Medizinrecht

Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht

Aktenzeichen  L 19 R 1001/13

Datum:
20.9.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 138111
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
BÄO § 2
Satzung der Bayer. Ärzteversorgung § 15
SGB VI § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1

 

Leitsatz

1. Zur Befreiung eines Arztes von der Rentenversicherungspflicht nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI, der als angestellter Unternehmensberater tätig ist.
2. Nur die Ausübung approbationspflichtiger Tätigkeiten eröffnet die Befreiungsmöglichkeit nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI. Hierfür genügt nicht allein, dass die Tätigkeit des Klägers als Unternehmensberater im Kontext des Gesundheitsbereichs ausgeübt wird. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 3 R 44/11 2013-08-26 Urt SGNUERNBERG SG Nürnberg

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 26.08.2013 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG) ist zulässig, aber nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung. Das Sozialgericht Nürnberg hat zutreffend die Entscheidung der Beklagten, nach der der Kläger für die seinem Befreiungsantrag zu Grunde liegende Tätigkeit als Unternehmensberater keinen Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht hat, als rechtmäßig angesehen.
Der Kläger hat in dem hier streitigen Zeitraum vom 01.01.2010 bis 30.04.2012 eine Tätigkeit als Unternehmensberater ausgeübt (§ 1 Arbeitsvertrag). Er hat hierzu mit der Unternehmensberatung „D.“, die nach eigenen Angaben auf das Gesundheitswesen spezialisiert ist, einen unbefristeten Arbeitsvertrag geschlossen (§ 2 Arbeitsvertrag). Es hat sich um eine Vollzeitstelle gehandelt (§ 3 Arbeitsvertrag). In der Zusammenschau mit der Bezahlung (§ 4 Arbeitsvertrag) ist das Vorliegen einer nur geringfügigen Beschäftigung ausgeschlossen.
Die dem Kläger nach seinem Arbeitsvertrag obliegende Beratungstätigkeit stellt eine abhängige Beschäftigung gegen Entgelt dar und fällt unter § 1 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI. Gemäß der gesetzlichen Regelung besteht für den Kläger für diese Tätigkeit Versicherungspflicht, nachdem eine Versicherungsfreiheit für eine geringfügige Beschäftigung (§ 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VI) nicht vorgelegen hat und auch andere Gründe für eine versicherungsfreie Beschäftigung nicht ersichtlich sind.
Entgegen dem Antrag und der Ansicht des Klägers ist er von der Versicherungspflicht nicht zu befreien.
§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI bestimmt, dass von der Versicherungspflicht Beschäftigte und selbstständig Tätige für die Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit befreit werden, wegen der sie aufgrund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versicherungseinrichtung oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe (berufsständische Versorgungseinrichtung) und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer sind, wenn
a) am jeweiligen Ort der Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit für ihre Berufsgruppe bereits vor dem 1. Januar 1995 eine gesetzliche Verpflichtung zur Mitgliedschaft in der berufsständischen Kammer bestanden hat,
b) für sie nach näherer Maßgabe der Satzung einkommensbezogene Beiträge unter Berücksichtigung der Beitragsbemessungsgrenze zur berufsständischen Versorgungseinrichtung zu zahlen sind und c) aufgrund dieser Beiträge Leistungen für den Fall verminderter Erwerbsfähigkeit und des Alters sowie für Hinterbliebene erbracht und angepasst werden, wobei auch die finanzielle Lage der berufsständischen Versorgungseinrichtung zu berücksichtigen ist.
Für die Befreiung von der Versicherungspflicht ist entscheidend, ob der Kläger wegen der von ihm ausgeübten Beschäftigung Pflichtmitglied einer berufsständischen Versorgungseinrichtung und einer berufsständischen Kammer geworden ist. Dies ist anhand der einschlägigen versorgungs- und kammerrechtlichen Normen zu prüfen. Dabei kommt es nicht auf die abstrakte berufliche Qualifikation des Klägers an. Maßgeblich ist vielmehr die Klassifikation der Tätigkeit, für welche die Befreiung begehrt wird (BSG Urteil vom 31.10.2012 – B 12 R 3/11 R – juris).
Zur Pflichtmitgliedschaft bestimmt § 15 der Satzung der Bayerischen Ärzteversorgung in Verbindung mit Art. 33 des Gesetzes über das öffentliche Versorgungswesen (idF ab 01.01.2008), dass Mitglieder kraft Gesetzes der Bayerischen Ärzteversorgung alle nicht berufsunfähigen, zur Berufsausübung berechtigten Ärzte, Zahnärzte und Tierärzte sind, wenn sie im Tätigkeitsbereich der Bayerischen Ärzteversorgung beruflich tätig sind.
Diese Vorschrift könnte vom Wortlaut her zwar so verstanden werden, dass jede Berufstätigkeit einer Person, die als Arzt tätig sein dürfte, völlig unabhängig von ihrem Inhalt eine Mitgliedschaft bei der Beigeladenen zwingend auslösen würde. Das würde aber bedeuten, dass jeder, der einmal als Arzt tätig gewesen war und seine Berechtigung und Fähigkeit hierfür nicht verloren hat, dauerhaft Anspruch auf einen Verbleib in der berufsständischen Versorgung hätte und von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht – insgesamt – zu befreien wäre, ganz egal welche Tätigkeit er ausübt. Eine solche Auslegung ist offensichtlich zu weitgehend.
Zur Überzeugung des Senates ist vielmehr der Begriff der „beruflichen Tätigkeit“ im Sinne des § 15 der Satzung mit der dort ebenfalls verankerten Formulierung „zur Berufsausübung berechtigt“ in Beziehung zu setzen. Eine Pflichtmitgliedschaft löst damit nur eine solche Berufstätigkeit aus, für die eine Berechtigung zur Ausübung der ärztlichen (bzw. zahnärztlichen oder tierärztlichen) Berufsausübung erforderlich ist. Dies legt eine Beschränkung auf approbationspflichtige Tätigkeiten nahe. Andere Tätigkeiten, für die eine solche Berechtigung nicht erforderlich ist, werden nicht erfasst.
Für diese Beschränkung auf approbationspflichtige Tätigkeiten spricht auch, dass bundesrechtlich nach § 2 Abs. 5 BÄO die Ausübung des ärztlichen Berufs die Ausübung der Heilkunde unter der Berufsbezeichnung „Arzt“ bzw. „Ärztin“ ist. Nach § 2 Abs. 1 BÄO ist Voraussetzung für das Führen dieser Berufsbezeichnung „Arzt“ bzw. „Ärztin“ die Approbation, so dass nach der BÄO die Ausübung des ärztlichen Berufs als Ausübung der Heilkunde nach erfolgter ärztlicher Approbation verstehen ist. Aus dem Umstand, dass diese Vorschriften Bundes- und nicht Landesvorschriften sind, sieht der Senat keinen Hinderungsgrund, diese als Grundlage für die Bestimmung der ärztlichen Tätigkeit zu verwenden (a.A. auch im Hinblick auf die Gefahrenorientiertheit der Vorschrift SG Berlin Urteil vom 11.01.2017 – S 11 R 4515/15, LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 30.09.2016 – L 4 R 238/15, jew. juris).
Eine andere Auslegung – wie sie etwa von Prof. Dr. G. et al. in: NZS 2015, 361ff. vertreten wird -, nach der als berufsspezifische ärztliche Tätigkeit jede Tätigkeit anzusehen sei, bei der ärztliche Fachkenntnisse vorausgesetzt, eingesetzt oder mitverwendet werden oder werden können, ist aus Sicht des Senates jedoch eindeutig zu weit gefasst. Danach wäre nämlich wiederum praktisch jede Berufstätigkeit eines medizinisch Ausgebildeten eingeschlossen, da in jedem Fall zumindest die gesundheitsförderliche Gestaltung der täglichen Arbeitsabläufe eine Mitverwendung von ärztlichen Kenntnissen darstellt und selbst bei Arbeitnehmern, die sich überhaupt nicht gesundheitsbewusst verhalten, die Möglichkeit zu einem Nutzen dieser Kenntnisse bestehen würde. Eine solche Auslegung ist offensichtlich nicht geeignet zu prüfen, ob eine Pflichtmitgliedschaft in einem berufsständischen Versorgungswerk besteht oder nicht.
Auch kann es nicht ausschließlich darauf ankommen, ob der Arbeitgeber aus subjektiven Gründen einen Arzt auf einer bestimmten Stelle einsetzen will, etwa weil eine solche Ausbildung über eine hohe Reputation bei potentiellen Kunden verfügt. Dies stellt keinen Bezug zur objektiven Erforderlichkeit ärztlicher Kenntnisse beim Beschäftigten dar und kann damit die Entscheidung über die Frage, ob ein berufsfremder Einsatz vorliegt oder nicht, nicht klären.
Der Senat hält es allenfalls für möglich, ärztliche Tätigkeiten außerhalb einer engen Auffassung zur Approbationspflicht dann – ggf. unter Rückgriff auf § 2 Abs. 2 BÄO – als erfasst anzusehen, wenn sie inhaltlich eng mit der ärztlichen Tätigkeit verbunden sind und aus ihr hervorgegangen sind – etwa ärztliche Führungstätigkeiten, Tätigkeiten in der ärztlichen Selbstverwaltung oder ärztliche Gutachtertätigkeit. Merkmal hierfür ist jedenfalls die Erforderlichkeit der ärztlichen Ausbildung als Voraussetzung für eine adäquate Ausübung der beruflichen Tätigkeit. Selbst weitergehende Tätigkeiten etwa in Lehre und Forschung könnten noch erfasst sein, wenn sie mittelbar die Patientenbehandlung betreffen. Dem Senat erscheint jedoch das bloße Nutzbarmachen bzw. die Nützlichkeit von ärztlichen Kenntnissen nicht ausreichend, um eine Tätigkeit als berufsspezifisch ärztliche Tätigkeit anzusehen. Außerdem sind bei Mischtätigkeiten quantitative und qualitative Aspekte von beruflichem und berufsfremdem Einsatz in die Überlegungen einzubeziehen.
Derartige Einzelfallbetrachtungen nimmt die Rechtsprechung derzeit weit überwiegend vor: So hat etwa der 14. Senat des Bayer. Landessozialgerichts (Urteil vom 10.07.2014 – L 14 R 1207/13 – juris) die (tier-)ärztliche Tätigkeit deshalb bejaht, weil dort die Klägerin Wirksamkeits- und Verträglichkeitsstudien neu entwickelter Medikamente durchführte und dabei das Tätigwerden der eigentlichen Behandler überwachte und evaluierte. Die 11. Kammer des Sozialgerichts Berlin (Urteil vom11.01.2017 – S 11 R 4515/15 juris) hat darauf abgestellt, dass die Ärztin bei ihrer Beratungstätigkeit die Kenntnisse der Behandler über bestehende Behandlungsmöglichkeiten, -varianten und – zusammenhänge gefördert habe (Rn. 40); nicht störend sei, dass in Teilbereichen auch betriebswirtschaftliches Basiswissen angewandt worden sei (Rn. 42). Der 2. Senat des LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 09.11.2016 – L 2 R 3151/15 nach juris) hat darauf Bezug genommen, dass der Tierarzt im veterinärmedizinischen Außendienst bei Vorführoperationen auch praktisch tätig geworden sei (Rn. 38). Lediglich das LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 30.09.2016 – L 4 R 238/15 – juris) stellt abstrakt darauf ab, ob bei der Tätigkeit des Arztes in der Beratung von Krankenhäusern die Mitverwendung von ärztlichem Wissen ihr Gepräge gegeben hat.
Der Senat hält vorliegend daran fest, dass nur die Ausübung approbationspflichtiger Tätigkeiten die Befreiungsmöglichkeit nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI eröffnet. Diese hat der Kläger nicht ausgeübt. Allein dass die Tätigkeit des Klägers als Unternehmensberater im Kontext des Gesundheitsbereichs erfolgte, führt deshalb nicht schon zur Befreiung von der Versicherungspflicht. Im Fall des Klägers sprechen der Arbeitsvertrag mit den dort verwendeten Bezeichnungen und Beschreibungen eher für eine wirtschaftlich beratende Tätigkeit. Die Stellenanzeige, deren Relevanz aber im Weiteren verneint wurde, hat das Vorhandensein ärztlicher Kenntnisse ebenfalls nicht zwingend vorgesehen. Die Betonung der subjektiven Kundenerwartung durch den Vorgesetzten des Klägers lässt ebenfalls den Schluss auf die Ausübung ärztlicher Tätigkeit nicht zu. Eine unmittelbare Behandlung von Patienten durch den Kläger ist nicht erfolgt; die abgegebenen Beschreibungen der Beratungsinhalte reichen auch nicht aus, um eine mittelbare Behandlung von Patienten durch den Kläger als bestätigt anzusehen Für eine von Gutmann (a.a.O., S. 368) postulierte Bindung des Rentenversicherungsträgers an eine Entscheidung der berufsständischen Kammern fehlt es an einer Rechtsgrundlage. Vielmehr hat der Rentenversicherungsträger nur die Rechtsgrundlagen aus den berufsständischen Satzungen in seiner Entscheidung zu berücksichtigen. Fehlerhafte – weil zu weit gehende Auslegungen – muss er dagegen nicht übernehmen.
Für den Senat ergibt sich auch kein anderes Ergebnis aus der Zusammenschau mit den beiden Tätigkeiten des Klägers als selbstständiger Privatbehandler und als ehrenamtlicher Vereinsarzt. Denn es ist in erster Linie auf jeden individuellen Tätigkeitsbereich einzeln abzustellen (vgl. LSG Baden-Württemberg Urteil vom 08.10.2010 – L 4 KR 5196/08 – juris). Dies gilt auch im Hinblick auf die Anwendung von § 6 Abs. 5 SGB VI, in dem Voraussetzungen für die Befreiung von der Versicherungspflicht sogar für berufsfremde Tätigkeiten geregelt sind. Eine Anwendung dieser Bestimmung scheitert aus einer Vielzahl von Gründen; offensichtlich ist dies für die nicht bestehende Befristung.
Damit sind der Bescheid der Beklagten vom 27.08.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.11.2011 und die erstinstanzliche Entscheidung im Ergebnis nicht zu beanstanden. Die Berufung war zurückzuweisen.
Der Arbeitgeber des Klägers war nicht notwendig beizuladen (§ 75 Abs. 2 Satz 1 1. Alt. SGG). Mit einer möglichen Ablehnung der Befreiung wird nicht unmittelbar in die Rechtssphäre des Arbeitgebers eingegriffen, wie dies für eine notwendige Beiladung erforderlich wäre (vgl. Urteil des Senats vom 08.09.2015 – L 19 R 554/11).
Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 SGG.
Die Revision ist gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen und zwar insbesondere zur Frage, ob die Befreiung eines Arztes von der Rentenversicherungspflicht nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI die Ausübung einer approbationspflichtigen Tätigkeit voraussetzt.


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