Medizinrecht

Beschränkungen einer Versammlung aus Gründen des Infektionsschutzes (Corona)

Aktenzeichen  10 CS 21.323

Datum:
31.1.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 1285
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayVersG § 28a Abs. 1 Nr. 3, Nr. 10, Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2
IfSG Art. 15 Abs. 1
GG Art. 8 Abs. 1
BayIfSMV § 7 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 7

 

Leitsatz

1. Die Annahme, dass eine Beschränkung auf eine stationäre Versammlung erforderlich ist, um weitergehende und damit infektionsschutzrechtlich nicht mehr vertretbare Infektionsgefahren zu verhüten, weil bei einer bewegten Versammlung (Aufzug) die Einhaltung von Mindestabständen regelmäßig nicht zu erwarten ist, kann auf Erfahrungen mit früheren vergleichbaren Sammlungen gestützt werden. (Rn. 26 und 27) (redaktioneller Leitsatz)
2. Versammlungsbeschränkungen zum Schutz vor Infektionsgefahren tasten weder die Menschenwürde an noch sind sie vornherein unverhältnismäßig. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
3. Aus § 7 Abs. 1 11. BayIfSMV ergibt sich unter Berücksichtigung der Gewährleistungen aus Art. 8 Abs. 1 GG keine Vermutung, dass eine Versammlung mit mehr als 200 Teilnehmern infektionsschutzrechtlich grundsätzlich unvertretbar wäre. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die nächtliche Ausgangsbeschränkung des § 3 11. BayIfSMV hat bei summarischer Beurteilung in § 28 Abs. 1, § 28a Abs. 1 Nr. 3 (Ausgangsbeschränkung) i.V.m. der Verordnungsermächtigung nach § 32 S. 1 IfSG eine verfassungsgemäße Rechtsgrundlage, hält die gesetzlichen Vorgaben des § 28a IfSG ein und dürfte sich auch sonst (noch) als verfassungsmäßig, insbesondere verhältnismäßig – also geeignet, erforderlich und angemessen – erweisen. (Rn. 43) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 13 S 21.442 2021-01-29 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Unter teilweiser Abänderung von Nr. I. des Beschlusses des Verwaltungsgerichts München vom 29. Januar 2021 wird die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Nr. 3. und 4., hinsichtlich Nr. 4 jedoch nur hinsichtlich der erfolgten Vorverlegung (bis 20.00 Uhr, ohne Abbau), des Bescheids der Antragsgegnerin von 28. Januar 2021 angeordnet mit der gerichtlichen Maßgabe, dass die Gesamtteilnehmerzahl auf maximal 300 Personen beschränkt ist.
II. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
III. In Abänderung von Nr. II. des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 29. Januar 2021 tragen Antragsteller und Antragsgegnerin die Kosten beider Rechtszüge je zur Hälfte.
IV. In Abänderung von Nr. III. des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 29. Januar 2021 wird der Streitwert für beide Instanzen auf jeweils 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Mit seiner Beschwerde verfolgt der Antragsteller seinen in erster Instanz erfolglosen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Anfechtungsklage gegen Nummern 1., 3. und 4. des Bescheids der Landeshauptstadt München vom 28. Januar 2021 weiter, mit dem diese Beschränkungen der von ihm für den 31. Januar 2021 im Zeitraum von 18.00 Uhr bis 22.15 Uhr angemeldeten Versammlung mit dem Thema: „Mein Ziel ist, die jeweils Verantwortlichen (insbesondere des 10. Senat des bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, der 13. Kammer des Münchner Verwaltungsgerichts sowie des Kreisverwaltungsreferat München) für die Demonstrationsverbote und Demonstrationsbeschränkungen in München, welche sich gegen eine unerwünschte politische Gruppierung („Querdenker“ bzw. die staatlichen Coronamaßnahmen kritisierenden Menschen) richten, vor dem internationalen Strafgerichtshof in Den Haag angeklagt werden, weil sie sich nach meiner Rechtsauffassung durch ihre Handlungen, gemäß § 7 Abs. 1 Nummer 10 des Völkerstrafgesetzbuches, wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit strafbar gemacht haben“ (sic) verfügt hat.
Der Antragsteller hatte am 26. Januar 2021 eine Versammlung mit ca. 500 Teilnehmern angemeldet. Sie sollte beginnend um 18:00 Uhr vom Odeonsplatz bis zum Bayerischen Verwaltungsgerichtshof ziehen und gegen 19:30 Uhr bis 20:00 Uhr in eine stationäre Kundgebung bis 22:15 Uhr unmittelbar vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof münden. Auf der Versammlung sollten Unterschriftenlisten ausgelegt werden, um 500 Unterschriften für eine Anklage beim Internationalen Strafgerichtshof sowie für die Abberufung des Bayerischen Landtags zu sammeln.
Mit auf Art. 15 Abs. 1 BayVersG, § 7 Abs. 1 der 11. BayIfSMV gestütztem Bescheid vom 28. Januar 2021 hat die Antragsgegnerin die Anzeige bestätigt, zugleich aber den Aufzug (sich fortbewegende Versammlung) untersagt (Nr. 1.), die Teilnehmerzahl auf 200 beschränkt (Nr. 3.) und die Versammlungsdauer (von 135 Minuten) auf den Zeitraum von 17:45 bis 20:00 Uhr (ohne Auf- und Abbauzeit) vorverlegt (Nr. 4.).
Zur Begründung des Verbots des Aufzugs, der Beschränkung der Teilnehmerzahl und der Verkürzung der Versammlungsdauer wurde ausgeführt, die Versammlung sei nur in dieser Form infektionsschutzrechtlich vertretbar. Erfahrungen mit dem Antragsteller und Versammlungen der „Querdenken“-Bewegung in der Vergangenheit zeigten, dass mit massiven Verstößen gegen Abstands- und Maskenpflichten durch die Teilnehmer zu rechnen sei. Die Erfahrung zeige auch, dass der Wille der Teilnehmer, sich an Abstands- und Maskenpflichten zu halten, mit der Dauer der Versammlung abnehme. Die zeitliche Vorverlegung der Versammlung sei erforderlich, um den Teilnehmern nach Ende der Versammlung genügend Zeit einzuräumen, die nächtliche Ausgangssperre ab 21.00 Uhr einzuhalten. Die Teilnahme an einer Versammlung stelle keinen triftigen Grund für ein Verlassen der Wohnung im Sinne von § 3 der 11. BayIfSMV dar. Die Teilnahme an einer Versammlung sei kein ähnlich gewichtiger Grund im Sinne von § 3 Nr. 7 11. BayIfSMV, zumal während der Geltung der Ausgangssperre durch die Versammlung ohnehin kaum Aufmerksamkeit gewonnen werden könne.
Am 29. Januar 2021 erhob der Antragsteller beim Bayerischen Verwaltungsgericht München hiergegen Klage und stellte außerdem den Antrag, die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs gegen die Beschränkungen Nr.1., 3. und 4., insoweit jedoch nur bezüglich der zeitlichen Vorverlegung, des Bescheids vom 28. Januar 2021 anzuordnen. Zur Begründung wurde im Wesentlichen (sinngemäß) vorgetragen, die Beschränkungen seien rechtswidrig. Der Antragsteller sei in der Lage, mittels eines Hygienekonzepts für die Einhaltung der Abstandsvorschriften zu sorgen. Die Gefahrenprognose beruhe auf Vermutungen und Unterstellungen. Von Versammlungen unter freiem Himmel gingen keine Infektionsgefahren aus. Die Versammlungsdauer über 21:00 Uhr hinaus sei Teil des Hygienekonzepts. Zudem sei die Teilnahme an einer Versammlung ein triftiger sonstiger Grund für das Verlassen der Wohnung im Sinne § 3 Nr. 7 der 11. BayIfSMV. Gleichzeitig lehnte er die Richterinnen und Richter der 13. Kammer des Verwaltungsgerichts als befangen ab.
Mit Beschluss vom 29. Januar 2021 hat das Verwaltungsgericht den Eilantrag in der Besetzung mit den abgelehnten Richterinnen und Richtern abgelehnt und den Befangenheitsantrag als rechtsmissbräuchlich verworfen. Der angegriffene Bescheid erweise sich nach summarischer Prüfung als rechtmäßig und verletze den Antragsteller nicht in seinen Rechten. Die Einschätzung der Antragsgegnerin, dass die infektionsschutzrechtliche Vertretbarkeit der Versammlung nur durch eine Beschränkung der Teilnehmerzahl auf 200 und die ortsfeste Durchführung der Versammlung sichergestellt werden könne, sei nicht zu beanstanden. Dies ergebe sich im Wesentlichen aus zurückliegenden Versammlungsgeschehen. Der Antragssteller habe kein eigenes Interesse an der Einhaltung von Infektionsschutzregeln, dies sei auch nicht Aufgabe der Polizei. Die zeitliche Verlegung sei rechtmäßig, weil die Teilnahme an der angezeigten Versammlung auch unter Berücksichtigung der Gewährleistungen des Art. 8 Abs. 1 GG keinen ähnlich gewichtigen und unabweisbaren Grund im Sinne des Auffangtatbestands des § 3 Nr. 7 11. BayIfSMV für das Verlassen der Wohnung nach 21:00 Uhr darstelle. Ein unabweisbarer Bezug des Versammlungsthemas zur gewünschten Versammlungszeit bestehe nicht.
Der Antragsteller erhob hiergegen am 30. Januar 2021 Beschwerde mit dem Antrag, den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 29. Januar 2021 abzuändern und die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 28. Januar 2021 im von ihm beantragten Umfang anzuordnen. Für eine erhöhte Gefährdungslage durch Versammlungen unter der Leitung des Antragsstellers bestünden keine Anhaltspunkte. Solche ergäben sich insbesondere nicht aus der vergleichbaren Versammlung am 24. Januar 2021 in München vor dem Verwaltungsgerichtshof. Dabei habe es nach Angaben der Polizeibehörden nur vereinzelte Verstöße gegen die Maskenpflicht gegeben. Die Vorverlegung der Versammlung diene allein der Wahrung der Ausgangssperre, aber nicht dem Gesundheitsschutz. § 3 11. BayIfSMV sei ebenso wie das allgemeine Kontaktverbot wegen Verstoßes gegen die Menschenwürde verfassungswidrig. Wegen der weiteren (umfangreichen) Ausführungen wird Bezug genommen auf die Beschwerdeschriftsätze sowie die Ausführungen zur Begründetheit.
Die Antragsgegnerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen. Die angegriffenen versammlungsrechtlichen Verfügungen seien rechtmäßig und verletzten den Antragsteller nicht in seinen Rechten. Das Verwaltungsgericht habe im Rahmen der Gefahrenprognose zu Recht Erfahrungen mit vergangenen Versammlungen der „Querdenken-Bewegung“ berücksichtigt. Gerade die Erkenntnisse im Zusammenhang mit dem jüngsten Versammlungsgeschehen in Nürnberg und Fürth (am 3.1. und 17.1.2021) und mit der Versammlung des Antragstellers am 24. Januar 2021 in München stützten die Gefahrenprognose. Auf Nachfrage bei der Polizei in Nürnberg könne mitgeteilt werden, dass der Antragsteller nicht Anmelder der Versammlung am 3. Januar 2021 in Nürnberg gewesen sei. Gleichwohl könne dieses hinsichtlich Thematik und Teilnehmer- und Organisatorenkreis ähnliche Versammlungsgeschehen mitberücksichtigt werden. Der überwiegend geordnete Verlauf der letzten Versammlung des Antragstellers am 24. Januar 2021 in München rechtfertige allein auch kein Abweichen von der Regelvermutung nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, 2. Hs. 11. BayIfSMV und die Zulassung von mehr als 200 Versammlungsteilnehmern. Als Veranstalter biete der Antragsteller keine hinreichende Gewähr für die Einhaltung der infektionsschutzrechtlichen Beschränkungen. Es sei nicht Aufgabe der Polizei, Versammlungen durch ihr Einschreiten erst infektionsschutzrechtlich vertretbar zu machen. Die Beschränkungen dienten der Abwehr von Infektionsgefahren, also von Gefahren für Leben und Gesundheit, und nicht der Verhinderung von Ordnungswidrigkeiten. Eine Ausweitung der eng auszulegenden Ausnahmetatbestände des § 3 11. BayIfSMV sei aus den bereits im Bescheid genannten Gründen hier nicht geboten. Selbst wenn nach summarischer Prüfung jedoch das Ergebnis insoweit offen sein sollte, führe die dann erforderliche Rechtsfolgenabwägung zu dem Ergebnis, dass das Vollzugsinteresse das Aussetzungsinteresse des Antragstellers überwiege.
Der Vertreter des öffentlichen Interesses hat keinen Antrag gestellt, verteidigt aber die angegriffene Entscheidung, insbesondere im Hinblick auf die zeitliche Vorverlegung der Versammlung. Die betreffende Ausgangsbeschränkung diene der weiter notwendigen Reduktion von Kontakten – insbesondere im Hinblick auf nach den bisherigen Erfahrungen besonders infektionsgefährdende private Zusammenkünfte – und damit dem Schutz von Leben und Gesundheit und der Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems. Es handle sich um eine Ausgangsbeschränkung im Sinne des § 28a Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 IfSG, die sich auf eine verfassungsmäßige Rechtsgrundlage stützen könne. Der Verordnungsgeber habe in § 3 11. BayIfSMV einen abschließenden Katalog an Gründen normiert, die im Zeitraum nach 21:00 Uhr zum Aufenthalt außerhalb einer Wohnung berechtigten; eine Privilegierung von Versammlungen sei ausdrücklich nicht erfolgt. Die Teilnahme an einer Versammlung stelle grundsätzlich auch keinen ähnlich gewichtigen und unabweisbaren Grund im Sinne von § 3 Nr. 7 11. BayIfSMV dar. Die damit verbundene Beschränkung der Versammlungsfreiheit sei verfassungsrechtlich gerechtfertigt und insbesondere im Hinblick auf das verfolgte Ziel verhältnismäßig. Die Voraussetzungen für einen Ausnahmefall, in dem eine Zulassung der angezeigten Versammlung innerhalb der Ausgangsbeschränkung hätte erfolgen müssen, sei vom Antragsteller als Veranstalter und Leiter der Versammlung gerade nicht aufgezeigt worden; er habe nicht dargelegt, dass bei einer zeitlich vorverlegten Durchführung der Versammlung deren Zweck nicht erreicht werden könne.
Mit E-Mail vom 31. Januar 2021, 12:01 Uhr hat der Antragsteller hierauf repliziert und seinen Vortrag zum Versammlungsgeschehen am 3. Januar 2021 in Nürnberg, zu seinem eigenen Interesse an der Einhaltung von Schutzmaßnehmen und zum Versammlungszweck weiter vertieft.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte und der Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist teilweise begründet. Die vom Antragsteller in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, die der Verwaltungsgerichtshof nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu prüfen hat, rechtfertigen eine Abänderung des angefochtenen Beschlusses im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang. Im Übrigen ist die Beschwerde unbegründet.
1. Streitgegenstand der Anfechtungsklage des Antragstellers und damit auch Gegenstand des Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage im Beschwerdeverfahren sind lediglich Nr. 1 (Verbot einer sich fortbewegenden Versammlung), Nr. 3 (Reduzierung der Teilnehmerzahl auf 200) und ein Teil von Nr. 4 (Vorverlegung des Versammlungszeitraums). Die weiteren Beschränkungen im Bescheid vom 28. Januar 2021 hat der Antragssteller nicht beanstandet.
2. Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage anordnen, wenn die Klage (vgl. Art. 25 BayVersG) keine aufschiebende Wirkung hat. Der Verwaltungsgerichtshof hat bei seiner Entscheidung eine originäre Interessenabwägung auf der Grundlage der sich im Zeitpunkt seiner Entscheidung darstellenden Sach- und Rechtslage darüber zu treffen, ob die Interessen, die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung streiten, oder diejenigen, die für einen sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts sprechen, überwiegen. Dabei sind die Erfolgsaussichten der Klage im Hauptsacheverfahren wesentlich zu berücksichtigen, soweit sie bereits überschaubar sind. Nach allgemeiner Meinung besteht an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einer voraussichtlich aussichtslosen Klage kein überwiegendes Interesse. Wird dagegen der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf bei der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur möglichen summarischen Prüfung voraussichtlich erfolgreich sein (weil er zulässig und begründet ist), so wird regelmäßig nur die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung in Betracht kommen.
3. Gemessen daran führen die im Beschwerdeverfahren dargelegten Gründe zu einer teilweisen Änderung der Entscheidung des Verwaltungsgerichts. Die Anfechtungsklage gegen die in den Nrn. 3. und 4. des streitgegenständlichen Bescheids der Antragsgegnerin verfügten Beschränkungen ist voraussichtlich teilweise begründet.
a) Art. 8 Abs. 1 GG schützt die Freiheit, mit anderen Personen zum Zwecke einer gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung örtlich zusammen zu kommen. Nach Art. 8 Abs. 2 GG kann dieses Recht für Versammlungen unter freiem Himmel durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden. Derartige Beschränkungen sind im Lichte der grundlegenden Bedeutung von Art. 8 Abs. 1 GG auszulegen. Eingriffe in die Versammlungsfreiheit sind nur zum Schutz gleichgewichtiger anderer Rechtsgüter unter strikter Wahrung der Verhältnismäßigkeit zulässig (vgl. zuletzt BVerfG, B.v. 21.11.2020 – 1 BvQ 135/20 – juris Rn. 6 m.w.N.). Gem. Art. 15 Abs. 1 BayVersG kann die zuständige Behörde die Versammlung oder den Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist.
Versammlungsbeschränkungen gehören zu den Katalogmaßnahmen des § 28a Abs. 1 Nr. 10 IfSG zur Eindämmung der Corona-Pandemie. Sie sind nur zulässig, soweit auch bei Berücksichtigung aller bisher getroffenen anderen Schutzmaßnahmen eine wirksame Eindämmung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) erheblich gefährdet wäre (§ 28a Abs. 2 Nr. 1 IfSG). Sie können nach § 28a Abs. 6 Satz 1 IfSG kumulativ neben weiteren Maßnahmen zur Infektionsbekämpfung angewendet werden, soweit und solange es für eine wirksame Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 erforderlich ist. Mit der Aufnahme in den Katalog der Schutzmaßnahmen nach § 28a Abs. 1 IfSG hat der Gesetzgeber die Entscheidung, dass es sich dabei grundsätzlich um eine notwendige Schutzmaßnahme im Sinne des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG handeln kann, vorweggenommen. Versammlungsverbote und -beschränkungen dienen hauptsächlich der Vermeidung von risikoreichen Sozialkontakten bei Versammlungen, da das Aufeinandertreffen von Menschen zur Virusübertragung führt.
Der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 19/23944 S. 33) lässt sich dazu entnehmen:
Eine zeitweise Beschränkung der Versammlungswie auch Glaubensfreiheit ist unter Berücksichtigung der derzeitigen Infektionslage in Abwägung mit dem Ziel einer Reduzierung von Infektionszahlen in einer volatilen Pandemielage unter erhöhten Rechtfertigungsanforderungen zulässig, um dem Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit angemessen gewährleisten zu können. Angemessene Schutzund Hygienekonzepte haben Vorrang vor Untersagungen, sofern deren Einhaltung erwartet werden kann. Sofern jedoch Anhaltspunkte für die Nichteinhaltung vorliegen, kommen Verbote in Betracht. Versammlungen unter freiem Himmel sind regelmäßig weniger kritisch als solche in geschlossenen Räumen, wo die durch die Teilnehmer verursachte Aerosolkonzentration zumeist wesentlich höher liegen dürfte, auch wenn Belüften eine Absenkung bewirken kann. Gleichwohl können auch Versammlungen unter freiem Himmel durch eine begrenzte Aufstellfläche oder die schiere Vielzahl von Teilnehmern die durchgehende Einhaltung von Mindestabständen erschweren oder verunmöglichen, so dass Auflagen bis zu Verboten sachgerecht sein können.
§ 7 Abs. 1 Elfte Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (11. BayIfSMV vom 15. Dezember 2020, BayMBl. Nr. 737, zuletzt geändert durch Verordnung vom 28. Januar 2021, BayMBl. Nr. 75) bestimmt in Umsetzung von § 28 Abs. 1 i.V.m. § 28a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 32 IfSG für Versammlungen im Sinne des Bayerischen Versammlungsgesetzes unter anderem einen Mindestabstand von 1,5 m zwischen allen Teilnehmern (Satz 1). Die nach Art. 24 Abs. 2 BayVersG zuständigen Behörden haben, soweit dies im Einzelfall erforderlich ist, durch entsprechende Beschränkungen nach Art. 15 BayVersG sicherzustellen, dass die Bestimmungen nach Satz 1 eingehalten werden und die von der Versammlung ausgehenden Infektionsgefahren auch im Übrigen auf ein infektionsschutzrechtlich vertretbares Maß beschränkt bleiben; davon ist in der Regel auszugehen, wenn die Versammlung nicht mehr als 200 Teilnehmer hat und ortsfest stattfindet. Sofern diese Anforderungen nicht sichergestellt werden können, ist die Versammlung zu verbieten (§ 7 Abs. 1 Satz 4 der 11. BayIfSMV). Damit konkretisiert § 7 Abs. 1 der 11. BayIfSMV die versammlungsrechtliche Befugnisnorm des Art. 15 Abs. 1 BayVersG sowohl auf der Tatbestandswie auch auf der Rechtsfolgenseite im Hinblick auf von Versammlungen unter freiem Himmel ausgehende Gefahren für die Gesundheit und das Leben Einzelner (Art. 2 Abs. 2 GG) sowie den Schutz des Gesundheitssystems vor einer Überlastung (vgl. BVerfG, B.v. 10.4.2020 – 1 BvQ 31/20 – juris Rn. 15; vgl. auch BayVGH, B.v. 11.9.2020 – 10 CS 20.2063). Der Senat sieht im vorliegenden Verfahren keinen Anlass, von seiner grundsätzlich bestehenden Normverwerfungskompetenz im Hinblick auf untergesetzliche Normen Gebrauch zu machen, zumal es sich bei § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 11. BayIfSMV lediglich um eine Regelvermutung zugunsten kleinerer Versammlungen handelt (dazu sogleich).
b) Ausgehend davon erweist sich der angefochtene Bescheid der Antragsgegnerin auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens voraussichtlich als rechtmäßig und mit dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG vereinbar und die vom Verwaltungsgericht insoweit vorgenommene Interessenabwägung schon aus diesem Grund als richtig, soweit sie die Untersagung eines Aufzugs (Nr. 1 des Bescheids) betrifft.
Die von der Versammlungsbehörde insoweit angestellte Gefahrenprognose zur infektionsschutzrechtlichen Vertretbarkeit wird durch die Beschwerdebegründung nicht erschüttert.
aa) Die Versammlungsbehörde ist zunächst zu Recht davon ausgegangen, dass die gegenwärte Pandemiesituation Beschränkungen der Versammlungsfreiheit rechtfertigen kann.
Das Robert-Koch-Institut (RKI), dem der Gesetzgeber im Bereich des Infektionsschutzes mit § 4 IfSG besonderes Gewicht eingeräumt hat (vgl. BVerfG, B.v. 10.4.2020 – 1 BvQ 28/20 – juris Rn. 13; BayVerfGH, E.v. 26.3.2020 – Vf. 6-VII-20 – juris Rn. 16), schätzt in der erneut überarbeiteten Risikobewertung vom 12. Januar 2021 die Lage in Deutschland auch gegenwärtig als sehr dynamisch und ernstzunehmend und die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung insgesamt als sehr hoch ein (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/ Risikobewertung.html). Die Inzidenz der letzten 7 Tage liegt deutschland- und bayernweit (Stand 29.1.2021) bei 94 Fällen pro 100.000 Einwohner (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/J an_2021/2021-01-29-de.pdf? _blob=publicationFile). Angesichts der Erfahrungen mit Versammlungen des Antragstellers, die regelmäßig von einem überregionalen Personenkreis besucht werden, kommt es auf die konkrete Lage am Versammlungsort nicht entscheidend an. Dabei besteht im Hinblick auf die Virus-Mutanten B.1.1.7 und B.1.3.5.1 ein besonderes epidemiologisches Risiko. Wenn der Mindestabstand von 1,5 m ohne Mund-Nasen-Bedeckung unterschritten wird, z. B. wenn Gruppen von Personen an einem Tisch sitzen oder bei größeren Menschenansammlungen, besteht auch im Freien ein erhöhtes Übertragungsrisiko. Die neuen Varianten von SARS-CoV- 2, die zuerst im Vereinigten Königreich (B.1.1.7) und in Südafrika (B.1.351) nachgewiesen wurden, sind nach ersten Untersuchungen aus dem Vereinigten Königreich und Südafrika und gemäß Einschätzung des ECDC noch leichter von Mensch zu Mensch übertragbar und unterstreichen daher die Notwendigkeit einer strengen Einhaltung dieser kontaktreduzierenden Maßnahmen (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.ht ml; jsessionid=F844B6BF98FAF50A00195B98EF9EC045.internet122?nn=2444038=)
bb) Die Versammlungsbehörde hat weiter überzeugend begründet, dass beim zu erwartetenden Teilnehmerkreis damit zu rechnen ist, dass Vorgaben zu Abständen unter den besonderen Bedingungen einer sich fortbewegenden Versammlung nicht hinreichend sicher eingehalten werden.
Versammlungsbehörde und Verwaltungsgericht konnten hinsichtlich der infektionsschutzrechtlichen Vertretbarkeit der in Frage stehenden sich fortbewegenden Versammlung dabei auf Erfahrungen mit früheren Versammlungen der „Querdenken“- Bewegung und auch auf die Vorkommnisse bei und im Zusammenhang mit dem Versammlungsgeschehen in Nürnberg am 3. Januar 2021 heranziehen, auch wenn inzwischen klargestellt ist, dass der Antragsteller nicht der Anmelder dieser Versammlung war. Insbesondere auch bei den sich fortbewegenden Versammlungen am 15. August 2020 und 12. September 2020 kam es zu zahlreichen Verstößen gegen die behördlichen Auflagen, die die infektionsschutzrechtliche Vertretbarkeit sicherstellen sollten.
Die Versammlungsbehörde und das Verwaltungsgericht sind daher zu Recht davon ausgegangen, dass die Beschränkung auf eine stationäre Versammlung erforderlich ist, um weitergehende und damit infektionsschutzrechtlich nicht mehr vertretbare Infektionsgefahren zu verhüten, weil bei einer bewegten Versammlung (Aufzug) die Einhaltung von Mindestabständen regelmäßig nicht zu erwarten ist. Der Senat verweist insofern auf seine gefestigte Rechtssprechung hierzu (vgl. etwa BayVGH, B.v. 24.1.2021 – 10 CS 21.249; B.v. 16.1.2021 – 10 CS 21.166; B.v. 19.9.2020 – 10 CS 20.2103 – juris Rn. 10; B.v. 1.11.2020 – 10 CS 20.2449 – juris Rn. 17; B.v. 22.5.2020 – 10 CE 20.1236 – juris Rn. 15). Die zu erwartenden Teilnehmer bieten nach Auffassung des Senats keine ausreichende Gewähr für eine eigenverantwortliche Einhaltung der erforderlichen Abstands- und Hygieneanforderungen. Ein belastbares Hygienekonzept des Antragsstellers kann der Senat weiterhin nicht erkennen. Wie das dynamische Geschehen eines Aufzugs, der sich über mehrere hundert Meter hinziehen würde, faktisch kontrolliert und wie auf zwangsläufige Stauungen und Stockungen reagiert werden könnte, ohne dass die erforderlichen Mindestabstände unterschritten werden, ist nicht ersichtlich.
bb) Eine andere Einschätzung rechtfertigt das Beschwerdevorbringen nicht.
Bei seinen umfangreichen „grundsätzlichen“ Ausführungen zur Gewährleistung der Versammlungsfreiheit übersieht der Antragsteller, dass für Versammlungen unter freien Himmel das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln, durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes beschränkt werden kann (Art. 8 Abs. 2 GG). Um ein solches Gesetz handelt es sich bei § 28a Abs. 1 Nr. 10 IfSG i.V.m. § 7 Abs. 1 11. BayIfSMV i.V.m. Art. 15 Abs. 1 VersG.
Die vom Antragsteller erneut erhobene Behauptung, von Versammlungen unter freiem Himmel gehe keine relevante Infektionsgefahr aus, gibt dem Senat – zumal im Eilverfahren – keinen Anlass, von der Bewertung in § 28a Abs. 1 Nr. 10 IfSG durch den Gesetzgeber, dem eine Einschätzungsprärogative hinsichtlich der infektiologischen Gefährlichkeit von sozialen Kontakten zukommt (vgl. BVerfG, B.v. 12.5.2020 – 1 BvR 1027/20 – juris Rn. 7), abzuweichen.
Im Hinblick auf die überwiegend wörtliche Wiederholung seines – vom Verwaltungsgericht nicht ausdrücklich gewürdigten – Vortrags in früheren Verfahren zu den verfassungsrechtlichen Voraussetzungen eines Versammlungsverbots oder einer Versammlungsbeschränkung (S. 9 bis 13), zu einem behaupteten Verstoß gegen die EUGrundrechte-Charta (S. 13 bis 15), zur Unmittelbarkeit des Schadenseintritts (S. 15 bis 16), zur Ansteckungsgefahr im Freien und bei Versammlungen (S. 16 bis 20), zu sich bewegenden Versammlungen (S. 21 bis 22), zur Übersterblichkeit und zur Überlastung des Gesundheitssystems (S. 22 bis 23), zur vermeintlichen Verringerung des Ansteckungsrisikos gerade durch Versammlungen (S. 29 bis 30), zum Inhalt der Entscheidung des Amtsgerichts Weimar (S. 30 bis 33), zum Informationsschreiben der WHO zu PCR-Tests vom 21. Januar 2021 (S. 30, 53 bis 55) sowie zu Angaben des RKI zu Todeszeitpunkten (S. 55 bis 56) verweist der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen auf seinen dem Antragsteller bekannten Beschluss vom 24. Januar 2021 (10 CS 21.249). Den dortigen Ausführungen zu all diesen Gesichtspunkten hat der Senat – auch unter Berücksichtigung der ergänzenden Anmerkungen in der Beschwerdeschrift (z.B. S. 21, 23, 28, 29, 30, 31, 32, 33) nichts hinzuzufügen.
Soweit der Antragsteller mit gewissen Abänderungen den Inhalt des Urteils des Amtsgerichts Weimar vom 11.1.2021 (Az. 6 OWi – 523 Js 202518/20) abschreibt (S. 33 bis S. 52, von „Der Höhepunkt der COVID-19-Neuerkrankungen“ bis „Länder des Globalen Südens“, im Urteil des Amtsgericht Rn. 29 bis 104, vgl. https://openjur.de/u/2316798.html), beziehen sich die tatsächlichen Behauptungen auf die Lage im Frühjahr 2020 und die rechtlichen Ausführungen weitestgehend auf Kontaktbeschränkungen. Sie sind für Versammlungsbeschränkungen in der streitgegenständlichen Form und in der gegenwärtigen Situation irrelevant. Im Übrigen verweist der Senat auf seine Auseinandersetzung mit dem Urteil des Amtsgericht Weimar im Beschluss vom 24. Januar 2021 (10 CS 21.249). Der Senat teilt weder die Auffassung, dass Versammlungsbeschränkungen zum Schutz vor Infektionsgefahren die Menschenwürde antasten (zum sog. Menschenwürdegehalt der Versammlungsfreiheit Maunz/Dürig/Herdegen, GG, Stand August 2020, Art. 1 Abs. 1 Rn. 26 „allenfalls lose Bezüge“) noch die Annahme, dass solche Versammlungsbeschränkungen von vornherein unverhältnismäßig wären.
Die abstrakten Ausführungen zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen an Versammlungsbeschränkungen, zum Inhalt des Völkerstrafgesetzbuches und zu Äußerungen der Bundeskanzlerin zum Ende der Beschwerdebegründung (S. 52 bis 58) haben keinen erkennbaren Bezug zum hier zu entscheidenden Fall. Soweit der Antragsteller in seinem nachgereichten Schriftsatz vom 30. Januar 2021 aus einem Artikel von Josef Franz Lindner in „Die Zeit“ (Nr. 5, S.11) vom 28. Januar 2021 mit dem Thema „Justiz auf Linie“ umfangreich zitiert und in diesem Zusammenhang Entscheidungen der Verwaltungsgerichte und insbesondere die ihn (Antragsteller) betreffende Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 24. Januar 2021 (10 CS 21.249) methodisch und inhaltlich kritisiert, fehlt es ebenfalls am erforderlichen Bezug zum Streitgegenstand des vorliegenden Eilrechtsschutzverfahren und an der gebotenen Darlegung und Auseinandersetzung mit der Entscheidung des Erstgerichts (s. § 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO). Den Hinweis des Antragstellers auf eine Pressemitteilung des Verfassungsgerichtshofs von Nordrhein-Westfalen auf dessen Entscheidung vom 21. Januar 2021 hat der Senat zur Kenntnis genommen.
c) Begründet ist die Beschwerde allerdings hinsichtlich der Beschränkung der Teilnehmerzahl auf lediglich 200 und der zeitlichen Verlegung der Versammlung.
aa) Die Beschränkung der Teilnehmerzahl auf maximal 200 (Nr. 2 des Bescheids vom 28.1.2021) ist voraussichtlich rechtswidrig. Die Gefahrenprognose der Antragsgegnerin, die der Senat seiner Entscheidung zu Grunde zu legen hat, rechtfertigt nicht die Annahme, dass die angezeigte Versammlung nur mit dieser und keiner höheren Teilnehmerzahl infektionsschutzrechtlich vertretbar wäre.
Dabei ergibt sich aus § 7 Abs. 1 11. BayIfSMV unter Berücksichtigung der Gewährleistungen aus Art. 8 Abs. 1 GG keine Vermutung, dass eine Versammlung mit mehr als 200 Teilnehmern infektionsschutzrechtlich grundsätzlich unvertretbar wäre. Vielmehr privilegiert die Regelung ortsfeste Versammlungen bis zu einer Teilnehmerzahl von 200 mit der Regelvermutung der infektionsschutzrechtlichen Vertretbarkeit. Bei größeren Versammlungen bedarf es aufgrund der besonderen Bedeutung der Versammlungsfreiheit einer Einzelfallprüfung (vgl. BVerfG, B.v. 17.4.2020 – 1 BvQ 37/20 – juris Rn. 23). Kriterien hierfür sind u.a. die Infektionslage, die Versammlungsörtlichkeit, das Versammlungsthema, die Art und Weise der Versammlung und das Vorliegen eines Hygienekonzepts. Da die Einhaltung des Mindestabstands und das Tragen einer Maske aus infektionsschutzrechtlicher Sicht bei Ansammlungen einer größeren Menschenmenge unerlässlich sind, kommt auch der Prognose, ob der Veranstalter und die Versammlungsteilnehmer die Gewähr dafür bieten, dass diese „Auflagen“ eingehalten werden, bei der Entscheidung der Versammlungsbehörde maßgebliche Bedeutung zu.
Gemessen daran rechtfertigt die Gefahrenprognose der Antragsgegnerin nicht die Annahme, dass die angezeigte Versammlung nur mit 200 Teilnehmern infektionsschutzrechtlich vertretbar wäre. Ausgehend von der Annahme der Versammlungsbehörde, dass Versammlungen mit dem konkret zu erwartenden Teilnehmerkreis unter Leitung des Antragstellers überhaupt infektionsschutzrechtlich vertretbar sind, ist nicht erkennbar, warum dies nur mit 200 Teilnehmern der Fall sein soll. Maßgebliche Bedeutung misst der Senat dabei der polizeilichen Beurteilung des Versammlungsgeschehens am 24. Januar 2021 zu. Diese Versammlung war nach Teilnehmerkreis, Thema, Ort und Veranstalter praktisch identisch mit der hier streitgegenständlichen Versammlung und damit in besonderer Weise für eine Berücksichtigung bei der Gefahrenprognose geeignet. Soweit die Versammlungsbehörde auf weitere Versammlungen am 3. Januar 2021 und am 17. Januar 2021 abstellt, ist es der Antragsgegnerin nicht gelungen, eine Verantwortlichkeit des Antragstellers für die jeweiligen Vorfälle zu belegen. Weiter zurückliegende Versammlungen der Querdenken-Bewegung (auch unter Beteiligung des Antragstellers) sind wegen ihrer Größe und den sonstigen Umständen mit der streitgegenständlichen Versammlung nur sehr eingeschränkt vergleichbar und damit nicht hinreichend aussagekräftig.
Nach den Feststellungen der Polizeibehörden kam es während der Versammlung mit etwa 300 Teilnehmern zwar zu wiederkehrenden (nicht näher quantifizierten) Verstößen gegen die Abstandsvorschriften und gegen die Maskenpflicht. Dem Antragsteller, der auch diese Versammlung leitete, wird von der Polizei aber attestiert, dass er teils nach Aufforderung, teils eigenständig auf die Einhaltung von Abständen und Maskenpflichten hinwirkte. Im Ergebnis kam es nach Darstellung der Polizeibehörden zu einer einzigen Anzeige wegen des Verstoßes gegen die Maskenpflicht, in sieben Fällen wurde unmittelbarer Zwang in Form von Drücken und Schieben angewandt. Soweit in der Gefahrenprognose und in den Bescheidsgründen auf die besondere Rolle von K. H. hingewiesen wird, hat der Antragsteller glaubhaft versichert, dass dieser bei der streitgegenständlichen Versammlung nicht als Redner auftauchen wird. Damit konnten die Polizeibehörden nur vereinzelte Verstöße feststellen. Insbesondere bestand für die Polizei offenbar kein Anlass, die Versammlung aus Gründen des Infektionsschutzes aufzulösen oder auch nur zu unterbrechen. Diese Umstände rechtfertigt nicht die Annahme, dass eine nach Größe, Teilnehmerkreis und Veranstaltungsleitung vergleichbare Versammlung infektionsschutzrechtlich unvertretbar wäre, zumal schon nach der Wertung des Verordnungsgebers in § 7 Abs. 1 11. BayIfSMV eine völlige Risikofreiheit im Sinne einer absoluten infektionsschutzrechtlichen „Unbedenklichkeit“ für eine infektionsschutzrechtliche Vertretbarkeit nicht erforderlich ist (vgl. BayVGH, B.v. 30.4.2020 – 10 CS 20.999 – juris Leitsatz 3).
Ist die Beschränkung der Teilnehmerzahl voraussichtlich rechtswidrig, überwiegt schon aus diesem Grund das Suspensivinteresse des Antragstellers.
Die Maßgabe des Senats, dass an der Versammlung lediglich 300 Personen teilnehmen dürfen (gerichtliche Beschränkung im Sinne von Art. 20 Abs. 2 Nr. 4 BayVersG), ist geboten, weil der Senat davon ausgehen muss, dass eine noch größere Versammlung unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse (s. Nr. 2 des Bescheids) und der konkreten Sicherheitsvorkehrungen des Veranstalters (insbesondere Ordner- und Hygienekonzept) infektionsschutzrechtlich nicht mehr ohne weiteres vertretbar wäre und eine neue versammlungsbehördliche Beschränkung aufgrund des unmittelbar bevorstehenden Versammlungsbeginns nicht mehr zu erwarten ist.
bb) Es spricht zudem vieles dafür, dass die zeitliche Vorverlegung den Antragsteller in seiner Versammlungsfreiheit verletzt und deshalb rechtswidrig ist. Deshalb, jedenfalls aber aufgrund einer ergänzenden Folgenabwägung überwiegt das Suspensivinteresse des Antragstellers auch insoweit.
Art. 8 Abs. 1 GG gewährleistet auch das Recht, selbst zu bestimmen, wann, wo und unter welchen Modalitäten eine Versammlung stattfinden soll. Als Abwehrrecht, das auch und vor allem andersdenkenden Minderheiten zugutekommt, gewährleistet das Grundrecht den Grundrechtsträgern so nicht nur die Freiheit, an einer öffentlichen Versammlung teilzunehmen oder ihr fern zu bleiben, sondern zugleich ein Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung (vgl. BVerfGE 69, 315/343). Eine Bewertung der Eignung oder der Sinnhaftigkeit einer Versammlung sowie der in ihrem Rahmen geplanten versammlungsspezifischen Aktionen und Ausdrucksformen im Hinblick auf den jeweils bezweckten Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung steht den grundrechtsgebundenen staatlichen Stellen nicht zu (BVerfG, B.v. 21.9.2020 – 1 BvR 2152/20 – juris Rn. 17). Gefährdet die Durchführung der Versammlung andere Rechtsgüter, ist es Aufgabe der Behörde, die wechselseitigen Interessen unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zum Ausgleich zu bringen; die Bewertung der gegenläufigen Interessen und ihrer Abwägung mit dem Versammlungsinteresse liegt bei der Behörde (BVerfG, B.v. 26.1.2001 – 1 BVQ 8/01 – NJW 2001,1407/1408). Ordnungsvorschriften dürfen allerdings im Hinblick auf die grundsätzlichen Selbstorganisationsrechte nicht um ihrer selbst willen angewendet und durchgesetzt, sondern müssen stets verfassungskonform unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes herangezogen und ausgelegt werden (vgl. Deiseroth/Kutscha in Ridder/Breitbach/Deiseroth, Versammlungsrecht des Bundes und der Länder, 2. Aufl. 2020, Teil II Art. 8 GG Rn. 119).
Die nächtliche Ausgangsbeschränkung des § 3 11. BayIfSMV hat bei der hier nur möglichen summarischen Beurteilung in § 28 Abs. 1, § 28a Abs. 1 Nr. 3 (Ausgangsbeschränkung) i.V.m. der Verordnungsermächtigung nach § 32 Satz 1 IfSG eine verfassungsgemäße Rechtsgrundlage, hält die gesetzlichen Vorgaben des § 28a IfSG ein und dürfte sich auch sonst (noch) als verfassungsmäßig, insbesondere verhältnismäßig – also geeignet, erforderlich und angemessen – erweisen (so zuletzt BayVGH, B.v. 12.1.2021 – 20 NE 20.2933 – Rn. 36 ff. unter Verweis u.a. auf BayVerfGH, E. v. 30.12.2020 – Vf. 96-VII-20 – BeckRS 2020, 36981).
Der Senat hat in seiner Entscheidung vom 24. Januar 2021 (10 CS 21.249) noch offengelassen, ob die Teilnahme an einer Versammlung einen „ähnlich gewichtigen und unabweisbaren Grund“ im Sinne des Auffangtatbestands des § 3 Nr. 7 11. BayIfSMV darstellt. Unter Berücksichtigung der oben dargelegten verfassungsrechtlichen Grundsätze und des Umstandes, dass zeitliche Ausgangssperren als besonders schwerwiegende Form der Ausgangsbeschränkung gemäß § 28a Abs. 2 Nr. 2 IfSG besonderen Anforderungen unterliegen, sprechen nach Auffassung des Senats jedoch gewichtige Gründe dafür, im Wege einer verfassungskonformen Auslegung dieses Auffangtatbestands die Teilnahme an öffentlichen Versammlungen (unter den Voraussetzungen des § 7 11. BayIfSMV; s. auch § 2 Nr. 13 11. BayIfSMV) als ähnlich gewichtigen und unabweisbaren Grund wie die vom Verordnungsgeber unter Nr. 1 bis 6 der Regelung bestimmten Ausnahmetatbestände zu behandeln, auch wenn der Verordnungsgeber eine Ausnahme wie in § 2 Nr. 13 11. BayIfSMV bei der allgemeinen Ausgangsbeschränkung hier offensichtlich bewusst nicht vorgesehen hat. Wenn der Verordnungsgeber beispielsweise die Ausübung beruflicher oder dienstlicher Tätigkeiten (Nr. 2) ohne jede Einschränkung oder Handlungen zur Versorgung von Tieren (Nr. 6) als Ausnahmetatbestände vorsieht, so ist für den Senat kein durchgreifender Grund erkennbar, warum das Grundrecht der Versammlungsfreiheit und Selbstbestimmungsrecht seiner Grundrechtsträger bei einer im Sinne von § 7 11. BayIfSMV infektionsschutzrechtlich als vertretbar zu bewertenden Versammlung nicht als vergleichbar gewichtig anzusehen sein sollten. Den Ausnahmetatbeständen dieser Norm ist entgegen dem Vortrag der Antragsgegnerin nicht sämtlich gemein, „irreparable und schwerwiegende Schäden an Rechtsgütern höchsten Ranges zu verhindern“. Zudem ist für den Senat weiterhin (vgl. bereits B.v. 24.1.2021 – 10 CS 21.249 – Rn. 41) nicht ersichtlich, dass durch die streitgegenständliche Versammlung nach 21:00 Uhr ungleich höhere Infektionsgefahren bestünden als davor.
Auch mit den Beschwerdeerwiderungen der Antragsgegnerin und des Vertreters des öffentlichen Interesses jeweils vom 30. Januar 2021 werden diesbezüglich keine durchgreifenden Gründe vorgetragen. Soweit die Versammlungsbehörde argumentiert, das Versammlungsanliegen könne – wie in den allermeisten Fällen – ebenso gut im Zeitraum vor der nächtlichen Ausgangsbeschränkung umgesetzt werden und es sei hier nicht ersichtlich, dass der Versammlungszweck andernfalls nicht mehr erreicht werden könne, setzt sie letztlich ihre Bewertung der Zweckmäßigkeit an die Stelle des Veranstalters. Das Argument, bei einer erweiternden Auslegung von § 3 Nr. 7 11. BayIfSMV müsse mit einer Vielzahl von Versammlungen nach Beginn der nächtlichen Ausgangssperre gerechnet werden, etwa um unter Vorgabe eines Versammlungsthemas das Zustandekommen einer größeren Gruppe zu ermöglichen, ist zur Überzeugung des Senats rein spekulativ. Die Befürchtung, in einem solchen Fall könnten sich in den Abendstunden mehr Teilnehmer, die tagsüber etwa infolge einer Berufstätigkeit verhindert seien, veranlasst sehen, an Versammlungen teilzunehmen, ist angesichts der Möglichkeit der Beschränkung der Teilnehmerzahl ebenfalls nicht durchgreifend. Der zutreffende Einwand, es sei nur schwer nachvollziehbar, gemeint ist wohl kontrollierbar, ob jemand der sich nach Beginn der nächtlichen Ausgangsbeschränkung im öffentlichen Raum aufhält, sich tatsächlich auf dem Weg zu oder von einer Versammlung befinde, rechtfertigt nach Auffassung des Senats jedoch allein die hier streitige Beschränkung der Versammlungsfreiheit nicht. Auch das „systematische“ Argument der Gleichbehandlung mit dem Grundrecht der freien Religionsausübung gebietet keine andere Beurteilung.
Den in dieselbe Richtung zielenden Einwand des Vertreters des öffentlichen Interesses, zur Nachtzeit könne eine Versammlung zu einem Ankerpunkt für weitere gesellige Zusammenkünfte im Vorfeld, am Rande oder nach Ende der eigentlichen Versammlung werden und damit zu den infektionsschutzrechtlich unerwünschten Gelegenheiten (von privaten Kontakten) führen, sieht der Senat aus den dargelegten Gründen ebenfalls als nicht durchgreifend an.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 2 GKG. Da die Entscheidung die Hauptsache im Wesentlichen vorwegnimmt, sieht der Senat keinen Anlass, den Streitwert gemäß Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit zu mindern. 49
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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