Medizinrecht

Beihilfe für diverse ärztliche Behandlungen

Aktenzeichen  RO 12 K 20.3217

Datum:
18.5.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 54951
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayVwVG Art. 32 Abs. 2
BayBG Art. 96 Abs. 3a, Art. 144

 

Leitsatz

Die Ausschlussfrist dient aus haushaltstechnischen Gründen dazu, eine baldige Klärung etwa noch bestehender Beihilfeansprüche herbeizuführen und ist mit dem Rechtsstaatsprinzip vereinbar. Das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit erfordert es nicht, dass von der Rechtsordnung verliehene Ansprüche ohne zeitliche Schranken Bestand haben müssten. Ist die zeitliche Grenze, wie hier, so gezogen, dass nach der Lebenserfahrung den Berechtigten auch dann noch genügend Zeit zur Anspruchsverwirklichung zur Verfügung steht, wenn sie im Zeitpunkt der Entstehung des Anspruches oder später nur vorübergehend daran gehindert waren, so verletzt der Normgeber nicht seine Pflicht, die Durchsetzbarkeit des Anspruchs zu gewähren (BVerwG, U. v. 28.06.1965 – Az. VIII C 334.63). (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Gewährung weiterer Beihilfe. Die angefochtenen ablehnenden Bescheide und der Widerspruchsbescheid verletzen sie daher nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
Im Zeitpunkt der Einreichung der streitgegenständlichen Belege ab dem 17.6.2000 waren unabhängig von der grundsätzlichen Beihilfefähigkeit der geltend gemachten Aufwendungen Ansprüche auf die Gewährung von Beihilfe bereits erloschen, weil die wegen der nach den bis dahin geltenden Fassungen des Art. 96 Abs. 3a Bayerisches Beamtengesetz (BayBG) und § 48 Abs. 6 Bayerische Beihilfeverordnung (BayBhV) geltende einjährige Ausschlussfrist bereits abgelaufen war und auch die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht erfüllt sind. Für die rechtliche Beurteilung beihilferechtlicher Streitigkeiten ist generell die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen maßgeblich, für die Beihilfe verlangt wird (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 02.04.2014 – 5 C 40/12, Rn. 9). Speziell für die Ausschlussfrist bezüglich der Einreichung von Beihilfeanträgen, die aktuell drei Jahre beträgt, besteht die Übergangsregelung des Art. 144 BayBG, nach der die einjährige Ausschlussfrist weiterhin für bis zum 01.01.2020 entstandene Aufwendungen gilt.
Hinsichtlich der Rechtmäßigkeit einer solchen materiellen Ausschlussfrist, die es im Bundesrecht und in den Beihilferegelungen anderer Bundesländer ebenso gibt, bestehen keine Bedenken (BVerwG, U. v. 28.06.1965 – Az. VIII C 334.63; VG Ansbach, U. v. 14.05.2020 – Az. 18 K 18.00645; VG München, U. v. 08.11.2016 – Az. M 17 K 16.4499; VG Köln, U. v. 07.07.2016 – Az. 1 K 5654/15). Die Ausschlussfrist dient aus haushaltstechnischen Gründen dazu, eine baldige Klärung etwa noch bestehender Beihilfeansprüche herbeizuführen und ist mit dem Rechtsstaatsprinzip vereinbar. Das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit erfordert es nicht, dass von der Rechtsordnung verliehene Ansprüche ohne zeitliche Schranken Bestand haben müssten. Ist die zeitliche Grenze, wie hier, so gezogen, dass nach der Lebenserfahrung den Berechtigten auch dann noch genügend Zeit zur Anspruchsverwirklichung zur Verfügung steht, wenn sie im Zeitpunkt der Entstehung des Anspruches oder später nur vorübergehend daran gehindert waren, so verletzt der Normgeber nicht seine Pflicht, die Durchsetzbarkeit des Anspruchs zu gewähren (BVerwG, U. v. 28.06.1965 – Az. VIII C 334.63). Im Hinblick auf die Fürsorgepflicht des Dienstherrn ist die Ausschlussfrist jedenfalls dann unbedenklich, wenn die Möglichkeit besteht, im besonderen Einzelfall Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu beantragen. Obwohl es sich um eine materiell-rechtlich Ausschlussfrist handelt, ist dies ist bei der Ausschlussfrist des Art. 96 Abs. 3a BayBG der Fall (vgl. BayVGH, B. v. 02.10.2018 – Az. 14 ZB 17.1841).
Die Voraussetzungen für die Gewährung der Wiedereinsetzung in die abgelaufene Ausschlussfrist sind im vorliegenden Fall allerdings nicht erfüllt.
Nach Art. 32 Abs. 1 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG) ist jemandem, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Gemäß Art. 32 Abs. 2 BayVwVfG ist der Antrag innerhalb von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen und sind die Tatsachen zur Begründung des Antrags bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Nach Art. 32 Abs. 3 BayVwVfG kann nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt oder die versäumte Handlung nicht mehr nachgeholt werden, außer wenn dies vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war.
Bei Berücksichtigung dieser Vorgaben ist schon festzustellen, dass hinsichtlich der Rechnungen, die vor dem 18.06.2019 ausgestellt worden sind, die Gewährung von Wiedereinsetzung nach Art. 32 Abs. 3 BayVwVfG von vorneherein nicht in Betracht kommt, weil die von der Klägerin als Grund für die Versäumung der Frist geltend gemachten krankheitsbedingten Einschränkungen unzweifelhaft jedenfalls keine höhere Gewalt sind. Für die Rechnungen aus dem Jahr 2011 ist der Entschuldigungsgrund im Übrigen ohnehin nicht von dem vorgelegten ärztlichen Attest gedeckt, das die Erkrankung erst ab dem Jahr 2012 bescheinigt.
Daneben ist auch schon die Antragsfrist des Art. 32 Abs. 2 BayVwVfG überwiegend nicht gewahrt. Die Klägerin hat sich bereits am 3.9.2019 von ihrem behandelnden Arzt ihre Erkrankung zwecks Vorlage bei der Beihilfestelle bestätigen lassen. Es ist nichts vorgetragen oder gar nachgewiesen, dass sie nicht binnen 2 Wochen nach diesem Zeitpunkt imstande gewesen wäre, den Beihilfeantrag mit Wiedereinsetzungsantrag selbst oder durch einen Bevollmächtigten zu stellen.
Für alle eingereichten Belege gilt zudem, dass die Klägerin nicht ohne Verschulden daran gehindert war, die Jahresfrist einzuhalten. Verschuldet ist eine Fristversäumnis dann, wenn der Betroffene nicht die Sorgfalt walten lässt, die für einen gewissenhaften, seine Rechte und Pflichten sachgerecht wahrnehmenden Beteiligten geboten und ihm nach den gesamten Umständen zumutbar ist (BVerwG, Urteil v. 08.03.1983 – Az. 1 C 34/80). Eine Krankheit greift als Entschuldigungsgrund für die Versäumung der Frist nur dann durch, wenn sie so schwer war, dass der von ihr betroffene Verfahrensbeteiligte nicht bloß unfähig war, selbst zu handeln, sondern auch außerstande war, einen Bevollmächtigten mit der Wahrnehmung seiner Interessen zu beauftragen und im gebotenen Umfange zu informieren (BVerwG, B. v. 27.09.1993 – Az. 4 NB 35/93 und B. v. 22.07.2008 – AZ. 5 B 50/08).
Vorliegend gibt es schon keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die geltend gemachten krankheitsbedingten Einschränkungen dauerhaft über einen Zeitraum von 9 Jahren das Vermögen der Klägerin zur Einreichung von Rechnungen bei der Beihilfestelle ausgeschlossen hätten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich beim Ausfüllen eines Beihilfeantrags einschließlich Zusammenstellung der Belege um eine einfache Tätigkeit handelt, dass die Klägerin im betroffenen Zeitraum auch regelmäßig selbst Beihilfeanträge eingereicht hat und dass sie sich deren Unvollständigkeit bewusst war, wie das schon im September 2019 zur Vorlage bei der Beihilfestelle eingeholte Attest zeigt. Selbst wenn man aber dennoch vertritt, dass die Klägerin wegen der in der mündlichen Verhandlung vorgetragenen sehr starken Depressionen durchgehend die Beihilfeangelegenheit nicht ordnungsgemäß erledigen konnte, dann geht die Kammer jedenfalls – auch nach der Präzisierung des Sachverhalts in der mündlichen Verhandlung – nicht davon aus, dass die Klägerin auf Grund der bestehenden Erkrankung auch außerstande war, innerhalb der Jahresfrist des § 48 Abs. 6 BayBhV a.F. einen Bevollmächtigten mit der Geltendmachung ihrer Beihilfeansprüche zu beauftragen. Das im Verwaltungsverfahren vorgelegte Attest des Dr. S. vom 3.9.2019 trifft diesbezüglich schon keine Aussage und auch die als Folge der psychischen Erkrankung angeführten Diagnosen Antriebsmangel und Konzentrationsstörungen belegen nicht eine Handlungsunfähigkeit der Klägerin in einem Ausmaß, dass die Beauftragung eines Bevollmächtigten ausgeschlossen erscheint. Die im gerichtlichen Verfahren vorgelegte Bescheinigung der medbo betrifft den Zeitraum ab Juli 2020 und damit schon formell nicht den Zeitraum vor Juni 2020, für den die Klägerin Wiedereinsetzung begehrt. Die dort sehr unsubstantiiert angeführte „deutliche Einschränkung hinsichtlich der Alltagsbewältigung“ belegt auch keinesfalls die für die Gewährung von Wiedereinsetzung erforderliche Handlungsunfähigkeit, erst recht nicht die fehlende Möglichkeit der Beauftragung eines Bevollmächtigten. Obwohl die Bescheinigung wohl auf die Bestätigung einer krankheitsbedingten Verhinderung der Klägerin zur Einreichung von u.a. Beihilfeanträgen abzielt, ist festzustellen, dass die Klägerin mit der Stellung der Wiedereinsetzungsanträge am 17.6.2020, 18.6.2020 und 18.7.2020 entgegen dieser Wertung die tatsächlich bestehende Möglichkeit zur Bewältigung der Beihilfeangelegenheit gerade dokumentiert hat. Soweit sie in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, dass diese Anträge von einem Bekannten verfasst worden seien, belegt dies gerade die Handlungsfähigkeit durch einen Bevollmächtigten und widerlegt den Vortrag in der Klagebegründung, dass ohne eigene Tätigkeit der Klägerin ein solcher die Beihilfeanträge nicht habe stellen können. Soweit die Klägerin in der mündlichen Verhandlung angedeutet hat, dass vor 2020 keine Verwandten und Bekannten zur Verfügung gestanden hätten, führt gerade der sehr lange Zeitraum, für den die Klägerin Einschränkungen geltend macht, dazu, dass sie verpflichtet war, auf die von ihr erkannten eigenen Defizite zu reagieren und auch fremde Dritte mit der Erledigung ihrer Angelegenheiten zu beauftragen. Ihrem Vortrag, dass es eine entsprechende Person gegeben habe, diese aber auf die hohen Kosten bei Erledigung aller Angelegenheiten hingewiesen habe, braucht nicht näher nachgegangen zu werden, weil eine derartige Vorgehensweise das Verschulden der Klägerin nicht ausschließt, zumal ihr ein etwaiges Verschulden des Bevollmächtigten zuzurechnen wäre. Der diesbezügliche sehr diffuse und nach Setzung einer Frist nach § 87b VwGO erstmals in der mündlichen Verhandlung erfolgte Vortrag genügt auch nicht der Verpflichtung der Klägerin zur Glaubhaftmachung von Wiedereinsetzungsgründen (Art. 32 Abs. 2 Satz 2 BayVwVfG).
Nach alledem besteht für sämtliche streitgegenständliche Belege kein Anspruch auf die Gewährung von Wiedereinsetzung in die jeweils versäumte Antragsfrist.
Die Klage war demnach mit der Kostenfolge nach § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Die Entscheidung bezüglich der vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
Gründe für die Zulassung der Berufung durch das Verwaltungsgericht liegen nicht vor (§ 124a Abs. 1 VwGO).


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