Medizinrecht

Behandlungsmethode

Aktenzeichen  203 StObWs 227/19

Datum:
15.4.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
LSK – 2019, 8484
Gerichtsart:
BayObLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StVollzG § 114 Abs. 2 S. 3, § 116 Abs. 1
VwGO § 123 Abs. 1 S. 1
BayStVollzgG Art. 60 Abs. 1
BtMVV § 5
StPO § 467 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Hat die Strafvollstreckungskammer zwar eine Entscheidung des einstweiligen Rechtsschutzes getroffen, im Ergebnis aber bereits in der Hauptsache entschieden, ist die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer der Anfechtbarkeit nach dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes dann nicht entzogen, wenn die engen Voraussetzungen für eine nur ausnahmsweise mögliche Hauptsachevorwegnahme offensichtlich nicht gegeben waren. (Rn. 22)
2. Die lediglich von einer Gesundheitsprüfung abhängige Verpflichtung der Justizvollzugsanstalt, die Substitutionsbehandlung eines Strafgefangenen durchzuführen, nimmt die Hauptsache vorweg, da mit dem Beginn der Substitutionsbehandlung unumkehrbare Fakten geschaffen werden. (Rn. 24 – 25)
3. Die Substitutionstherapie stellt eine Behandlungsmöglichkeit eines opioidabhängigen Strafgefangenen dar. Die Entscheidung über die konkret erforderliche ärztliche Behandlung trifft der Anstaltsarzt nach seinem pflichtgemäßen ärztlichen Ermessen. (Rn. 31)
4. Während die Beendigung einer bei Inhaftierung laufenden Substitutionsbehandlung nur unter engen medizinischen Voraussetzungen in Betracht kommt, besteht für den Neubeginn einer Substitutionstherapie kein Vorrang gegenüber anderen, abstinenzorientierten Heilbehandlungsalternativen. (Rn. 36 – 37)

Verfahrensgang

SR StVK 813/18 2018-12-28 Bes LGREGENSBURG LG Regensburg

Tenor

1. Auf die Rechtsbeschwerde der Justizvollzugsanstalt St. wird der Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg bei dem Amtsgericht Straubing vom 28.12.2018 aufgehoben.
2. Der Antrag des Strafgefangenen vom 26.11.2018 wird zurückgewiesen.
3. Der Strafgefangene hat die Kosten des Verfahrens einschließlich des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen.
4. Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 500,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Mit Schreiben vom 26.11.2018, eingegangen bei der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg bei dem Amtsgericht Straubing am 3.12.2018, beantragte der Strafgefangene, im Eilverfahren die Durchführung seiner Substitutionsbehandlung anzuordnen. Er wendete sich dagegen, dass der Anstaltsarzt ihn lediglich auf eine Warteliste gesetzt hätte und führte aus, seine Behandlung müsse sofort beginnen.
Die Justizvollzugsanstalt trat mit ihrer Stellungnahme vom 6.12.2018 dem Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung entgegen. Der Strafgefangene werde derzeit adäquat medizinisch betreut, ein Eilbedürfnis für eine Substitutionsbehandlung bestehe nicht. Der am 14.11.2018 aus der Justizvollzugsanstalt Landshut zugeführte Strafgefangene sei seit seinem Haftbeginn am 12.10.2017 nicht substituiert worden. Stattdessen habe er in der Justizvollzugsanstalt Landshut eine komplexe psychopharmakologische Behandlung erhalten, welche nach wie vor fortgesetzt werde. Eine Substitutionsbehandlung komme dann in Betracht, wenn der Entlassungszeitpunkt nahe sei und die Rückfallgefahr in Freiheit als hoch eingeschätzt werde. Zur Planung und Prüfung der zukünftigen Behandlung sei der Antragsteller auf der Warteliste aufgenommen worden. Die Justizvollzugsanstalt wies auch darauf hin, dass die Anordnung der Substitutionsbehandlung im Eilverfahren die Entscheidung der Hauptsache vorweg nehme, da der Beginn der Medikation einer gegenläufigen Feststellung im folgenden Hauptverfahren diametral entgegenstehe.
Mit Schreiben vom 20.12.2018 schilderte der Strafgefangene seinen Suchtdruck und daraus resultierende Vorfälle. Für ihn sei eine sofortige Substitution die einzige Lösung. Die zuletzt durchgeführte Substitutionsbehandlung sei gegen seinen Willen vor 2 Jahren und 5 Monaten im Bezirksklinikum Mainkofen abgebrochen worden.
Die Justizvollzugsanstalt führte hierzu am 21.12.2018 und am 27.12.2018 ergänzend aus, dass es sich aufgrund des vorhandenen Zeitablaufs seit der letzten Substitutionsbehandlung nicht um deren Fortsetzung, sondern um den vollständigen Neubeginn einer Substitution handele. Dieser Neubeginn sei im Anschluss an die Richtlinien der Bundesärztekammer zur Durchführung der substitutionsgestützten Behandlung Opioidabhängiger deswegen in den Zeitraum des vorgesehenen Haftendes (6.7.2023) zu legen, weil der Abhängige in der Zeit nach seiner Entlassung in die Freiheit vor einer Überdosis geschützt werden müsse. Eine langfristige Substitutionsbehandlung innerhalb der beschützten Umgebung der Anstalt weise demgegenüber Nachteile und Risiken auf. Beim Strafgefangenen … sei die Entlassung aus der Haft noch fern. Zwar stehe er unter einem Leidensdruck. Diesem könne jedoch auch jenseits einer Substitutionsbehandlung begegnet werden. Deren Anordnung stehe im Ermessen des Anstaltsarztes. Vor dem Beginn einer möglichen Behandlung müsse eine genaue Überprüfung der Voraussetzungen und die Einstellung des Patienten erfolgen. Beim Strafgefangenen … komme hinzu, dass bisherige Substitutionsversuche gescheitert seien, er auch während einer Substitutionsphase versucht habe in eine Apotheke einzudringen, um Medikamente zu entwenden und auch den Beikonsum von Kokain eingeräumt habe, welcher lebensbedrohlich sein könne. Von zentraler Bedeutung für eine Substitutionsbehandlung sei, dass der Patient sich an die Regeln halte. Aufgrund einer Vielzahl dargelegter Vorfälle sei indes ersichtlich, dass der Strafgefangene permanent gegen Regeln verstoße. Durch die Aufnahme in die Warteliste habe dieser nunmehr die Möglichkeit, seine Fähigkeit zu hausordnungskonformem Verhalten sowie seine Mitwirkungsbereitschaft und Disziplin unter Beweis zu stellen. Akute Gesundheitsrisiken für den Strafgefangenen, welche eine sofortige Substitution erforderten, seien nicht ersichtlich.
Mit Beschluss vom 28.12.2018 hat die Strafvollstreckungskammer durch einstweilige Anordnung die Entscheidung der Justizvollzugsanstalt St. über die derzeitige Versagung der Substitutionsbehandlung aufgehoben und die Antragsgegnerin verpflichtet, über den Antrag des Strafgefangenen erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung der Strafvollstreckungskammer zu entscheiden. Den weitergehenden Antrag auf sofortige Verpflichtung der Justizvollzugsanstalt zur Substitutionsbehandlung wies die Strafvollstreckungskammer zurück. Die Strafvollstreckungskammer wertete die Aufnahme des Antragstellers in die Warteliste als Ablehnung seines Verpflichtungsantrags auf sofortige Substitutionsbehandlung und war überzeugt, dass diesbezüglich gemäß § 123 Abs. 1 S. 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 2 S. 2 StVollzG eine anderweitige Regelung im Eilverfahren veranlasst sei. Die Ausübung des ärztlichen Therapieermessens dahingehend, dass der Antragsteller nur auf die Warteliste gesetzt worden sei, sei als „nicht offensichtlich rechtmäßig“ zu beanstanden. Die Justizvollzugsanstalt habe nicht alle wesentlichen Aspekte berücksichtigt.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe ausgeführt, dass Strafgefangene gegenüber Patienten in Freiheit bei der medizinischen Behandlung nicht benachteiligt werden dürften. Auch sie müssten zu einer Substitutionstherapie Zugang haben. Insbesondere müsse deren Kontinuität bei einer Inhaftierung gewährleistet werden.
Aus zutreffender menschenrechtlicher Sicht dürfe die Frage der medizinischen Indikation einer Therapie somit nicht von der Frage der Inhaftierung abhängig gemacht werden. Nachdem die Antragsgegnerin durch die Aufnahme in die Warteliste selbst dokumentiert habe, dass der Antragsteller zum Ende der Strafzeit substituiert werden müsse, gehe sie vom medizinischen Erfordernis einer Substitutionsbehandlung beim Antragsteller in Freiheit aus, um Gesundheitsschäden zu verhindern. Angesichts des Konsums des Antragstellers auch innerhalb der Justizvollzugsanstalt sei im Anschluss daran für die Strafvollstreckungskammer nicht ersichtlich, weshalb die Substitution nicht schon jetzt erforderlich sein sollte. Auch ergäben sich beim Konsum in der Anstalt schwerwiegende Gesundheitsgefahren, weil der Strafgefangene weder die Dosierung noch den genauen Wirkstoff kontrollieren könne. Die Strafvollstreckungskammer wollte im Übrigen nicht auf die Differenzierung zwischen Fortführung einer Substitution und deren Neubeginn abstellen.
Auch die Richtlinien der Bundesärztekammer, auf welche sich die Justizvollzugsanstalt berufe, stünden nicht entgegen. Diese enthielten weitere relevante Ziele, wie (beispielsweise) die Stabilisierung und Besserung des Gesundheitszustandes, die Unterstützung der Behandlung somatischer und psychischer Begleiterkrankungen, die Reduktion riskanter Applikationsformen von Opioiden und die Verbesserung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität, welche bereits zum jetzigen Zeitpunkt maßgeblich seien.
Die Aufnahme in die Warteliste sei im Übrigen nicht geeignet, die Mitwirkungsbereitschaft und Disziplin des Antragstellers unter Beweis zu stellen. Die Liste diene nur der Kapazitätssteuerung. Sobald der Antragsteller die medizinischen Voraussetzungen für eine Substitution erfülle, müsse er substituiert werden.
Nachdem Fragen der Indikation und der Kontraindikation noch ungeklärt seien, könne die Verpflichtung der Justizvollzugsanstalt zur Aufnahme in das Substitutionsprogramm allerdings nicht ausgesprochen werden. Jedoch müsse der durch die Aufnahme in die Warteliste dokumentierte Ablehnungsbescheid aufgehoben werden. Die Justizvollzugsanstalt habe stattdessen unter Beachtung der Rechtsauffassung der Strafvollstreckungskammer neu zu entscheiden.
Die Justizvollzugsanstalt St. hat gegen den ihr am 3.1.2019 zugestellten Beschluss mit Schreiben vom 4.2.2019, eingegangen bei Gericht am selben Tage, Rechtsbeschwerde eingelegt.
Sie ist der Auffassung, dass § 114 Abs. 2 S. 3 StVollzG nicht greife, weil die Strafvollstreckungskammer keine vorläufige, sondern aufgrund einer Hauptsachevorwegnahme eine endgültige Entscheidung getroffen habe. Weiterhin sei die Nachprüfung der Entscheidung sowohl zur Fortbildung des Rechts als auch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten, da die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung abweiche und mit einer Vielzahl von Anträgen Strafgefangener auf Durchführung einer Substitutionsbehandlung unter Berufung auf die angefochtene Entscheidung zu rechnen sei.
Die Voraussetzungen einer Eilentscheidung hätten nicht vorgelegen. Die Strafkammer habe nicht dargelegt, dass dem Antragsteller gravierende Gesundheitsschäden drohten, die ein weiteres Zuwarten ausschlössen. Außerdem nehme die angeordnete Verpflichtung zur Neuverbescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts die Hauptsache vorweg. Dies sei indes nur angezeigt bei besonders schweren und unzumutbaren, nicht anders abwendbaren Nachteilen, die durch die spätere Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden können. Derartige irreparable schwerwiegende Nachteile drohten jedoch nicht. Weder aufgrund möglichen Konsums von Betäubungsmitteln innerhalb der Anstalt, noch im Blick auf die zuletzt durchgeführte Substitutionsbehandlung. Seit Haftbeginn werde der Antragsteller nicht substituiert, was die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Landshut in ihrer Entscheidung vom 30.1.2018 (StVK 668/17) nicht beanstandet habe. Nach den Richtlinien der Bundesärztekammer zur Durchführung der substitutionsgestützten Behandlung Opioidabhängiger solle der Neubeginn der Behandlung – um den es sich aufgrund obigen Zeitablaufs handele – erst zum noch fernliegenden Haftende erfolgen, wobei die erforderliche Zuverlässigkeit des Antragstellers erst noch erarbeitet werden müsse.
Durch den angefochtenen Beschluss sei dem Antragsteller – über den einstweiligen Rechtsschutz hinausgehend – zugesprochen worden, was er erst in einem Hauptsacheverfahren hätte erreichen können. Die angeordnete Neuverbescheidung führe zu einer die Hauptsache vorwegnehmenden Sachentscheidung.
Auch enthalte die Entscheidung einen unzulässigen Eingriff in das ärztliche Ermessen. Der Anstaltsarzt habe vorliegend einen Ermessensspielraum, der nicht auf Null reduziert sei. Insoweit wäre eine weitergehende Sachaufklärung, insbesondere zur ärztlichen Intention, erforderlich gewesen. Die im angefochtenen Beschluss genannten Therapieziele seien in die ärztliche Entscheidung ebenfalls eingestellt worden. Auch seien eine Vielzahl weiterer näher ausgeführter medizinischer Aspekte zu berücksichtigen. Die Justizanstalt wies ferner darauf hin, dass die im angefochtenen Beschluss zitierte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sich auf die Fortführung einer Substitutionsbehandlung beziehe, welche hier gerade nicht gegeben sei. Im Übrigen ziele diese Entscheidung nicht darauf, den Betroffenen so zu behandeln, als wäre er in Freiheit, sondern nur nach denselben Maßstäben. Abschließend rügte sie die Verletzung des Grundsatzes des fairen Verfahrens.
Die Generalstaatsanwaltschaft beantragte am 22.2.2019 die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und die Ablehnung des Antrages auf Kosten des Strafgefangenen vom 26.11.2018 unter Festsetzung des Geschäftswertes auf 500,00 €.
Aufgrund der Vorwegnahme der Hauptsache sei die Rechtsbeschwerde ausnahmsweise statthaft. Auch die Zulässigkeitsvoraussetzungen von § 116 Abs. 1 StVollzG seien gegeben. Die Rechtsbeschwerde sei auch begründet, da der Antragsteller weder einen Anordnungsanspruch noch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht habe.
Der Gefangene habe gemäß Art. 60 Abs. 1 BayStVollzgG Anspruch auf die notwendige Krankenbehandlung. Die Aufnahme einer Substitutionsbehandlung hänge davon ab, ob der Anstaltsarzt diese für erforderlich halte. Eine Ermessensreduzierung auf Null sei vorliegend nicht gegeben, da der Strafgefangene nicht dargelegt habe, dass die erstrebte Behandlungsmethode die einzig vertretbare sei. Beim – längerfristig nicht substituierten – Strafgefangenen sei keine krisenhafte Zuspitzung des Gesundheitszustandes ersichtlich. Dem Anspruch des Strafgefangenen auf ermessensfehlerfreie Entscheidung sei dadurch Genüge getan worden, dass der Antragsteller auf die Warteliste für eine Substitutionsbehandlung gesetzt worden sei. Die Wartezeit diene der Erprobung des Strafgefangenen im Blick auf die in § 5 BtMVV enthaltenen Voraussetzungen und die Therapieziele der Substitutionsbehandlung.
Zur Rüge der Verletzung des Grundsatzes des fairen Verfahrens wies die Generalstaatsanwaltschaft auf die insoweit fehlende Verfahrensrüge hin.
II.
Die Rechtsbeschwerde der Justizvollzugsanstalt St. ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Auf die Rechtsbeschwerde der Justizvollzugsanstalt wird der Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg bei dem Amtsgericht Straubing vom 28.12.2018 aufgehoben und der Antrag des Strafgefangenen vom 26.11.2018 zurückgewiesen.
1. Die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin ist zulässig. Sie ist insbesondere im Blick auf Art. 208 BayStVollzG i.V.m. § 114 Abs. 2 S. 3 StVollzG sowie gemäß Art. 208 BayStVollzG i.V.m. § 116 Abs. 1 StVollzG statthaft und nach Art. 208 BayStVollzG i.V.m. § 118 Abs. 1 und 3 StVollzG auch form- und fristgerecht eingelegt.
a) Art. 208 BayStVollzG i.V.m. § 114 Abs. 2 S. 3 StVollzG steht der Rechtsbeschwerde vorliegend nicht entgegen, weil die auswärtige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg bei dem Amtsgericht Straubing formal zwar eine Entscheidung des einstweiligen Rechtsschutzes nach Art. 208 BayStVollzG i.V.m. § 114 Abs. 2 StVollzG getroffen, im Ergebnis mit ihrer Entscheidung aber den Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes verlassen und tatsächlich in der Hauptsache entschieden hat. Im Blick darauf, dass die engen Voraussetzungen für eine nur ausnahmsweise mögliche Vorwegnahme der Hauptsache mit der Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz vorliegend ersichtlich nicht gegeben waren, kann die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer der Anfechtbarkeit nach dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes nicht entzogen sein (so auch Arloth/Krä, StVollzG, 4. Aufl., § 114 Rn. 5 m.w.N.; Laubenthal in: Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, Strafvollzugsgesetz, 6. Aufl., § 114 Rn. 7; a.A. Bachmann in: Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel, Strafvollzugsgesetze, 12. Aufl., Teil P Rn. 64 m.w.N. unter Berufung auf den Wortlaut der Vorschrift).
aa) Der Regelung in § 114 Abs. 2 S. 3 StVollzG liegen die wesentlichen Unterschiede zwischen dem Eil- und dem Hauptsacheverfahren zugrunde. Während in der Hauptsache eine umfassende Prüfung der Sach- und Rechtslage stattfindet, ist das Eilverfahren auf eine summarische Prüfung reduziert. Hiermit korrespondiert der im Eilverfahren eingeschränkte Rechtsschutz. Angesichts der auf einer nur eingeschränkten Prüfung beruhenden und nur vorläufigen Regelung durch das Gericht kann auf die Rechtsmittelinstanz verzichtet werden. Hiervon weicht die Interessenlage im Ausnahmefall der Hauptsachevorwegnahme ab. Diese kommt im Eilverfahren nur in Betracht bei besonders schweren, unzumutbaren, nicht anders abwendbaren Nachteilen, die durch eine Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden können (vgl. Arloth/Krä, StVollzG, 4. Aufl., § 114 Rn. 4 m.w.N), und bedarf daher einer besonders eingehenden Prüfung.
bb) Vorliegend nimmt der Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg bei dem Amtsgericht Straubing vom 28.12.2018 die Hauptsache vorweg, da die Verpflichtung der Justizvollzugsanstalt zur Neuverbescheidung unter Berücksichtigung der Rechtsaufassung der Strafvollstreckungskammer bleibende Fakten schafft. Die Strafvollstreckungskammer sieht durch die vorgenommene Ermessensreduzierung auf Null im Ergebnis die Substitutionsbehandlung Strafgefangener in jedem Stadium der Haft als zwingend geboten an und macht deren Beginn lediglich von einer Gesundheitsüberprüfung abhängig. Durch den – im Falle einer positiven Gesundheitsprüfung – einmal erfolgten Beginn einer Substitutionsbehandlung würden jedoch unumkehrbare Fakten geschaffen. Die Antragsgegnerin wies hierzu zutreffend darauf hin, dass der Beginn der Medikation einer gegenläufigen Feststellung im späteren Hauptverfahren diametral entgegen stehe.
cc) Die Strafvollstreckungskammer hat, indem sie einerseits eine im Ergebnis endgültige Entscheidung traf, andererseits hierfür die Gestalt des einstweiligen Rechtsschutzes wählte und hierbei das rechtliche Hauptproblem der Vorwegnahme der Hauptsache nicht in den Blick nahm, den Rechtsschutz der Antragsgegnerin offensichtlich zu Unrecht beschnitten. Im vorliegenden Einzelfall muss für die Justizvollzugsanstalt St. der Rechtsbeschwerdeweg daher eröffnet sein (vgl. auch OLG Karlsruhe, NStZ 1993, 557).
b) Zudem liegen die Voraussetzungen des Art. 208 BayStVollzG i.V.m. § 116 Abs. 1 StVollzG vor, weil die Überprüfung der Entscheidung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung sowie zur Fortbildung des Rechts (vgl. hierzu Bachmann in: Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel, Strafvollzugsgesetze, 12. Aufl., Teil P Rn. 91, 92 m.w.N.) geboten ist. Die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer wirft nicht nur die Frage der Anfechtbarkeit der Entscheidung im Blick auf § 114 Abs. 2 S. 3 StVollzG, sondern auch die Problematiken der Vorwegnahme der Hauptsache und der Voraussetzungen der Bewilligung von Substitutionsbehandlungen einschließlich deren Kontinuität auf. Die Entscheidung der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg bei dem Amtsgericht Straubing vom 28.12.2018 weicht hierbei von der bisherigen Rechtsprechung der Strafvollstreckungskammer (ersichtlich aus der Verfügung vom 7.12.2018 mit der empfohlenen Antragsrücknahme), der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Landshut (vgl. Beschluss vom 30.1.2018, vorgelegt durch die Justizvollzugsanstalt am 21.12.2018) sowie der Rechtsauffassung des Senats ab.
2. Die Rechtsbeschwerde der Justizvollzugsanstalt St. ist auch in vollem Umfang begründet. Auf die erhobene Sachrüge wird der Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg bei dem Amtsgericht Straubing vom 28.12.2018 aufgehoben und der Antrag des Strafgefangenen vom 26.11.2018 zurückgewiesen.
Für die Aufhebung der Entscheidung der Justizvollzugsanstalt, den Antragsteller nur auf die Warteliste für eine Substitutionsbehandlung zu setzen, und die Verpflichtung der Justizvollzugsanstalt, das Substitutionsprogramm bei medizinischer Indikation sofort zu beginnen, besteht weder der im einstweiligen Rechtsschutz erforderliche Anordnungsgrund, noch der nötige Anordnungsanspruch. Der Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg bei dem Amtsgericht Straubing vom 28.12.2018 beanstandete zu Unrecht die Ermessensentscheidung der Justizvollzugsanstalt St. (zur Entscheidung und deren Voraussetzungen vgl. unten a)). Diese hat richtigerweise zwischen dem Abbruch und dem Neubeginn einer Substitutionsbehandlung unterschieden (vgl. unten b) aa)) und eine – die relevanten Therapieziele berücksichtigende – ermessensfehlerfreie Entscheidung getroffen (vgl. unten b) bb) und b) cc)). Die Substitutionstherapie hat keinen Vorrang gegenüber anderen, ebenfalls medizinisch indizierten Behandlungsalternativen (vgl. unten b) dd)). Jeder Einzelfall erfordert eine individuelle Abwägung dahingehend, welche Therapie für den konkreten Patienten und zum jeweiligen Zeitpunkt am geeignetsten ist. Eine Indikation dahingehend, dass vorliegend die Substitutionstherapie zu bevorzugen (oder gar zwingend geboten) sei, ist nicht ersichtlich (vgl. unten b) ee)).
Die weiterhin erhobene Rüge der Verletzung des fairen Verfahrens bedarf keiner Prüfung mehr.
a) Die auswärtige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg bei dem Amtsgericht Straubing ging zunächst von einem zutreffenden Ansatz aus, da die Aufnahme nur in die Warteliste die Ablehnung des Antrags des Strafgefangenen auf sofortige Aufnahme in das Substitutionsprogramm darstellt. Hierbei handelt es sich um eine Maßnahme i.S.v. § 109 StVollzG.
Grundlage der Entscheidung war Art. 60 Abs. 1 BayStVollzG. Nach dieser Vorschrift hat der Strafgefangene Anspruch auf die Krankenbehandlung, die notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Der Behandlungsanspruch umfasst das medizinisch gebotene und allgemein übliche Maß an Aufwendungen, entsprechend dem, was einem Patienten in Freiheit zusteht. Die Entscheidung über die konkrete ärztliche Behandlung trifft der Anstaltsarzt, wobei dessen Einschätzung der gerichtlichen Kontrolle insoweit unterliegt, als die Überprüfung des pflichtgemäßen ärztlichen Ermessens erfolgt (Laubenthal in: Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel, Strafvollzugsgesetze, 12. Aufl., Teil H Rn. 51). Neben diesen ärztlichen Gesichtspunkten sind für die Entscheidung der Vollzugseinrichtung auch Resozialsierungs- und Behandlungsaufgaben sowie Erfordernisse des Strafvollzugs von Belang (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 14.11.2017, 1 Ws 472-473/17, zitiert nach juris, m.w.N.).
b) Dies zugrunde gelegt weist die Entscheidung des Anstaltsarztes, den Antragsteller (nur) auf die Warteliste für eine Substitutionsbehandlung zu nehmen, keinen Ermessensfehler auf.
Die gegenläufige Argumentation der Strafvollstreckungskammer, welche im Ergebnis eine Ermessensreduzierung auf Null zu Gunsten einer Substitutionsbehandlung herbeiführt, ist demgegenüber nicht tragfähig. Weder der Sachvortrag des Antragstellers, noch die Schlüsse, welche die Strafvollstreckungskammer auf diesen aufbauend gezogen hat, führen dazu, dass die vom Antragsteller erstrebte Substitutionsbehandlung als einzig richtige und vertretbare Behandlungsalternative anzusehen ist.
aa) Nicht zu beanstanden ist zunächst die Basis der Argumentation der Justizvollzugsanstalt. Diese ging aufgrund des vorhandenen Zeitablaufs und der Entwicklung seit dem Ende der zuletzt durchgeführten Substitutionstherapie zurecht von einem Neubeginn, und nicht von deren Fortführung aus. Vorliegend wurde der Strafgefangene seit seinem Haftbeginn im Oktober 2017 (Vollstreckungsübersicht) und bereits zeitlich davor seit Juli 2016 (nach den eigenen Ausführungen des Antragsstellers vom 20.12.2018) nicht substituiert, wobei die zuletzt durchgeführte Substitution zeitlich vor der laufenden Strafvollstreckung, im Bezirksklinikum Mainkofen, beendet wurde.
Es kommt hinzu, dass in den Zeitraum seit Ende der letzten Substitution bereits eine bestandskräftige Entscheidung der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Landshut gemäß § 109 StVollzG vom 30.1.2018 fällt, welche den Antrag des Strafgefangenen auf Durchführung einer Substitutionstherapie zurückwies.
Die Einschätzung der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg bei dem Amtsgericht Straubing im angefochtenen Beschluss, dass es auf eine Differenzierung zwischen der Fortführung einer Substitution und deren Neubeginn überhaupt nicht ankomme, ist unzutreffend. Eine laufende Therapie stellt unter den Gesichtspunkten des Bestandsschutzes und im Blick auf gesundheitliche Risiken beim Absetzen von Medikamenten stets ein zusätzliches, zu Gunsten des Patienten bei der Ermessensentscheidung über die zukünftige ärztliche Behandlung zu berücksichtigendes Abwägungskriterium dar.
Dies entspricht auch der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (Urteil vom 1.9.2016, Az. 62303/13, zitiert nach juris, Rn. 31), der insoweit auf eine vom Bundesministerium für Gesundheit bei der Technischen Universität Dresden in Auftrag gegebene und 2011 veröffentlichte Studie mit dem Titel „Langfristige Substitution Opiatabhängiger: Prädiktoren, Moderatoren und Outcome“ Bezug nahm. Die Beendigung einer Substitutionsbehandlung solle danach nur in Erwägung gezogen werden, wenn insbesondere eine stabile Motivation, gute psychosoziale Rahmenbedingungen und eine gute Behandlung des Patienten gegeben seien. Dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 1.9.2016 lag eine Fallgestaltung zugrunde, bei welcher eine Substitutionstherapie gegen den Willen des Strafgefangenen beendet wurde. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte beanstandete, dass diesbezüglich keine ausreichende ärztliche Abklärung (durch unabhängige Fachmediziner) erfolgt sei, obwohl mehrere Indikatoren dafür vorhanden gewesen seien, dass die laufende Substitutionstherapie die für den Gesundheitszustand des dortigen Beschwerdeführers angemessene medizinische Behandlung gewesen sei (Rn. 63 ff., 76 ff., 80 bei juris).
Hinweise darauf, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mit dieser Entscheidung den Neubeginn einer Substitutionsbehandlung mit deren Abbruch gleichstellen und dieselben Maßstäbe anwenden wollte, enthält das Urteil indes nicht.
bb) Die Aufnahme des Antragstellers in die Warteliste für das Substitutionsprogramm dokumentierte ferner lediglich, dass der Antragsteller für diese Behandlung zu gegebener Zeit in Betracht komme.
aaa) Das Argument der Strafvollstreckungskammer, dass die Aufnahme in die Warteliste dafür spreche, dass die medizinische Indikation für eine Substitutionstherapie vorliege und dass das ärztliche Therapieermessen gerade in diese Richtung ausgeübt worden sei, überzeugt nicht. Die Aufnahme in die Warteliste implizierte gerade nicht die medizinische Indikation für den sofortigen Beginn der Behandlung.
bbb) Ebenso wenig tragfähig ist der durch die Strafvollstreckungskammer gezogene Schluss, dass die Justizvollzugsanstalt, wenn sie den Beginn der Substitutionstherapie an das Haftende lege, um diese für die anstehende Freiheit zu installieren, sie den Strafgefangenen in gleicher Weise schon in der Haftanstalt schützen müsse, da dieser dort ebenfalls an eine eine Überdosis verursachende Menge an Betäubungsmitteln gelangen könne.
Diese Argumentation setzte zu Unrecht die Überdosisrisiken in Freiheit mit denen innerhalb der Justizvollzugsanstalt gleich. Zwar können die Justizvollzugsanstalten trotz aller Bemühungen nicht verhindern, dass auch innerhalb dieser Betäubungsmittel erhältlich sind und von Strafgefangenen konsumiert werden. Jedoch kann der Süchtige in Freiheit wesentlich einfacher an Betäubungsmittel gelangen als innerhalb einer Justizvollzugsanstalt. Demgemäß ist das Risiko einer Überdosierung innerhalb der Haft in keiner Weise vergleichbar mit demjenigen bei gerade wieder erlangter Freiheit.
Tatsächlich handelt es sich beim Übergang vom geschützten Bereich der Haftanstalt in die Freiheit um den Zeitraum, in dem der Opioidabhängige des meisten Schutzes vor einer Überdosis bedarf. Diesen gewährleistete der seitens der Justizvollzugsanstalt beabsichtigte Beginn der Substitutionstherapie im Zeitfenster des anstehenden Haftendes.
cc) Die Justizvollzugsanstalt hatte ausweislich ihrer Rechtsbeschwerdeausführungen daneben auch die weiteren in den Richtlinien der Bundesärztekammer zur Durchführung der substitutionsgestützten Behandlung Opioidabhängiger enthaltenen Ziele des Substitutionsprogrammes im Blick.
dd) Ein grundsätzlicher Vorrang einer Substitutionstherapie gegenüber anderen Heilbehandlungen ergibt sich im Übrigen weder aus diesen Richtlinien, noch aus § 5 der Verordnung über das Verschreiben, die Abgabe und den Nachweis des Verbleibs von Betäubungsmitteln (Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung – BtMVV). Stattdessen hat in jedem Einzelfall eine Abwägung statt zu finden, welche Therapie für welchen Patienten und zu welchem Zeitpunkt am geeignetsten ist.
Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (Urteil vom 1.9.2016, Az. 62303/13, zitiert nach juris, Rn. 61) sieht für den Neubeginn einer Therapie keinen Vorrang der Substitutionsbehandlung und verweist auf den staatlichen Ermessensanspruch bei der Wahl zwischen einer abstinenzorientierten Drogentherapie und einer Substitutionsbehandlung.
ee) Die Entscheidung der Justizvollzugsanstalt ist sodann ermessensfehlerfrei bezüglich der Einzelheiten der Abwägung.
Die Justizvollzugsanstalt hatte bei ihrer Entscheidung den Leidensdruck des polytoxikomanen Antragstellers im Blick, war jedoch in nicht zu beanstandender Weise der Auffassung, dass diesem zunächst außerhalb einer substitutionsgestützten Behandlung begegnet werden müsse. Insbesondere sah die Justizvollzugsanstalt beim Antragsteller vertretbar Zeitbedarf zur Vorbereitung auf die geplante Substitutionstherapie, nachdem er in der Haft mehrfach unerlaubt Alkohol oder unerlaubte Gegenstände in Besitz gehabt, Sachbeschädigungen und sonstige Disziplinarverstöße begangen habe. Auch sind die geäußerten Bedenken angesichts der während zurückliegend durchgeführter Substitution begangenen Beschaffungskriminalität und des ebenfalls erfolgten lebensgefährlichen Beikonsums stichhaltig. Es ist nicht zu beanstanden, wenn die Justizvollzugsanstalt im Anschluss daran Vorbereitungsbedarf für die Substitutionstherapie annahm.
III.
Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf Art. 208 BayStVollzG i.V.m. § 121 Abs. 4 StVollzG und § 467 Abs. 1 StPO.
Die Festsetzung des Geschäftswertes beruht auf §§ 60, 52 Abs. 1 GKG.


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