Medizinrecht

Bedeutung eines anlagebedingten Leidens für die Anerkennung als Dienstunfall einer Soldatin

Aktenzeichen  M 21 K 18.1747

Datum:
17.9.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 35695
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
EinsatzWVG § 1 Nr. 1, § 7
SVG § 63c, § 81
BeamtVG § 31, § 31a
BBesG § 56 Abs. 1 S. 2

 

Leitsatz

1 Eine posttraumatische Belastungsstörung eines Soldaten ist nicht auf einen Einsatzunfall zurückzuführen, wenn die spezifischen Bedingungen an Bord des Einsatzgruppenversorgers eine Dauereinwirkung darstellten, und es damit gerade an dem für einen Einsatzunfall erforderlichen spezifischen Merkmal der Plötzlichkeit fehlte. (Rn. 21 – 24) (redaktioneller Leitsatz)
2 Es fehlt an dem erforderliche Ursachenzusammenhang zwischen dem schädigenden Ereignis und dem Körperschaden, wenn der Veranlagung des Soldaten keine derart untergeordnete Bedeutung für den Eintritt der Schadensfolge zukommt, dass die schädigenden Ereignisse bei natürlicher Betrachtungsweise allein als maßgeblich und richtungsweisend anzusehen sind. (Rn. 26 – 28) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Mit Einverständnis der Beteiligten kann die Kammer ohne mündliche Verhandlung über die Klage entscheiden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Weiterverwendung als Berufssoldatin gemäß § 7 Abs. 1 Satz EinsatzWVG. Der diesen Anspruch ablehnende Bescheid des Bundesamtes für das Personalmanagement der Bundeswehr vom 2. Januar 2018 in der Gestalt des Beschwerdebescheids vom 21. März 2018 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 EinsatzWVG sind Einsatzgeschädigte nach § 1 Nummer 1, deren Erwerbsfähigkeit infolge des Einsatzunfalls am Ende der Schutzzeit um mindestens 30 Prozent gemindert ist, ungeachtet der in § 39 des Soldatengesetzes genannten Voraussetzungen auf schriftlichen oder elektronischen Antrag in das Dienstverhältnis einer Berufssoldatin oder eines Berufssoldaten zu berufen, sofern sie sich in einer an das Ende der Schutzzeit anschließenden Probezeit von sechs Monaten bewährt haben.
Nach § 1 Nr. 1 EinsatzWVG sind Einsatzgeschädigte im Sinne dieses Gesetzes u.a. Soldatinnen und Soldaten, die eine nicht nur geringfügige gesundheitliche Schädigung durch einen Einsatzunfall im Sinne von § 63c SVG oder § 31a BeamtVG erlitten haben.
Gemäß § 63 c Abs. 1 Satz 1 und 2 SVG ist eine besondere Auslandsverwendung eine Verwendung auf Grund eines Übereinkommens oder einer Vereinbarung mit einer über- oder zwischenstaatlichen Einrichtung oder mit einem auswärtigen Staat auf Beschluss der Bundesregierung im Ausland oder außerhalb des deutschen Hoheitsgebietes auf Schiffen oder in Luftfahrzeugen. Dem steht eine sonstige Verwendung im Ausland oder außerhalb des deutschen Hoheitsgebietes auf Schiffen oder in Luftfahrzeugen mit vergleichbar gesteigerter Gefährdungslage gleich. Erleidet ein Soldat während einer Verwendung im Sinne von Absatz 1 in Ausübung oder infolge eines militärischen Dienstes eine gesundheitliche Schädigung auf Grund eines Unfalls oder einer Erkrankung im Sinne von § 27, liegt ein Einsatzunfall vor. Satz 1 gilt auch, wenn eine Erkrankung oder ihre Folgen oder ein Unfall auf gesundheitsschädigende oder sonst vom Inland wesentlich abweichende Verhältnisse bei einer Verwendung im Sinne des Absatzes 1 zurückzuführen sind oder wenn eine gesundheitliche Schädigung bei dienstlicher Verwendung im Ausland auf einen Unfall oder eine Erkrankung im Zusammenhang mit einer Verschleppung oder einer Gefangenschaft zurückzuführen ist oder darauf beruht, dass der Soldat aus sonstigen mit dem Dienst zusammenhängenden Gründen dem Einflussbereich des Dienstherrn entzogen ist.
Bei der Klägerin liegt nach der versorgungsmedizinischgutachtlichen Stellungnahme vom … November 2016 zwar eine posttraumatische Belastungsstörung vor. Diese gesundheitliche Schädigung ist aber nach Überzeugung der Kammer nicht auf einen Einsatzunfall zurückzuführen.
Hinsichtlich des Einsatzunfallbegriffs kann dabei auf den Dienstunfallbegriff der beamtenrechtlichen Vorschrift des § 31 BeamtVG zurückgegriffen werden, da es sich bei § 63c SVG um eine Parallelvorschrift zu § 31a BeamtVG handelt (vgl. Plog/Wiedow, BBG, § 63c SVG, Rn. 1). Somit kommen trotz der Erfordernisse der Plötzlichkeit und der äußerlichen Einwirkung auch psychische Reaktionen auf äußere Vorgänge in Betracht (Plog/Wiedow, BBG, § 31a BeamtVG, Rn. 29). Aus dem Umstand, dass für die Feststellung eines Dienstunfalls ein mehrfacher Zurechnungszusammenhang bestehen muss, nämlich zwischen dem Dienst, dem Ereignis und dem Körperschaden (Plog/Wiedow, BBG, § 31a BeamtVG, Rn. 75), hat das Bundesverwaltungsgericht allerdings gefolgert, dass psychische Erkrankungen nicht auf einem plötzlichen, örtlich und zeitlich bestimmbaren Ereignis im Sinne des § 31 BeamtVG beruhen (BVerwG, B.v. 19.2.2007 – 2 B 19.07 – Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 49). Gleichwohl kann im Ausnahmefall, wenn die Krankheitsursache den Anforderungen des § 31 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG entspricht, auch eine Erkrankung – und damit auch eine Posttraumatische Belastungsstörung – Dienstunfallfolge sein (zu alldem: vgl. VG München, U.v. 20.1.2015 – M 21 K 12.6068 – juris).
Durch das Begriffsmerkmal „plötzlich“ werden Einzelgeschehen gegenüber dauernden Einwirkungen abgegrenzt. Es kommen nur einmalige, kurzfristige Begebenheiten in Betracht, die sich allerdings häufen können. Maßgebend ist, dass das Ereignis unvermittelt eintritt und auf einen verhältnismäßig kurzen Zeitraum beschränkt ist (Plog/Wiedow, BBG, § 31a BeamtVG, Rn. 29).
Vorliegend fehlt es bei dem schädigenden Ereignis an dem Merkmal der „Plötzlichkeit“. Die Kammer stützt sich dabei auf die versorgungsmedizinischgutachtliche Stellungnahme von Dr. S. vom … November 2016, in der der Gutachter nachvollziehbar ausführt, dass bei der Klägerin eine posttraumatische Belastungsstörung vorliegt. Die Stellungnahme wird dabei ihrerseits plausibel auf Fremdbefunde gestützt. Die gesundheitliche Schädigung wurde bei der Klägerin ausweislich des Gutachtens durch die Erlebnisse an Bord des Einsatzgruppenversorgers … im Zeitraum … Februar 2011 bis … März 2011 verursacht und durch die das freie Leben einschränkenden spezifischen Bordbedingungen eines Kriegsschiffes im Einsatz sowie durch ein als drohender Luftangriff wahrgenommenes Alarmereignis verursacht. Insbesondere die spezifischen Bordbedingungen stellen keine kurzfristige Begebenheit dar, sondern eine Dauereinwirkung. Insoweit fehlt es gerade an dem spezifischen Merkmal der Kurzfristigkeit.
Darüber hinaus ist auch der erforderliche Ursachenzusammenhang zwischen dem schädigenden Ereignis und dem Körperschaden nicht gegeben.
Nach ständiger Rechtsprechung sind ursächlich im Sinne des Dienstunfallrechts nur solche Bedingungen im naturwissenschaftlichphilosophischen (natürlichlogischen) Sinn, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg nach natürlicher Betrachtungsweise an dessen Eintritt mitgewirkt haben. Keine Ursache im Rechtssinn sind so genannte Gelegenheitsursachen, d.h. Ursachen, bei denen zwischen dem eingetretenen Schaden und dem Dienst eine rein zufällige Beziehung besteht, wenn also etwa die krankhafte Veranlagung oder das anlagebedingte Leiden so leicht ansprechbar waren, dass es zur Auslösung akuter Erscheinungen keiner besonderen, in ihrer Eigenart unersetzlichen Einwirkungen bedurfte, sondern auch ein anderes, alltäglich vorkommendes Ereignis zum selben Erfolg geführt hätte (BVerwG, B.v. 8.3.2004 – 2 B 54.03 – Buchholz 239.1 § 31 BeamtVG Nr. 13; U.v. 15.9.1994 – 2 C 24.92 – DokBer B 1995, 43; U.v. 18.4.2002 – 2 C 22.01 – DokBer B 2002, 228). Der im Dienstunfallrecht maßgebende Ursachenbegriff soll zu einer dem Schutzbereich der Dienstunfallfürsorge entsprechenden sachgerechten Risikoverteilung führen. Der Dienstherr soll nur die spezifischen Gefahren der Beamtentätigkeit tragen und mit den auf sie zurückzuführenden Unfallursachen belastet werden. Dem Beamten sollen dagegen diejenigen Risiken verbleiben, die sich aus anderen als dienstlichen Gründen, insbesondere aus persönlichen Anlagen, Gesundheitsschäden und Abnutzungserscheinungen ergeben (BVerwG, B.v. 8.3.2004 – a.a.O.; B.v. 20.5.1958 – 6 C 360.56 – BVerwGE 7, 48). Wesentliche Ursache im Dienstunfallrecht der Beamten kann auch ein äußeres Ereignis sein, das ein anlagebedingtes Leiden auslöst oder (und) beschleunigt, wenn diesem Ereignis nicht im Verhältnis zu anderen Bedingungen – zu denen auch die bei Eintritt des äußeren Ereignisses schon vorhandene krankhafte Veranlagung bzw. das anlagebedingte Leiden in dem bei Eintritt des Ereignisses bestehenden Stadium gehören – eine derart untergeordnete Bedeutung für den Eintritt der Schadensfolge zukommt, dass diese anderen Bedingungen bei natürlicher Betrachtungsweise allein als maßgeblich und richtungweisend anzusehen sind (BVerwG, B.v. 20.2.1998 – 2 B 81.97 – Schütz BeamtR ES/C II 3.4 Nr. 7). Eine solche untergeordnete Bedeutung wird jedenfalls auch immer dann anzunehmen sein, wenn das Ereignis „der letzte Tropfen“ war, „der das Maß zum Überlaufen brachte bei einer Krankheit, die ohnehin ausgebrochen wäre, wenn ihre Zeit gekommen war“ (BVerwG, B.v. 29.12.1999 – 2 B 100.99 – juris). Dabei kommt es hinsichtlich der Kausalität nach § 31 Abs. 1 BeamtVG nicht darauf an, ob es sich bei dem konkret schadensstiftenden Ereignis um eine „außergewöhnliche“ oder um eine „alltägliche“ Verrichtung gehandelt hat (BVerwG, B.v. 29.12.1999 – a.a.O.). Erleidet ein bereits Vorerkrankter durch ein äußeres Ereignis – wie hier durch einen Unfall – eine zusätzliche gesundheitliche Schädigung in der Art der Vorerkrankung, so kommt dem äußeren Ereignis nur dann ursächliche Wirkung zu, wenn es bei natürlicher Betrachtungsweise entweder überragend zum Erfolg (Körperschaden) hingewirkt hat oder zumindest annähernd die gleiche Bedeutung für den Eintritt des Schadens hatte wie die anderen Umstände insgesamt (st. Rspr., z.B. BVerwG, B.v. 7.5.1999 – 2 B 117.98 – juris). Diese Grundsätze gelten auch für Soldatenverhältnisse bei der Anwendung der Parallelvorschrift des § 63c SVG.
Der Soldat trägt die materielle Beweislast für den erforderlichen Zusammenhang zwischen seinem Schaden und dem Dienstunfall. Ihm obliegt somit der Beweis, dass sein Körperschaden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf dem Dienstunfall beruht. Der Nachweis einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit reicht dafür nicht aus (vgl. zu der materiellen Beweislast eines Beamten: BVerwG, B.v. 8.10.1980 – 6 B 52.80 – Buchholz 232.5 § 35 BeamtVG Nr. 2; BayVGH, U.v. 13.1.1981 – 3 B 80 A.1360 – BayVBl 1981, 304).
Im vorliegenden Fall hat die Klägerin den ihr obliegenden Vollbeweis, dass ihre Erwerbsfähigkeit infolge des Einsatzunfalles am Ende der Schutzzeit um mindestens 30 Prozent gemindert ist, mangels Feststellung des erforderlichen Ursachenzusammenhangs zwischen der gesundheitlichen Schädigung und dem Ereignis nicht erbracht. Das Gericht folgt auch insoweit der versorgungsmedizinischgutachtlichen Stellungnahme von Dr. S. vom … November 2016. Darin kommt der Gutachter nachvollziehbar zu dem Ergebnis, dass bei der Klägerin eine schon vorhandene krankhafte Veranlagung einen wesentlichen Mitwirkungsfaktor für die gesundheitliche Schädigung dargestellt hat. Zwar geht er in seinem Gutachten davon aus, dass dieser Faktor als keine wesentliche Bedingung im versorgungsrechtlichen Sinne anzusehen ist. Dies gilt jedoch nicht für den Ursachenzusammenhang zwischen der gesundheitlichen Schädigung und dem auslösenden Ereignis, da der Veranlagung der Klägerin keine derart untergeordnete Bedeutung für den Eintritt der Schadensfolge zukommt, dass die schädigenden Ereignisse bei natürlicher Betrachtungsweise allein als maßgeblich und richtungweisend anzusehen sind (vgl. BVerwG, B.v. 20.2.1998 -a.a.O.). Dr. S. ist nämlich in seinem Gutachten zu dem Ergebnis gekommen, dass die schädigenden Ereignisse gemeinhin bei einem ausgewählten und spezifisch ausgebildeten Personenkreis nicht zu einer Traumatisierung geführt hätten, so dass hier von einer individuellen seelischen Reaktionsbereitschaft als Mitwirkungsfaktor quasi im Sinne eines konstitutionellen Faktors auszugehen ist. Insoweit war gerade die spezifische Veranlagung der Klägerin eine wesentliche Ursache für ihre Schädigung. Das Ereignis selbst hatte nur eine untergeordnete Bedeutung und war nicht ursächlich für die gesundheitliche Schädigung der Klägerin im dienstunfallrechtlichen Sinne.
Diesem Gutachten ist durch die Klägerin nichts von medizinischer Seite entgegensetzt worden, das die Richtigkeit der versorgungsmedizinischgutachtlichen Stellungnahme in Frage stellt.
Die Klage war nach alledem mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen


Nach oben