Medizinrecht

Aufwendungen für eine künstliche Befruchtung (ICSI)

Aktenzeichen  14 B 18.1583

Datum:
15.11.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
DÖV – 2020, 247
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BBG aF § 80 Abs. 2 u. 4
BBhV § 6, § 7 S. 2, S. 3, § 8 Abs. 4 S. 1, S. 3 Nr. 2 Hs. 1, § 12, § 43 Abs. 1
SGB V § 27a
VwGO § 67 Abs. 4 S. 4, § 113 Abs. 5 S. 1, § 139
GG Art. 80 Abs. 1
BhV § 6 Abs. 1 Nr. 13
GKG § 47, § 52 Abs. 3

 

Leitsatz

1. Die Beihilfefähigkeit einer künstlichen Befruchtung wird durch § 43 Abs. 1 BBhV wirksam beschränkt. Die doppelte Verweisung auf § 27a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) und die Richtlinien über künstliche Befruchtung des Gemeinsamen Bundesausschusses verstößt nicht gegen Verfassungsrecht. (Rn. 15 – 28)
2. Die Subsidiaritätsklausel des § 8 Abs. 4 BBhV führt zum Beihilfeausschluss bezüglich extrakorporaler Maßnahmen, wenn der gesetzlich pflichtversicherte Ehepartner seinen diesbezüglich bestehenden Sachleistungsanspruch gegenüber der gesetzlichen Krankenversicherung nicht geltend macht. (Rn. 31 – 33)

Verfahrensgang

M 17 K 17.1558 2018-01-25 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, falls nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Verpflichtungsklage des Klägers zu Recht als unbegründet abgewiesen, da dieser keinen Anspruch auf die beantragte Beihilfe für die im November 2016 durchgeführte künstliche Befruchtung mittels einer Intracytoplasmatischen Spermieninjektion (im Folgendem: ICSI) hat (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Maßgeblich für die Beurteilung beihilferechtlicher Streitigkeiten ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen, für die Beihilfen verlangt werden, soweit nicht eine später ergangene Regelung Rückwirkung für vergangene Zeiträume entfaltet (stRspr, vgl. z.B. BVerwG, U.v. 26.3.2015 – 5 C 9.14 – BVerwGE 151, 386 Rn. 8 m.w.N.). Anwendbar ist deshalb – ausgehend von der Maßgeblichkeit des Datums der Rechnungstellungen vom November 2016 (bzw. von Rezepten sowie der Kostenzusage vom Oktober 2016) – die Bundesbeihilfeverordnung in der Fassung des Gesetzes vom 17. Juli 2015 (BGBl I S. 1368) bzw. der Änderungsverordnung vom 25. Oktober 2016 (BGBl I S. 2403), wobei beide Fassungen hinsichtlich der hier maßgeblichen Vorschriften gleichlautend sind.
Die Beihilfefähigkeit der in Streit stehenden Aufwendungen für die im November 2016 durchgeführte künstliche Befruchtung ist nach § 43 Abs. 1 BBhV i.V.m. § 27a SGB V bzw. § 8 Abs. 4 Satz 1, Satz 3 Nr. 2 BBhV ausgeschlossen.
1. Nach § 43 Abs. 1 BBhV sind Aufwendungen für eine künstliche Befruchtung einschließlich der Arzneimittel, die im Zusammenhang damit verordnet werden, beihilfefähig, soweit deren Inhalt und Ausgestaltung den Grundsätzen nach § 27a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch entsprechen. Nach § 27a Abs. 1 SGB V umfassen die Leistungen der Krankenbehandlung auch medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft, wenn die dort im Einzelnen aufgeführten (medizinischen) Voraussetzungen vorliegen, wobei gemäß § 27a Abs. 4 SGB V der Gemeinsame Bundesausschuss in Richtlinien nach § 92 SGB V die medizinischen Einzelheiten zu Voraussetzungen, Art und Umfang der Maßnahmen nach Absatz 1 näher bestimmt. Gemäß § 27a Abs. 3 SGB V besteht Anspruch auf Sachleistungen nach Absatz 1 nur für Versicherte, die das 25. Lebensjahr vollendet haben, wobei der Anspruch nicht besteht für weibliche Versicherte, die das 40. und für männliche Versicherte, die das 50. Lebensjahr vollendet haben. Gemäß Satz 2 des Absatzes 3 ist vor Beginn der Behandlung der Krankenkasse ein Behandlungsplan zur Genehmigung vorzulegen. Gemäß Satz 3 dieses Absatzes übernimmt die Krankenkasse 50 vom 100 der mit dem Behandlungsplan genehmigten Kosten der Maßnahmen, die bei ihrem Versicherten durchgeführt werden.
§ 43 Abs. 1 BBhV verweist dabei entgegen der Auffassung des Klägerbevollmächtigten umfassend auf § 27a SGB V, also auch auf die Höhe der erstattungsfähigen Aufwendungen. Schon dem Wortlaut nach kann sich nämlich die Passage „soweit deren“ als Form des Plurals nicht nur auf die vorgenannte „künstliche Befruchtung“ sondern zusätzlich auch auf den Begriff der „Aufwendungen“ beziehen. Auch die Begründung des Verordnungsgebers zu § 43 Abs. 1 BBhV, die wie folgt lautet, spricht für eine solche Auslegung (§§ 133, 157 BGB analog): „Die Regelung bestimmt die Voraussetzung und den Umfang der Beihilfefähigkeit der Aufwendungen für Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft (künstliche Befruchtung). Im Hinblick auf die vergleichbare Interessenlage verweist die Vorschrift auf die entsprechenden Bestimmungen zur gesetzlichen Krankenversicherung. Dies führt unter anderem dazu, dass im Beihilferecht grundsätzlich die gleichen tatbestandlichen Voraussetzungen und Maßgaben wie für Versicherte in der gesetzlichen Krankenversicherung gelten“ (zitiert nach Schröder/Beckmann/Weber, Beihilfevorschriften des Bundes und der Länder, Stand Juli 2019, Teil III § 43 BBhV Rn. 2). Gleiches gilt bei Betrachtung der weiteren Historie. Nach der Vorgängerregelung des § 6 Abs. 1 Nr. 13 Satz 1 der Beihilfevorschriften des Bundes (BhV) in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. November 2001 (GMBl S. 918, zuletzt geändert durch Art. 1 der Änderungsverwaltungsvorschrift vom 30.1.2004, GMBl S. 379) waren aus Anlass einer Krankheit die Aufwendungen für eine künstliche Befruchtung einschließlich der im Zusammenhang damit verordneten Arzneimittel beihilfefähig, wobei Satz 2 der Vorschrift für die Voraussetzungen und den Umfang der Beihilfefähigkeit auf § 27a SGB V verwiesen und damit das Regelungsmodell aus dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung in das Beihilferecht insgesamt übernommen hatte (vgl. BVerwG, U.v. 24.2.2011 – 2 C 40.09 – NVwZ-RR 2011, 567 Rn. 8). Dafür, dass der spätere Verordnungsgeber hiervon abweichen und anders als in der gesetzlichen Krankenversicherung keine Beschränkung auf 50 vom 100 der notwendigen Behandlungskosten vornehmen wollte, ist nichts ersichtlich. Die Auslegung des § 43 Abs. 1 BBhV ergibt demnach, dass der Verordnungsgeber nicht nur auf die nach § 27a SGB V erforderlichen, insbesondere medizinischen Voraussetzungen – diese liegen hier unstreitig vor – und das in § 27a Abs. 3 Satz 3 SGB V geregelte Körperprinzip verweisen wollte, sondern auch auf die dort vorgenommene Beschränkung der Erstattungsfähigkeit von Aufwendungen auf 50 vom 100 der Kosten.
Durch den vollständigen Verweis auf § 27a SGB V enthält die Vorschrift ebenso wie die Vorgängerregelung eine Zuordnungsregelung, die die Gesamtkosten einer künstlichen Befruchtung – hier in Form der ICSI – auf den Beihilfeberechtigten und seinen Ehepartner aufteilt und dabei grundsätzlich danach differenziert, an wessen Körper der jeweilige Teil der Behandlung vorgenommen wird. Die Gesamtkosten einer Behandlung zur künstlichen Befruchtung sind danach regelmäßig auf zwei Personen und die für diese jeweils zuständigen „Kassen“ aufzuteilen (vgl. BVerwG, U.v. 24.2.2011 – 2 C 40.09 – NVwZ-RR 2011, 567 Rn. 8 zu § 6 Abs. 1 Nr. 13 BhV). Die Aufwendungen für extrakorporale Maßnahmen, das heißt für Maßnahmen, die nicht unmittelbar bei dem Versicherten selbst oder bei seinem Ehegatten durchzuführen sind, sind dabei beiden Ehegatten, somit auch dem Kläger als Beihilfeberechtigten zuzuordnen (vgl. BVerwG, U.v. 24.2.2011 a.a.O. Rn. 9 im Anschluss an BSG, U.v. 3.4.2001 – B 1 KR 22/00 R – BSGE 88, 51/57 und B.v. 18.9.2008 – B 3 KR 5/08 B – juris Rn. 17). Einer solchen Zuordnung steht der Verweis auf § 27a Abs. 3 Satz 3 SGB V nicht entgegen. Wollte man diese Vorschrift nämlich so auslegen, dass die jeweilige Krankenkasse nur für Untersuchungen oder Eingriffe unmittelbar am Körper ihres Versicherten aufzukommen habe, blieben bei den in der Praxis dominierenden Verfahren der extrakorporalen Befruchtung die wesentlichen Teile der Behandlung von der Leistungspflicht ausgenommen, weil sie sich keinem der Ehegatten zuordnen ließen; ein teilweiser Leistungsausschluss war aber mit der Regelung nicht beabsichtigt (vgl. BSG, U.v. 3.4.2001 a.a.O.).
2. Die Regelung des § 43 Abs. 1 BBhV mit seiner dynamischen Verweisung auf § 27a SGB V steht mit höherrangigem Recht im Einklang.
a) Die Vorschrift genügt den Anforderungen des Grundsatzes vom Vorbehalt des Gesetzes.
Der Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes, der sich aus dem rechtsstaatlichen und demokratischen Verfassungssystem des Grundgesetzes (Art. 20 Abs. 1 und 3 GG) ergibt, verlangt, dass staatliches Handeln in bestimmten grundlegenden normativen Bereichen durch förmliches Gesetz legitimiert wird. Der parlamentarische Gesetzgeber ist verpflichtet, alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen, und darf sie nicht anderen Normgebern oder dem Verwaltungsvollzug überlassen. Wann danach eine Regelung durch den parlamentarischen Gesetzgeber erforderlich ist, lässt sich nur mit Blick auf den jeweiligen Sachbereich und die Eigenart des betroffenen Regelungsgegenstandes beurteilen (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 26.3.2015 – 5 C 9.14 – BVerwGE 151, 386 Rn. 18 m.w.N.).
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gilt der Vorbehalt des Gesetzes auch für das Beihilferecht. Der parlamentarische Gesetzgeber hat in der Bandbreite seiner verfassungsrechtlichen Möglichkeiten das Leistungssystem zu bestimmen, das dem Beamten und seiner Familie Schutz im Falle von Krankheit und Pflegebedürftigkeit bietet. Ferner muss der parlamentarische Gesetzgeber die Verantwortung für wesentliche Einschränkungen des Beihilfestandards übernehmen. Ansonsten könnte die Exekutive das durch die Besoldungs- und Versorgungsgesetze festgelegte Alimentationsniveau durch Streichungen und Kürzungen von Beihilfeleistungen eigenmächtig absenken. Auch wenn das gegenwärtig praktizierte Mischsystem aus privat finanzierter Vorsorge und ergänzenden Beihilfen nicht zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums gehört und deshalb nicht durch Art. 33 Abs. 5 GG gewährleistet wird, ist jedenfalls die Entscheidung, unter welchen Voraussetzungen eine Unterstützung in Form von Beihilfen gänzlich zu versagen ist, grundsätzlicher Natur und daher vom parlamentarischen Gesetzgeber selbst zu treffen. Dagegen sind die Anforderungen des Gesetzesvorbehalts geringer, wenn es um die Konkretisierung von Beihilfebeschränkungen durch den Verordnungsgeber geht, die – wie die Begrenzung der Beihilfe für eine künstliche Befruchtung – bereits im bisherigen Beihilferecht angelegt waren. Gleiches gilt, wenn es sich – wie hier – nicht um einen vollständigen Beihilfeausschluss handelt (vgl. BVerwG, U.v. 26.3.2015 – 5 C 9.14 – BVerwGE 151, 386 Rn. 19).
Gemessen daran ist die durch § 43 Abs. 1 BBhV normierte Begrenzung der Beihilfefähigkeit einer künstlichen Befruchtung auf den Standard, der in der gesetzlichen Krankenversicherung gilt, mit dem Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes vereinbar. Die Verordnungsregelung beruht auf einer hinreichend bestimmten Ermächtigungsgrundlage (aa) und ist – gemessen an den vorgenannten Maßstäben – mit den spezifischen Anforderungen des Rechtsstaats- und Demokratieprinzips an dynamische Verweisungen auf Regelungen Dritter vereinbar (bb).
aa) Der Notwendigkeit einer von ihm zu verantwortenden Entscheidung kann der Gesetzgeber grundsätzlich auch dadurch Rechnung tragen, dass er die Verwaltung ermächtigt, die Beihilfebeschränkung durch Verordnung zu regeln. Hierfür ist erforderlich, dass das Gesetz eine gemessen an dem zu beachtenden Bestimmtheitsgebot des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG hinreichend konkrete Verordnungsermächtigung enthält, die die betreffende Leistungsbeschränkung inhaltlich deckt (vgl. BVerwG, U.v. 26.3.2015 – 5 C 9.14 – BVerwGE 151, 386 Rn. 21 m.w.N.).
Diesen Anforderungen genügt § 80 Abs. 4 BBG in der Fassung, die er durch das Gesetz zur Neuordnung und Modernisierung des Bundesdienstrechts (Dienstrechtsneuordnungsgesetz – DNeuG) vom 5. Februar 2009 (BGBl I S. 160) erlangt hat und auf dessen Grundlage § 43 Abs. 1 BBhV erlassen worden ist. Er ermächtigt die Verwaltung, durch Rechtsverordnung die Einzelheiten der Beihilfegewährung, insbesondere den völligen oder teilweisen Ausschluss von Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln in Anlehnung an das Fünfte Buch Sozialgesetzbuch zu regeln. Die Vorschrift erfasst auch die Aufwendungen für eine künstliche Befruchtung. Das Wort „insbesondere“ macht deutlich, dass die Arznei-, Heil- und Hilfsmittel nur als (wenn auch hervorgehobene und damit bedeutsame) Beispiele genannt werden, andere Aufwendungen aber nicht ausgenommen werden sollten, sondern unter die Ermächtigung zur Regelung der „Einzelheiten der Beihilfegewährung“ fallen. Dieses durch den Wortlaut ermittelte Auslegungsergebnis wird durch Sinn und Zweck des Gesetzes bzw. die Gesetzesmaterialien bestätigt. Mit der Änderung des § 80 Abs. 4 BBG durch das Dienstrechtsneuordnungsgesetz bezweckte der Gesetzgeber die wirkungsgleiche Übertragung von Änderungen im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung auf das Beihilferecht (BR-Drs. 720/07 S. 218 f.). § 27a SGB V regelte zum damaligen Zeitpunkt bereits die Kostenerstattung für die künstliche Befruchtung im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung, auf ihn war schon durch § 6 Abs. 1 Nr. 13 BhV verwiesen worden. Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber mit der Änderung des § 80 Abs. 4 BBG beabsichtigte, diese Regelung von der Übertragung des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung auf das Beihilferecht auszunehmen, bestehen nicht (vgl. hierzu auch BVerwG, U.v. 8.11.2012 – 5 C 4.12 – NVwZ-RR 2013, 192 Rn. 20 zu Festbeträgen von Arzneimitteln). Dies gilt insbesondere auch deshalb, weil § 80 Abs. 2 BBG ähnlich wie der Gesetzgeber des Fünften Buches Sozialgesetzbuch, der die künstliche Befruchtung als eigenständigen Versicherungsfall geschaffen hat (vgl. BVerfG, U.v. 28.2.2007 – 1 BvL 5/03 – BVerfGE 117, 316), zwischen beihilfefähigen Aufwendungen in Krankheits- und Pflegefällen (dort Nr. 1) und bei künstlicher Befruchtung (dort Nr. 3) differenziert und damit für diesen Bereich ersichtlich das bisherige Regelungsmodell, das vollständig das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung übernommen hatte, im Blick hatte. Dies schließt mit ein, dass eine Erstattung auch in Fällen erfolgen kann, bei denen die Kinderlosigkeit eines Paares medizinisch nicht erklärt werden (sog. idiopathische Sterilität) und deshalb ein „kranker“ Versicherter auch nicht gefunden werden kann (vgl. BVerfG, U.v. 28.2.2007 a.a.O.).
bb) Auch die dynamische Verweisung des § 43 Abs. 1 BBhV auf § 27a SGB V und die davon in Bezug genommenen, vom Gemeinsamen Bundesausschuss erlassenen Richtlinien über künstliche Befruchtung genügt im Grundsatz den spezifischen Anforderungen des Rechtsstaats- und Demokratieprinzips, die im Rahmen des Vorbehalts des Gesetzes an eine dynamische Verweisung auf Regelungen Dritter zu stellen sind. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass ein Normgeber unter engen Voraussetzungen nicht nur auf eigene, sondern auch auf Regelungen anderer Normgeber verweisen darf (BVerwG, U.v. 26.3.2015 – 5 C 9.14 – BVerwGE 151, 386 Rn. 25; U.v. 14.12.2017 – 5 C 17.16 – BVerwGE 161, 105 Rn. 37). Selbst die Verweisung auf Regelwerke, die von nichtstaatlichen Normungsgremien geschaffen wurden, ist nicht generell ausgeschlossen, solange für den Rechtsunterworfenen klar erkennbar ist, welche Vorschriften für ihn im Einzelnen gelten sollen (BVerwG, U.v. 27.6.2013 – 3 C 21.12 – BVerwGE 147, 100 Rn. 39). Dies darf hingegen nicht in einer Weise geschehen, die dazu führt, dass der Bürger schrankenlos einer Normsetzungsgewalt ausgeliefert ist, die ihm gegenüber weder staatlich noch mitgliedschaftlich legitimiert ist. Das widerspräche sowohl dem Rechtsstaatsprinzip, wonach Einschränkungen der Freiheit des Bürgers, soweit sie überhaupt zulässig sind, nur durch oder aufgrund staatlicher Gesetze erfolgen dürfen, als auch dem Demokratieprinzip, wonach die Ordnung eines nach dem Grundgesetz staatlicher Regelung offenstehenden Lebensbereichs auf eine Willensentschließung der vom Volk bestellten Gesetzgebungsorgane zurückgeführt werden muss. Nur soweit der Inhalt der von einem anderen Normgeber erlassenen Regelungen im Wesentlichen feststeht, genügt die verweisende Norm den Anforderungen, die sich aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaats- und dem Demokratieprinzip ergeben. Für die Beantwortung der Frage, ob diese einer dynamischen Verweisung von Verfassungs wegen gezogenen rechtlichen Grenzen eingehalten wurden, kommt es neben dem Sachbereich und der damit verbundenen Grundrechtsrelevanz wesentlich auf den Umfang der Verweisung an (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 27.6.2013 – 3 C 21.12 – BVerwGE 147, 100 Rn. 42 f. m.w.N.). Dynamische Verweisungen sind daher grundsätzlich zulässig, wenn der Verweisungsumfang „eng bemessen“ ist. Bei einer begrenzten Bandbreite der zur Überprüfung stehenden Verweisung kann davon ausgegangen werden, dass der verweisende Verordnungsgeber die in Bezug genommenen Regelungen im Blick behält, so dass er auf den vorgegebenen Rahmen sprengende oder von ihm nicht gewünschte Änderungen umgehend reagieren kann (BVerwG, U.v. 27.6.2013 a.a.O. Rn. 44; U.v. 26.3.2015 – 5 C 9.14 – BVerwGE 151, 386 Rn. 25).
Diesen Anforderungen wird die dynamische Verweisung in § 43 Abs. 1 BBhV gerecht. Sie verweist nur auf eine einzelne gesetzliche Bestimmung im Fünften Buch Sozialgesetzbuch einschließlich diesbezüglich erlassener Richtlinien und wird in ihrer Reichweite insbesondere durch § 7 BBhV begrenzt. Ähnliche Verweisungen hat das Bundesverwaltungsgericht im Landesbeihilferecht Berlin – Verweisung auf § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB V und die in der Arzneimittel-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses getroffenen Regelungen über Medizinprodukte – mit Blick auf die dortige, dem § 7 BBhV entsprechende Regelung (vgl. BVerwG, U.v. 26.3.2015 – 5 C 9.14 – BVerwGE 151, 386 Rn. 24 ff.) bzw. im Landesbeihilferecht Niedersachsen – Verweisung auf Festbeträge nach § 35 SGB V, die für Arzneimittel vom Deutschen Institut für medizinische Dokumentation und Information im Internet unter www.d…de veröffentlicht sind – mit Blick auf dortige einschränkende Regelungen (vgl. BVerwG, U.v. 14.12.2017 – 5 C 17.16 – BVerwGE 161, 105 Rn. 36 ff.) gebilligt.
b) Der teilweise Ausschluss der Erstattungsfähigkeit von Aufwendungen für eine künstliche Befruchtung gemäß § 43 Abs. 1 BBhV i.V.m. § 27a Abs. 3 Satz 3 SGB V verstößt auch nicht wegen des Fehlens einer eindeutigen abstrakt-generellen Härtefallregelung gegen den Fürsorgegrundsatz aus Art. 33 Abs. 5 GG. Denn § 7 BBhV, der in seinem Satz 3 § 43 Abs. 1 BBhV explizit erwähnt, enthält eine dem § 7 der Landesbeihilfeverordnung Berlin entsprechende Vorschrift mit Verweis auf den Fürsorgegrundsatz nach § 78 BBG, die, wie das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 26. März 2015 – 5 C 9.14 – (BVerwGE 151, 386 Rn. 33 ff.) zum gleichlautenden § 7 der Landesbeihilfeverordnung Berlin klargestellt hat, den diesbezüglichen Anforderungen genügt.
3. Nach der demnach wirksamen Verweisung in § 43 Abs. 1 BBhV auf das Regelungsmodell aus dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung (§ 27a SGB V) einschließlich des dort geltenden Körperprinzips (§ 27a Abs. 3 Satz 3 SGB V) ergibt sich für die Beihilfefähigkeit der vom Kläger geltend gemachten Aufwendungen für die künstliche Befruchtung Folgendes:
a) Die Rechnungen vom 16. November 2016 (297,31 €), vom 30. November 2016 (2.602,13 €) sowie die Rezepte laut Übersicht vom 24. November 2016 (1.935,16 €) betreffen Aufwendungen für Maßnahmen bzw. Arzneimittel, die ausschließlich am Körper der Ehefrau des Klägers durchgeführt wurden. Sie sind daher nach der in Bezug genommenen Zuordnungsregel des § 27a Abs. 3 Satz 3 SGB V allein der Ehefrau zuzurechnen und daher keine beihilfefähigen Aufwendungen des Klägers. Im Übrigen hat die Ehefrau des Klägers diesbezüglich bereits die ihr (bzw. dem Ehepaar) zustehenden Erstattungen von der gesetzlichen Krankenkasse erhalten.
b) Was die Rechnung vom 30. November 2016 (1.952,28 €) betrifft, entfallen die Beträge von vier Mal 3,15 € (insgesamt 12,60 €), die nur in Bezug auf Informationen/Rezepte für die Ehefrau des Klägers angefallen sind, nach der Zuordnungsregelung des § 27a Abs. 3 Satz 3 SGB V ausschließlich auf die Ehefrau des Klägers. Die restlichen 1.939,68 € beinhalten Aufwendungen für sogenannte extrakorporale Maßnahmen – und nicht, wie der Kläger meint, Aufwendungen für an seinem Körper durchgeführte Maßnahmen -, die nach der Rechtsprechung gemäß § 27a Abs. 3 Satz 3 SGB V beiden Ehegatten zugeordnet werden (siehe oben 1.). Daran ändert die Nr. 3 der Richtlinien über künstliche Befruchtung des Gemeinsamen Bundesausschusses schon deshalb nichts, weil diese Leistungsansprüche der Ehegatten gegenüber ihrer jeweiligen „Kasse“ – als Oberbegriff für alle Formen von Krankenkostenträgern – unberührt lässt (vgl. BSG, U.v. 3.4.2001 – B 1 KR 22/00 R – BSGE 88, 51). Für diese Aufwendungen hätte somit der Kläger auch nach der Zuordnungsregel des § 27a Abs. 3 Satz 3 SGB V grundsätzlich einen anteiligen Beihilfeanspruch, der jedoch wiederum durch § 8 Abs. 4 Satz 1, Satz 3 Nr. 2 Halbs. 1 BBhV ausgeschlossen ist.
Nach § 8 Abs. 4 Satz 1 sind nicht beihilfefähig erbrachte Sach- und Dienstleistungen nach § 2 Abs. 2 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch. Gemäß Satz 3 Nr. 2 Halbs. 1 dieses Absatzes gelten insbesondere bei Personen, denen – wie der pflichtversicherten Ehefrau des Klägers – ein Zuschuss oder Arbeitgeberanteil zum Krankenversicherungsbeitrag gewährt wird, als Sach- und Dienstleistungen auch Aufwendungen, die nur darauf beruhen, dass Versicherte die ihnen zustehende Sach- und Dienstleistung nicht in Anspruch genommen haben. Diese Vorschrift ist Ausdruck des das Beihilferecht prägenden Subsidiaritätsprinzips. Wer aufgrund anderweitiger Vorschriften einen Anspruch darauf hat, dass sein krankheitsbedingter Bedarf durch Sach- oder Dienstleistungen grundsätzlich vollständig gedeckt wird, soll wegen seines Verzichts auf diese Leistungen im System der Beihilfe nicht besser gestellt werden. Die Beihilfe ist gegenüber anderen Leistungen des Dienstherrn oder Arbeitgebers in Krankheits-, Pflege- und Geburtsfällen wie auch gegenüber sonstigen sozialen Leistungen nachrangig. Sie soll lediglich von solchen Aufwendungen u.a. in Krankheitsfällen in angemessenem Umfang freistellen, die den Beihilfeberechtigten unabwendbar treffen, weil er sie nicht durch sonstige Leistungen ausgleichen kann, die ihm nach Gesetz oder Arbeitsvertrag zustehen, und die nicht durch die Besoldung gedeckt sind. Nur in diesem Umfang besteht Anlass zu fürsorglichem Eingreifen des Dienstherrn (vgl. BVerfG, B.v. 13.2.2008 – 2 BvR 613/06 – BVerfGK 13, 278; BVerwG, U.v. 15.12.2005 – 2 C 35.04 – BVerwGE 125, 21 Rn. 17, jeweils zum weitgehend inhaltsgleichen früheren § 5 Abs. 4 Nr. 1 Satz 3 Buchst. b BhV).
Diese Regelung findet Anwendung, obwohl nicht der Kläger selbst, sondern seine (zwar grundsätzlich, aber hier nicht berücksichtigungsfähige) Ehefrau hinsichtlich der hier in Streit stehenden extrakorporalen Maßnahmen einen Sachleistungsanspruch (vgl. § 27a Abs. 3 Satz 1 SGB V) gegenüber der gesetzlichen Krankenversicherung hat. Eine Einschränkung dahingehend, dass nur Ansprüche des Beihilfeberechtigten selbst oder seiner im Einzelfall berücksichtigungsfähigen Angehörigen (vgl. § 4 BBhV) gegenüber ihrer gesetzlichen Krankenversicherung die Beihilfefähigkeit ausschließen sollen, findet sich im Wortlaut der Vorschrift nicht. Auch aus systematischen Gründen ist eine derartige Einschränkung nicht in diese Vorschrift hineinzulesen. Zwar wird es im Regelfall so sein, dass nur Sachleistungsansprüche des Beihilfeberechtigten selbst bzw. eines berücksichtigungsfähigen Angehörigen, soweit es um dessen Behandlung geht, einen Beihilfeausschluss nach dieser Vorschrift bewirken können. Vorliegend besteht jedoch die Besonderheit darin, dass bei der Herbeiführung einer Schwangerschaft durch künstliche Befruchtung beide Ehegatten als untrennbare Einheit miteinander verbunden sind und die Zuordnungsregelung des § 27a Abs. 3 Satz 3 SGB V, auf die verwiesen wird, die Gesamtkosten einer künstlichen Befruchtung auf beide Ehegatten, also den Beihilfeberechtigten und seinen Ehepartner, aufteilt. Dies führt dazu, dass grundsätzlich nur jeder Ehegatte Anspruch gegenüber seiner „Kasse“ auf ganz bestimmte Erstattungen hat, und zwar unabhängig vom jeweiligen Verursachungsbeitrag. Wenn aber – wie bei extrakorporalen Maßnahmen – beiden Ehegatten ein Anspruch zusteht, ist nicht ersichtlich, warum die Subsidiaritätsklausel des § 8 Abs. 4 BBhV nicht auch beide Ehegatten (als Einheit) betreffen sollte, diese also trotz des Verzichts auf – letztlich ihnen als Paar – zustehende Leistungen durch die Beihilfe besser gestellt werden sollten (ebenso VGH BW, U.v. 3.12.2013 – 2 S 544/13 – juris Rn. 18 ff. zum Landesbeihilferecht Baden-Württemberg, das auf das Verursacherprinzip abstellt; OVG Berlin-Bbg, U.v. 14.7.2009 – 4 B 3.08 – juris Rn. 38 ff. zum früheren § 5 Abs. 4 Nr. 1 Satz 3 Buchst. b BhV).
4. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die beantragte Beihilfe aus der Härtefallregelung des § 7 Satz 2 und 3 BBhV.
Danach kann zwar die Gewährung einer Beihilfe auch für nicht beihilfefähige, aber notwendige und der Höhe nach angemessene Aufwendungen im Einzelfall geboten sein, wenn deren wirtschaftliche Folgen die finanziellen Möglichkeiten des Beamten so erheblich übersteigen, dass der Wesenskern der Fürsorgepflicht verletzt ist. Dies ist der Fall, wenn die Nichterstattung der Aufwendungen zu Belastungen für den Beamten führt, die sich im Hinblick auf die Höhe seiner Alimentation für ihn als unzumutbar darstellen und insbesondere geeignet sind, den angemessenen Lebensunterhalt des Beamten und seiner Familie zu gefährden (BVerwG, U.v. 26.3.2015 -5 C 9.14 – BVerwGE 151, 386 Rn. 39 zu § 7 Satz 2 der Landesbeihilfeverordnung Berlin). Anhaltspunkte dafür, dass die Kosten für die streitgegenständlichen Rechnungen den Kläger finanziell übermäßig belasten könnten, liegen aber nicht vor. Hinzu kommt, dass der Kläger bzw. seine Ehefrau es von sich aus unterlassen haben, weitere Erstattungen (Rechnung vom 30.11.2016 über 1.952,28 €) über die gesetzliche Krankenversicherung der Ehefrau zu erlangen.
Kosten: § 154 Abs. 2 VwGO.
Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 167 Abs. 2 VwGO, § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
Zulassung der Revision: § 132 Abs. 2 VwGO.


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