Medizinrecht

Berechnung eines durchschnittlichen Monatseinkommens und Kostenbeitrags

Aktenzeichen  12 BV 18.1274

Datum:
25.9.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 25273
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VIII § 34, § 41, § 93, § 94 Abs. 4
VwGO § 101 Abs. 2, § 125 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Verfahrensgang

RN 4 K 17.1236 2018-05-08 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Der Senat kann über die Berufung des Beklagten nach §§ 125 Abs. 1 Satz 1, 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da alle Verfahrensbeteiligten hiermit ihr Einverständnis erklärt haben.
Die zulässige Berufung ist unbegründet, da das Verwaltungsgericht den Leistungsbescheid des Beklagten vom 23. Februar 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids der Regierung von Niederbayern vom 22. Juni 2017 zu Recht aufgehoben hat. Der Bescheid erweist sich auch in Ansehung des Berufungsvorbringens des Beklagten als rechtswidrig und verletzt den Kläger im Sinne von § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO in seinen Rechten.
Zu Unrecht will der Beklagte nach wie vor bei der Bemessung des Kostenbeitrags des Klägers nach § 94 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII dessen jeweils aktuelles Monatseinkommen zugrunde legen und zugleich die gesetzliche Regelung in § 93 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII außer Anwendung lassen, nach der für die Berechnung des Kostenbeitrags auf das „durchschnittliche Monatseinkommen, das die kostenbeitragspflichtige Person in dem Kalenderjahr erzielt hat, welches dem jeweiligen Kalenderjahr der Leistung oder Maßnahme vorangeht“, abzustellen ist. Diese Vorgehensweise lässt sich weder mit Wortlaut und Systematik der §§ 93, 94 SGB VIII in Einklang bringen (1.) noch aus der Gesetzgebungshistorie ableiten (2.). Ebenso wenig lässt die gesetzgeberische Intention der einschlägigen Regelungen darauf schließen, dass bei der Bemessung des Kostenbeitrags nach § 94 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII § 93 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII unangewendet bleibt (3.). Ferner erlaubt auch die beabsichtigte Ergänzung von § 94 Abs. 6 SGB VIII im aktuellen Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Neunten und des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch und anderer Rechtsvorschriften vom 26. April 2019 (BT-Drucks. 19/11006) keinen Rückschluss auf die Richtigkeit der Rechtsauffassung des Beklagten (4.).
1. Nach Wortlaut und Systematik der §§ 93, 94 SGB VIII findet § 93 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII bei der Bemessung des Kostenbeitrags eines jungen Menschen nach § 94 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII Anwendung (ebenso Sächsisches OVG, U.v. 9.5.2019 – 3 A 751/18 – BeckRS 2019, 9909 Rn. 22 ff.; VG Hannover, U.v. 14.12.2018 – 3 A 7642/16 – BeckRS 2018, 3..5247 Rn. 17 ff.; VG Dresden, U.v. 18.4.2018 – 1 K 2114/16 – JAmt 2019, 43; VG Cottbus, U.v. 3.2.2017 – VG 1 K 568/16 – BeckRS 2017, 103333 Rn. 22; VG Arnsberg, U.v. 15.11.2016 – 11 K 1961/16 – BeckRS 2016, 112686; Schindler in Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar SGB VIII, 8. Aufl. 2019, § 94 Rn. 17; Stähr in Hauck/Nofzt, SGB VIII, Stand 08/17 § 94 Rn. 29; Söfker, JAmt 2013, 434, 436; wohl auch DIJuF-Rechtsgutachten v. 4.10.2013, J 8.300 Sch, JAmt 2013, 514, DIJuF-Rechtsgutachten v. 22.8.2017 – SN 2017 0557 Kr, JAmt 2018, 142 f.).
Im Rahmen des Abschnitts „Kostenbeiträge für teilstationäre und vollstationäre Leistungen sowie vorläufige Maßnahmen“ in den §§ 91 ff. SGB VIII differenziert der Gesetzgeber zwischen der „Berechnung“ des für die Erhebung eines Kostenbeitrags maßgeblichen Einkommens in § 93 SGB VIII und dem „Umfang der Heranziehung“ in § 94 SGB VIII. Ohne die „Berechnung des Einkommens“ als erstem Schritt lässt sich indes der „Umfang der Heranziehung“ nicht bestimmen. Normlogisch baut daher § 94 SGB VIII auf § 93 SGB VIII auf. § 93 SGB VIII liegt darüber hinaus bei der Berechnung des kostenbeitragsrechtlich maßgeblichen Einkommens ein schrittweises Vorgehen zugrunde. Ausgehend von der Normierung des kostenbeitragsrechtlichen Einkommensbegriffs in § 93 Abs. 1 SGB VIII gebietet § 93 Abs. 2 SGB VIII die Absetzung der auf das Einkommen nach § 93 Abs. 1 SGB VIII gezahlten Steuern, der Sozialversicherungsbeiträge sowie der Beiträge zur Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung. Ferner regelt § 93 Abs. 3 SGB VIII den Abzug von weiteren Belastungen der kostenbeitragspflichtigen Person, etwa durch Versicherungsbeiträge, Werbungskosten und Schuldverpflichtungen, die durch einen pauschalen Abzug von 25% des nach § 93 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VIII errechneten Betrags erfolgt bzw. bei entsprechendem Nachweis auch höhere angemessene Beträge. Schließlich bestimmt § 93 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII im Hinblick auf § 93 Abs. 1 SGB VIII, dass bei der Berechnung des Einkommens das „durchschnittliche Monatseinkommen, das die kostenbeitragspflichtige Person in dem Kalenderjahr erzielt hat, welches dem jeweiligen Kalenderjahr der Leistung oder Maßnahme vorausgeht“ maßgeblich ist. In der Folge bietet § 93 Abs. 4 Sätze 2 bis 4 SGB VIII dem Kostenbeitragspflichtigen die Möglichkeit, einen sog. Aktualisierungsantrag zu stellen, sodass das durchschnittliche Monatseinkommen des aktuellen Jahres für die Berechnung des Kostenbeitrags maßgeblich wird.
Auf diesen Modus der Ermittlung des kostenbeitragsrechtlichen Einkommens baut § 94 SGB VIII für den „Umfang der Heranziehung“ des jeweiligen Kostenbeitragspflichtigen auf, indes nicht, wie der Beklagte meint, durch selektive „Verweisung“ auf einzelne Absätze von § 93 SGB VIII. Soweit § 94 Abs. 2 SGB VIII für die Bestimmung des Umfangs des Kostenbeitrags bei Eltern, Ehegatten oder Lebenspartnern „die Höhe des nach § 93 ermittelten Einkommens“ zugrunde legt, wird hierin lediglich auf die normlogische Abfolge der gesetzlichen Regelung hingewiesen. Die im vorliegenden Fall streitbefangene Regelung in § 94 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII, wonach junge Menschen und Leistungsberechtigte nach § 19 SGB VIII bei vollstationären Leistungen „nach Abzug der in § 93 Abs. 2 SGB VIII genannten Beträge 75% ihres Einkommens als Kostenbeitrag einzusetzen“ haben, bildet hingegen eine Spezialregelung zu § 93 Abs. 3 SGB VIII (so insb. Sächsisches OVG, U.v. 9.5.2019 – 3 A 751/18 – BeckRS 2019, 9909 Rn. 22; VG Arnsberg, U.v. 15.11.2016 – 11 K 1961/16 – BeckRS 2016, 112686), die über § 93 Abs. 2 SGB VIII hinaus den Abzug weiterer Belastungen des kostenbeitragspflichtigen jungen Menschen, die über 25% des grundsätzlich beitragspflichtigen Einkommens hinausgehen, ausschließt, was andernfalls nach § 93 Abs. 3 Sätze 3 bis 5 SGB VIII im Rahmen der Einkommensermittlung möglich gewesen wäre. Anders, als der Beklagte meint, liegt hierin folglich keine „isolierte Verweisung“ auf § 93 Abs. 2 SGB VIII. Eine derartige „Verweisung“ machte auch keinen Sinn, da sie die Bestimmung des kostenbeitragsrechtlichen Einkommens nach § 93 Abs. 1 SGB VIII aus dem Anwendungsbereich des § 94 Abs. 6 SGB VIII ausklammern würde. Zugleich ergibt sich damit, dass – wenn § 93 Abs. 1 SGB VIII im Rahmen von § 94 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII Anwendung findet -, auch § 93 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII, der § 93 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII lediglich konkretisiert, Anwendung finden muss. Mithin lassen bereits der Normtext und systematische Überlegungen die Nichtanwendung von § 93 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII bei der Bestimmung des Umfangs des Kostenbeitrags des jungen Menschen für seine stationäre Unterbringung nicht zu.
2. Die vom Beklagten vertretene Auffassung, dass § 93 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII bei der Bestimmung des Kostenbeitrags des jungen Menschen nach § 94 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII keine Anwendung finden soll, findet auch in der Gesetzgebungshistorie keinen Anhalt (so auch Sächsisches OVG, U.v. 9.5.2019 – 3 A 751/18 – BeckRS 2019, 9909 Rn. 30 ff.).
So sah der Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Gesetz zur Verwaltungsvereinfachung in der Kinder- und Jugendhilfe (Kinder- und Jugendhilfeverwaltungsvereinfachungsgesetz – KJVVG) die Regelung in § 93 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII ausdrücklich zur „Klarstellung [vor], welcher Zeitraum für die Berechnung des Einkommens zu betrachten ist“ (BT-Drucks. 17/13023, S. 14 f.). Das Abstellen auf ein Durchschnittseinkommen sollte insbesondere „eine Benachteiligung selbstständig erwerbstätiger Kostenbeitragsschuldner gegenüber unselbstständig erwerbstätigen Kostenbeitragsschuldnern“ verhindern (a.a.O.). Grundsätzlich werde „das durchschnittliche Monatseinkommen des Kalenderjahres berechnet, das dem jeweiligen Kalenderjahr der Leistung oder der Maßnahme der Kinder- und Jugendhilfe vorangeht“ (BT-Drucks. 17/13023, S. 15). So könne „zeitnah zur Leistung oder Maßnahme der Kostenbeitrag erhoben werden“ (a.a.O.). Ein Änderungsvorschlag des Bundesrates (vgl. BT-Drucks. 17/13023, Anl. 3, S. 23), der „das durchschnittliche Monatseinkommen, das die kostenbeitragspflichtige Person während der Maßnahme erzielt“ zur Basis der Kostenbeitragsbemessung machen wollte, wird in der Gegenäußerung der Bundesregierung als „den mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung verfolgten Zielen der Verwaltungsvereinfachung und der Erhöhung der Rechtssicherheit im Kostenbeitragsrecht“ widersprechend zurückgewiesen (BT-Drucks. 17/13023, Anl. 4, S. 25) und wurde im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens nicht mehr aufgegriffen. Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber die Anwendung von § 93 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII bei der Bemessung des Kostenbeitrags des jungen Menschen nicht angewandt wissen wollte, liefern die Gesetzgebungsmaterialien mithin nicht (so insbesondere auch VG Cottbus, U.v. 3.2.2017 – VG 1 K 586/16 – BeckRS 2017, 103333 Rn. 23 f.).
3. Ebenso wenig gebieten Sinn und Zweck der Regelung eine teleologische Auslegung der maßgeblichen Bestimmungen dahingehend, im Rahmen von § 94 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII § 93 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII nicht anzuwenden (vgl. VG Hannover, U.v. 14.12.2018 – 3 A 7642/16 – BeckRS 2018, 3..5247 Rn. 25 ff.). Das vom Beklagten wie auch vom Bundesfamilienministerium (in der vom Beklagten zitierten Email), vom Deutschen Institut für Jugend- und Familie (vgl. DIJuF-Rechtsgutachten v. 4.10.2013, J 8.300 Sch, JAmt 2013, 514, nunmehr einschränkend DIJuF-Rechtsgutachten v. 22.8.2017 – SN 2017 0557 Kr, JAmt 2018, 142 f.) sowie von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter (vgl. Gemeinsame Empfehlungen zur Kostenbeteiligung nach dem SGB VIII, Stand 4.5.2018, Ziff. 8.9.1 S. 34) aus „pädagogischen Erwägungen“ befürwortete Abstellen auf das jeweils aktuelle Monatseinkommen des jungen Menschen, aus dem der Kostenbeitrag berechnet werden soll, widerspricht zunächst dem vom Gesetzgeber selbst apostrophierten Regelungszweck des § 93 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII, nämlich den Verwaltungsaufwand zu vermindern sowie die Rechtssicherheit im Kostenbeitragsrecht zu erhöhen (vgl. VG Dresden, U.v. 18.4.2018 – 1 K 2114/16 – JAmt 2019, 43; VG Cottbus, U.v. 3.2.2017 – VG 1 K 586/16 – BeckRS 2017, 103333 Rn. 26). Denn bei der vom Beklagten geforderten Auslegung müssten monatlich die Einkünfte des jungen Menschen ermittelt und daraus jeweils der Kostenbeitrag berechnet werden, was entgegen der Absicht des Gesetzgebers zu einer beträchtlichen Erhöhung des Verwaltungsaufwands führen würde. Darüber hinaus erweist sich auch der mit der zeitgleich zur Tätigkeit des jungen Menschen erfolgenden Kostenbeitragserhebung angeblich erzielte „pädagogische Effekt“ als fragwürdig bzw. in keinerlei Hinsicht belegt (vgl. VG Hannover, U.v. 14.12.2018 – 3 A 7642/16 – BeckRS 2018, 3..5247 Rn. 28: „unbegründet bleibende fachliche Einseitigkeit“). Umgekehrt legt die Begründung des Gesetzgebers nahe, dass die Kostenbeitragserhebung für die Aufnahme einer Erwerbtätigkeit demotivierend wirken würde (vgl. VG Cottbus, U.v. 3.2.2017 – VG 1 K 586/16 – BeckRS 2017, 103333 Rn. 27). Aus der Anwendung von § 93 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII ließe sich die „mit § 94 Abs. 6 SGB VIII verbundene Anreizfunktion, die primär gerade den Zweck der Jugendhilfeleistung fördert“, insoweit sinnvoll ergänzen, als „dem jungen Menschen danach zunächst der finanzielle Gegenwert seiner Tätigkeit ganz verbleibt und er erst im Folgejahr hieraus zu den Kosten der Unterbringung herangezogen wird“ (so ausdrücklich VG Cottbus, U.v. 3.2.2017 – VG 1 K 586/16 – BeckRS 2017, 103333 Rn. 28). Ein zwingender gesetzgeberischer Telos, der es gebieten würde, den klaren Gesetzeswortlaut außer Acht zu lassen, besteht mithin nicht.
4. Auch aus den verschiedenen Versuchen des Gesetzgebers, eine „Klarstellung“ der maßgeblichen Regelungen im Sinne des Beklagten zu erreichen, lässt sich nicht der Schluss ziehen, im vorliegenden Fall hätte der Kostenbeitrag des Klägers auf der Basis seines jeweils aktuellen monatlichen Einkommens bestimmt werden müssen (vgl. Sächsisches OVG, U.v. 9.5.2019 – 3 A 751/18 – BeckRS 2019, 9909 Rn. 32; VG Hannover, U.v. 14.12.2018 – 3 A 7642/16 – BeckRS 2018, 3..5247 Rn. 29).
So findet sich zuletzt im Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Neunten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch und anderer Rechtsvorschriften vom 19. Juni 2019 (BT-Drucks. 19/1106) in Art. 8 Ziff. 4 zwar eine Ergänzung von § 94 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII dahingehend, dass nunmehr für die Bemessung des Kostenbeitrags des jungen Menschen „das Einkommen des Monats, in dem die Leistung oder Maßnahme erbracht wird“, maßgeblich sein soll. Ausweislich der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 19/11006, S. 35) soll mit dieser Gesetzesänderung „eine Klarstellung zum Kostenbeitragsrecht erfolgen“. § 93 Abs. 4 SGB VIII gehe „in seinem Grundsatz von einem regelmäßigen, wenn auch bei Selbstständigen von einem monatlich schwankenden Einkommen aus“. Junge Menschen hätten jedoch „eher ein unregelmäßiges Einkommen, da sie häufig nur zeitweise (über einige Wochen oder Monate im Jahr) und/oder auch abwechselnd Tätigkeiten mit unterschiedlich hohen Einkommen nachgehen. Aus diesem Grund pass(e) § 93 Abs. 4 SGB VIII vom Sinn und Zweck nicht bei der Kostenheranziehung von jungen Menschen“. Vielmehr solle bei ihnen „das aktuelle Einkommen des Monats, in dem die Leistung erbracht wird, für die Höhe des Kostenbeitrags maßgeblich sein. Auf diese Weise müss(t) en junge Menschen beispielsweise Teile ihres Einkommens nicht für ein Jahr zurücklegen, um dann dieses Einkommen als Kostenbeitrag abgeben zu können, wenn unklar (sei), ob sie auch im folgenden Jahr ein vergleichbares Einkommen haben.“
Abgesehen davon, dass die vom Gesetzgeber nunmehr beabsichtigte „Klarstellung“ in keiner Weise zu belegen vermag, dass unter der geltenden Rechtslage die dem Wortlaut der maßgeblichen Normen widersprechende Auslegung des Beklagten Raum greift, kann auch die Begründung des Gesetzentwurfs in keiner Weise überzeugen. So würde der ursprüngliche gesetzgeberische Ansatzpunkt für § 93 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII, nämlich die gleichmäßige Berücksichtigung stark wechselnder Einkünfte bei Selbstständigen durch Bildung eines Durchschnittswertes aus der Vergangenheit, wie ihn der Gesetzgeber beispielsweise auch im Ausbildungsförderungsrecht verfolgt (vgl. § 24 BAföG), für den Fall, dass auch junge Menschen häufig stark schwankende Einkünfte beziehen, die Anwendung von § 93 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII geradezu nahelegen.
Mithin erweist sich nach derzeitiger Gesetzeslage die Entscheidung des Verwaltungsgerichts, wonach das Abstellen des Beklagten auf das aktuelle Einkommen des Klägers im Rahmen von § 94 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt, als zutreffend, sodass die Berufung als unbegründet zurückzuweisen war.
5. Ohne dass es hierauf entscheidungserheblich ankäme, sei ergänzend darauf hingewiesen, dass die vom Beklagten auf der Grundlage von § 94 Abs. 6 Satz 2 SGB VIII vorgenommen Reduzierung des Kostenbeitrags von 75% des maßgeblichen Einkommens des Klägers auf 50% sich wohl auch als ermessenfehlerhaft erweisen würde. § 94 Abs. 6 Satz 2 SGB VIII sieht insoweit vor, dass ein geringerer Kostenbeitrag erhoben oder gänzlich von der Erhebung eines Kostenbeitrags abgesehen werden kann, wenn das Einkommen des jungen Menschen aus einer Tätigkeit stammt, die dem Zweck der Leistung dient. Dies gilt nach § 94 Abs. 6 Satz 3 SGB VIII insbesondere, wenn es sich um eine Tätigkeit im sozialen oder kulturellen Bereich handelt, bei der nicht die Erwerbstätigkeit, sondern das soziale oder kulturelle Engagement im Vordergrund steht. Bei dem vom Kläger absolvierten Bundesfreiwilligendienst ist dies in geradezu beispielhafter Weise der Fall, sodass dieser Umstand bei Ausübung pflichtgemäßen Ermessens aus Sicht des Senats nicht bloß eine Reduzierung, sondern vielmehr das gänzliche Absehen von der Kostenbeitragserhebung gebieten würde (zur Ermessensausübung vgl. auch Sächsisches OVG, U.v. 9.5.2019 – 3 A 751/18 – BeckRS 2019, 9909 Rn. 37 ff.).
6. Der Beklagte trägt nach § 154 Abs. 2 VwGO die Kosten des Berufungsverfahrens. Gerichtskosten werden in Angelegenheiten des Kinder- und Jugendhilferechts nach § 188 Satz 2, 1 VwGO nicht erhoben. Gründe im Sinne von § 132 Abs. 2 VwGO, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.


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