Medizinrecht

Arbeitslosengeld und Erstattungsforderung von Krankenversicherungs- und Pflegeversicherungsbeiträgen

Aktenzeichen  S 10 AL 187/18

Datum:
4.8.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 56623
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGG § 54 Abs. 1, § 65a Abs. 4, § 87, § 90, § 105, § 193
SGB X § 48 Abs. 1 S. 2, § 50
SGB III § 138 Abs. 5 Nr. 2146, § 330 Abs. 3 S. 1

 

Leitsatz

Ein Beweis des ersten Anscheins ergibt sich aus einem aus der Lebenserfahrung beruhenden Schluss, dass gewisse typische Sachverhalte regelmäßig bestimmte Folgen auslösen (vgl. LSG Berlin, Urteil vom 04.04.2003, L 10 AL 96/01). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Bescheide vom 31.10.2018 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 11.12.2018 werden aufgehoben.
II. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Gründe

Da die Sache keine Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und beide Parteien ausreichend angehört worden sind, konnte das Gericht gem. § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Gerichtsbescheid seine Entscheidung treffen.
Die gemäß §§ 87, 90 SGG fristgemäß erhobene Klage ist zulässig und begründet.
Streitgegenstand des Verfahrens ist die Aufhebung und die Erstattungsforderung von Arbeitslosengeld sowie die Erstattungsforderung von Krankenversicherungs- und Pflegeversicherungsbeiträgen für die Zeit vom 17.09.2018 bis zum 14.10.2018 in Höhe von insgesamt 1.422,78 Euro. Der Kläger verfolgt sein Begehr zulässigerweise mit einer isolierten Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG). Mit seinem Widerspruch hat der Kläger sich implizit auch gegen den Erstattungsbescheid vom 31.10.2018 gewandt. Die beiden Bescheide vom 31.10.2018 sind aufgrund eines einheitlichen Lebenssachverhaltes ergangen.
Dem Kläger wurde mit Bescheid vom 11.09.2018 Arbeitslosengeld ab 01.09.2018 bis auf weiteres bewilligt. Mit Aufhebungsbescheid vom 15.10.2018 wurde die Bewilligung zum 15.10.2018 wegen der Aufnahme einer Beschäftigung aufgehoben.
Der anschließend ergangene Aufhebungsbescheid vom 31.10.2018 zum 17.09.2018 sowie der Erstattungsbescheid vom 31.10.2018 beide in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 11.12.2018 sind rechtwidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten.
Ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung ist mit Wirkung zum Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gem. § 48 Abs. 1 S. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) i.V.m. § 330 Abs. 3 S. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) soweit aufzuheben, wie der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebene Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist (Nr. 2), bzw. wie der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebene Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist (Nr. 4).
Der Kläger hatte auch in der Zeit vom 17.09.2018 bis zum 14.10.2018 einen Anspruch auf Arbeitslosengeld, da er arbeitslos war, sich bei der Beklagten arbeitslos gemeldet hat und die Anwartschaftszeit erfüllt hat. Vorliegend ist der Wegfall der Verfügbarkeit des Klägers strittig. Der Wegfall der Verfügbarkeit ist grundsätzlich eine wesentliche Änderung im Sinne des § 48 Abs. 1 SGB X. Ein Nachweis, dass die Verfügbarkeit des Klägers in dieser Zeit weggefallen ist, konnte die Beklagte auch nach Ausschöpfung aller dem Sozialgericht zur Verfügung stehenden Ermittlungsmöglichkeiten nicht erbringen. Im Rahmen der Beweislast war hier zugunsten des Klägers Verfügbarkeit anzunehmen. Daher trat in der Zeit vom 17.09.2018 bis zum 14.10.2018 keine wesentliche Änderung der Verhältnisse ein.
Der Kläger hatte trotz seiner Ortsabwesenheit für die Zeit vom 17.09.2018 bis zum 14.10.2018 weiterhin einen Anspruch auf Arbeitslosengeld zum Teil als Leistungsfortzahlung bei Arbeitsunfähigkeit (§ 146 SGB III).
Einen Anspruch auf Arbeitslosengeld hat nur, wer Vorschlägen der Agentur für Arbeit zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge leisten kann (§ 138 Abs. 5 Nr. 2 SGB III). Dies setzt voraus, dass sich der Arbeitslose an seinem Wohnsitz oder zumindest im Nahbereich der Agentur für Arbeit aufhält. Zum Nahbereich gehören alle Orte in der Umgebung der Agentur für Arbeit, von denen aus der Arbeitslose erforderlichenfalls in der Lage wäre, die Agentur für Arbeit täglich ohne unzumutbaren Aufwand zu erreichen (§ 2 S. 1 Nr. 3 und S. 2 Erreichbarkeits-Anordnung (EAO)). Erfüllt der Arbeitslose diese Voraussetzungen nicht, steht dies der Verfügbarkeit bis zu drei Wochen im Kalenderjahr nicht entgegen, wenn die Agentur für Arbeit vorher ihre Zustimmung erteilt hat. Die Zustimmung darf jeweils nur erteilt werden, wenn durch die Zeit der Abwesenheit die berufliche Eingliederung nicht beeinträchtigt wird (§ 3 Abs. 1 EAO). Hinsichtlich der Frage, ob eine Beeinträchtigung der beruflichen Eingliederung vorliegt, steht der Agentur für Arbeit ein Beurteilungsspielraum zu, der nur einer begrenzten gerichtlichen Kontrolle unterliegt (Hölzer in: Gagel, SGB II / SGB III § 138 SGB III Rn. 275). Die Agentur für Arbeit muss prüfen, ob in der Zeit der geplanten Abwesenheit konkrete Möglichkeiten für eine berufliche Eingliederung bestehen, z.B. offene Stellenangebote, auf die sich der Arbeitslose bewerben könnte, oder eine anstehende Weiterbildung, die während der geplanten Abwesenheit beginnt (Söhngen in: Eicher, SGB III, § 119 Rn. 149); berücksichtigen muss sie auch, wie wahrscheinlich eine Vermittlung gerade im Zeitraum der Abwesenheit ist (Gutzler in: NK-SGB III, 5. Aufl., § 138 Rn. 188) . Wird durch die Zeit der Abwesenheit die berufliche Eingliederung nicht beeinträchtigt, hat der Arbeitslose einen Anspruch auf Zustimmung zur Ortsabwesenheit; der Agentur für Arbeit steht dann kein Ermessen zu (Söhngen, a.a.O., Rn. 150; Gutzler, a.a.O.; Brand in: Brand, SGB III, 7. Aufl., § 138 Rn. 87; vgl. SG Karlsruhe, Urteil vom 07. November 2016 – S 5 AL 2978/16 -, Rn. 18, juris).
Der Kläger plante seine Ortsabwesenheit für die Zeit vom 17.09.2018 bis zum 01.10.2018; also für 15 Kalendertage. Er hat auch die originale Buchungsbestätigung für die gebuchten Flüge vom 08.10.2018 vorgelegt. Unstreitig hätte er für diese Zeit auch die Zustimmung der Beklagten erhalten, da ihm bei Antragstellung noch die ganzen 21 Tage Ortsabwesenheit für das Jahr 2018 zur Verfügung standen und seine Abwesenheit die berufliche Eingliederung nicht beeinträchtigt hätte. Er wäre bereits ab 15.10.2018 ohne den Unfall in ein neues Beschäftigungsverhältnis eingetreten und es war kein Termin bei der Beklagten für diesen Zeitraum geplant. Es hätte sich daher bei der Zustimmung nicht um eine Ermessensentscheidung sondern um eine gebundene Entscheidung gehandelt. Der Kläger beantragte auch vor der geplanten Ortsabwesenheit am 11.09.2018 die Zustimmung der Beklagten zur Ortsabwesenheit und erhielt eine Zustimmung. Strittig zwischen Kläger und Beklagten ist jedoch, für wie lange die Zustimmung beantragt und erteilt wurde. Auch nach der erfolgten Zeugenbefragung und der Befragung des Klägers, kann der genaue Inhalt des Gespräches am 11.09.2018 nicht mehr rekonstruiert werden. Lediglich der Aktenvermerk der Beklagten vom 11.09.2018, welcher durch die Zeugin nach dem Gespräch mit dem Kläger erstellt worden ist, liefert einen Anhaltspunkt. Dort wurde ein persönlicher Kontakt mit dem Kläger vermerkt, wonach dieser Ortsabwesenheit vom 20.09.2018 bis zum 01.10.2018 (12 KT) beantragt hat. Zudem wurde vermerkt, dass die Ortsabwesenheit genehmigt und im Lebenslauf eingetragen wurde. Zu beachten ist hier, dass gerade nicht der Zeitraum der genehmigten Ortsabwesenheit vermerkt wurde, sich inhaltlich jedoch in der Zusammenschau mit dem Antrag ergibt.
Grundsätzlich könnte in einem derartigen Fall der Anscheinsbeweis die Beklagte von weiteren Nachweispflichten entlasten.
Der Beweis des ersten Anscheins (primafacie-Beweis) ist auch im sozialgerichtlichen Verfahren anwendbar. Er besagt, dass bei typischen Geschehensabläufen, die immer gleich, fast mechanisch ablaufen, von einer festgestellten Ursache auf einen bestimmten Erfolg oder umgekehrt von einem festgestellten Erfolg auf eine bestimmte Ursache oder einen bestimmten Ursachenzusammenhang geschlossen werden kann. Der Beweis des ersten Anscheins ist eine Tatsachenvermutung, wonach gewisse typische Sachverhalte bestimmte Folgen auslösen oder umgekehrt bestimmte Folgen auf einen typischen Geschehensablauf hindeuten (vgl. Lüdtke/Berchtold, SGG § 128 Rn. 12).
Ein solcher Beweis des ersten Anscheins ergibt sich aus einem aus der Lebenserfahrung beruhenden Schluss, dass gewisse typische Sachverhalte regelmäßig bestimmte Folgen auslösen (LSG Berlin, Urteil vom 04.04.2003, L 10 AL 96/01 – juris (Rdnr.26); LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 29.04.2014, L 18 KN 120/12 – juris (Rdnr.27)). Zur Überzeugung des Gerichts wäre es die typische Folge einer erteilten Zustimmung zur Ortsabwesenheit eines Empfängers von Arbeitslosengeld, dass der Zustimmende diese durch einen entsprechenden Vermerk mit konkreten Anfangs- und Enddatum dokumentiert und insbesondere bei Zweifel oder Unklarheiten bezüglich Beginn, Dauer oder Ende nochmals beim Antragsteller nachfrägt. Die Zustimmung zur Ortsabwesenheit ist nämlich für die Aufrechterhaltung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld maßgeblich und damit rechtserheblich. Sie darf nur erteilt werden, wenn durch die Zeit der Abwesenheit die berufliche Eingliederung nicht beeinträchtigt wird. Sie setzt also in jedem Fall eine Prüfung der Vermittlungssituation des Arbeitslosen voraus und kann nicht „ohne Weiteres“ erfolgen (vgl. hierzu auch SG Dortmund, Urteil vom 18. August 2014 – S 35 AL 827/12 -, Rn. 59, juris).
Die Zeugin wurde bereits zeitnah im Verwaltungsverfahren von der Beklagten um Stellungnahme gebeten. Hier teilte sie mit, dass sie entsprechend dem mitgeteilten Zeitraum die Ortsabwesenheit vermerkt, genehmigt sowie im Lebenslauf eingetragen habe. Hätte der Kläger den 17.09.2018 als Beginn der Ortsabwesenheit genannt, hätte sie einen entsprechend längeren Zeitraum erfasst. Die Zeiträume in dem Vermerk bzw. im Lebenslauf würden übereinstimmen. Auch die Dauer der Ortsabwesenheit von 12 Tagen sei entsprechend richtig. Sie könne sich daher nicht vorstellen, dass von ihr ein fehlerhafter Zeitraum aufgenommen worden sei. Im Rahmen ihrer Vernehmung vor dem Sozialgericht gab die Zeugin an, dass sie grundsätzlich nochmal unter Nennung des Datums und des Wochentages beim Antragsteller zum Abgleich der Daten nachfragen würde, bevor sie den Zeitraum notiere. Zudem zähle sie die Kalendertage ab und nenne diese. Laut Zeugenaussage wurde dem Kläger mitgeteilt, dass die beantragte Ortsabwesenheit 12 Kalendertage umfasst. Damit spricht vieles für die Annahme, dass der Kläger tatsächlich nur für die Zeit vom 20.09.2018 bis zum 01.10.2018 die Zustimmung zur Ortsabwesenheit beantragt und die Beklagte auch nur für diesen Zeitraum die Zustimmung erteilt hat. Für die Annahme dieses Geschehensablaufes spricht zum einen, dass die Zeit vom 17.09.2018 bis zum 01.10.2018 15 Kalendertage umfassen würde und zum anderen, dass soweit die Zeugin tatsächlich auch in diesem Fall wie üblich beim Kläger den Zeitraum nachgefragt hat, spätestens dann das Missverständnis – soweit der Kläger tatsächlich einen anderen Zeitraum beantragt hat – hätte auffallen müssen. Die Aussage der Zeugin erscheint glaubhaft. Die Zeugin hat auf die Vorsitzende den Eindruck gemacht gewissenhaft zu arbeiten und machte Erinnerungslücken deutlich.
Die Zeugin konnte sich im Rahmen der Vernehmung naturgemäß nicht mehr genau an den Inhalt dieses einen Gespräches erinnern und verwies insofern darauf, dass sie jedem Kunden grundsätzlich nochmal zum Datumsabgleich den Beginn und das Ende der Ortsabwesenheit mit Nennung des Wochentages sowie die Anzahl der beantragten Kalendertage nennen würde. Der genaue Wortlaut der Zustimmung zur Ortsabwesenheit war der Zeugin nicht mehr erinnerlich. Er geht insofern auch nicht aus dem vorgelegten Aktenvermerk heraus. Die Zeugin führte aus, sie habe inhaltlich gesagt, dass der Zeitraum unter 21 Kalendertage liegen würde, keine Termine mit dem Arbeitsvermittler geplant seien und somit der Ortsabwesenheit zugestimmt werde. Zudem teilte sie mit, dass sie dem Kläger mitgeteilt habe, dass die beantragte Ortsabwesenheit 12 Kalendertage umfassen würde.
Für den Beweis des ersten Anscheins spricht auch, dass die Zeugin kein erkennbares Interesse daran hatte, ein anderes als das beantragte Datum zu vermerken. Wohingegen ein Bezieher von Arbeitslosengeld bei einer Antragstellung auf Zustimmung zur Ortsabwesenheit unter Umständen durchaus ein Interesse daran haben könnte, dass eine kürzere Ortsabwesenheit beantragt und vermerkt wird. Durch die Begrenzung der Ortsabwesenheit auf nur 21 Kalendertage im Jahr ist es denkbar, dass bei Beantragung einer Ortsabwesenheit damit kalkuliert wird, dass eine kurzfristige Einladung der Beklagten zu einem Gespräch kurz vor der genehmigten Ortsabwesenheit eher unwahrscheinlich ist und daher die Ortsabwesenheit wenige Tage später als tatsächlich geplant beantragt wird. Hierdurch könnten dann Tage für weitere Ortsabwesenheiten angespart werden.
Ein nachträgliches Vorbringen, man habe die Ortsabwesenheit mit einem früheren Beginn beantragt, kann bei einem Bekanntwerden der Ortsabwesenheit vor dem Beginn der beantragten Zustimmung aufgrund der aufgeführten Interessenslage daher üblicherweise nicht ausreichen, um den Anscheinsbeweis der schriftlichen Dokumentation der Beklagten zu erschüttern. Somit spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der Kläger ohne Zustimmung und auch ohne einen entsprechenden Antrag auf Ortsabwesenheit ab 17.09.2018 ortsabwesend und daher nicht mehr verfügbar gewesen ist.
Im konkreten Fall konnte der Kläger den Anscheinsbeweis jedoch ausnahmsweise erschüttern.
Der Anscheinsbeweis ist erschüttert, wenn konkrete Tatsachen festgestellt sind, nach denen ein vom typischen Geschehen abweichender Verlauf ernsthaft möglich ist (vgl. Lüdtke/Berchtold, Sozialgerichtsgesetz, SGG § 128 Rn. 12).
Im vorliegenden Fall erscheint es nicht ausgeschlossen, dass der Kläger tatsächlich die Zustimmung zur Ortsabwesenheit vom 17.09.2018 bis zum 01.10.2018 beantragt, die Zeugin das Datum falsch aufgenommen und es ausnahmsweise versäumt hat, nochmal das Datum mit dem Kläger abzugleichen. Da dem Kläger keine schriftliche Bestätigung über die beantragte Ortsabwesenheit ausgehändigt worden ist, wäre es dem Kläger dann nicht möglich gewesen, dieses Missverständnis zu erkennen. Soweit ihm dann die Ortsabwesenheit z.B. „wie beantragt“ oder „für die M.-Reise“ erteilt worden ist, wäre von einer Zustimmung für den Zeitraum 17.09.2028 bis zum 01.10.2018 auszugehen. Etwaige Ungenauigkeiten in der mündlich erteilten Zustimmung der Beklagten müssten zu ihren Lasten gehen. Eine teilweise Ablehnung der beantragten Zustimmung wurde gerade nicht vermerkt und wurde unstreitig auch nicht erklärt. An den genauen Wortlaut der Zustimmung kann sich weder die Zeugin noch der Kläger mehr erinnern. Auch wenn dem Kläger entsprechend der Aussage der Zeugin mitgeteilt worden ist, die beantragte Ortsabwesenheit betrage 12 Kalendertage, hätte dies den Kläger alleine nicht zu weiteren Nachfragen veranlassen müssen. Denn von diesem kann typischerweise nicht erwartet werden, dass er die genauen Kalendertage seiner Urlaubsabwesenheit selbst abzählt bzw. dass er weiß wie die Zählweise (mit oder ohne Wochenende, Feiertag, etc.) erfolgt. Die Lebensgefährtin des Klägers hatte die Reise vor seiner Antragstellung auf Zustimmung zur Ortsabwesenheit gebucht. Daher ist davon auszugehen, dass der Kläger den genauen Zeitraum bei der Antragstellung kannte. Es sind keine Gründe erkennbar, weshalb der Kläger die Zustimmung zur Ortsabwesenheit hätte drei Tage später beantragen sollen. Unstreitig hätte er auch für diesen Zeitraum die Zustimmung erhalten und hätte hierauf sogar einen ermessensgebundenen Anspruch gehabt (s.o.). Zudem liegt im Falle des Klägers eine weitere Besonderheit vor. Der Kläger hatte bereits den Arbeitsvertrag für seine neue Stelle zum 15.10.2018 unterzeichnet. Ihm standen zum Zeitpunkt der Antragstellung auf Zustimmung zur Ortsabwesenheit noch die vollen 21 Kalendertage zu. Selbst wenn man davon ausgeht, dass der Kläger zusätzlich plante für ein paar Tage nach der Rückkehr aus dem Urlaub sein Enkelkind zu besuchen, hätte er bei korrekter Angabe seiner Reisedaten noch 6 Kalendertage für den Zeitraum vom 02.10.2018 bis zum 14.10.2018 übriggehabt. Eine weitere Ortsanwesenheit hatte der Kläger bislang nicht bei der Beklagten beantragt.
Dem Kläger war nach Eindruck der Vorsitzenden auch bewusst, dass die Beantragung der Zustimmung zur Ortsabwesenheit wichtig ist. Er war bereits zuvor mehrmals im Leistungsbezug bei der Beklagten. Auch teilte er im Rahmen des Erörterungstermins mit, dass er als Küchenchef viel Kontakt mit der Beklagten hatte, weshalb er wusste, dass man während des Leistungsbezuges drei Wochen ortsabwesend sein kann.
Das Gericht hatte daher den Eindruck, dass der Kläger die Beantragung der Zustimmung zur Ortsabwesenheit durchaus ernst genommen hat. Grundsätzlich machte der Kläger auf das Gericht den Eindruck, dass er zuverlässig ist und sich um Behördenangelegenheiten kümmert. Hierfür spricht auch, dass er der Beklagten sogar mehrfach die geplante Arbeitsaufnahme am 15.10.2018 mitgeteilt hat. Die Aufklärung des Sachverhaltes wurde erschwert durch die aus dem Unfall resultierenden Erinnerungslücken und Verständnisschwierigkeiten des Klägers. Die Erinnerungslücken und Sprachschwierigkeiten des Klägers sind Folgen des Unfalles.
Allein der Umstand, dass die Beklagte etwas dokumentiert hat, führt nicht dazu, dass die Beweiskraft dieser Dokumentation nur mit einem anderen Beweismittel erschüttert werden kann. Der Kläger hatte bei der Beantragung der Zustimmung keine Kontrollmöglichkeit betreffend dem, was die Zeugin tatsächlich dokumentiert hat. Dem könnte die Beklagte einfach abhelfen, indem sie grundsätzlich eine schriftliche Bestätigung der genehmigten Zustimmung zur Ortswesenheit den jeweiligen Antragsteller aushändigt oder bei telefonischer Antragstellung zusendet. Für den Kläger wäre eine Beantragung der Ortsabwesenheit erst ab 20.09.2018 – soweit für das Gericht erkennbar – ausnahmslos nachteilig gewesen. Zweifellos hat im vorliegenden Fall entweder die Zeugin den Antrag des Klägers falsch aufgenommen, die Daten nicht nochmals abgeklärt und eine unspezifische Zustimmung erteilt oder der Kläger hat sich im Abflugsdatum geirrt und hat dies auch nach dem zwangsläufigen Erkennen seines Fehlers (spätestens am Abflugstag) nicht bei der Beklagten korrigiert. Vorliegend sind beide Möglichkeiten wenig wahrscheinlich aber denkbar. Der Kläger konnte deshalb den Beweis des ersten Anscheins erschüttern.
Somit liegt in diesem speziellen Fall eine nonliquet Situation vor, in welcher die Regeln der objektiven Beweislast Anwendung finden.
Die Grundsätze der objektiven Beweislast (Feststellungslast) greifen ein, wenn der Tatrichter keine Überzeugung von der Wahrheit oder Unwahrheit einer streitigen und entscheidungserheblichen Tatsachenbehauptung gewinnen kann („non liquet“), und sie bestimmen, zu wessen Lasten diese Unaufklärbarkeit geht (BSG, Urteil vom 24.11.2010 – B 11 AL 35/ 009 R – SGb 2011, 37). Die objektive Beweislast kennzeichnet hierbei das Risiko, wegen des fehlenden Nachweises einer rechtlich erheblichen Tatsache in einem Prozess zu unterliegen (vgl. BSG Urteil vom 26.11.1992 – 7 RAr 38/92 – BSGE 71, 256). Eine Entscheidung nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast ist allerdings erst zu treffen, wenn alle verfügbaren Erkenntnisquellen ausgeschöpft sind und sich das Gericht dennoch keine Überzeugung in der einen oder anderen Richtung bilden kann, d.h. wenn es nach eingehender Erforschung des Sachverhalts und sorgfältiger Würdigung der erhobenen Beweise nicht gelingt, eine in tatsächlicher Hinsicht bestehende Ungewissheit zu beseitigen (stRspr, vgl. zuletzt BSG, Urteil vom 08.09.2010 – B 11 AL 4/ 09 R – SGb 2010, 646f; vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 22. Juni 2017 – L 10 AL 260/15 -, Rn. 41, juris).
Die Unerweislichkeit einer Tatsache geht grundsätzlich zu Lasten des Beteiligten, der aus ihr eine ihm günstige Rechtsfolge herleiten will. Während denjenigen, der sich auf einen Anspruch beruft, die Beweislast für die rechtsbegründenden Tatsachen trifft, ist derjenige, der das geltend gemachte Recht bestreitet, für die rechtsvernichtenden, rechtshindernden oder rechtshemmenden Tatsachen beweispflichtig. Die Verteilung der Beweislast bestimmt sich nach der für den Rechtsstreit maßgeblichen materiellrechtlichen Norm (BSGE 6, 70, 72 f; BSGE 71, 256, 260 = SozR 3-4100 § 119 Nr. 7, S. 28, S. 32 mwN). Bezogen auf die hier streitentscheidende Norm des § 48 Abs. 1 SGB X bedeutet dies, dass die Beweis- bzw. Feststellungslast für das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse gegenüber denjenigen Verhältnissen, die den ursprünglichen begünstigenden Verwaltungsakt rechtfertigten, grundsätzlich die Behörde trägt (vgl. BSGE 95, 57, 64 = SozR 4-1300 § 48 Nr. 6; BSG SozR 4-1500 § 103 Nr. 5; BSG, Urteil vom 24.5.2006 – B 11a AL 49/05 R; Steinwedel in Kasseler Komm, SGB X, § 48 Rn. 22, Stand: Mai 2006; Schütze in v Wulffen, SGB X, 7. Aufl. 2010, § 48 Rn. 9), weil sie den Wegfall einer Anspruchsvoraussetzung geltend macht. (…) Eine Beweislastumkehr ist für bestimmte Fallgestaltungen anerkannt, in denen etwa der Gegner der beweisbelasteten Partei den Beweis vereitelt oder erschwert oder die Beweisführung unmöglich ist, weil die zu beweisenden Tatsachen sich im Bereich des Gegners abgespielt haben und dieser an der ihm möglichen Sachverhaltsaufklärung nicht oder nicht rechtzeitig mitgewirkt hat (vgl. insgesamt BSGE 95, 57, 64 = SozR 4-1300 § 48 Nr. 6; auch BSG SozR 4-1500 § 128 Nr. 5), also etwa in Konstellationen, in denen in der persönlichen Sphäre oder in der Verantwortungssphäre des Arbeitslosen wurzelnde Vorgänge nicht mehr aufklärbar sind, d.h. wenn eine besondere Beweisnähe des Betroffenen vorliegt. Die in arbeitsförderungsrechtlichen Angelegenheiten zuständigen Senate haben dies vor allem bei unterlassenen Angaben zu Vermögenswerten bei der Antragstellung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) angenommen (BSGE 96, 238, 245f = SozR 4-4220 § 6 Nr. 4; BSG, Urteil vom 24.5.2006 – B 11a AL 49/05 R; BSG, Urteile vom 13.9.2006 – B 11a AL 13/06 R – und – B 11a AL 19/06 R; BSG, Urteil vom 21.3.2007 – B 11a AL 21/06 R; BSG, Urteil vom 28.8.2007 – B 7/7a AL 10/06 R). Diese Erwägungen sind auf die vorliegende Fallgestaltung indessen nicht übertragbar (vgl. BSG, Urteil vom 08. September 2010 – B 11 AL 4/09 R -, Rn. 21 – 24, juris).
So sieht das Bundessozialgericht somit die Beweislast im Falle des § 48 Abs. 1 SGB X auch für negative Tatsachen bei der Beklagten. Vorliegend handelt es sich jedoch nicht um eine rein negative Tatsache, da die Beantragung und die Zustimmung zur Ortsabwesenheit unstreitig sind. Streitig ist nur der genaue Zeitraum. Auch liegt hier kein Fall der Beweislastumkehr vor, da der genau beantragte und genehmigte Zeitraum der Ortsabwesenheit die Verantwortungssphäre des Klägers wie die der Beklagten gleichermaßen berührt.
Somit obliegt der Beklagten die Beweislast. Sie hätte auch die Möglichkeit einen solchen Nachweis zu führen, indem sie den Antragstellern die Zustimmung zur Ortsabwesenheit Tag genau schriftlich bestätigt, um so etwaige Missverständnisse zu vermeiden.
Die Verfügbarkeit des Klägers ist nach den Regeln der objektiven Beweislast nicht aufgrund seiner Ortsabwesenheit ab 17.09.2018 weggefallen. Auch durch seinen Autounfall am 18.09.2018 ist die Verfügbarkeit gemäß § 146 SGB III nicht entfallen, sondern erst sechs Wochen später (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 25. Juli 1985 – 7 RAr 74/84 -, SozR 4100 § 105b Nr. 4).
Die Aufhebung und Rückforderung von Arbeitslosengeld nach § 48 Abs. 1 SGB X und § 50 SGB X erfolgte somit zu Unrecht, da nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast keine wesentliche Änderung der Verhältnisse im Zeitraum vom 17.09.2018 bis zum 14.10.2018 eingetreten ist. Die Bescheide der Beklagten vom 31.10.2018 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 11.12.2018 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten und sind deshalb aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.


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