, die hier zulasten der Antragstellerin ausfallen muss. Auf Seiten der Antragstellerin ist ausschließlich die Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) tangiert; denn letztendlich wird die Befugnis der Antragstellerin zur Ausübung ihres Berufs bis zum 26.12.2020 von der vorherigen Durchführung eines Corona-Tests abhängig gemacht. Insoweit handelt es sich um eine subjektive Zulassungsbeschränkung, die allerdings relativ einfach zu erfüllen ist und aus gewichtigen Gründen des Allgemeinwohls gerechtfertigt erscheint. Hinzu kommt, dass die Klägerin von der Untersagung der Berufsausübung nur noch für den Rest des heutigen Tages sowie am 23.12.2020 betroffen ist. Vom 24.12.2020 bis zum 26.12.2020 hat die Praxis, in der sie tätig ist, aufgrund der Weihnachtsfeiertage ohnehin geschlossen, was die Klägerin gegenüber dem Gericht selbst eingeräumt hat. Dass sie aufgrund der Untersagung ihrer beruflichen Tätigkeit eine finanzielle Einbuße erleidet, hat sie nicht vorgetragen. Daher geht das Gericht davon aus, dass sie während der Zeit, in der sie nicht arbeiten darf, ihr Entgelt fortbezahlt bekommt oder gegebenenfalls einen Entschädigungsanspruch nach § 56 IfSG geltend machen kann. Schließlich wurde die Klägerin ja auch gerade bei ihrer beruflichen Tätigkeit zur „Ansteckungsverdächtigen“. Der Eingriff in die Rechte der Antragstellerin wiegt nach alledem verhältnismäßig gering und er besteht nur noch für sehr kurze Zeit.
Im Gegensatz dazu wiegt der mit der Maßnahme bezweckte Schutz des Lebens und der Gesundheit der Allgemeinheit erheblich höher. Das pandemische Geschehen in der Bundesrepublik Deutschland und in Bayern ist weiterhin angespannt. Nach dem RKI lag die 7-Tage-Inzidenz pro 100.000 Einwohner am Montag, den 21.12.2020 in Deutschland bei 197 und in Bayern sogar bei 217. Im Vergleich zum Vortag gab es in Bayern 2.553 Neuinfektionen und in Deutschland 16.643 (vgl. RKI – Coronavirus SARS-CoV-2 – COVID-19: Fallzahlen in Deutschland und weltweit, https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Fallzahlen.html), wobei sich in der Vergangenheit gezeigt hat, dass die Zahlen nach dem Wochenende aufgrund von Meldeverzögerungen meist niedriger liegen als in der Wochenmitte und am Ende der Woche. Das RKI schätzt die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland weiterhin als hoch ein, für Risikogruppen als sehr hoch. Die Therapie schwerer Krankheitsverläufe ist komplex und langwierig (vgl. Risikobewertung zu COVID-19, Stand: 11.12.2020, https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.html). Aufgrund dieser dramatischen Entwicklung des Infektionsgeschehens muss das Interesse der Antragstellerin an der sofortigen Aufnahme ihrer beruflichen Betätigung hinter dem Gesundheitsschutz der Allgemeinheit zurücktreten, zumal es die Antragstellerin selbst in der Hand gehabt hätte, eine Untersagung der beruflichen Betätigung zu verhindern, sofern sie tatsächlich nicht infektiös ist. Sie hätte schließlich ihre persönliche Einschätzung, das Virus nicht weiterverbreiten zu können, nur durch einen Corona-Test bestätigen lassen müssen.
Im Ergebnis muss somit das Interesse der Antragstellerin an der sofortigen Aufnahme ihrer beruflichen Betätigung hinter dem Interesse der Allgemeinheit an einem effektiven Gesundheitsschutz zurücktreten.
Die Zwangsgeldandrohung in Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheids ist nicht zu beanstanden. Sie beruht auf den Art. 19, 29, 30, 31 und 36 VwZVG. Da die Anordnung der Untersagung der beruflichen Betätigung der Antragstellerin nach wie vor sofort vollziehbar ist, sind die Voraussetzungen des Art. 19 Abs. 1 Nr. 3 VwZVG noch immer gegeben.
Der Antrag war nach alledem mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abrufbar auf der Homepage des BVerwG). Das Gericht hat vorliegend von der Möglichkeit, den Streitwert im Hinblick auf die Vorwegnahme der Hauptsache bis zur Höhe des Streitwerts der Hauptsache anzupassen, Gebrauch gemacht.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen


Nach oben