Medizinrecht

Antrag auf vorläufige Verpflichtung zur Zuweisung einer Obdachlosenunterkunft

Aktenzeichen  AN 15 E 20.00401

Datum:
3.4.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 30776
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123
LStVG Art. 6 ff.

 

Leitsatz

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt mit seinem Antrag, die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihm eine angemessene, behindertengerechte, barrierefreie Verfügungswohnung zur Verfügung zu stellen.
Der Antragsteller hat im November 2016 auf dem Weg zur Arbeit einen Schlaganfall erlitten, ist seitdem auf einen Rollstuhl angewiesen und seit 11. Januar 2017 anerkannt schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 80 mit den Merkzeichen G, aG und B. Darüber hinaus ist er erwerbsunfähig. Seit 27. April 2018 liegt bei ihm der Pflegegrad 2 vor. Mit Beschluss des Amtsgerichts … vom 25. Juli 2018 wurde zudem das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Antragsstellers wegen Zahlungsunfähigkeit eröffnet. Der Antragsteller bewohnt aufgrund eines Mietvertrages seit dem 15. Februar 2015 eine Wohnung im Anwesen …, … … Der Eigentümer dieses Wohngebäudes und Vermieter der Wohnung hat diese Wohnung gekündigt und ein rechtskräftiges Räumungsurteil vom 9. Januar 2020 erstritten, welches dem Antragsteller eine Räumungsfrist bis 31. März 2020 gewährt. Eine Zwangsräumung durch den Gerichtsvollzieher wurde noch nicht terminiert.
Der Antragsteller beantragte mit Schreiben seines Betreuers an die Antragsgegnerin vom 17. Januar 2020, ihm innerhalb von 14 Tagen eine behindertengerechte, barrierefreie Verfügungswohnung zur Verfügung zu stellen. Seine Obdachlosigkeit stehe unmittelbar bevor. Mit Schreiben vom 17. Januar 2020, zur Post gegeben am 29. Januar 2020, wies die Antragsgegnerin den Antragsteller darauf hin, dass es ihr aktuell nicht möglich sei, dem Antragsteller eine geeignete Wohnung zur Verfügung zu stellen. Der Antragsteller wurde gebeten, umgehend einen Wohnungsberechtigungsschein zu beantragen, sich intensiv um eine Wohnung zu bemühen und sich mit der Wohnungsfürsorgestelle der Antragsgegnerin in Verbindung zu setzen. Mit weiterem Schreiben seines Betreuers vom 31. Januar 2020 teilte der Antragsteller mit, dass die Antragsgegnerin eine geeignete behindertengerechte Verfügungswohnung nach Art. 6 LStVG bedingungslos zur Verfügung zu stellen habe. Das Vorliegen eines Wohnungsberechtigungsscheins sei keine Voraussetzung hierfür. Mit weiterem Schreiben der Antragsgegnerin vom 3. Februar 2020 teilte diese mit, dass sie über keine Verfügungswohnungen verfüge. Im Falle der Obdachlosigkeit könne eine Unterbringung in ihrem Übergangswohnheim in der … erfolgen. Es sei jedoch vorrangig die Aufgabe des Betreuers, die Obdachlosigkeit des Antragstellers zu verhindern, insbesondere durch intensive Bemühungen um eine neue Wohnung. Auf entsprechende Hinweise auf Wohnungsangebote durch die Antragsgegnerin vom 20. Februar 2020 hin teilte der Betreuer des Antragstellers mit Email vom 22. Februar 2020 mit, dass der Antragsteller Interesse an der Anmietung einer dieser Wohnungen hätte. Es werde um Bestätigung einer Mietübernahme durch die Antragsgegnerin gebeten, da der Antragsteller auf Sozialleistungen angewiesen sei und sich in Privatinsolvenz befinde, weswegen ihm ohne entsprechende Mietübernahmeerklärung keine Wohnung vermietet werden würde.
Mit Schriftsatz seines Betreuers vom 27. Februar 2020, eingegangen bei Gericht am 4. März 2020, stellte der Antragsteller Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Zur Begründung wurde im Wesentlichen das Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren wiederholt. Der Antragsteller könne keinen Ersatzwohnraum anmieten, da ihm als Sozialhilfeempfänger in Privatinsolvenz also mit denkbar schlechtester Schufaauskunft niemand eine Wohnung vermieten würde. Er sei daher auf eine Verfügungswohnung angewiesen. Eine solche habe er mit Schreiben vom 17. Januar 2020 erfolglos bei der Antragsgegnerin beantragt.
Der Antragsteller hat beantragt,
die Antragsgegnerin wird verpflichtet, dem Antragsteller eine angemessene, behindertengerechte, barrierefreie Verfügungswohnung zur Verfügung zu stellen.
Die Antragsgegnerin hat mit Schreiben vom 6. März 2020 beantragt,
der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückzuweisen.
Der Antrag auf einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO sei unbegründet, da weder ein Anordnungsanspruch noch ein Anordnungsgrund gegeben seien. Da der Antragsteller derzeit in seiner Wohnung in der … wohne, sei er nicht obdachlos. Auch sei er nicht akut von Obdachlosigkeit bedroht, da eine Räumungsfrist bis 31. März 2020 bestehe. Ein Termin für eine Zwangsräumung liege nicht vor. Für den Fall, dass der Antragsteller tatsächlich zwangsgeräumt werden wurde und sein Betreuer bis dahin, trotz intensivster Suche, keine neue Wohnung gefunden habe, wurde eine Unterbringung in der städtischen Obdachlosenunterkunft in der Ost straße erfolgen, da die Antragsgegnerin über keine anderweitigen Unterkünfte verfüge. Da seitens der Antragsgegnerin zum gegenwärtigen Zeitpunkt mangels Obdachlosigkeit kein Handlungsbedarf bestehe und auch für den Fall einer möglicherweise eintretenden Obdachlosigkeit die Unterbringung in der städtischen Obdachlosenunterkunft zugesichert werden könne, sei der Antrag auf einstweilige Anordnung als unbegründet zurückzuweisen. Es bestehe weder ein Anspruch auf eine bestimmte Unterbringungsform noch sei Eilbedürftigkeit gegeben. Mit weiterem Schreiben seines Betreuers vom 19. März 2020 replizierte der Antragsteller, dass sich der Rechtsstreit durch den Verweis auf eine Notunterkunft nicht erledigt habe. Er benötige krankheitsbedingt eine besonders ausgestattete Wohnung, was eine Durchgangseinrichtung nicht leisten könne. Es sei nicht nur die rollstuhlfahrergerechte Ausstattung notwendig, sondern auch ein besonderer Toilettensitz, Badeeinrichtungen, Haltestangen an den Wänden und ein elektrisch verstellbares Pflegebett. Die vorgelegten ärztlichen Darlegungen seien eindeutig. Mit weiterem Schreiben vom 24. März 2020 wies die Antragsgegnerin darauf hin, dass sich in der Obdachlosenunterkunft derzeit bereits eine Rollstuhlfahrerin aufhalte. Auch werde bezweifelt, dass aufgrund der momentanen Situation eine Räumung durch den Gerichtsvollzieher stattfinden werde, was dem Betreuer Zeit gebe, sich um eine Wohnung für den Antragsteller zu kümmern. Der Betreuer des Antragstellers führte mit Schreiben vom 27. März 2020 aus, dass die Unterbringung von Pflegebedürftigen in einer Übergangseinrichtung nicht der Erfüllung der gesetzlichen Verpflichtung entspreche. Geeigneter Wohnraum sei zudem im Wege der vorläufigen Beschlagnahme der vom Antragsteller bewohnten Wohnung zu erlangen. Davon, dass rechtskräftige Räumungsurteile nicht vollstreckt würden, sei nichts bekannt. Lediglich Kündigungen sollten evtl. nicht möglich sein. Der Antragsteller werde daher nach dem 31. März 2020 obdachlos.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Gerichtsakte verwiesen.
II.
Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO ist unbegründet.
Gemäß § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung eines bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechtes des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Es muss demnach sowohl die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung, der sog. Anordnungsgrund, als auch das Bestehen eines zu sichernden Rechts, der sog. Anordnungsanspruch, glaubhaft gemacht werden (§ 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO). Maßgeblich sind die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts.
Der Antragsteller hat weder Anordnungsgrund noch Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
Es erscheint angesichts der derzeit vorherrschenden Corona-Krise äußerst fraglich, ob und wann eine etwaige Zwangsräumung des Antragstellers, welche im Übrigen bisher auch noch nicht terminiert worden ist, tatsächlich stattfinden würde. Der bloße Ablauf der Räumungsfrist mit Ablauf des 31. März 2020 ist für sich genommen noch nicht geeignet, einen Anordnungsgrund zu begründen.
Darüber hinaus konnte der Antragsteller auch keinen Anordnungsanspruch geltend machen. Gemäß Art. 57 Abs. 1 der Bayerischen Gemeindeordnung – GO – in Verbindung mit Art. 6 Landesstraf- und Verordnungsgesetz – LStVG – obliegt es der Antragsgegnerin als Pflichtaufgabe im eigenen Wirkungskreis, Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung – eine solche ist wegen der damit verbundenen Gesundheitsgefahren die drohende Obdachlosigkeit – zu verhindern bzw. zu beseitigen; dabei hat die Antragsgegnerin als Sicherheitsbehörde ein Ermessen (Art. 7 Abs. 2 Nr. 3, Art. 8 LStVG). Sie hat unter mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen diejenige zu treffen, die den einzelnen und die Allgemeinheit am wenigsten beeinträchtigt. Da die Obdachlosenunterbringung grundsätzlich nur eine Notlösung sein kann, muss der Obdachlose eine weitgehende Einschränkung seiner Wohnansprüche bis zur Grenze der menschenwürdigen Unterbringung hinnehmen (BayVGH, B.v. 26.4.1993 – 21 B 91.1461 – BayVBl. 1993, 569). Primär hat die Unterbringung dabei in eine gemeindeeigene oder der Antragsgegnerin zur Verfügung stehende (Not-)Unterkunft zu erfolgen. Nur wenn dies nicht möglich ist, kann als Ultima Ratio die Wiedereinweisung in die bisher vom Obdachlosen bewohnten Räume infrage kommen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs kommt die Wiedereinweisung eines von Obdachlosigkeit Bedrohten in die von ihm zu räumende oder geräumte Wohnung wegen des damit verbundenen Eingriffs in das durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Eigentumsrecht des Hauseigentümers als Nichtstörer (Art. 9 Abs. 3 LStVG) allerdings nur in Fällen schwerster Notlagen, denen die Obdachlosenbehörde auf andere Weise nicht abhelfen kann, für einen eng begrenzten Zeitraum von etwa zwei Monaten in Betracht (BayVGH, U.v. 14.8.1990 – 21 B 90.00335 – juris; B.v. 21.4.1998 – 4 ZS 98.1164 – juris; B.v. 25.9.1998 – 4 CS 98.2581 – juris). Für den Antragsteller steht hier jedoch eine anderweitige Obdachlosenunterkunft zur Verfügung. Denn die Antragsgegnerin stellt dem Antragsteller für den Fall der eintretenden Obdachlosigkeit eine Obdachlosenunterkunft in der … zur Verfügung. Es ist auch nicht vorgetragen oder sonst ersichtlich, dass der Mindeststandard, der an eine Obdachlosenunterkunft im Hinblick auf Größe und Ausstattung zu stellen ist, nicht eingehalten ist. Soweit der Antragsteller einwenden lässt, aufgrund seiner Schwerbehinderung und des Pflegegrades 2 sei ihm der Bezug dieser Obdachlosenunterkunft nicht zumutbar, fehlt es bereits an der Vorlage aussagekräftiger ärztlicher Atteste, die diese Behauptung stützen würden. Dagegen spricht vielmehr bereits, dass sich nach unbestrittenem Vortrag der Antragsgegnerin zum derzeitigen Zeitpunkt bereits eine Rollstuhlfahrerin in der Obdachlosenunterkunft aufhält. Darüber hinaus verkennt die Antragstellerseite, dass die von der Sicherheitsbehörde zu leistende Obdachlosenfürsorge nicht der wohnungsmäßigen Versorgung, sondern allein der Verschaffung lediglich einer vorübergehenden Unterkunft einfacher Art dient. Auch unter Berücksichtigung der humanitären Zielsetzung des Grundgesetzes ist es ausreichend, wenn obdachlosen Personen eine Unterkunft zugewiesen wird, die vorübergehend Schutz vor den Unbilden des Wetters bietet und Raum für die notwendigen Lebensbedürfnisse lässt. Obdachlose müssen, weil ihre Unterbringung nur eine Notlösung sein kann, daher eine weitgehende Einschränkung ihrer Wohnansprüche hinnehmen, wobei die Grenze der zumutbaren Einschränkungen dort liegt, wo die Anforderungen an eine menschenwürdige Unterbringung nicht mehr eingehalten sind (BayVGH, B.v. 10.10.2008 – 4 CE 08.2647 – juris). Weiter ist darauf hinzuweisen, dass Problemlagen, die über die Gewährung eines Obdachs, das Raum für die notwendigen Lebensbedürfnisse lässt, hinausgehen – insbesondere auch die Erfüllung spezieller Unterbringungs- und Sorgeerfordernisse – nicht von der Obdachlosenbehörde, sondern gegebenenfalls von den Sozialleistungsträgern der zuständigen Kranken- oder Pflegeversicherung bzw. unter Umständen auch unter Einsetzung eines Betreuers zu bewältigen wären (VG München, B.v. 15.11.2018 – M 22 E 18.3411 – juris; Schenk in Bengl/Berner/Emmerig, LStVG, Art. 7 Rn. 187 m.w.N.; VG Ansbach, B.v. 2.7.2019 – AN 15 S 19.10296 – insoweit nicht veröffentlicht; BayVGH, B.v. 14.8.2019 – 4 C 19.1374 – insoweit nicht veröffentlicht Rn. 15).
Nach alledem war der Antrag mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 und 2 GKG i.V.m. Ziffern 1.5 und 35.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen


Nach oben