Medizinrecht

Beihilfe, manuelle Therapie, Beihilfefähigkeit, medizinische, Notwendigkeit, Sachverständigengutachten

Aktenzeichen  AN 18 K 19.01286

Datum:
11.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 21833
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BBhV § 6

 

Leitsatz

Tenor

Die Postbeamtenkrankenkasse wird unter entsprechender Aufhebung des Leistungsbescheids vom 7. März 2019 in der Fassung des Leistungsbescheids vom 12. März 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. Juni 2019 verpflichtet, dem Kläger Beihilfe in Höhe von 189,00 EUR zu gewähren.
Die Postbeamtenkrankenkasse wird unter entsprechender Aufhebung des Leistungsbescheids vom 17. Juni 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. September 2019 verpflichtet, dem Kläger Beihilfe in Höhe von 225,89 EUR zu gewähren.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Hinsichtlich der Kosten ist das Urteil vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Nach gebotener Auslegung der schriftsätzlich gestellten Klageanträge des anwaltlich nicht vertretenen Klägers gemäß § 88 VwGO handelt es sich vorliegend um zwei Verpflichtungsklagen gemäß § 42 Abs. 1, 2. Alt. VwGO gerichtet auf die Gewährung von Beihilfe unter entsprechender Aufhebung der versagenden Bescheide. Wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung auf Nachfrage des Gerichts klargestellt hat, misst er der im Klageschriftsatz unter „Antrag“ formulierten „Bitte“ auf Feststellung, „dass – wenn Herr Dr. … weitere Behandlungen durch Krankengymnastik und manuelle Therapie für erforderlich hält – die Kosten der Behandlungen von der Beihilfestelle zu tragen sind“, keine eigenständige Bedeutung zu. Von daher erübrigen sich weitere Ausführungen, was die Zulässigkeit eines etwaigen Feststellungsantrages angeht.
Die so verstandenen Klagen sind zulässig und auch begründet, weil die angefochtenen Bescheide, soweit darin die Kosten für manuelle Therapie und Krankengymnastik nicht anerkannt worden sind, vom 7. März 2019 in der Fassung des Leistungsbescheids vom 12. März 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. Juni 2019 (1.) und vom 17. Juni 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. September 2019 (2.) rechtswidrig sind und den Kläger daher in seinen Rechten verletzen (§ 113 Abs. 1 und 5 VwGO). Der Kläger hat einen Anspruch auf Kostenerstattung im begehrten Umfang.
1. Die hinsichtlich der Leistungsbescheide vom 7. und 12. März 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. Juni 2019 (§ 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) erhobene Verpflichtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 VwGO ist zulässig und begründet, so dass die Behörde gemäß § 113 Abs. 5 VwGO im tenorierten Umfang zu verpflichten war, dem Kläger Beihilfe zu gewähren.
Bei der ärztlich verordneten manuellen Therapie (Verordnung vom 6. Dezember 2018) mit zehn Einzelanwendungen handelt es sich nach Auffassung der Kammer um eine im Sinne der hier anwendbaren Bundesbeihilfeverordnung vom 13. Februar 2009 (BGBl. I S. 326 BBhV), notwendige und wirtschaftlich angemessene, mithin beihilfefähige Aufwendung. Diese belief sich auf 270,00 EUR, wovon dem zu 70% beihilfeberechtigten Kläger 189,00 EUR zu erstatten sind.
Bei der sog. manuellen Therapie handelt es sich um eine spezielle physiotherapeutische Behandlungsmethode, die wie folgt beschrieben wird: „Die Manuelle Therapie ist ein Behandlungsansatz, bei dem Funktionsstörungen des Bewegungsapparates untersucht und behandelt werden. Grundlage der Manuellen Therapie sind spezielle Handgriff- und Mobilisationstechniken, bei denen Schmerzen gelindert und Bewegungsstörungen beseitigt werden. Physiotherapeuten untersuchen dabei die Gelenkmechanik, die Muskelfunktion sowie die Koordination der Bewegungen, bevor ein individueller Behandlungsplan festgelegt wird.
Die Manuelle Therapie bedient sich sowohl passiver Techniken als auch aktiver Übungen. Zum einen werden blockierte oder eingeschränkte Gelenke von geschulten Physiotherapeuten mithilfe sanfter Techniken mobilisiert, zum anderen können durch individuelle Übungen instabile Gelenke stabilisiert werden. Ziel des Behandlungskonzeptes: Wiederherstellung des Zusammenspieles zwischen Gelenken, Muskeln und Nerven.“ (Deutscher Verband für Physiotherapie (ZVK) e.V., https://www.physio-deutschland.de/patienten-interessierte/wichtige-therapien-auf-einen-blick/manuelle-therapie.html, zuletzt abgerufen am 24.6.2021, 15:44 Uhr)
Die manuelle Therapie stellt zwar ein grundsätzlich beihilfefähiges Heilmittel dar, wie sich aus § 23 Abs. 1 BBhV i.V.m. Ziffer 11 Anlage 9 zur BBhV ergibt.
Gemäß § 6 Abs. 3 BBhV sind grundsätzlich jedoch nur notwendige und wirtschaftlich angemessene Aufwendungen beihilfefähig. Über die Notwendigkeit und die wirtschaftliche Angemessenheit von Aufwendungen entscheidet gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 BBhV die Festsetzungsstelle. Die Festsetzungsstelle ist berechtigt, auf eigene Kosten ein Sachverständigengutachten einzuholen, § 51 Abs. 1 Satz 4 BBhV.
Grundsätzlich sind Aufwendungen in Krankheitsfällen (§ 80 Abs. 3 Nr. 1 BBG) nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts notwendig, „wenn sie für eine medizinisch gebotene Behandlung entstanden sind, die der Wiedererlangung der Gesundheit, der Besserung oder Linderung von Leiden sowie der Beseitigung oder zum Ausgleich körperlicher Beeinträchtigungen dient. Entsprechend dem Zweck der Beihilfengewährung müssen die Leiden und körperlichen Beeinträchtigungen Krankheitswert besitzen. Die Behandlung muss darauf gerichtet sein, die Krankheit zu therapieren. Zusätzliche Maßnahmen, die für sich genommen nicht die Heilung des Leidens herbeiführen können, können als notwendig gelten, wenn sie die Vermeidung oder Minimierung von mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Behandlungsrisiken und Folgeleiden bezwecken.“ (BVerwG, B.v.30.9.2011 – 2 B 66.11 -, Rn. 11, juris)
Bei der beihilferechtlich notwendigen Aufwendung handelt es sich um einen – der gerichtlichen Überprüfung voll zugänglichen – unbestimmten Rechtsbegriff (BVerwG, U.v. 20.3.2008 – 2 C 19.06, Rn. 9 -, juris).
Vorliegend ist das Heilmittel, um dessen medizinische Notwendigkeit es geht, nämlich die manuelle Therapie, ärztlich verordnet worden (Verordnung vom 6. Dezember 2018). Eine ärztliche Verordnung lässt grundsätzlich auf die medizinische Notwendigkeit der verordneten Heilbehandlung schließen. So ist der (fach-)ärztlichen Meinung, die sich in der entsprechenden Verordnung eines Heilmittels niederschlägt, durch das Gericht bei seiner Beurteilung ein hohes Gewicht beizumessen und ihr grundsätzlich zu folgen (BVerwG, aaO, Rn. 11 – juris), es sei denn, es sprechen gewichtige Anhaltspunkte gegen die Annahme der medizinischen Notwendigkeit.
Die Beihilfestelle muss dementsprechend davon ausgehen, dass die auf einer ärztlichen Verordnung beruhende manuelle Therapie medizinisch und beihilferechtlich notwendig ist. Sie ist aber berechtigt, ein Sachverständigengutachten einzuholen, wenn dennoch begründete Zweifel an der Notwendigkeit geltend gemachter Aufwendungen bestehen (BVerwG, B.v.22.8.2018, 5 B 3.18, Rn. 10 – juris).
Für die Beklagte haben sich wohl aus den zwischen Februar 2017 und Juni 2018 eingereichten Verordnungen jeweils mit der Diagnose „Wirbelsäulensyndrom“ derartige Zweifel ergeben, die aus Sicht der Kammer angesichts der Vielzahl der bis dahin eingereichten und bewilligten Aufwendungen auf der Grundlage der o.g. Diagnose nicht unberechtigt gewesen sein mögen. Allerdings bietet das daraufhin eingeholte Sachverständigengutachten keine geeignete Grundlage, über die medizinische Notwendigkeit der hier streitgegenständlichen Aufwendungen für manuelle Therapie zu befinden und von der fachärztlichen Verordnung vom 6. Dezember 2018 abzuweichen, weil in dem Gutachten gerade keine Auseinandersetzung mit der in der Verordnung vermerkten Diagnose „Trochantertendomyose li.“ stattgefunden hat.
So hat der Gutachter stattdessen „nach Aktenlage“ folgende Diagnose zugrunde gelegt: „Spinalkanalstenose LWS“. Diese sei kernspintomographisch gesichert und aus gutachterlicher Sicht federführend ursächlich für die andauernden Beschwerden. Außerdem konstatiert der Gutachter, dass der Kläger „nun über zusätzliche Schmerzen in der HWS“ berichte „und über andauernde lumbale Schmerzen, die nach links ausstrahlen“. Die in der streitgegenständlichen Verordnung genannte Diagnose wird hingegen nicht einmal ansatzweise erwähnt, so dass die Beihilfefähigkeit der manuellen Therapie zur Behandlung der „Trochantertendomyose li.“ mit dem von der Beklagten herangezogenen Gutachten nicht in Frage gestellt werden konnte.
Laut Pschyrembel Klinisches Wörterbuch, 260. Aufl., Berlin 2004, handelt es sich bei dem Trochanter nicht um einen Teil der Wirbelsäule, sondern um den „Rollhügel; am Oberschenkelknochen als Trochanter major (außen) und Trochanter minor (einwärtsliegend)“.
Eine Tendomyose ist eine entzündliche Reaktion im Bereich der Sehnen (Tendo: Sehne, Myositis: entzündliche Reaktion von Muskeln, vgl. Pschyrembel, aaO).
Auf den mit der streitgegenständlichen Verordnung umfassten Bereich des Oberschenkelknochens wird im Gutachten, welches bezogen auf die dort bezeichnete Diagnose „Spinalkanalstenose LWS“ zwar schlüssig und nachvollziehbar ist, nicht eingegangen.
Denn: „Bei einer Spinalkanalstenose (Spinalstenose, spinale Stenose, Wirbelkanalstenose) ist der Kanal in der Wirbelsäule verengt, durch den das Rückenmark verläuft. Der entstehende Druck auf Rückenmark, Nerven und Blutgefäße kann Rückenschmerzen und bleibende Nervenschädigungen verursachen.“ (https://www.netdoktor.de/krankheiten/spinalkanalstenose/, zuletzt abgerufen am 24. Juni 2021, 15:17 Uhr).
Der Einwand der Beklagten durch Schriftsatz an das Gericht vom 11. Juni 2021, die Diagnose „Wirbelsäulensyndrom“ umfasse auch die Diagnose „Trochantertendomyose“, ist für das Gericht nicht nachvollziehbar. Denn zum einen ist die Diagnose („Spinalkanalstenose LWS“) des Gutachters wesentlich spezifischer als die von der Beklagten herangezogene Diagnose („Wirbelsäulensyndrom“). Zum anderen mag es zwar sein, dass Probleme im Bereich der Wirbelsäule sich symptomatisch auch auf den übrigen, damit zusammenhängenden Bewegungsapparat auswirken und Schmerzen auslösen können. Allerdings ist dieser Einwand insoweit bei Weitem nicht hinreichend konkret und substantiiert, um die Aussagekraft einer ärztlichen Verordnung, was die medizinische Notwendigkeit einer Behandlung angeht, derart pauschal in Zweifel zu ziehen.
Dass an den mit Trochanter bezeichneten „Knochenvorsprüngen“ die Gesäß-, Hüft- und Lendenmuskeln ansetzen, „so dass Schmerzen in diesem Bereich den gesamten unteren Rücken erfassen“, ist zunächst einmal nur eine nicht begründete Behauptung und entzieht sich sowohl der Expertise der Beklagten als auch der des Gerichts. Die medizinische Notwendigkeit auf dieser Basis in Frage zu stellen, hätte einer (ergänzenden) gutachterlichen Stellungnahme bedurft. Eine solche hat die Beklagte weder eingeholt, noch hat sie einen entsprechenden Beweisantrag gestellt. Die Einholung eines Gutachtens durch das Gericht war auch im Rahmen der gerichtlichen Amtsermittlungspflicht nicht geboten, weil sich dem Gericht hinsichtlich der ärztlichen Diagnose „Trochantertendomyose“ keine Zweifel aufgedrängt haben.
Insoweit war durch die Kammer zu berücksichtigen, dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung, an der die Beklagte nicht teilgenommen hat, von Schmerzen im Gesäßbereich berichtet hat. Diese seien ursächlich für die streitgegenständliche Verordnung gewesen. Die daraufhin durchgeführten manuellen Therapien hätten ihm so gut geholfen, dass er aktuell in diesem Bereich beschwerdefrei sei.
Dieser Vortrag lässt die ärztliche Diagnose und Indizierung der medizinischen Notwendigkeit durch die hier streitgegenständliche Verordnung nachvollziehbar erscheinen und wurde von der Beklagten nicht einmal ansatzweise in Frage gestellt.
Nach alledem handelt es sich bei den Aufwendungen für 10 Einzelanwendungen manueller Therapie um medizinisch und damit auch beihilferechtlich notwendige Kosten, die von der Beklagten im Rahmen der 70 prozentigen Beihilfeberechtigung des Klägers zu erstatten sind.
2. Auch die hinsichtlich des Leistungsbescheids vom 17. Juni 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. September 2019 (§ 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) erhobene Verpflichtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 VwGO ist zulässig und begründet, so dass die Behörde gemäß § 113 Abs. 5 VwGO im tenorierten Umfang zu verpflichten war, dem Kläger Beihilfe zu gewähren.
Bei der ärztlich verordneten manuellen Therapie und Krankengymnastik (Verordnung vom 19. Februar 2019) mit jeweils zehn Einzelanwendungen handelt es sich nach Auffassung der Kammer ebenfalls um eine im Sinne der BBhV notwendige und wirtschaftlich angemessene, mithin beihilfefähige Aufwendung. Diese belief sich auf 297,00 EUR für zehn Einzelanwendungen manuelle Therapie, wovon dem zu 70% beihilfeberechtigten Kläger 207,90 EUR zu erstatten sind, und streitgegenständlich auf 25,70 EUR für eine Anwendung Krankengymnastik, wovon dem zu 70% beihilfeberechtigten Kläger 17,99 EUR zu erstatten sind.
Was die Kosten für die manuelle Therapie angeht, wird voll umfänglich auf die Ausführungen unter 1.) Bezug genommen, weil auch die hier streitgegenständliche ärztliche Verordnung vom 19. Februar 2019 die Diagnose „Trochantertendomyose li.“ beinhaltet, die Beklagte sich aber auf das Sachverständigengutachten vom 10. Oktober 2018 stützt, welches auf der Diagnose „Spinalkanalstenose LWS“ beruht.
Im Hinblick auf die darüber hinaus streitgegenständlichen Kosten für eine Einzelanwendung Krankengymnastik gilt nichts Anderes. Denn die von der Beihilfestelle vorgenommene Beschränkung auf zehn Einzelanwendungen pro Quartal beruht ebenfalls auf den Feststellungen des Sachverständigen basierend auf der Diagnose „Spinalkanalstenose LWS“.
Unklar ist auch nach Durchführung der mündlichen Verhandlung geblieben, weshalb die Beklagte entgegen ihren Ausführungen, es könnten nur noch zwei Einzelanwendungen Krankengymnastik bewilligt werden, weil im ersten Quartal bereits 8 Einzelanwendungen bewilligt worden seien, die Kosten für neun Anwendungen als beihilfefähig anerkannt und nur die Aufwendung für eine Einzelanwendung versagt hat.
Denn nach der hier vertretenen Auffassung war auch die Beschränkung auf zehn Einzelanwendungen Krankengymnastik pro Quartal entgegen der ärztlichen Verordnung auf der Grundlage des Gutachtens vom 10. Oktober 2018 rechtswidrig, so dass unabhängig von einem etwaigen Rechenfehler der Beklagten der Kläger einen Anspruch auf Gewährung von Beihilfe auch für die Aufwendungen für eine Einzelanwendung Krankengymnastik hat.
3. Nach alledem war den Klagen daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben und die Beklagte entsprechend zu verpflichten. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO, der Streitwertbeschluss auf § 52 Abs. 3 GKG.


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