Medizinrecht

Berufsunfähigkeitsversicherung: Anspruch des Versicherers auf Rückzahlung von Versicherungsleistungen aufgrund betrügerischer Vortäuschung bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit durch den Versicherungsnehmer

Aktenzeichen  1 U 24/17

Datum:
9.8.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 140657
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Bamberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 823 Abs. 2
StGB § 263 Abs. 1

 

Leitsatz

Der Versicherungsnehmer einer Berufsunfähigkeitsversicherung kann nach § 823 Abs. 2 BGB iVm § 263 Abs. 1 StGB zur Rückzahlung vom Versicherer erbrachter Leistungen verpflichtet sein, wenn er in Bereicherungsabsicht durch Vortäuschung einer bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit beim Versicherer einen Irrtum erregt und ihn dadurch zur Abgabe eines Leistungsanerkenntnisses bewegt (hier bejaht; Einzelfallentscheidung). (Rn. 26 und 37) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

11 O 351/14 2017-03-07 Endurteil LGHOF LG Hof

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Beklagten gegen das Endurteil des Landgerichts Hof vom 07.03.2017 (Aktenzeichen: 11 O 351/14) einstimmig als unbegründet zurückzuweisen und den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 180.715,22 € festzusetzen.
2. Der Antrag des Beklagten auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren wird zurückgewiesen.
3. Der Antrag des Beklagten auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung gemäß § 719 Abs. 1 ZPO ohne Sicherheitsleistung wird zurückgewiesen.
4. Der Beklagte erhält Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 15.09.2017.

Gründe

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Beklagten gegen das Endurteil des Landgerichts Hof vom 07.03.2017 (Aktenzeichen: 11 O 351/14) gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert. Auch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung ist nicht geboten.
II.
Die Parteien streiten über Rückbzw. Weiterzahlungsansprüche aus einem Berufsunfähigkeitsversicherungsvertrag des Beklagten bei der Klägerin im Zeitraum seit 01.03.2006.
Am 17.12.1997 schloss der Beklagte bei der Klägerin eine Berufsunfähigkeitsversicherung auf Basis einer Kapitalversicherung auf den Todes- und Erlebensfall ab. Vereinbart waren hierbei die allgemeinen Bedingungen für die Berufsunfähigkeitsversicherung.
Am 21.03.2005 stellte der Beklagte bei der Klägerin einen Antrag auf Rentenzahlung wegen einer behaupteten Berufsunfähigkeit. Der Beklagte gab dabei an, sich seit 21.09.2004 im Krankenstand zu befinden. Unter dem 11.07.2005 beantragte der Beklagte bei der Klägerin Leistungen und legte Leistungsantrag mit Fragebogen (Anlage K 14) bei der Klägerin vor. Hierbei gab der Kläger an, er leide seit Januar 2005 an einer schweren depressiven Episode.
Unter dem 16.01.2006 gab die Klägerin ein Anerkenntnis im Hinblick auf ihre Leistungspflicht ab und zahlte rückwirkend für den Zeitraum Oktober 2004 – Februar 2006 die vertraglichen Leistungen an den Beklagten aus. In den Folgejahren leitete die Klägerin regelmäßig das bedingungsgemäß vorgesehene Nachprüfungsverfahren ein. Hierbei wurde dem Beklagten jeweils ein Fragebogen übersandt, den der Beklagte ausfüllte. Wegen des genauen Inhalts wird auf die Anlagen K 4 und K 5 Bezug genommen. Auch die Fragebögen aus den Jahren 2009 – 2012 wurden gleichlautend beantwortet. Die Klägerin zahlte deshalb monatlich eine Berufsunfähigkeitsrente bis 1.12.2012 in Höhe von insgesamt 161.191,46 € an den Beklagten aus.
Die Klägerin hat in 1. Instanz vorgetragen:
Es habe beim Beklagten zu keinem Zeitpunkt eine psychische Erkrankung vorgelegen. Der Beklagte habe eine ihm von seinem Arzt Dr. K. verschriebene Medikation nicht eingenommen. Hätte der Beklagte tatsächlich an einer schweren depressiven Episode gelitten, hätte er seinen Beruf als selbständiger Handelsvertreter im Versicherungsbereich nicht ausüben können. Beim Beklagten habe zu keinem Zeitpunkt eine Berufsunfähigkeit im Sinne der vereinbarten Bedingungen bestanden. Der Beklagte sei nämlich im gesamten Zeitraum, in dem die Klägerin Leistungen erbracht habe, vollschichtig tätig gewesen. Der Beklagte habe zu den umsatzstärksten Mitarbeitern gehört und eine hohe Kundenfrequenz auf gewiesen. Ein entsprechender Vermittlungserfolg sei bei einer schweren depressiven Erkrankung mit Tendenz zur Kontaktvermeidung nicht möglich gewesen, zumal überhaupt nur ein bestimmter Prozentsatz von Beratungsgesprächen zu einem Abschluss führe. Der Beklagte habe daher zu Unrecht Leistungen der Klägerin in Höhe von insgesamt 161.191,96 € von der Klägerin erhalten und habe diese zurückzuerstatten.
Die Klägerin hat in 1. Instanz beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 161.191,46 € nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB liegenden Zinsen seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
Der Beklagte hat in 1. Instanz beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hat in 1. Instanz vorgetragen:
Er sei nach seiner persönlichen Einschätzung aufgrund einer Depression berufsunfähig. Er sei auf Medikamente angewiesen, um überhaupt einer Tätigkeit im eingeschränkten Umfang nachgehen zu können. Er habe die verschriebene Medikation eingenommen und es seien Therapiegespräche geführt worden. Seine Tätigkeit nach dem Auftreten der Erkrankung entspreche nicht der vorherigen Tätigkeit, da er nicht mehr als 70 Stunden pro Woche gearbeitet habe, er nicht mehr 1.200 Kilometer wöchentlich gefahren sei und nicht 64 Mitarbeiter zu betreuen gehabt habe, keine Einstellungsgespräche mehr geführt habe und keine Einstellungsentscheidungen mehr getroffen habe, keine Samstagsarbeit geleistet habe und keine Leitungsaufgaben mehr übernommen habe. Die Leistungsfähigkeit des Beklagten habe unter 50% gelegen.
Der Beklagte hat Widerklage gegen die Klägerin auf Zahlung der vertraglichen Leistungen für das Jahr 2013 in Höhe von insgesamt 19.523,76 € erhoben.
Der Beklagte hat in 1. Instanz im Wege der Widerklage beantragt,
die Klägerin und Widerbeklagte wird verurteilt, an den Beklagten 19.523,76 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 01.01.2014 zu bezahlen.
Die Klägerin und Widerbeklagte hat in 1. Instanz beantragt, die Widerklage abzuweisen. Das Landgericht hat Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung der Zeugen W., J., M., R., S., H., I., O., E., U., N. und C..
Ferner hat das Gericht Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens des Sachverständigen Dr. L., der sein Gutachten in der mündlichen Verhandlung vom 07.12.2016 erläutert hat. Ein inhaltsgleiches Parallelverfahren (Aktenzeichen: 11 O 503/14 V. Lebensversicherung AG ./. Z.) mit identischem Sachverhalt hinsichtlich einer weiteren, bei einer anderen Klägerin bestehenden Berufsunfähigkeitsversicherung des Beklagten wurde zum Zweck der Beweisaufnahme, jedoch nicht zum Zwecke der Entscheidung, jeweils in den Beweisaufnahmeterminen mit vorliegendem Verfahren verbunden.
III.
Mit dem am 07.03.2017 verkündeten Endurteil hat das Landgericht Hof den Beklagten verurteilt, an die Klägerin 161.191,46 € nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz seit 23.09.2014 zu bezahlen. Die Widerklage wurde abgewiesen.
Die Klägerin habe gegen den Beklagten einen Anspruch auf Zahlung von 161.191,46 € gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 Abs. 1 StGB. Aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme stehe zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Beklagte die Klägerin über die Voraussetzungen der bestehenden und andauernden Berufsunfähigkeit getäuscht und daher Versicherungsleistungen von der Klägerin zu Unrecht erhalten habe.
Die zulässige Widerklage sei unbegründet. Nachdem der Beklagte zu Unrecht Leistungen von der Klägerin bezogen habe, könne er im Wege der Widerklage auch nicht weitere Leistungen für das Jahr 2013 verlangen. Die diesbezüglich erhobene Widerklage sei daher abzuweisen.
Wegen der Einzelheiten wird auf die ausführliche Urteilsbegründung Bezug genommen.
Gegen diese Entscheidung wendet sich der Beklagte mit seiner zulässigen Berufung, mit der er seine erstinstanzlichen Anträge in vollem Umfang weiter verfolgt.
Die Berufung rügt, die Entscheidung des Landgerichts sei durch eine selektive Wertung den Beklagten scheinbar belastender Aussagen von Zeugen zur Begründung der Entscheidung geprägt, wobei wesentliche Teile des beklagtenseitigen Vortrags bei der Entscheidungsfindung unberücksichtigt geblieben seien und beklagtenseitige Beweisangebote übergangen worden seien. Wegen der Einzelheiten wird auf die ausführliche Berufungsbegründung (Blatt 512 ff. der Akten) Bezug genommen.
Die Klägerin beantragt, die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.
Die Klägerin verteidigt das Ersturteil unter Wiederholung und Vertiefung des erstinstanzlichen Vortrags. Auf die Ausführungen in der Berufungserwiderung vom 12.07.2017 (Blatt 539 ff. der Akten) wird Bezug genommen.
V.
Die Berufung ist zulässig (§§ 511 ff. ZPO), in der Sache jedoch nicht begründet.
Auf die zutreffenden Ausführungen in der sorgfältig begründeten Entscheidung des Erstgerichts, denen der Senat beitritt, wird Bezug genommen.
Im Hinblick auf das Berufungsvorbringen ist ergänzend auszuführen:
1. Die Berufung beanstandet, das Landgericht führe auf S. 2 des Tatbestandes aus, der Beklagte habe in den Fragebögen der Klägerin die Frage nach der Ausübung einer Beschäftigung bewusst wahrheitswidrig jeweils mit „Nein“ beantwortet. Tatsächlich habe der Beklagte den Fragebogen der Klägerin (Anlage K 4 und K 5) beantwortet, indem er die Frage 1, ob der Leistungsempfänger einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehe, zutreffend mit „Nein“ beantwortet habe, da er als selbständiger Handelsvertreter nicht sozialversicherungspflichtig sei. Auf die Frage nach einer selbständigen Tätigkeit habe der Beklagte zutreffend geantwortet: „Ja, seit 1/94 in der Sparte Finanzdienstleistung“. Die Darstellung im Tatbestand, der Beklagte habe die Frage nach der Ausübung einer beruflichen Tätigkeit verneint, sei damit unvollständig, irreführend und sachlich falsch Die Rüge ist nicht begründet. Es ist zwar richtig, dass der Beklagte in den Fragebögen der Klägerin (Anlage K 4 und K 5) nur die Frage nach der Ausübung einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit mit „Nein“ angekreuzt hat, auf die Frage nach der Ausübung einer selbständigen Beschäftigung hingegen „Ja, seit 1/94 Sparte Finanzdienstleistung“ angegeben hat. Ein Antrag auf Berichtigung des Tatbestandes wurde vom Beklagten nicht gestellt. Davon abgesehen bestehen, auch wenn man die Antworten des Beklagten in den Fragebögen in der Anlage K 4 und K 5 in die Beurteilung einbezieht, keine Zweifel an der Beweiswürdigung in der angefochtenen Entscheidung.
Der Vorwurf des Betruges beruht nach den Urteilsgründen darauf, dass der Beklagte der Klägerin im Jahr 2005 vorgetäuscht hat, dass er aufgrund einer schweren depressiven Erkrankung berufsunfähig sei und dadurch bei der Beklagten einen entsprechenden Irrtum erregte, was dazu führte, dass die Beklagte das Anerkenntnis vom 16.01.2006 abgab (Seite 28/29 des Urteils). Durch die Angaben in den Fragebögen im Nachprüfungsverfahren hat der Beklagte diese Täuschung bewusst aufrechterhalten. Indem der Beklagte auf die Frage nach der Ausübung einer selbständigen Tätigkeit angab „Ja, seit 1/94 Sparte Finanzdienstleistung“ genügte der Beklagte seiner Pflicht zur Anzeige seiner Tätigkeit für die D. Vermittlungsgesellschaft nicht. Der Beklagte war im Rahmen des Nachprüfungsverfahren gemäß § 8 Abs. 3 der Versicherungsbedingungen (Anlage K 18) verpflichtet, seine Tätigkeit für die D. Vermittlungsgesellschaft, für die er seit September 2005 und seit 01.01.2006 aufgrund des Vertretervertrages (Anlage K 8) tätig war, anzugeben. Hätte der Beklagte diese Tätigkeit angegeben, hätte die Klägerin dort Rückfrage halten können. Der BGH erwartet im Nachprüfungsverfahren – wie auch sonst im Verfahren der Berufsunfähigkeitsversicherung – zu Recht ein „lauteres und vertrauensvolles Zusammenwirken der Vertragspartner, das auf Ergebnisse abzielt, die den Tatsachen und der Rechtslage entsprechen“ (Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung, 2. Aufl., Abschnitt M. Rdnr. 68). Durch die unterlassene Angabe seiner beruflichen Vertretertätigkeit für die D. Vermittlungsgesellschaft und die Angabe, er sei seit 1/94 im Bereich der Finanzdienstleistung tätig und der weiteren Angabe, er habe keine genaue Planung bezüglich seiner beruflichen Zukunft, suggerierte der Kläger gegenüber der Beklagten, dass der Zustand seit der Bewilligung der Leistungen sich nicht verändert habe. Dies ergibt sich aus einer Zusammenschau der Angaben im Nachprüfungsverfahren mit den Angaben im Leistungsantrag des Beklagten vom 11.07.2005 (Anlage K 14), in dem der Kläger angab, er sei seit 1994 als selbständiger Handelsvertreter tätig und seit 21.09.2004 arbeitsunfähig. Auf dem Beiblatt (Anlage K 15) teilte der Beklagte mit, die Geschäftsentwicklung sei seit dem
3. Quartal 2004 stark rückläufig; seine Einnahmen bestünden hauptsächlich aus Bestands- und Folgeprovisionen, er sei derzeit ca. 3 Stunden täglich tätig. Durch die Angaben in den Fragebögen im Nachprüfungsverfahren, erweckte der Beklagte bei der Klägerin den Eindruck, dass die bei Antragstellung gegebene Situation unverändert fortbestehe, obwohl er seit 01.01.2006 bei der D. Vermittlungsgesellschaft vollschichtig tätig war.
2. Die Berufung rügt, der gerichtliche Sachverständige Dr. L. sei in seinem Gutachten zu dem Ergebnis einer bei dem Beklagten bestehenden schweren depressiven Erkrankung gekommen und habe damit die Ergebnisse der seit dem Jahr 2005 im Auftrag der Klägerin eingeholten Gutachten bestätigt. Nur auf der Grundlage der vom Gericht vorgegebenen vorweggenommenen Wertung der Beweisaufnahme mit der Begründung, dass der Beklagte als Versicherungsvertreter erfolgreich tätig sei und eine schwere depressive Erkrankung nicht zu den Tätigkeiten des Beklagten als Versicherungsvertreter oder Vermittler von Kapitalanlageprodukten passen würde, habe der gerichtliche Sachverständige – die Richtigkeit dieser ihm vom Gericht vorgegebenen Behauptungen unterstellend – sein Gutachten dahingehend relativiert, dass dies nicht zusammen passen würde. Dass die vom Sachverständigen festgestellte schwere depressive Erkrankung des Beklagten nicht zu den Aussagen der Zeugen passt, führe jedoch nicht dazu, dass die vom Gutachter in Tests festgestellte Erkrankung des Beklagten nicht vorlag, sondern lasse nur den Schluss zu, dass die Aussagen der Zeugen nicht richtig seien. Diese Überlegung habe das Erstgericht unter Übergehung beklagtenseitiger Beweisangebote gar nicht erst in Erwägung gezogen. Das Gericht habe sein Beweisergebnis auf der Grundlage von Zeugenaussagen und dem Gericht selbst nicht zur Verfügung stehender Sachkunde getroffen.
Dem kann nicht gefolgt werden. Dem Vorbringen der Berufung kann bereits im Ausgangspunkt, der gerichtliche Sachverständige habe eine schwere Depression bei dem Beklagten diagnostiziert, nicht gefolgt werden. In seinem schriftlichen Gutachten hat der Sachverständige Dr. L. eine schwere Depression gerade nicht festgestellt. Der Sachverständige führt aus: „Äußerst ungewöhnlich bzw. aus meiner Sicht ausgeschlossen und auch in Kenntnis der Akte (hier verweise ich auf die Lichtbilder und Zeugenaussagen) nicht nachvollziehbar ist eine durchgängig schwere Depression über die Jahre bis 2012. Ich kenne nach mehr als 30 Jahren Berufserfahrung keinen Fall, in dem über eine derart lange Zeit keine weiteren ärztlichen Berichte verfügbar sind und es auch keine stationären Behandlungen gegeben hat“ (Seite 21 letzter Absatz des Gutachtens Dr. L.). Damit hat der Sachverständige bereits in seinem schriftlichen Gutachten deutlich darauf hingewiesen, dass eine schwere Depression des Beklagten in Anbetracht seiner Krankengeschichte unplausibel ist. Der Sachverständige konnte auf der anderen Seite eine Neigung zur Depressivität nicht ausschließen, er hat jedoch eine durchgehende Berufsunfähigkeit von mehr als 40% aufgrund der vorliegenden Unterlagen gerade nicht bestätigt (Seiten 22, 23 des schriftlichen Gutachtens Dr. L.).
In seiner Anhörung durch das Landgericht Hof im Termin vom 07.12.2016 hat der Sachverständige diese Einschätzung, wonach jedenfalls keine schwere, die Berufsfähigkeit in bedingungsgemäßem Umfang beeinträchtigende Depression vorliegt, bestätigt. Eine schwere Depression bestehe nach seiner klinischen Erfahrung nicht über die Dauer von 10 Jahren hinweg durchgängig. Auch die in der Akte befindlichen Atteste ergäben keine Hinweise hinsichtlich Befund und Behandlung auf eine durchgängig schwere Depression. Es sei von einer rezidivierenden Depressivität auszugehen, die aber nicht zur Berufsunfähigkeit in bedingungsgemäßem Umfang führe. Dies ergibt sich aus den Angaben des Sachverständigen im Termin vom 07.12.2016, in dem er ausführte: „Wer als Versicherungsvertreter erfolgreich tätig sein will und sein kann, der kann nur eine leichte bis mittlere Depression aufweisen“ (Seite 4 des Protokolls vom 07.12.2016).
Somit ist entgegen der Argumentation der Berufung nicht davon auszugehen, dass sich die Ergebnisse des Sachverständigen und die Aussagen der Zeugen widersprechen und sich deshalb die Frage stellt, ob die Zeugen nicht die Wahrheit gesagt haben. Die Ergebnisse des Sachverständigengutachtens und die Angaben der Zeugen widersprechen sich somit nicht, sie sind vielmehr durchaus miteinander vereinbar.
3. Die Berufung rügt, das Landgericht habe den behandelnden Arzt Dr. K. nicht vernommen, dessen Vernehmung als Zeuge zum Beweis der Tatsache angeboten worden sei, dass seit 2004 von ihm keine Veränderung der Erkrankung beim Beklagten festgestellt worden sei und er gleichwohl keine Veränderung der Medikation veranlasst gesehen habe. Diesem Beweisangebot war nicht zu folgen, da es hierauf für die Entscheidung nicht ankam. Es kann unterstellt werden, dass Dr. K. und die Ärzte des X-klinikums sowie des Y. Klinikums … dem Beklagten eine schwere Depression attestiert haben. Aufgrund der vorgelegten Dokumentation und des Sachverständigengutachtens Dr. L. in der Gesamtschau mit den Angaben der vernommenen Zeugen ergibt sich, dass der Beklagte gegenüber Dr. K. wie auch gegenüber den Ärzten des X-klinikums und des Y. Klinikums … zum einen unrichtige Angaben hinsichtlich seiner beruflichen Tätigkeit gemacht und zum anderen gegenüber Dr. K. und den Ärzten des X-klinikums die Symptome einer schweren Depression (erfolgreich) vorgetäuscht hat. Die Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen Dr. L., wonach eine die Berufsunfähigkeit in bedingungsgemäßem Umfang begründende schwere Depression in Anbetracht der Krankengeschichte des Beklagten nicht vorliegt, beruhen demgegenüber auf einer objektivierten Auswertung der gesamten Krankengeschichte des Beklagten. Bei der Beurteilung des Sachverständigen wurden die ärztlichen Berichte, auch die des Dr. K. einbezogen (Seite 5 des schriftlichen Gutachtens Dr. L.).
4. Die Berufung rügt, die Grundsätze der Leistungsgewährung bei Berufsunfähigkeitsversicherungen seien dem Erstgericht unbekannt. Im Ergebnis werde erstinstanzlich auf die Beurteilung der Arbeitstätigkeit des Beklagten aus der Laiensphäre (Mitarbeiter des Unternehmens) abgestellt und aus einer Addition von Verweildauer am Arbeitsplatz und allgemein gehaltenen Beurteilungen der Leistungsfähigkeit des Beklagten durch seine Arbeitskollegen der Schluss gezogen, dass der Beklagte berufsfähig sei. Die Frage, ob eine Berufsunfähigkeit besteht, sei auf der Grundlage der vor Eintritt der die Berufsunfähigkeit begründenden Erkrankung konkret ausgeübten Tätigkeit vorzunehmen und nicht auf der Grundlage eines Acht-Stunden Tages. Der Beklagte habe vor Eintritt seiner Erkrankung eine Arbeitsleistung mit einem zeitlichen Arbeitsaufwand von ca. 70 Arbeitsstunden wöchentlich erbracht. Ein Sachverständiger, der eine Begutachtung der Berufsunfähigkeit vorzunehmen habe, habe hiervon ausgehend festzustellen, in dem welchem Umfang der Betroffene noch Arbeitsleistung zu erbringen im Stande sei und nicht im Vergleich zu einem 8 – Stunden Arbeitstag zu bemessen, sondern er habe den Umfang der ursprünglich erbrachten Arbeitsleistungen den trotz eingetretener Erkrankung noch zumutbaren Leistungen gegenüberzustellen.
Die Rüge der Berufung greift nicht durch. Das Prozedere des Landgerichts ist nicht zu beanstanden. Zur Beurteilung der Frage, ob der Beklagte im fraglichen Zeitraum berufsunfähig war, hat das Landgericht zu Recht zunächst die Arbeitskollegen des Beklagten zur Ausgestaltung und zum Umfang der beruflichen Tätigkeit des Beklagten vernommen und sodann den Sachverständigen damit beauftragt, auf der Grundlage der Zeugenaussagen zu der Frage Stellung zu nehmen, ob der Beklagte aufgrund einer depressiven Erkrankung berufsunfähig war. Eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit aufgrund einer depressiven Erkrankung hat der Sachverständige in seinem schriftlichen Gutachten und bei seiner mündlichen Anhörung verneint.
Im vorliegenden, auf Ansprüche aus Delikt (§§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB) gestützten Rückforderungsprozeß geht es um die Frage, ob der Beklagte der Klägerin seine Berufsunfähigkeit in dem hier streitgegenständlichen Zeitraum ab 01.03.2006 aufgrund einer depressiven Erkrankung bewusst und gewollt vorgetäuscht hat. Eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit aufgrund einer schweren depressiven Erkrankung im hier maßgeblichen Zeitraum hat der Sachverständige Dr. L. verneint; er hat eine rezidivierende depressive Symptomatik festgestellt, die aber nicht zur Berufsunfähigkeit geführt habe. Darauf, ob der Beklagte vor dem Eintritt der behaupteten Erkrankung 8 Stunden täglich oder mehr gearbeitet hat, kommt es für das Ergebnis des Gutachtens letztlich nicht an, denn der Sachverständige Dr. L. hat ausgeführt, dass das Anforderungsprofil der Tätigkeit des Beklagten mit einer schweren Depression nicht erfüllt werden kann; auf den zeitlichen Umfang der Tätigkeit hat der Sachverständige hingegen nicht entscheidend abgestellt. Darauf, ob der Beklagte 8 oder 10 Stunden oder mehr am Tag gearbeitet hat, kommt es deshalb nicht entscheidend an; entscheidend ist, dass er – wie seine Kollegen – ohne besondere Auffälligkeiten, z.B. längere Krankheitszeiten oder sonstige Auffälligkeiten, seinen Beruf als selbständiger Handelsvertreter erfolgreich ausgeübt hat und dass diese Tätigkeit nach ihrem Anforderungsprofil mit einer schweren Depression nicht ausgeübt werden kann. Auch die Krankengeschichte ist nach den Darlegungen des Sachverständigen Dr. L. für einen an einer schweren Depression leidenden Menschen nicht plausibel.
5. Auf den Seiten 8 ff. setzt sich die Berufungsbegründung eingehend mit den Angaben der durch das Erstgericht vernommenen Zeugen auseinander. Die Berufung setzt insoweit ihre eigene abweichende Beweiswürdigung an die Stelle der Beweiswürdigung des Erstgerichts. Der Senat hat keine Zweifel an der Richtigkeit der Beweiswürdigung des Landgerichts (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
Aus dem Umstand, dass der Beklagte in dem hier maßgeblichen Zeitraum nach den Zeugenaussagen als selbständiger Handelsvertreter erfolgreich tätig war, aus den von den Zeugen geschilderten Freizeitaktivitäten des Beklagten, aus den Angaben der Zeugen E. und R. sowie aus den Feststellungen des Sachverständigen Dr. L. hat das Erstgericht im Rahmen einer umfassenden Gesamtwürdigung zu Recht den Schluss gezogen, dass der Beklagte dem ihn seinerzeit behandelnden Arzt Dr. K. und den Ärzten des X. Klinikums Plauen sowie des Y. Klinikums … bewusst eine schwere depressive Erkrankung vorgetäuscht hat, hierdurch – wie von ihm beabsichtigt – einen Irrtum bei der Klägerin erregt hat, um entsprechend seiner vorgefassten Absicht zu Unrecht von der Klägerin Versicherungsleistungen zu erlangen, um sich hierdurch zu Unrecht zu bereichern (§ 263 Abs. 1 StGB). Das Landgericht hat die Tatbestandsmerkmale des Betruges zu Recht bejaht und den Beklagten daher zu Recht gemäß §§ 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 Abs. 1 StGB zur Rückzahlung der betrügerisch erlangten Leistungen verurteilt. Darüber hinaus hat das Landgericht die Widerklage zu Recht abgewiesen.
Auf die im Falle einer Rücknahme der Berufung in Betracht kommende Gerichtsgebührenermäßigung (KV-Nr. 1220, 1222) weist der Senat ausdrücklich hin.
Der Antrag auf Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren war zurückzuweisen, weil die Berufung des Beklagten keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (§§ 114, 119 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Der Antrag des Beklagten auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung ohne Sicherheitsleistung (§§ 719 Abs. 1, 707 ZPO) war ebenfalls zurückzuweisen, weil es an der hierfür erforderlichen Erfolgsaussicht des Rechtsmittels fehlt (Zöller, ZPO, 31. Aufl. § 719 ZPO Rdnr. 3).
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird gemäß §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 63 Abs. 2 GKG, 3 ZPO auf insgesamt 180.715,22 € festzusetzen sein (Antrag zu 1.: 161.191,46 €; Antrag zu 2.: 19.523,76 €).


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