Medizinrecht

Asyl, Herkunftsland: Senegal, Krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot (bejaht), Asthma bronchiale, chronic obstructive pulmonary disease (COPD), Erhebliche konkrete Gefahr, Behandelbarkeit im Senegal (bejaht), Finanzierbarkeit der Krankheitskosten im Senegal (verneint)

Aktenzeichen  M 10 K 17.34431

Datum:
24.6.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 16075
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

Gründe

1. Der Gerichtsbescheid vom 8. April 2020 gilt als nicht ergangen, § 84 Abs. 3 Alt. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), da der Antrag auf mündliche Verhandlung rechtzeitig gestellt worden ist (§ 78 Abs. 7 AsylG, § 84 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).
2. Da beide Parteien auf weitere mündliche Verhandlung verzichtet haben, ergeht eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren, § 101 Abs. 2 VwGO.
3. Soweit die Klage in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen worden ist, ist das Verfahren einzustellen (§ 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO).
4. Im Übrigen ist die Klage nach dem erkennbaren Rechtsschutzbegehren des Klägers (§§ 88, 86 Abs. 3 VwGO), das sich aus der Klagebegründung vom 8. März 2022 und dem zuletzt gestellten Antrag ergibt, im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts gerichtet auf die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Abschiebungsverbots unter entsprechender Teilaufhebung des streitgegenständlichen Bescheids vom 23. Februar 2017.
Die so verstandene Klage ist zulässig und begründet.
a) Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 HS. 2 AsylG) einen Anspruch auf die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Bescheid der Beklagten vom 23. Februar 2017 ist in Nummern 4 bis 7 rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Insoweit ist der Bescheid aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, das Vorliegen der Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen.
Die vorgetragene Erkrankung des Klägers an COPD auf dem Boden eines Asthma bronchiale rechtfertigt es nach den vorgelegten ärztlichen Attesten und Berichten, ein krankheitsbedingtes zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG anzunehmen.
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für den Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt gemäß § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden.
Nach § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Diese gesetzliche Vermutung kann der Ausländer durch Vorlage einer qualifizierten ärztlichen Bescheinigung betreffend seine Erkrankung widerlegen (§ 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG). Diese ärztliche Bescheinigung soll gemäß § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten.
aa) Im konkreten Fall erfüllen die klägerseits vorgelegten Berichte des Lungenfacharztes Dr. … vom 24. Februar und 15. März 2022, die auf einer aktuellen Begutachtung des Klägers am 21. Februar 2022 beruhen, sowie die Berichte des Dr. … vom 11. Januar 2021, 13. Dezember 2021, 1. Juli 2020 und 26. April 2019, die in der Stellungnahme vom 15. März 2022 (auch mittelbar) in Bezug genommen werden oder dieser Stellungnahme beigefügt sind, die Anforderungen an eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung nach § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG.
In diesen Berichten wird eine chronisch obstruktive Atemwegserkrankung auf dem Boden eines Asthma bronchiale mit entsprechenden ICD-Angaben diagnostiziert. Deswegen ist der Kläger bereits seit 28. Juli 2015 bei Dr. … in Behandlung. In der mündlichen Verhandlung hat die Klagepartei auch überzeugend erläutert, warum sich der Kläger seit Mai 2019 (bis 21.2.2022) nicht beim Lungenfacharzt vorgestellt hat: Der Kläger gehe regelmäßig zu seiner Hausärztin Dr. … und erhalte von dieser die notwendigen Medikamente verschrieben. Coronabedingt sei es zuletzt nicht einfach gewesen, zeitnah Termine beim Lungenfacharzt zu erhalten. Im Übrigen müsse sich der Kläger wegen seines ausländerrechtlichen Status zunächst einen Krankenschein beim Landratsamt holen, um dann zum Facharzt gehen zu können. Wenn es dem Kläger schlechter gehe, gehe er direkt in ein Krankenhaus. Dieser Sachvortrag erscheint nachvollziehbar. Er wird bestätigt durch die Angaben der Hausärztin Dr. … in ihrem Attest vom 22. November 2021. Danach komme der Kläger ca. 4-mal pro Quartal zu ihr in Behandlung. Es ist auch verständlich, dass der Kläger, nachdem die Diagnose klar ist und sich sein Gesundheitszustand unter der verschriebenen Medikation stabilisiert hat, den einfacheren Weg über seine Hausärztin wählt, um die Rezepte für seine Medikamente zu erhalten. Aus den Akten ergibt sich zudem, dass der Kläger bereits seit seiner Einreise im November 2012 regelmäßig wegen dieser Erkrankung ärztlich behandelt wurde. Nach eigenen Angaben litt er schon im Senegal unter dieser Krankheit.
Die lungenfachärztlich gestellten Diagnosen beruhen auf einer Anamnese, körperlichen Untersuchungen mit entsprechenden Tests, einem Röntgen-Thorax sowie auf Lungenfunktionsuntersuchungen, insbesondere einer Bodyplethysmographie (vgl. fachärztliche Berichte vom 26.4.2019 und 24.2.2022). Der Bericht vom 11. Januar 2021 nimmt auch zum Schweregrad der Erkrankung Stellung (GOLD III – schwer). Diese Einordnung wird ergänzt durch die Feststellung im Bericht vom 15. März 2022, nach der eine fortgeschrittene chronisch obstruktive Atemwegserkrankung auf dem Boden eines Asthma bronchiale mit schwergradiger Atemwegsobstruktion vorliegt. Insbesondere die Berichte vom 1. Juli 2020 und vom 15. März 2022 erläutern auch die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben. Bei Beendigung der verschriebenen Medikation sei mit einer weiteren Verschlechterung der respiratorischen Situation im Sinne gravierender oder lebensbedrohlicher Folgen zu rechnen. Es komme mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer lebensbedrohlichen Verschlechterung mit Atemnot, Abfall des im Blut gelösten Sauerstoffgehalts und schließlich Beatmungspflichtigkeit mit hohem Letalitätsrisiko.
bb) Angesichts dieser Diagnosen ist eine erhebliche, konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1, Satz 3 AufenthG anzunehmen.
(1) Eine erhebliche Gefahr in diesem Sinne liegt nur vor, wenn aufgrund zielstaatsbezogener Umstände eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität zu erwarten ist, namentlich, wenn sich der Gesundheitszustand des Ausländers wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtern würde (vgl. BVerwG, U.v. 25.11.1997 – 9 C 58/96 – juris Rn. 13; BVerwG, U.v. 29.7.1999 – 9 C 2/99 – juris Rn. 8; VGH Baden-Württemberg, U.v. 30.11.2006 – A 6 S 674/05 – juris Rn. 39). Die Gesetzesbegründung verweist insoweit auf „äußerst gravierende“, insbesondere lebensbedrohliche Erkrankungen (s. dazu die Gesetzesbegründung in BT-Drs. 18/7538 vom 16.2.2016, zu Artikel 2 – Änderung des Aufenthaltsgesetzes – Nr. 1, S. 18). Eine (erhöhte) „existentielle“ oder extreme Gefahr, die den betroffenen Ausländer im Falle seiner Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem Tod oder schwersten Verletzungen ausliefern würde, ist indes nicht erforderlich (vgl. BVerwG, U.v. 17.10.2006 – 1 C 18/05 – juris Rn. 15 ff.).
Eine solche erhebliche Gefahr ist in den vorgelegten ärztlichen Unterlagen in ausreichender Weise dargelegt. Nach den lungenfachärztlichen Berichten vom 1. Juli 2020 und vom 15. März 2022 ist bei Beendigung der verschriebenen Medikation mit einer weiteren Verschlechterung der respiratorischen Situation im Sinne gravierender oder lebensbedrohlicher Folgen zu rechnen. Es komme mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer lebensbedrohlichen Verschlechterung mit Atemnot, Abfall des im Blut gelösten Sauerstoffgehalts und schließlich Beatmungspflichtigkeit mit hohem Letalitätsrisiko. Diese Bewertung wird bestätigt durch die Einschätzung der Hausärztin Dr. … vom 22. November 2021, die für sich genommen zwar nicht als qualifizierte ärztliche Bescheinigung angesehen werden kann, da sie nicht von einer Fachärztin für die in Rede stehende Krankheit erstellt worden ist. Ihr kommt aber angesichts des Vorliegens von qualifizierten ärztlichen Bescheinigungen eines Lungenfacharztes ergänzende (indizielle) Bedeutung zu. Nach dieser Stellungnahme würde es bei einem Abbruch der Behandlung zu einer weiteren Verschlechterung der respiratorischen Insuffizienz kommen, die über Monate und Jahre zunehmen und zum Zusammenbruch der Atmung sowie schließlich zum Tod des Klägers führen würde. Hinzu kommt, dass es nach Angaben der Hausärztin beim Kläger trotz der Medikation immer wieder zu einem Status asthmaticus kommt, der notärztliche Einsätze und die Unterbringung auf der Intensivstation erforderlich macht. Ein Status asthmaticus ist die anhaltende schwere Symptomatik eines Asthmaanfalls über einen Zeitraum von 24 Stunden. Bei Asthma sonst übliche therapeutische Maßnahmen sind dabei nur bedingt effektiv. Hervorgerufen wird er durch einen starken Spasmus der Bronchien. Der Status asthmaticus ist ein lebensbedrohlicher Zustand, der intensivmedizinisch versorgt werden muss, vgl. hierzu die am 24.6.2022 im Internet abgerufenen Quellen:
https://flexikon.doccheck.com/de/Status_asthmaticus
https://www.gesundheit.gv.at/lexikon/S/status-asthmaticus-hk.html
https://de.wikipedia.org/wiki/Status_asthmaticus
Auch aus der Übersicht des Landratsamts … vom 14. Februar 2022 ergibt sich, dass der Kläger im Zeitraum vom 4. Juni bis 12. Juni 2019 wegen eines Status asthmaticus in stationärer Behandlung war. Weitere Klinikaufenthalte wegen seines Asthma bronchiale – ohne explizite Angabe eines Status asthmaticus – fanden in den Zeiträumen vom 4. September bis 11. September 2017, 15. Juli bis 24. Juli 2017, 15. November bis 21. November 2016, 22. Oktober bis 27. Oktober 2015 und 24. Juni bis 26. Juni 2013 statt.
(2) Im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts ist insbesondere unter Berücksichtigung der vorgelegten medizinischen Unterlagen sowie der in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Erkenntnisse auch davon auszugehen, dass diese erhebliche Gefahr hinreichend konkret im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1, Satz 3 AufenthG ist.
Konkret ist die durch eine Krankheit verursachte Gefahr, wenn die Verschlechterung des Gesundheitszustandes alsbald nach der Rückkehr in das Heimatland eintreten würde, weil eine adäquate Behandlung dort nicht möglich ist (vgl. hierzu: BVerwG, U.v. 29.7.1999, a.a.O.). Es ist dabei nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist, § 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG. Behandlungsmöglichkeiten sind dann unzureichend, wenn eine notwendige ärztliche Behandlung oder Medikation für die betreffende Krankheit in dem Herkunftsstaat wegen des geringeren Versorgungsstandards generell nicht verfügbar ist. Eine zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben besteht darüber hinaus aber auch dann, wenn die notwendige Behandlung oder Medikation zwar allgemein zur Verfügung steht, dem betroffenen Ausländer individuell jedoch aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht zugänglich ist (vgl. BVerwG, U.v. 29.10.2002 – 1 C 1/02 – juris Rn. 9; s. zum Ganzen auch: BVerwG, U.v. 17.10.2006, a.a.O., Rn. 20).
Unter Berücksichtigung dieser Maßgaben sowie aller Umstände des Einzelfalles ist vorliegend von einer konkreten Gefahr auszugehen.
Zwar ergibt sich dies nicht schon daraus, dass Asthma und COPD im Senegal nicht grundsätzlich behandelbar wären; auch stehen dort verschiedene Wirkstoffe zur Behandlung dieser Krankheiten zur Verfügung (vgl. hierzu ausführlich bereits im Gerichtsbescheid vom 8.4.2020, Rn. 34 ff.). In diesem Kontext erscheint es aufgrund der aktuell vorgelegten ärztlichen Unterlagen jedoch bereits fragwürdig, ob dem Kläger die im Fall eines Status asthmaticus notwendige intensivmedizinische Betreuung zeitnah zugänglich wäre, zumal es nach der Auskunft von MedCOI vom 5. Juli 2020 im Wesentlichen nur in Dakar Lungenspezialisten gibt.
Aber jedenfalls ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass der Kläger die Kosten der notwendigen Medikation sowie der häufiger erforderlich werdenden Krankenhausaufenthalte (siehe hierzu bereits oben) zusätzlich zu den regelmäßigen Kosten des Lebensunterhalts finanzieren kann.
Nach dem Bericht des Auswärtigen Amts im Hinblick auf die Einstufung der Republik Senegal als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29a AsylG vom 14. Februar 2020 (Stand: Dezember 2019, im Folgenden: Lagebericht, S. 16) ist im Senegal das Gesundheitssystem für viele unzureichend zugänglich. Patienten müssen ihre Medikamente, Operationen und Krankenhausaufenthalte selbst finanzieren. Dies verursacht vor allem Probleme bei chronischen Erkrankungen. Häufig muss in solchen Fällen die gesamte erweiterte Familie für die Behandlungskosten aufkommen. Das Angebot an meist aus Frankreich importierten Medikamenten ist umfassend. Obwohl wesentlich preiswerter als in Europa, sind die Medikamente für die große Bevölkerungsmehrheit kaum erschwinglich bzw. nicht über einen längeren Zeitraum finanzierbar.
Ausweislich der ärztlichen Unterlagen ist nur von einer eingeschränkten Erwerbsfähigkeit des Klägers auszugehen. Zwar hat der Kläger im Senegal nach eigenen Angaben drei Jahre lang auf einer Baustelle gearbeitet; allerdings war dies wohl vor seiner Erkrankung. Die Bewerbung als Bauarbeiter im Januar 2015 beruht nach Auffassung des Lungenfacharztes auf einer subjektiven Fehleinschätzung des Klägers (Stellungnahme vom 1.7.2020). Vielmehr ist nach dem Bericht des Lungenfacharztes vom 1. Juli 2020 von einer eingeschränkten Arbeitsfähigkeit auszugehen, solange kein Kontakt zu die Atemwege unspezifisch reizenden oder allergisierend wirkenden Substanzen besteht und es sich um leichte Tätigkeiten ohne größere körperliche Belastung handelt. Auch das Attest der Hausärztin vom 22. November 2021 nimmt eine sehr geringe Belastbarkeit des Klägers am Arbeitsplatz an. Nach dem Eindruck, den der Kläger in der mündlichen Verhandlung auf das Gericht gemacht hat, erscheint diese medizinische Einschätzung plausibel. Der Kläger wirkte in der mündlichen Verhandlung nicht so, als könnte er gar nicht arbeiten. Aber bereits im Ruhezustand während der mündlichen Verhandlung schien der Kläger körperlich belastet, da er schwer atmete, Probleme beim Luftholen hatte und sehr langsam sprach. Vor dem Hintergrund der medizinischen Einschätzung des Lungenfacharztes kann der Kläger daher auf der einen Seite nicht darauf verwiesen werden, sich im Senegal seinen Lebensunterhalt sowie die Kosten seiner medizinischen Behandlungen durch Gelegenheitsarbeiten (Tagelöhner o.ä.) zu verdienen, da derartige Tätigkeiten regelmäßig mit körperlichen Belastungen verbunden sind. Auf der anderen Seite dürften die vom Lungenfacharzt für möglich gehaltenen leichten Tätigkeiten, die die Atemwege nicht reizen (z.B. eine Bürotätigkeit), mit hoher Wahrscheinlichkeit für den Kläger kaum verfügbar sein, da er nach seinen Angaben in der Anhörung vom 19. Juni 2015 nie eine Schule besucht und daher weder lesen noch schreiben kann.
Angesichts dessen erscheint es nicht beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger zeitnah nach seiner Rückkehr in den Senegal eine Arbeit findet, mit der er (alleine) ausreichend verdient, um die (lebenslang anfallenden) Kosten seiner Medikamente zuzüglich der Krankenhausaufenthalte zu bestreiten. Zwar sind – wie im Gerichtsbescheid vom 8. April 2020 bereits aufgezeigt – die Medikamente im Senegal relativ günstig erhältlich. Es ist daher davon auszugehen, dass sich die monatlichen Kosten hierfür nicht – wie in Deutschland – auf rund 200 EUR belaufen, sondern darunter liegen. Dennoch dürfte es sich um einen für durchschnittliche senegalesische Einkommensverhältnisse nicht unerheblichen Betrag handeln. Hinzu kommen die teureren Krankenhausbehandlungen, die nach der Übersicht des Landratsamts … vom 14. Februar 2022 beim Kläger regelmäßig erforderlich werden. Überdies hat der Kläger in seiner Anhörung bereits angegeben, dass er im Senegal wegen seiner Erkrankung nicht zum Arzt gehen konnte, da dies zu teuer gewesen sei. Seine Eltern seien an Asthma gestorben.
Es ist auch nicht anzunehmen, dass der Kläger – wie nach dem Lagebericht bei chronischen Erkrankungen regelmäßig erforderlich – auf die finanzielle Unterstützung seiner Familie wird zurückgreifen können. Bereits in seiner Anhörung vom 19. Juni 2015 gab der Kläger an, lediglich noch einen älteren Bruder, sonst aber keine weiteren Verwandten im Senegal mehr zu haben. In der mündlichen Verhandlung führte er im Hinblick auf seinen Bruder aus, dass er seit etwa 8 Jahren keinen Kontakt mehr zu diesem habe. Daher wisse er auch nicht, was dieser derzeit beruflich mache. Damals habe der Bruder in der Landwirtschaft gearbeitet; der Verdienst hieraus habe jedoch nicht für ein ganzes Jahr gereicht. Zum Zeitpunkt des letzten Kontakts habe sein Bruder bereits eine Frau und ein Kind gehabt. Vor diesem Hintergrund ist es nicht wahrscheinlich, dass der Bruder, der selbst eine Familie zu versorgen hat, in der Lage sein wird, für die Krankheitskosten des Klägers in ausreichendem Umfang mit aufzukommen, selbst wenn man eine gewisse Erwerbstätigkeit des Klägers unterstellt.
Bei Betrachtung der gesamten Umstände des Einzelfalls ist daher anzunehmen, dass die Kosten der Medikation sowie der notwendigen Krankenhausaufenthalte für den Kläger nicht finanzierbar sind. Es ist auch nicht davon auszugehen, dass der Kläger im Senegal krankenversichert sein oder über die Sozialsysteme ausreichenden und zeitnahen Zugang zu einer medizinischen Versorgung haben wird. Nach der von der Beklagten vorgelegten Auskunft von MedCOI vom 18. August 2020 (S. 3 f.) sind zwar unter bestimmten Voraussetzungen Angestellte, Selbstständige, Rentner, Kinder unter 5 Jahren und vulnerable Personengruppen (z.B. sehr arme Personen – „the poorest social categories“) krankenversichert. Aber da der Kläger – wie aufgezeigt – im Senegal Schwierigkeiten haben dürfte, eine Erwerbstätigkeit zu finden, käme wohl allenfalls eine Versorgung über die Gruppe der Vulnerablen in Betracht. Im Hinblick auf diese Gruppe schränkt jedoch MedCOI selbst die kostenlose und zeitnahe Verfügbarkeit der medizinischen Versorgung ein, da aufgrund von Verspätungen der staatlichen Erstattung der Behandlungskosten an die Gesundheitseinrichtungen der Zugang zu kostenloser Versorgung faktisch beschränkt ist und doch Gebühren für die Behandlung verlangt werden.
b) Aufgrund des Anspruchs auf Feststellung eines Abschiebungsverbots ist Nummer 4 des Bescheids vom 23. Februar 2017 aufzuheben. Infolgedessen sind auch Nummern 5 bis 7 des Bescheids rechtswidrig.
5. Soweit die Klage zurückgenommen worden ist, beruht die Kostenentscheidung auf § 155 Abs. 2 VwGO. Im Übrigen folgt sie aus § 154 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83b AsylG nicht erhoben.


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