Medizinrecht

Beschränkung versammlungsrechtlicher Kundgebungsmittel, Höhenbegrenzung von Seitentransparenten, unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, Gefahrenprognose, Erkenntnisse aus früheren Versammlungsgeschehen, Verhältnismäßigkeit der Beschränkung

Aktenzeichen  10 CS 21.2781

Datum:
12.11.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 41323
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayVersG Art. 15 Abs. 1
GG Art. 5 Abs. 1, 8 Abs. 1

 

Leitsatz

Verfahrensgang

B 7 S 21.1184 2021-11-11 Bes VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer versammlungsrechtlichen Beschränkung des Einsatzes von Kundgebungsmitteln bei der von der Antragstellerin (für die „Initiative gegen den Naziaufmarsch in W. 2021“) für den 13. November 2021 unter dem Motto „Gegen Neonazis und Rassismus“ angemeldeten sich fortbewegenden Versammlung in W.
Mit der Beschwerde verfolgt die Antragstellerin ihren Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage hinsichtlich der mit Bescheid des Antragsgegners vom 8. November 2021 unter Nr. III. 2b) verfügten versammlungsrechtlichen Beschränkung weiter, soweit darin die Höhe von Seitentransparenten auf maximal 1 m begrenzt worden ist. Die streitgegenständliche Beschränkung lautet:
„Seitentransparente dürfen eine Länge von maximal 3 m und eine Höhe von maximal 1 m haben. Zwischen mehreren mitgeführten Seitentransparenten muss ein Mindestabstand von 3 m eingehalten werden.“
Das Verwaltungsgericht hat den Antrag der Antragstellerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer am 10. November 2021 erhobenen Klage gegen die Nr. III. 2b) des Bescheids des Beklagten vom 8. November 2021 (mit der Ausnahme der Beschränkung hinsichtlich der Länge der Transparente auf maximal 3 m) mit dem angefochtenen Beschluss vom 11. November 2021 abgelehnt. Es sei in der Rechtsprechung anerkannt, dass es grundsätzlich möglich sei, auch hinsichtlich der Mitführung von (Seiten-)Transparenten bei Versammlungen gemäß Art. 15 Abs. 1 BayVersG Auflagen bzw. Beschränkungen zu treffen, soweit diese nicht lediglich von der allgemeinen Möglichkeit des Missbrauchs der Transparente abhängig gemacht würden. Zwar sei die Begründung des angefochtenen Bescheids diesbezüglich sehr allgemein gehalten, der Antragsgegner gehe jedoch zutreffend von einer unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Sinne des Art. 15 Abs. 1 BayVersG aus. Anhand vorliegender Erkenntnisse im Zusammenhang mit früheren Versammlungen – insbesondere einer von der Antragstellerin am 19. September 2021 in Leipzig durchgeführten Versammlung, einer vergleichbaren Versammlung im Jahr 2019 in W. sowie einer Versammlung am 16. Oktober 2021 in Nürnberg, bei der für die streitgegenständliche Versammlung geworben worden sei – habe der Antragsgegner plausibel dargelegt, dass auch bei der streitgegenständlichen Versammlung der Antragstellerin in W. konkret damit zu rechnen sei, dass der Schutz durch Verdeckungen und die (damit einhergehende) weitgehende Anonymität dafür genutzt werde, Übergriffe aus der Versammlung heraus auf eine ebenfalls am 13. November 2021 in W. stattfindende Versammlung (der Partei „Der III. Weg“ mit dem Motto ‚Tot sind nur jene die vergessen werden‘) vorzubereiten. Dementsprechend sei es rechtlich nicht zu beanstanden, wenn der Antragsgegner einen Abstand von mindestens 3 m zwischen den einzelnen Seitentransparenten fordere und deren Höhe zudem auf einen Meter begrenze. Das Gericht teile die Einschätzung des Antragsgegners, dass bei höheren Seitentransparenten auch unter Einhaltung der vorgegebenen Länge und des Mindestabstands nicht unerhebliche Teile des Versammlungszuges hinter einer Art hohen „Mauer“ verdeckt und dementsprechend Vorbereitungen für Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung deutlich erleichtert werden könnten. Die Höhenbegrenzung stelle auch eine verhältnismäßig geringe Belastung der Versammlungsteilnehmer dar. Ein nennenswerter Eingriff in die Meinungs- oder Versammlungsfreiheit sei damit nicht verbunden.
Zur Begründung ihrer (nur) bezüglich der Höhenbegrenzung der Seitentransparente auf 1 m eingelegten Beschwerde vom 12. November 2021 lässt die Antragstellerin vortragen, die angegriffene Anordnung beschränke sie erheblich in der Möglichkeit, ihr kommunikatives Anliegen wahrzunehmen. Das Verwaltungsgericht verkenne, dass die Transparente für eine wochenlang geplante und vorbereitete Versammlung längst gedruckt bzw. gemalt worden seien. Die übliche Höhe von Transparenten und Bannern betrage wie bereits vorgetragen zwischen 1,40 und 1,50 m. Auch bei der streitgegenständlichen Versammlung solle das kommunikative Anliegen der Demonstration gerade auch über seitlich mitgeführte Transparente vermittelt werden. Im Kooperationsgespräch sei eine derartige Beschränkung nicht erwähnt worden. Es habe damit keine Möglichkeit bestanden, sich darauf einzustellen. Die Notwendigkeit, auf Seitentransparente entweder vollständig zu verzichten oder diese – wohl vor Ort – entsprechend zuzuschneiden, bedeute letztlich, deren Botschaft unkenntlich zu machen, und damit ein faktisches Verbot solcher Transparente. Zu Unrecht unterstellten der Antragsgegner und das Erstgericht, dass Seitentransparente in der gewünschten Form zum Ziel hätten, dass sich Teilnehmer seitlich „einbauen“ und „von der Öffentlichkeit abschotten“ würden. Befürchteten Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung werde im Übrigen bereits wirksam durch die Längenbegrenzung und die vorgeschriebenen Mindestabstände begegnet. Die Antragstellerin habe nicht zuletzt durch ihr Prozessverhalten gezeigt, dass es ihr nicht auf das unterstellte „Einmauern“ bzw. „Abschotten“ gehe. Die angegriffene Beschränkung träfe im Übrigen alle Versammlungsteilnehmer gleichermaßen, ohne dass von Ihnen insgesamt oder auch nur von einem überwiegenden Teil eine derartige Gefährdung ausginge. Daher sei die Maßnahme unverhältnismäßig.
Der Antragsgegner ist der Beschwerde entgegengetreten.
Auf die Gerichtsakte und die vorgelegten Schriftsätze wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin ist unbegründet. Die in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, die der Verwaltungsgerichtshof nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu prüfen hat, rechtfertigen nicht die beantragte Abänderung des angefochtenen Beschlusses.
Das Verwaltungsgericht geht mit der ständigen Rechtsprechung auch des Senats zutreffend davon aus, dass es für eine Beschränkung des Mitführens von Seitentransparenten konkreter und nachvollziehbarer tatsächlicher Anhaltspunkte dafür bedarf, dass das Mitführen der Transparente – bzw. deren Größe – die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Sinne von Art. 15 Abs. 1 BayVersG unmittelbar gefährdet. Eine derartige Prognose kann die Versammlungsbehörde auch mit konkreten Vorfällen belegen, die sich in der Vergangenheit in vergleichbaren (Versammlungs-)Situationen ergeben haben (zuletzt BayVGH, B.v. 14.2.2020 – 10 CS 20.322 – Rn. 4; B.v. 7.2.2020 – 10 CS 20.270 – Rn. 13; BayVGH, B.v. 3.10.2014 – 10 CS 14.2156 – juris Rn. 5; OVG NW, B.v. 3.11.2017 – 15 B 1371/17 – juris Rn. 11; SächsOVG, U.v. 31.5.2018 – 3 A 199/18 – juris Rn. 25 f. jeweils m.w.N.).
Im vorliegenden Fall ist die vom Verwaltungsgericht nachvollzogene Gefahrenprognose der Versammlungsbehörde durch hinreichende konkrete Anhaltspunkte gedeckt. Das Verwaltungsgericht ist anhand nachvollziehbar dargelegter konkreter Vorfälle bei früheren, vergleichbaren Versammlungsgeschehen zu Recht davon ausgegangen, dass unter dem Sichtschutz hoher Seitentransparente bei dem zu erwartenden Teilnehmerkreis Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (insbesondere durch Angriffe auf die Versammlung der Partei „Der III. Weg“ sowie den Demonstrationszug begleitende Polizeibeamte, Einsatz von Pyrotechnik etc.) konkret drohten. Der pauschale Verweis der Beschwerde auf die „gebotene versammlungsfreundliche Behandlung des Anliegens der Veranstalter“ sowie die – ohne nähere Begründung – aufgeworfene Frage, „wie valide die nachgeschobenen tatsächlichen Anhaltspunkte für eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung sind“, sind jedenfalls nicht geeignet, diese Prognose zu erschüttern.
Das Beschwerdevorbringen zeigt auch nicht auf, dass die allein noch streitbefangene Begrenzung der Höhe der Seitentransparente auf maximal 1 m sich voraussichtlich als unangemessener Eingriff in das Grundrecht der Meinungs- oder Versammlungsfreiheit der Antragstellerin erweisen wird.
Mit dem Einwand, dass die Transparente „für eine wochenlang geplante und vorbereitete Versammlung längst gedruckt bzw. gemalt worden“ seien und ein Zuschneiden vor Ort schon praktisch problematisch sei, wird eine unzumutbare Belastung der Versammlungsteilnehmer und damit ein unverhältnismäßiger Eingriff in das Grundrecht der Versammlungsfreiheit nicht nachvollziehbar dargelegt. Zum einen ist der Beschränkungsbescheid der Versammlungsbehörde bereits am 8. November 2021 und damit fünf Tage vor dem angezeigten Versammlungstermin ergangen, weshalb noch ausreichend Zeit für die Versammlungsteilnehmer bestand, sich auf diese Beschränkung einzustellen und mitzuführende Transparente entsprechend zu gestalten oder umzugestalten bzw. zuzuschneiden. Zum anderen beschränkt sich das Beschwerdevorbringen diesbezüglich lediglich auf die nicht näher substantiierte Behauptung, dass beim Demonstrationszug der Antragstellerin das kommunikative Anliegen der Versammlungsteilnehmer gerade über „längst vorbereitete und gedruckte bzw. gemalte“ Seitentransparente in der „üblichen Höhe zwischen 1,40 und 1,50 m“ vermittelt werden solle. Anhaltspunkte dafür ergeben sich jedenfalls nicht aus der Versammlungsanmeldung der Antragstellerin vom 21. Oktober 2021, in der als verwendete Kundgebungsmittel nicht näher beschriebene „Transparente, Hochtransparente, Fahnen, Plakate, Schilder, Megaphone, Lautsprecherwagen (Pkw oder Lkw <3,5t) Anlage, Boxen, Verstärker“ angegeben sind. Diesbezüglich bestand daher entgegen dem Beschwerdevorbringen für die Versammlungsbehörde auch noch kein Grund, das „Thema Seitentransparente“ beim Kooperationsgespräch gesondert zu behandeln.
Nicht durchdringen kann die Antragstellerin weiter mit dem Einwand, der durch die Versammlungsbehörde befürchteten Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung werde bereits wirksam durch die Längenbegrenzung und die vorgeschriebenen Abstände der Seitentransparente begegnet, weshalb eine (zusätzliche) Höhenbegrenzung nicht (mehr) erforderlich sei. Denn insofern setzt sie sich nicht mit der schlüssigen und überzeugenden Argumentation des Verwaltungsgerichts auseinander, dass auch bei nur 3 m langen Seitentransparenten und der Einhaltung eines Abstands von 3 m jedenfalls nicht unerhebliche Teile des Versammlungszuges hinter einer Art hohen „Mauer“ so verdeckt werden könnten, dass in diesen Bereichen die Vorbereitungen für die oben dargelegten Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung deutlich erleichtert würden.
Schließlich greift auch die Rüge, die angegriffene Begrenzung der Höhe der Seitentransparente auf maximal 1 m bedeute faktisch die Unkenntlichmachung der Botschaft dieser Kundgebungsmittel und komme somit einem Verbot gleich, nicht durch. Auch diesbezüglich beschränkt sich das Beschwerdevorbringen auf nicht substantiierte Behauptungen; ein unverhältnismäßiger Eingriff in das kommunikative Anliegen der Versammlungsteilnehmer und damit das Grundrecht der Meinungs- oder Versammlungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1, Art. 8 Abs. 1 GG) wird nicht durch Darlegung konkreter Tatsachen und Umstände schlüssig begründet. Dass das gegebenenfalls erforderliche Zuschneiden vorgefertigter Seitentransparente (von 1,40 bzw. 1,50 m auf 1 m) zwingend die Unkenntlichmachung der Botschaft des Transparents bedeutet, ist für den Senat auch nicht ohne weiteres nachvollziehbar. Im Übrigen hat der Antragsgegner in seiner Beschwerdeerwiderung zutreffend darauf hingewiesen, dass sich die Höhenbegrenzung nur auf Seitentransparente bezieht und bereits vorbereitete höhere Transparente beispielsweise quer zur Richtung des Versammlungszuges zulässigerweise Verwendung finden könnten.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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