Medizinrecht

Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage (erfolgreich), Versammlungsrecht, Untersagung des sich fortbewegenden Teils einer Versammlung bei Überschreitung einer bestimmten Teilnehmerzahl, Örtliche Verlegung einer stationären Versammlung (Zwischenkundgebung)

Aktenzeichen  M 13 S 21.2315

Datum:
30.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 9540
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
GG Art. 8 Abs. 1
BayVersG Art. 15 Abs. 1
BayIfSMV § 7 Abs. 1 12.

 

Leitsatz

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers vom 29. April 2021 (M 13 K 21.2316) gegen die Ziffern 2.1 und 2.2 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 27. April 2021 wird mit den klarstellenden Maßgaben angeordnet, dass der Antragsteller eine sich fortbewegende Versammlung auf der angezeigten Wegstrecke mit maximal 100 Teilnehmern durchführen darf (Ziffer 2.1) und dass die Zwischenkundgebung am Stadtteiltreff … auf der Fahrbahn der …straße stattfindet (Ziffer 2.2).
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen Beschränkungen einer für den 1. Mai 2021 in … geplanten Versammlung.
Am 30. März 2021 zeigte der Antragsteller für den 1. Mai 2021 eine sich fortbewegende Versammlung mit den Kundgebungsorten …apotheke (Anfangs- und Endkundgebung) und Stadtteiltreff …l (Zwischenkundgebung) mit 100 Teilnehmern an. Thema der Versammlung ist eine Demonstration zum 1. Mai.
In einem Kooperationsgespräch am … April 2021 gab der Antragsteller an, auf das Merkmal des „sich Fortbewegens“ in keinem Falle verzichten zu wollen. Auf die Information hin, dass sich die für die Zwischenkundgebung beabsichtigte Fläche nicht in öffentlicher Hand befinde, gab der Antragsteller an, die Kundgebung stattdessen auf der öffentlichen Verkehrsfläche der …straße abhalten zu wollen.
Mit Bescheid vom … April 2021 bestätigte die Antragsgegnerin die Versammlungszeige des Antragstellers vom … März 2021, beschränkte die geplante Versammlung jedoch in mehrfacher Hinsicht. In Ziffer 2.1 des Bescheides wurde angeordnet, dass die Versammlung nur dann wie angezeigt als Demonstrationszug durchgeführt werden darf, wenn die Teilnehmerzahl 50 Personen nicht überschreitet. Bei einer Teilnehmerzahl von mehr als 50 Personen muss die Versammlung stationär auf dem Vorplatz der …apotheke stattfinden. Nach Ziffer 2.2 des Bescheides hat die geplante Zwischenkundgebung vor dem „Stadtteiltreff …l“, …straße …, auf einer im beigefügten Lageplan rot gekennzeichneten Fläche stattzufinden, wobei sich die „restlichen“ Versammlungsteilnehmer entlang der Gehwege an der …straße aufstellen müssen. Sollte dies aufgrund der Verkehrslage eine nicht überschaubare Gefahr mit sich bringen, haben die Teilnehmer auf die umliegenden Grünflächen auszuweichen. Die Dauer der Zwischenkundgebung darf 15 Minuten nicht überschreiten.
Die Versagung des Aufzugs bei Überschreiten einer Teilnehmerzahl von mehr als 50 Personen wurde damit begründet, dass die Einhaltung und Überwachung der infektionsschutzrechtlich maßgeblichen Mindestabstände zwischen den Versammlungsteilnehmern bei sich fortbewegenden Versammlungen grundsätzlich schwieriger sei. Es sei bei Geschwindigkeitsänderungen oder sonstigen Stockungen des Aufzugs regelmäßig mit einem „Ziehharmonikaeffekt“ zu rechnen, der zur Unterschreitungen des Mindestabstandes führe. Angesichts des allgemeinen Infektionsgeschehens, das sich derzeit auf einem hohen Niveau bewege, sei die Durchführung des Aufzugs mit 100 Teilnehmern nicht zu verantworten. Auf die überwiegende Einhaltung der Mindestabstände könne auch mit Blick darauf, dass der Antragssteller angekündigt habe, von allen Versammlungsteilnehmern das Tragen einer FFP2-Maske zu verlangen, nicht verzichtet werden. Die Schutzwirkung dieser Masken lasse bei körperlicher Belastung sowie bei längerer Tragedauer nach. Die Zuweisung der Aufstellungsfläche für die Zwischenkundgebung in der …straße begründete die Antragsgegnerin damit, dass vor dem Stadteiltreff … nur 66 m2 Aufstellungsfläche zur Verfügung stünden, die auch für 50 Teilnehmer bei Einhaltung der erforderlichen Abstände nicht ausreichten. Von der Zuweisung der Fahrbahn als Versammlungsfläche werde aufgrund des Verkehrs und möglicher Gefahren für die Versammlungsteilnehmer Abstand genommen.
Am 29. April 2021 erhob der Antragsteller Anfechtungsklage (M 13 K 21.2316) gegen die Beschränkungen in Ziffern 2.1 und 2.2 des Bescheids der Antragsgegnerin, soweit eine sich fortbewegende Versammlung bei Überschreitung der Marke von 50 Teilnehmern untersagt wurde sowie insoweit die Kundgebung von der Straße auf den Vorplatz des Stadtteiltreffs verlegt wurde, und beantragte zugleich,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Der Antragsteller sei der Antragsgegnerin als zuverlässiger Versammlungsleiter bekannt. Er habe der Versammlung selbst eine FFP2-Maskenpflicht auferlegt und gehe damit über die aktuellen rechtlichen Verpflichtungen hinaus. Bei einer Versammlung am … März 2021 auf dem …platz in … mit 80 bis 100 Teilnehmern, zu der im Wesentlichen dieselben Personen aufgerufen hätten, habe es keine Beanstandungen gegeben. Am … Juli 2020 habe der Antragsteller eine Versammlung mit 80 Teilnehmern auf dem …platz störungsfrei durchgeführt. In anderen bayerischen Städten seien sich fortbewegende Versammlungen mit bis zu 100 Teilnehmern zulässig und erprobt, u.a. habe die … … am … November 2020 sowie am … Februar 2021 Demonstrationszüge mit maximal 100 Teilnehmern zugelassen. Der Teilnehmerkreis der geplanten Versammlung habe mit dem Teilnehmerkreis der Aufzüge in M* … gemein, dass er die Gefahr der Pandemiesituation und die Notwendigkeit von Infektionsschutzmaßnahmen anerkenne. Ermessensleitend müsse im Übrigen berücksichtigt werden, dass nach § 7 Abs. 2 Nr. 5 BayIfSMV Versammlungen in geschlossenen Räumen mit bis zu 100 Teilnehmern ohne vorherige Anzeige zulässig seien. Daher müsse eine unter den Augen des Staates stattfindende sich fortbewegende Versammlung mit bis zu 100 Teilnehmern erst recht möglich sein. Zudem sehe der Verordnungsgeber Versammlungen bis 200 Teilnehmer als regelmäßig infektionsschutzrechtlich vertretbar an. Dem Antragsteller könne auch nicht entgegengehalten werden, dass die Schutzwirkung von FFP2-Masken mit der Zeit nachlasse, da die Versammlung insgesamt nur 2 Stunden dauere. Im öffentlichen Personenfernverkehr, wo der Verordnungsgeber Infektionsgefahren nur durch eine FFP2-Maskenpflicht begegne, werde dieser Zeitrahmen ohne weiteres erreicht und überschritten.
Soweit die örtliche Verlegung der Zwischenkundgebung mit den Gefahren des fließenden Verkehrs begründet werde, sei dies unverständlich, da die gesamte Strecke des Demonstrationszuges über grundsätzlich befahrene Straßen führe. Es sei nicht ersichtlich, dass eine nur 15-minütige Zwischenkundgebung zu einer erhöhten Gefahr führe. Zudem werde durch die Verlegung auf den Vorplatz des Stadtteiltreffs, der nur 66 m2 groß sei, eine vermeidbare Infektionsgefahr geschaffen. Die Aufforderung, Gehwege und Grünflächen als Aufstellfläche mit zu nutzen, schaffe Unklarheit vor Ort und könne zu jenen Stauungen führen, die die Beklagte eigentlich verhindern wolle.
Mit Schriftsatz vom 29. April 2021 teilte die Antragsgegnerin mit, dass sie zum Antragsschriftsatz keine Stellung nehmen wolle. Sie verweise auf ihren Bescheid.
Wegen der Einzelheiten wird auf die Akten verwiesen.
II.
Der Antrag ist zulässig und begründet.
1. Im Rahmen der Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO ist eine Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Vollzugsinteresse und dem privaten Suspensivinteresse am Eintritt der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs vorzunehmen. Nach herrschender Meinung trifft das Gericht dabei eine eigene Ermessensentscheidung, für die in erster Linie die Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs maßgeblich sind. Nach allgemeiner Meinung besteht an der Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einer voraussichtlich aussichtslosen Klage kein überwiegendes Interesse. Wird dagegen der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf voraussichtlich erfolgreich sein, weil die Klage zulässig und begründet ist, so wird regelmäßig nur die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung in Betracht kommen. Bei offener Erfolgsprognose ist eine Interessenabwägung durchzuführen. Dem Charakter des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO entspricht dabei grundsätzlich eine summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage (vgl. Gersdorf, BeckOK VwGO, Stand 1.10.2019, § 80 Rn. 176). Zum Schutz von Versammlungen ist indes schon im Eilverfahren durch eine intensivere Prüfung dem Umstand Rechnung zu tragen, dass der Sofortvollzug der umstrittenen Maßnahme in der Regel zur endgültigen Verhinderung der Versammlung in der beabsichtigten Form führt (BVerfG, B.v. 12.5.2010 – 1 BvR 2636/04 – juris Rn. 18 m.w.N.).
2. Art. 8 Abs. 1 GG schützt die Freiheit, mit anderen Personen zum Zwecke einer gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung örtlich zusammenzukommen. Geschützt ist insbesondere die Selbstbestimmung über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt einer Versammlung (vgl. BVerfG, B.v. 14.5.1985 – 1 BvR 233/81, 1 BvR 34/81 – NJW 1985, 2395). Nach Art. 8 Abs. 2 GG kann dieses Recht für Versammlungen unter freiem Himmel durch oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden, wobei solche Beschränkungen im Lichte der grundlegenden Bedeutung des Versammlungsgrundrechts auszulegen sind. Eingriffe in die Versammlungsfreiheit sind daher nur zum Schutz gleichrangiger anderer Rechtsgüter und unter strikter Wahrung der Verhältnismäßigkeit zulässig (vgl. BVerfG, B.v. 21.11.2020 – 1 BvQ 135/20 – juris Rn. 6).
Nach Art. 15 Abs. 1 BayVersG kann die zuständige Behörde eine Versammlung beschränken oder verbieten, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Mit der Aufnahme von Versammlungsbeschränkungen in den Katalog möglicher Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) gemäß § 28a Abs. 1 IfSG hat der Gesetzgeber die Wertung vorweggenommen, dass solche Beschränkungen grundsätzlich geeignet sind, Gefahren für die Gesundheit und das Leben Einzelner zu begegnen und einer Überlastung des Gesundheitssystems entgegenzuwirken (vgl. § 28 Abs. 3 Satz 1 IfSG; BayVGH, B.v. 31.1.2021 – 10 CS 21.323 – Rn. 17 ff.). Auf dieser Grundlage bestimmt § 7 Abs. 1 der 12. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (12. BayIfSMV) für öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel unter anderem einen Mindestabstand von 1,5 m zwischen allen Teilnehmern (Satz 1) sowie die Pflicht der nach Art. 24 Abs. 2 BayVersG zuständigen Behörde, soweit im Einzelfall erforderlich durch entsprechende Beschränkungen nach Art. 15 BayVersG sicherzustellen, dass die Bestimmungen nach Satz 1 eingehalten werden und die von der Versammlung ausgehenden Infektionsgefahren auch im Übrigen auf ein infektionsschutzrechtlich vertretbares Maß beschränkt bleiben; davon ist in der Regel auszugehen, wenn die Versammlung nicht mehr als 200 Teilnehmer hat und ortsfest stattfindet (Satz 2). Diese Bestimmung konkretisiert auf Tatbestands- und Rechtsfolgenseite die versammlungsrechtliche Befugnisnorm des Art. 15 Abs. 1 BayVersG im Hinblick auf die Zielsetzungen des § 28a IfSG (vgl. BayVGH, B.v. 19.9.2020 – 10 CS 20-2103 – juris Rn. 7).
3. An diesen Maßstäben gemessen wird die in der Hauptsache erhobene Anfechtungsklage des Antragstellers voraussichtlich Erfolg haben.
a) Die Klage ist nach der im Eilverfahren möglichen und gebotenen summarischen Prüfung begründet, soweit sie sich gegen die in Ziffer 2.1 des angefochtenen Bescheids ausgesprochene Untersagung eines Demonstrationszugs im Falle der Überschreitung einer Teilnehmerzahl von 50 richtet.
Die Antragsgegnerin geht zunächst zutreffend davon aus, dass sich fortbewegende Versammlungen (Aufzüge) als dynamisches Gesamtgeschehen aus infektionsschutzrechtlicher Sicht besonders gefahrengeneigt sind, da sich ein Demonstrationszug typischerweise nicht über seine gesamte Dauer gleichmäßig bewegt, sodass es immer wieder zu unerwarteten Stockungen, Beschleunigungen und Verschiebungen kommen kann. Daher besteht grundsätzlich die Gefahr, dass es bei Aufzügen zu häufigen, die infektionsschutzrechtliche Vertretbarkeit der Versammlung insgesamt infrage stellenden Unterschreitungen des nach § 7 Abs. 1 Satz 1 12. BayIfSMV zwischen den Teilnehmern einzuhaltenden Mindestabstands kommt (vgl. die gefestigte Rspr. des BayVGH, B.v. 24.1.2021 – 10 CS 21.249; B.v. 31.1.2021 – 10 CS 21.323; B.v. 21.2.2021 – 10 CS 21.526 – Rn. 21).
Dies bedeutet jedoch nicht, dass nach § 7 Abs. 1 12. BayIfSMV Aufzüge generell nicht stattfinden können. Die infektionsschutzrechtliche Vertretbarkeit der jeweiligen Versammlung ist vielmehr im Einzelfall zu prüfen, wobei die angezeigte Teilnehmerzahl, die gewählte Wegstrecke, das voraussichtliche Verhalten der Teilnehmer hinsichtlich der Einhaltung des Mindestabstands und der Maskenpflicht sowie die aktuelle pandemische Lage zu berücksichtigen sind (vgl. BayVGH, B.v. B.v. 21.2.2021 – 10 CS 21.526 – Rn. 21). Dabei darf die aktuelle 7-Tages-Indizidenz neuer Infektionen mit der Coronavirus-Erkrankung 2019 als Faktor bei der Beurteilung der infektionsschutzrechtlichen Vertretbarkeit berücksichtigt werden, auch wenn sich allein daraus die nach Art. 15 Abs. 1 BayVersG erforderliche tatbestandliche unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ergibt (vgl. BayVGH, B.v. 19.9.2020 – 10 CS 20.2103 – juris Rn. 10).
In Anwendung dieser Grundsätze ist die Kammer der Auffassung, dass der geplante Aufzug des Antragstellers auf der angezeigten Demonstrationsroute auch mit mehr als 50 Teilnehmern (bis zu den von ihm angezeigten 100 Teilnehmern) infektionsschutzrechtlich vertretbar ist. Entscheidend ist, dass die Antragsgegnerin in ihrer Gefahrenprognose das zu erwartende Verhalten der Teilnehmer nicht hinreichend berücksichtigt hat. Der Antragsteller hat unwidersprochen und schlüssig vorgetragen, dass hinsichtlich ihres Zuschnitts, des Teilnehmer- und Organisatorenkreises vergleichbare Versammlungen am … Juli 2020 und am … März 2021 in … infektionsschutzrechtlich vertretbar durchgeführt wurden. Dass es bei diesen Versammlungen zu Verstößen gegen Infektionsschutzvorschriften gekommen wäre, ergibt sich weder aus dem angegriffenen Bescheid noch aus dem sonstigen Vorbringen der Antragsgegnerin. Auch die polizeiliche Gefahrenprognose enthält für diese Annahme keine Anhaltspunkte.
Der Gefahrenprognose der Antragsgegnerin lässt sich nicht hinreichend gesichert entnehmen, dass die infektionsschutzrechtliche Vertretbarkeit nicht auch bei einem Demonstrationszug gewährleistet wäre, soweit dabei die Teilnehmerzahl überschaubar bleibt und der Versammlungsleiter willens ist, auf die Einhaltung von Mindestabständen und das Tragen von Masken hinzuwirken. Der Antragsteller hat insoweit aus Sicht der Kammer glaubhaft versichert, dass er die Einhaltung von Hygieneregeln als Organisator der Versammlung ernst nimmt und durchzusetzen beabsichtigt; mit seinem Hygienekonzept, nach dem die Teilnehmer durchgängig FFP2-Masken tragen sollen, geht er sogar über das Schutzkonzept des § 7 Abs. 1 12. BayIfSMV hinaus.
Ausgehend von diesen Gesichtspunkten und dem Bild, das sich die Kammer aus allgemeinkundigen Quellen von den örtlichen Verhältnissen machen konnte, erscheint ihr nach summarischer Beurteilung eine Zahl von 100 Teilnehmern infektionsschutzrechtlich auf der gewünschten Demonstrationsroute noch vertretbar, wenn berücksichtigt wird, dass im Lichte des Art. 8 GG und nach den Wertungen des Verordnungsgebers eine völlige Risikofreiheit im Sinne einer absoluten infektionsschutzrechtlichen Unbedenklichkeit für die Annahme der infektionsschutzrechtlichen Vertretbarkeit nicht gefordert werden darf (vgl. BayVGH, B.v. 31.1.2021 – 10 CS 21.323 – juris Rn. 38). Trotz der teilweise schmalen Straßen, auf denen der Demonstrationszug stattfinden soll, bestehen im Ergebnis keine durchgreifenden Zweifel daran, dass bis zu 100 Teilnehmer dort, die Bereitschaft zur Einhaltung von Mindestabständen vorausgesetzt, in infektionsschutzrechtlich vertretbarer Weise etwa in Dreier- oder Viererreihen einen Demonstrationszug durchführen können, wenn dafür im Ablaufkonzept des Veranstalters geeignete Vorkehrungen getroffen werden.
b) Die Klage ist nach der im Eilverfahren möglichen und gebotenen summarischen Prüfung auch begründet, soweit sie sich gegen die in Ziffer 2.2 des angefochtenen Bescheids ausgesprochene Verlegung der Kundgebung von der Straße auf den Vorplatz des Stadtteiltreffs richtet.
Diese Verlegung wird einzig damit begründet, dass von der Festsetzung der Kundgebungsfläche auf der Fahrbahn aufgrund des vor Ort existierenden Verkehrs und der sich daraus ergebenden nicht ausschließbaren Gefahr für das Leben und die Gesundheit der Versammlungsteilnehmer Abstand genommen werde (Gründe II. 2. Zu Nr. 2.2; Seite 7 des Bescheids).
Diese nicht an infektionsschutzrechtlichen Vorgaben, sondern an den Schutzgütern der öffentlichen Sicherheit und Ordnung orientierte Argumentation vermag nicht zu überzeugen. Die Antragsgegnerin hat in ihrer Begründung nicht dargetan, dass nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet wäre. Sie geht vielmehr lediglich von einer „nicht ausschließbaren Gefahr“ aus, wenn die Versammlungsteilnehmer auf der Fahrbahn verbleiben würden. Dies wird dem Maßstab des Art. 15 Abs. 1 BayVersG nicht gerecht und erscheint auch unplausibel. Der vom Antragsteller geplante Aufzug bewegt sich auf einem bestimmten Streckenverlauf von seinem Ausgangspunkt Vorplatz der …apotheke über unter anderem den geplanten Ort der Zwischenkundgebung am Stadtteiltreff …l (* …straße) zum Endpunkt wiederum am Vorplatz der …apotheke durchgängig auf der Fahrbahn der jeweiligen Straßen. An der …straße nun sollen die Teilnehmer die Fahrbahn verlassen, auf den in Plan 1 (nicht Plan 2) dargestellten Flächen Aufstellung nehmen und dann nach der festgesetzten Höchstdauer der Zwischenkundgebung von 15 Minuten (wogegen sich Klage und Antrag nicht richten) wieder auf die Fahrbahn wechseln, um den Aufzug fortzusetzen. Die dafür notwendigen Personenbewegungen erscheinen nicht nur in infektiologischer Hinsicht ungünstiger als ein zwischenzeitlicher Stopp des Aufzuges für 15 Minuten, in der die Teilnehmer ihre jeweilige Position unter Einhaltung der Mindestabstände behalten können. Auch im Hinblick auf die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs bzw. den Schutz der körperlichen Unversehrtheit der Versammlungsteilnehmer erscheint es kontraproduktiv, die Fahrbahn für die Höchstdauer der Zwischenkundgebung von 15 Minuten für den fließenden Verkehr wieder freizugeben, um sodann den Aufzug auf der Fahrbahn unter erneuter Unterbrechung des fließenden Verkehrs fortzusetzen. Überdies erscheint die flankierende Vorgabe, dass die Teilnehmer auf die umliegenden Grünflächen auszuweichen haben, wenn die Aufstellung der Teilnehmer entlang den sich beidseitig an der …straße befindlichen Gehwegen „aufgrund der Verkehrslage eine nicht überschaubare Gefahr mit sich bringen“ sollte, zu unbestimmt.
Zu berücksichtigen ist ferner, dass es dem Veranstalter einer Versammlung grundsätzlich freisteht, öffentliche Verkehrsflächen für seine Versammlung auszuwählen. Andere Verkehrsteilnehmer haben die mit der Durchführung von Demonstrationen verbundenen Behinderungen in der Regel hinzunehmen, wenn sie unvermeidliche Nebenfolge der Demonstration sind. Etwas anderes gilt nur dann, wenn in einer Interessenabwägung die Interessen anderer Verkehrsteilnehmer überwiegen (vgl. Hettich in: Hettich, Versammlungsrecht in der Praxis, 2. Aufl. 2018, 4 Öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel, Rn. 190). Dass dies im vorliegenden Fall, etwa aufgrund einer überragenden Bedeutung der Straße für den örtlichen Verkehr, die Tageszeit und Dauer der Zwischenkundgebung oder die Anzahl der betroffenen Verkehrsteilnehmer, der Fall wäre, hat die Antragsgegnerin nicht nachvollziehbar dargelegt. Angesichts der kurzen Dauer der geplanten Zwischenkundgebung von nur 15 Minuten und der bereits ausgeführten Bedenken gegen die Verpflichtung der Teilnehmer, für deren Dauer die Straße zu verlassen, drängt sich ein Überwiegen entgegenstehender Interessen auch nicht auf. Dabei sei nochmals angemerkt, dass sich Klage und Antrag nicht gegen die Festsetzung der Dauer der Zwischenkundgebung auf 15 Minuten richten.
4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Dem Antrag wird in vollem Umfang stattgegeben; die im Tenor enthaltenen Maßgaben dienen nur der Klarstellung.
5. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 2 GKG. Da die Entscheidung die Hauptsache im Wesentlichen vorwegnimmt, besteht kein Anlass, den Streitwert gemäß Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit zu mindern.


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