Medizinrecht

Ausreiseeinrichtung

Aktenzeichen  B 6 S 20.7

Datum:
23.1.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 23974
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 61 Abs. 1e, 1f, § 84 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2,Nr. 2a
VwGO § 80 Abs. 5, § 166 Abs. 1
ZPO § 114 Abs. 1 S. 1
VwZVG Art. 21a S. 1

 

Leitsatz

Tenor

1. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt …, H., wird abgelehnt.
2. Der Antrag auf Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage wird abgelehnt.
3. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
4. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die … geborene Antragstellerin, aserbaidschanische Staatsangehörige, reiste am 16.05.2011 ohne Identitätspapiere in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte einen Asylantrag, den das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 26.04.2013 vollumfänglich ablehnte, verbunden mit der Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen, sowie einer Abschiebungsandrohung nach Aserbaidschan unter Bestimmung einer Frist von 30 Tagen für die freiwillige Ausreise. Die dagegen erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht Bayreuth mit Urteil vom 01.08.2013 ab. Den Antrag der Antragstellerin vom 27.01.2014 auf Abänderung des Bescheides vom 26.04.2013 bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 22.11.2016 ab. Die dagegen erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht Bayreuth mit Urteil vom 28.02.2017 ab. Den Antrag auf Zulassung der Berufung lehnte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 27.04.2017 ab.
Seit dem 24.04.2014 wird die Abschiebung der Antragstellerin fortlaufend ausgesetzt, weil sie wegen fehlender Heimreisedokumente unmöglich ist.
Seit dem 13.03.2012 befindet sich die Antragstellerin bei dem Facharzt für Nervenheilkunde (Neurologie und Psychiatrie) …, in Behandlung und legte im Laufe des Verfahrens Atteste vom 16.01.2014, 28.12.2015, 18.07.2016, 02.08.2018, 07.11.2019 und 12.12.2019 vor, wobei die Atteste vom 28.12.2015 / 18.07.2016 und vom 07.11.2019 / 12.12.2019 jeweils wortgleich sind. Auf den Inhalt der Atteste wird Bezug genommen (Bl. 121, 213, 226 der Ausländerakte I und Bl. 68, 58 und 116 der Ausländerakte II).
Die Antragstellerin zeigte zu keiner Zeit Bereitschaft, an der Identitätsklärung und Passbeschaffung mitzuwirken, und kam den zahlreichen Aufforderungen zur Vorsprache bei der Ausländerbehörde überwiegend, teils unter Geltendmachung gesundheitlicher Gründe und Vorlage von Attesten, teils unentschuldigt, nicht nach. Mit Schreiben vom 16.09.2019 hörte der Antragsgegner die Antragstellerin zur beabsichtigten Anordnung der Auflage, in der Ausreiseeinrichtung B* …Wohnung zu nehmen, sowie der räumlichen Beschränkung ihres Aufenthalts auf das Gebiet der Stadt B* … an.
Mit Bescheid vom 29.11.2019 wurden vom Antragsgegner
1. die Antragstellerin verpflichtet, ihren Wohnsitz in der Ausreiseeinrichtung Ob., …, zu nehmen,
2. unter Bestimmung einer Frist für die Erfüllung dieser Verpflichtung bis zum 18.12.2019, für den Fall der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einer Anfechtungsklage gegen Ziffer 1 bis zum Ablauf von drei Wochen nach Bestandskraft, der Vollzug durch unmittelbaren Zwang angedroht,
3. der Aufenthalt der Antragstellerin räumlich auf das Gebiet der Stadt B. beschränkt,
4. die sofortige Vollziehung der Ziffern 1 und 3 angeordnet.
Auf die Gründe des Bescheides wird Bezug genommen.
Mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 06.01.2020, beim Verwaltungsgericht Bayreuth eingegangen am 07.01.2020,
hat die Antragstellerin Klage erhoben und die Aufhebung des Bescheides vom 29.11.2019 beantragt.
Gleichzeitig hat sie (sinngemäß)
die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage sowie die Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt …
beantragt.
Zur Begründung wird geltend gemacht, der Bescheid sei rechtswidrig und verletze die Antragstellerin in ihren Rechten. Die Antragstellerin leide an einer erheblichen psychischen Erkrankung, was durch den Facharzt für Nervenheilkunde, Dr. … in den beigefügten Attesten hinreichend diagnostiziert worden sei:
– Nervenärztliches Attest vom 02.08.2018, in dem der behandelnde Arzt von einer schweren posttraumatischen Belastungsstörung ausgehe;
– nervenärztliches Attest vom 07.11.2019, in dem bestätigt werde, dass die Antragstellerin aufgrund ihrer schweren Erkrankung gerade nicht in einer Ausreiseeinrichtung leben könne, und darüber hinaus eine Reiseunfähigkeit diagnostiziert werde;
– nervenärztliches Attest vom 12.12.2019, in dem der behandelnde Arzt diese Diagnose erneut bestätigt habe.
Es erscheine angesichts der vorgelegten fachärztlichen Unterlagen anmaßend, wenn der Antragsgegner von einer behaupteten Erkrankung ausgehe. Es werde nicht davon ausgegangen, dass die Sachbearbeiter des Antragsgegners über das erforderliche Wissen verfügten, um die diagnostizierte Erkrankung der Antragstellerin in Frage zu stellen. Durch die Wohnsitznahme in der Ausreiseeinrichtung … wäre es der Antragstellerin verwehrt, weiterhin den sie seit Jahren behandelnden Arzt in … aufzusuchen, da der Antragsgegner auch die räumliche Beschränkung auf das Stadtgebiet … angeordnet habe. Durch den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes solle der Antragstellerin der weitere Verbleib in ihrer Wohnung bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache ermöglicht werden.
Dem hält der Antragsgegner mit Schriftsatz vom 09.01.2020 entgegen, es sei nicht ersichtlich, wie die behauptete psychische Erkrankung der Antragstellerin die Rechtswidrigkeit der Wohnsitzauflage und der räumlichen Beschränkung begründen könnte. Auch als Bewohnerin der Ausreiseeinrichtung in B. habe die Antragstellerin die Möglichkeit, entsprechende Fachärzte aufzusuchen. Einen Anspruch darauf, sich auch weiterhin von einem Arzt in … behandeln zu lassen, habe sie nicht. Die pauschale fachärztliche Behauptung im Attest vom 07.11.2019, die Antragstellerin dürfe wegen ihrer psychischen Erkrankung nicht in einer Ausreiseeinrichtung leben und sei wegen einer drohenden Verschlechterung dieser Erkrankung reiseunfähig, sei weitestgehend unsubstantiiert. Warum die Antragstellerin nur in einer eigenen Wohnung leben könne, erfahre man nicht, wie auch die Beantwortung der naheliegenden Frage unterbleibe, ob ein Umzug der Antragstellerin unter ärztlicher Begleitung möglich wäre. Das neue Attest vom 12.12.2019 vermöge an dieser Einschätzung nichts zu ändern, da es mit dem Attest vom 07.11.2019 wortlautidentisch sei. Ferner sei darauf hinzuweisen, dass die angebliche psychische Erkrankung die Passpflicht der Antragstellerin nicht aufhebe und eine krankheitsbedingte Unmöglichkeit der Passbeschaffung nicht geltend gemacht worden sei. Die Umverteilung in die Ausreiseeinrichtung … sowie die entsprechende räumliche Beschränkung dienten aber gerade dazu, die Bereitschaft vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer zur Mitwirkung bei der Beschaffung von Heimreisedokumenten zu fördern. Die Antragstellerin hätte die Umverteilung verhindern können, wenn sie sich zur Erfüllung ihrer Passpflicht und damit zur Beendigung ihres strafbaren Verhaltens entschlossen hätte. Angesichts ihres bisherigen Verhaltens sei fest damit zu rechnen, dass sie sich auch in Zukunft nicht um die Erfüllung ihrer Passpflicht bemühen werde, wenn sie weiterhin in ihrer Privatwohnung leben könne.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Ausländerakten Bezug genommen.
II.
1. Gemäß § 166 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unabhängig von den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen der Antragstellerin abzulehnen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den nachstehend dargelegten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Infolgedessen scheidet auch die Beiordnung eines Rechtsanwaltes gemäß § 166 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit § 121 Abs. 2 ZPO aus.
2. Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage gegen die Auflage, in der Ausreiseeinrichtung Oberfranken Wohnung zu nehmen (Ziffer 1 des Bescheides vom 29.11.2019) ist zulässig, aber unbegründet.
2.1 Der Antrag ist als Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO i.V.m. Ziffer 4 des Bescheides vom 29.11.2019 zulässig, insbesondere statthaft.
Gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG hat die Klage gegen „die Auflage nach § 61 Absatz 1e, in einer Ausreiseeinrichtung Wohnung zu nehmen“, keine aufschiebende Wirkung, sodass in diesem Fall ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG statthaft wäre.
Nach § 61 Abs. 1e AufenthG können aber nur Auflagen „zur Sicherung und Durchsetzung der vollziehbaren Ausreisepflicht angeordnet werden, wenn konkrete Maßnahmen der Aufenthaltsbeendigung unmittelbar bevorstehen“.
Ist diese Voraussetzung – wie vorliegend – nicht erfüllt, kommt als Ermächtigungsgrundlage für die Auflage, in einer Ausreiseeinrichtung Wohnung zu nehmen, § 61 Abs. 1f AufenthG in Betracht, wonach weitere Bedingungen und Auflagen angeordnet werden können.
Das ergibt sich aus folgenden Überlegungen:
Nachdem mit der Gesetzesänderung vom 15.08.2019 ab 21.08.2019 § 61 Abs. 1f AufenthG, der dem bisherigen § 61 Abs. 1e AufenthG entspricht, eingefügt wurde, ohne den Wortlaut des § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG entsprechend anzupassen, gleichzeitig aber auch § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2a AufenthG eingefügt wurde, wonach die Klage gegen „Auflagen zur Sicherung und Durchsetzung der vollziehbaren Ausreisepflicht nach § 61 Absatz 1e“ keine aufschiebende Wirkung hat, erschließt sich die eigenständige Bedeutung des § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG nicht mehr.
Den Gesetzesmaterialien ist hierzu nichts zu entnehmen. In der Gesetzesbegründung zur Einfügung des § 84 Abs. 1 Nr. 2a AufenthG heißt es nur, die Einfügung korrespondiere mit der in § 61 Abs. 1e AufenthG vorgesehenen Möglichkeit, Auflagen zur Sicherung und Durchsetzung der vollziehbaren Ausreisepflicht anzuordnen (BT-Drs. 19/10047 S. 19 und 48), ohne zu erläutern, warum daneben § 84 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG unverändert beibehalten wird. Die Gesetzesbegründung zur Einfügung des § 61 Abs. 1e AufenthG erwähnt neben allgemeinen Ausführungen, wann konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung unmittelbar bevorstehen, sowie zum Tatbestandsmerkmal „zur Sicherung und Durchsetzung der Ausreisepflicht“ nur den in Satz 2 normierten Unterfall der regelmäßigen Meldepflicht (BT-Drs. 19/10047 S. 15 und 40).
Es ist unverständlich, warum der Gesetzgeber nicht die Auflage, in einer Ausreiseeinrichtung Wohnung zu nehmen, als zweiten Unterfall im neuen § 61 Abs. 1e Satz 2 AufenthG normiert und den Wortlaut des § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG durch den Wortlaut des neuen § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2a AufenthG, der dann überflüssig wäre, ersetzt hat.
Ein Erklärungsversuch dahingehend, dass durch § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG der Anwendungsbereich des neuen § 61 Abs. 1e AufenthG in dem Sinne erweitert werden soll, dass für die Auflage, in einer Ausreiseeinrichtung Wohnung zu nehmen, dessen einschränkende Tatbestandsvoraussetzungen nicht vorliegen müssen mit der Folge, dass sich ein Rückgriff auf § 61 Abs. 1f AufenthG erübrigen würde, widerspräche jeglicher Gesetzessystematik.
Umgekehrt kann aus dem Umstand, dass auch nach der Gesetzesänderung die Auflage, in einer Ausreiseeinrichtung Wohnung zu nehmen, nur in § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG unter Bezugnahme auf § 61 Abs. 1e AufenthG, nicht hingegen auf § 61 Abs. 1f AufenthG ausdrücklich erwähnt ist, auch nicht gefolgert werden, dass diese Auflage nur unter den Voraussetzungen des § 61 Abs. 1e AufenthG in Betracht kommt und § 61 Abs. 1f AufenthG als diesbezügliche Ermächtigungsgrundlage ausscheidet.
Dies ergibt sich aus § 61 Abs. 2 AufenthG, der unverändert regelt, dass die Länder Ausreiseeinrichtungen für vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer schaffen können (Satz 1), in denen durch Betreuung und Beratung die Bereitschaft zur freiwilligen Ausreise gefördert und die Erreichbarkeit für Behörden und Gerichte sowie die Durchführung der Ausreise gesichert werden soll (Satz 2). Nach der diesbezüglichen Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 15/420, Seite 92) ermöglicht Absatz 2 den Ländern,
„Ausreiseeinrichtungen zu schaffen. Soweit sie hiervon Gebrauch machen, können sie vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer aufgrund der Ermächtigung in Absatz 1 verpflichten, darin zu wohnen. Ausreiseeinrichtungen dienen als offene Einrichtungen der Unterbringung von Personen, die keine oder unzutreffende Angaben zu ihrer Identität und Staatsangehörigkeit machen und/oder die Mitwirkung bei der Beschaffung von Heimreisedokumenten verweigern. Die Unterbringung in einer zentralen Gemeinschaftsunterkunft ermöglicht eine intensive auf eine Lebensperspektive außerhalb des Bundesgebiets gerichtete psycho-soziale Betreuung; sie stellt gegenüber der Abschiebungshaft ein milderes Mittel dar. Die intensive Betreuung trägt zur Förderung der Bereitschaft zur freiwilligen Ausreise oder zur notwendigen Mitwirkung bei der Beschaffung von Heimreisedokumenten bei. Darüber hinaus ist die gezielte Beratung über die bestehenden Programme zur Förderung der freiwilligen Rückkehr möglich. Den besonderen Bedürfnissen von Frauen, Kindern und Jugendlichen sowie Traumatisierten ist bei der räumlichen und personellen Ausstattung der Ausreiseeinrichtungen Rechnung zu tragen. Die Erreichbarkeit für Behörden und Gerichte wird vereinfacht, die Durchführung der Ausreise kann besser sichergestellt werden.“
Danach kommt die Auflage, in einer Ausreiseeinrichtung zu wohnen, gerade (auch) dann in Betracht, wenn die Voraussetzung des § 61 Abs. 1e Satz 1 AufenthG, dass konkrete Maßnahmen der Aufenthaltsbeendigung unmittelbar bevorstehen, noch nicht erfüllt ist, weil der Ausländer keine oder unzutreffende Angaben zu seiner Identität und Staatsangehörigkeit macht und/oder die Mitwirkung bei der Beschaffung von Heimreisedokumenten verweigert. Vor diesem Hintergrund muss die in der Gesetzesbegründung vorgesehene Verpflichtung, in einer geschaffenen Ausreiseeinrichtung zu wohnen, nach der Gesetzesänderung vom 15.08.2019 nicht nur auf den neuen § 61 Abs. 1e AufenthG, sondern auch auf § 61 Abs. 1f AufenthG gestützt werden können, um der mit der Schaffung von Ausreiseeinrichtungen verfolgten gesetzgeberischen Zielsetzung gerecht zu werden.
Da aber gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 2 und 2a AufenthG ausdrücklich nur die aufschiebende Wirkung von Klagen gegen Auflagen nach § 61 Abs. 1e AufenthG gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO entfällt, hat die Klage gegen eine auf § 61 Abs. 1f AufenthG gestützte Auflage, in einer Ausreiseeinrichtung Wohnung zu nehmen, gemäß § 80 Abs. 1 VwGO aufschiebende Wirkung. Dementsprechend hat der Antragsgegner gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehung der auf § 61 Abs. 1f AufenthG gestützten Auflage, in der Ausreiseeinrichtung Oberfranken Wohnung zu nehmen, angeordnet (Ziffer 4 des Bescheides vom 29.11.2019) mit der Folge, dass gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO ein Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung statthaft ist.
2.2 Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Auflage, in der Ausreiseeinrichtung Oberfranken Wohnung zu nehmen, ist unbegründet, weil die Anordnung der sofortigen Vollziehung dieser Auflage formell und materiell rechtmäßig ist.
2.2.1 Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist formell rechtmäßig, insbesondere genügt sie dem Begründungserfordernis des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO, wonach in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO das besondere (öffentliche, vgl. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO) Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen ist. Die entsprechende einzelfallbezogene Begründung findet sich unter II. 1. c) (Seite 5) des Bescheides vom 29.11.2019.
2.2.2 Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist auch materiell rechtmäßig, weil die gebotene Abwägung aller betroffenen öffentlichen und privaten Interessen zu dem Ergebnis führt, dass ein überwiegendes öffentliches Interesse daran besteht, dass die Antragstellerin die Auflage, in der Ausreiseeinrichtung Oberfranken Wohnung zu nehmen, sofort erfüllt.
Ein überwiegendes Interesse der Antragstellerin daran, bis zur Entscheidung über ihre Klage in ihrer Wohnung in … bleiben zu können, ergibt sich nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes lediglich gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht aus diesbezüglichen Erfolgsaussichten im Klageverfahren. Vielmehr ist mit der Aufhebung der Auflage, in der Ausreiseeinrichtung Oberfranken Wohnung zu nehmen, gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1, § 114 Satz 1 VwGO nicht ernsthaft zu rechnen, weil sie allen Anhaltspunkten nach rechtmäßig ist. Die Antragstellerin ist vollziehbar ausreisepflichtig und erfüllt damit die einzige, sich aus der Gesetzessystematik ergebende Tatbestandsvoraussetzung des § 61 Abs. 1f AufenthG. Die Ermessensausübung des Antragsgegners bewegt sich in den gesetzlichen Grenzen des Ermessens, insbesondere handelt es sich bei der Ausreiseeinrichtung Oberfranken um eine Ausreiseeinrichtung im Sinne des § 61 Abs. 2 AufenthG. Die Ermessenserwägungen knüpfen zutreffend und sachgerecht unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zum einen an die in § 61 Abs. 2 Satz 2 AufenthG normierte und in der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 15/420, Seite 92) näher erläuterte Zielsetzung der Schaffung von Ausreiseeinrichtungen nach § 61 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, zum anderen an die diesbezüglichen persönlichen Umstände der Antragstellerin (Aufenthaltsdauer nach Ablauf der Ausreisefrist, beharrliche Verweigerung der Mitwirkung an der Identitätsklärung und Passbeschaffung, Gesundheitszustand) an. Insoweit folgt das Gericht der umfassenden, sachgerechten und verhältnismäßigen Interessenabwägung unter II. 1. a) i.V.m. I. (Seiten 2 bis 5) der Gründe des Bescheides vom 29.11.2019 und sieht von einer weiteren Darstellung der Gründe ab.
Im Hinblick auf die Antragsbegründung wird ergänzend Folgendes ausgeführt:
Gewisse Vorbehalte des Antragsgegners gegenüber den Attesten des Facharztes für Nervenheilkunde (Neurologie und Psychiatrie) … sind nachvollziehbar, nachdem zweimal offensichtlich ein älteres Attest (vom 28.12.2015 bzw. vom 07.11.2019) einfach kopiert und mit einem neuen Datum versehen wurde (Atteste vom 18.07.2016 bzw. vom 12.12.2019). Letztendlich kommt es darauf aber nicht an, weil keines der im Verwaltungsverfahren bzw. im gerichtlichen Verfahren vorgelegten Atteste geeignet ist zu widerlegen, dass die Antragstellerin in die Ausreiseeinrichtung Oberfranken umziehen kann. Insoweit ist zunächst festzustellen, dass die Tatsache einer psychischen Erkrankung nicht zwingend und unter allen Umständen dem Wohnen in einer Ausreiseeinrichtung entgegensteht, zumal nach der Gesetzesbegründung den besonderen Bedürfnissen von Traumatisierten bei der räumlichen und personellen Ausstattung der Ausreiseeinrichtungen Rechnung zu tragen ist (BT-Drucks. 15/420, Seite 92). Es bedarf somit einer substantiierten und begründeten Darlegung, inwiefern das Wohnen in einer Ausreiseeinrichtung wegen diagnostizierter Erkrankungen nicht vertretbar ist, wobei an ein entsprechendes Attest dieselben Anforderungen zu stellen sein dürften wie an eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung gemäß § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG. Diesem Erfordernis wird keines der vorgelegten Atteste auch nur ansatzweise gerecht. Das Attest vom 16.01.2014 (Bl. 121 der Ausländerakte I) sowie die wortgleichen Atteste vom 28.12.2015 und 18.07.2016 (Bl. 213 und 226 der Ausländerakte I) haben nicht das Wohnen in einer Ausreiseeinrichtung, sondern die Folgen einer Abschiebung zum Gegenstand. Gleiches gilt für das Attest vom 02.08.2018 (Bl. 68 Ausländerakte II) mit der Feststellung einer schweren depressiven Störung im Rahmen einer posttraumatischen Belastungsstörung. Soweit darin ausgeführt wird, aus nervenärztlicher Sicht führe jeder Therapieabbruch zu einer massiven Verschlechterung des Zustandes und dadurch zu einer Gefährdung des Lebens und der Lebensqualität, ist ungeachtet der Tatsache, dass dieses Attest – wie auch die wortgleichen Atteste vom 07.11.2019 und vom 12.12.2019 – den Anforderungen des § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG nicht annähernd entspricht, darauf hinzuweisen, dass mit dem Umzug in die Ausreiseeinrichtung Oberfranken kein Therapieabbruch verbunden sein muss, weil es entsprechende Fachärzte auch in … gibt. In den wortgleichen Attesten vom 07.11.2019 und 12.12.2019 (Bl. 58 und 116 der Ausländerakte II) wird lediglich behauptet, wegen einer schweren depressiven Störung im Rahmen einer posttraumatischen Belastungsstörung dürfe die Antragstellerin nicht in einer Ausreiseeinrichtung, sondern könne nur in einer eigenen Wohnung leben und sei nicht reisefähig, da sonst eine Verschlechterung ihrer Erkrankung drohen könne. Begründet werden diese Behauptungen nicht.
Aus den ärztlichen Attesten ergibt sich auch in keiner Weise, dass es der Antragstellerin aus gesundheitlichen Gründen unmöglich wäre, an der Identitätsklärung und Passbeschaffung effektiv mitzuwirken. Vielmehr vermittelt das Verhalten der Antragstellerin den Eindruck, dass sie – gewissermaßen unter dem Deckmantel ihrer psychischen Erkrankung, in Wirklichkeit aber unabhängig davon – jegliche Mitwirkung zielgerichtet verweigert, um eine Abschiebung unter allen Umständen zu verhindern. Damit gehört sie zweifelsfrei zu dem Personenkreis, für den Ausreiseeinrichtungen nach § 61 Abs. 2 AufenthG geschaffen werden können, und die Beharrlichkeit, mit der sie an ihrer Verweigerungshaltung festhält, ist geeignet, das gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, Abs. 3 Satz 1 VwGO erforderliche besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Auflage, in der Ausreiseeinrichtung Oberfranken Wohnung zu nehmen, zu begründen.
3. Der gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO i.V.m. mit Ziffer 4 des Bescheides vom 29.11.2019 zulässige Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage gegen die räumliche Beschränkung des Aufenthalts der Antragstellerin auf das Gebiet der Stadt B* … (Ziffer 3 des Bescheides vom 29.11.2019) ist unbegründet, weil die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Aufenthaltsbeschränkung formell und materiell rechtmäßig ist.
3.1 Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist formell rechtmäßig, insbesondere genügt die Bezugnahme unter II.4. der Gründe des Bescheides vom 29.11.2019 auf die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung der Auflage, in der Ausreiseeinrichtung Wohnung zu nehmen, unter II. 1. c) dem Begründungserfordernis des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO, weil sich das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung in beiden Fällen aus der Zielsetzung ergibt, den Aufenthalt vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer zeitnah zu beenden.
3.2 Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist auch materiell rechtmäßig, weil die gebotene Abwägung aller betroffenen öffentlichen und privaten Interessen zu dem Ergebnis führt, dass ein überwiegendes öffentliches Interesses daran besteht, dass die Antragstellerin die räumliche Beschränkung ihres Aufenthalts auf das Gebiet der Stadt … sofort befolgt.
Ein überwiegendes Interesse der Antragstellerin daran, bis zur Entscheidung über ihre Klage das Gebiet der Stadt … ohne Erlaubnis verlassen zu dürfen, ergibt sich nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes lediglich gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht aus diesbezüglichen Erfolgsaussichten im Klageverfahren. Vielmehr ist mit der Aufhebung der zutreffend auf § 61 Abs. 1c Satz 2 AufenthG gestützten Anordnung der räumlichen Beschränkung gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1, § 114 Satz 1 VwGO nicht ernsthaft zu rechnen, weil sie allen Anhaltspunkten nach rechtmäßig ist. Insoweit folgt das Gericht den Ausführungen zu den Tatbestandsvoraussetzungen des § 61 Abs. 1c Satz 2  AufenthG und der umfassenden, sachgerechten und verhältnismäßigen Interessenabwägung im Rahmen der Ermessensausübung unter II. 3. der Gründe des Bescheides vom 29.11.2019 und sieht von einer weiteren Darstellung der Gründe ab.
Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die fachärztliche Behandlung der Antragstellerin grundsätzlich auch in … erfolgen kann. Sollte, wofür allerdings nach dem gegenwärtigen Kenntnisstand nichts spricht, die weitere Behandlung durch den Facharzt in … unabdingbar sein, könnte dies durch entsprechende Verlassenserlaubnisse ermöglicht werden.
Demgegenüber besteht ein besonderes öffentliches Interesse daran, dass die Antragstellerin die räumliche Aufenthaltsbeschränkung sofort befolgt, weil die – rechtmäßige – Anordnung der sofortigen Vollziehung der Auflage, in der Ausreiseeinrichtung Oberfranken Wohnung zu nehmen, ihren Zweck nicht effektiv erfüllen kann, wenn es der Antragstellerin vorläufig erlaubt ist, das Gebiet der Stadt … unkontrolliert zu verlassen.
4. Der gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO in Verbindung mit Art. 21a Sätze 1 und 2 VwZVG zulässige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage gegen die Androhung unmittelbaren Zwanges für den Fall der Nichterfüllung der Auflage, in der Ausreiseeinrichtung Wohnung zu nehmen (Ziffer 2 des Bescheides vom 29.11.2019) ist unbegründet. Das Interesse der Antragstellerin daran, bis zur Entscheidung im Klageverfahren von der Anwendung unmittelbaren Zwanges verschont zu bleiben, überwiegt nicht ausnahmsweise das kraft Gesetzes (Art. 21a Satz 1 VwZVG) im Regelfall bestehende öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Zwangsmittelandrohung, weil nach summarischer Prüfung die dagegen erhobene Anfechtungsklage mit überwiegender Wahrscheinlichkeit keinen Erfolg haben wird. Mit einer Aufhebung der Androhung unmittelbaren Zwanges ist gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht ernsthaft zu rechnen, weil sie aller Voraussicht nach rechtmäßig ist. Das Gericht folgt den zutreffenden Ausführungen unter II. 2. der Gründe des Bescheides vom 29.11.2019 und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Gründe ab.
5. Der Antrag wird daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO, wonach die Antragstellerin als unterliegender Teil die Kosten des Verfahrens trägt, abgelehnt. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 2 GKG (halber Auffangstreitwert).


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