Medizinrecht

Beschwerde gegen die Verhängung von Ordnungsgeld wegen Nichtbefolgung einer Anordnung des persönlichen Erscheinens

Aktenzeichen  L 2 SB 83/18 B

Datum:
16.1.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 946
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGG § 111 Abs. 1 S. 1, § 172
ZPO § 141 Abs. 3 S. 1, § 380, § 381 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Bleibt ein Beteiligter im Termin aus, obwohl das persönliche Erscheinen angeordnet wurde, kann gegen ihn Ordnungsgeld wie gegen einen im Vernehmungstermin nicht erschienenen Zeugen festgesetzt werden. (redaktioneller Leitsatz)
2 Zu den Anforderungen einer Glaubhaftmachung eines unverschuldeten Fehlens bei der mündlichen Verhandlung. (redaktioneller Leitsatz)
3 Das SG ist berechtigt und verpflichtet, bei nachträglich vorgebrachter Entschuldigung oder Glaubhaftmachung über die Aufhebung des Ordnungsmittels durch Beschluss zu entscheiden. Dem steht die Abschaffung des Abhilferechts bei Beschwerden nicht entgegen. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 24 SB 538/17 2018-05-17 Bes SGMUENCHEN SG München

Tenor

I. Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Sozialgerichts München vom 17.05.2018 betreffend die Verhängung von Ordnungsgeld gegen den Kläger aufgehoben.
II. Die Staatskasse hat dem Beschwerdeführer die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

Gründe

I.
Die Beschwerde richtet sich gegen die Verhängung von Ordnungsgeld wegen Nichtbefolgung einer Anordnung des persönlichen Erscheinens. Der Beschwerdeführer (Bf.) ist Kläger in einem beim Sozialgericht (SG) München unter dem Az. S 24 SB 538/17 geführten Rechtsstreit betreffend die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX).
Zur Begründung seiner Klage berief sich der 1942 geborene Kläger auf Herzrhythmusstörungen, die zu Atemnot, Schwindel und Gleichgewichtsstörungen führten. Nach einem Befund des Klinikums B. vom 29.11.2017 wurde insbesondere die Diagnose eines langanhaltend persistierenden Vorhofflimmerns (Erstdiagnose 2014) mit Zustand nach zweimaliger Elektrokardioversion im Jahr 2014 und raschem Rezidiv gestellt.
Mit Ladung vom 05.04.2018 bestimmte das SG Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 17.05.2018 um 11.00 Uhr. Das persönliche Erscheinen des Bf. wurde angeordnet. Die Ladung wurde dem Bf. persönlich mit Postzustellungsurkunde am 07.04.2018 zugestellt. Das Schreiben an den Bf. enthielt eine Belehrung darüber, dass gegen ihn ein Ordnungsgeld von bis zu 1.000 EUR festgesetzt werden könne, wenn er ohne genügende Entschuldigung nicht erscheinen würde.
Am Tag der mündlichen Verhandlung am 17.05.2018 hat der Kläger laut Aktenvermerk des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle telefonisch mitgeteilt, dass er nicht zur Verhandlung erscheinen könne, da er sich gesundheitlich nicht in der Lage sehe. Seitens der Geschäftsstelle sei ihm gesagt worden, dass er ein Attest schicken solle.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 17.05.2018 von 11.10 Uhr bis 11.15 Uhr ist für den Bf. niemand erschienen. Das SG hat mit einem noch im Termin verkündeten Beschluss gegen den Bf. wegen unentschuldigten Ausbleibens ein Ordnungsgeld von 150 EUR festgesetzt. Zur Begründung hat das Gericht ausgeführt, eine telefonische Mitteilung am Tage der mündlichen Verhandlung, dass er nicht zur Verhandlung erscheinen könne, ohne Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung reiche für eine Entschuldigung nicht aus. Die Sitzungsniederschrift, in die der Beschluss aufgenommen wurde, ist dem Bf. laut Postzustellungsurkunde am 19.05.2018 zugestellt worden.
Am 18.05.2018 ist beim SG das Attest des Dr. P., Kardiologe vom Klinikum S., vom 17.05.2018 eingegangen, in dem bestätigt wurde, dass der Kläger wegen einer akuten gesundheitlichen Störung vom 17.05.2018 bis einschließlich 18.05.2018 seinen amtlichen Verpflichtungen nicht nachkommen könne.
Der Bf. hat gegen den Beschluss am 23.05.2018 Beschwerde eingelegt und wie folgt begründet:
Er habe am Tag der mündlichen Verhandlung am Morgen in der Dusche einen Schwächeanfall mit erheblichen Gleichgewichtsstörungen erlitten. Zwar habe er aufgrund seines Vorhofflimmerns schon immer wieder unter ähnlichen Störungen gelitten, jedoch noch nie zuvor in einem solchen Ausmaß. Er habe deshalb um 9:00 Uhr den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle angerufen und ihn ausführlich über seine Beschwerden unterrichtet. Der Urkundsbeamte habe ihm mitgeteilt, dass er ein Attest benötige. Er sei an dem Tag nicht in der Lage gewesen, seinen Arzt persönlich aufzusuchen, da seine Frau nicht zuhause gewesen sei, er habe jedoch umgehend seinen Kardiologen Dr. P. angerufen, der seine Beschwerden aufgrund des Vorhofflimmerns für glaubhaft gehalten habe und deshalb am selben Tage noch das Attest ausgestellt habe. Der Kläger hat weiter erklärt, dass er aufgrund des Vorfalls vom 17.05.2018 auch eine neurologische Untersuchung eingeleitet habe, die eine vorher nicht bekannte Polyneuropathie an den Beinen ergeben habe, die seine Gleichgewichtsstörungen verschlimmert habe. Hierzu hat er einen Befundbericht des B.-Krankenhaus F. vom 12.07.2018 vorgelegt.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten verwiesen.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz – SGG) und begründet, weil die Verhängung von Ordnungsgeld gegen den Bf. durch Beschluss vom 17.05.2018 nicht rechtmäßig war.
Gemäß § 111 Abs. 1 Satz 1 SGG kann der Vorsitzende das persönliche Erscheinen eines Beteiligten zur mündlichen Verhandlung anordnen. Bleibt der Beteiligte im Termin aus, so kann gemäß § 202 SGG. i. V. m. § 141 Abs. 3 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) gegen ihn Ordnungsgeld wie gegen einen im Vernehmungstermin nicht erschienenen Zeugen, also nach den §§ 380 f. ZPO, festgesetzt werden. Der Bf. ist im Termin zur mündlichen Verhandlung am 17.05.2018 nicht erschienen.
Die Festsetzung eines Ordnungsmittels unterbleibt gemäß § 381 Abs. 1 Satz 1 ZPO, wenn das Ausbleiben rechtzeitig genügend entschuldigt wird. Erfolgt die Entschuldigung nach Satz 1 nicht rechtzeitig, so unterbleibt die Festsetzung eines Ordnungsmittels nur dann, wenn glaubhaft gemacht wird, dass den Zeugen – hier in entsprechender Anwendung gemäß § 141 Abs. 3 Satz 1 ZPO den Beteiligten – an der Verspätung der Entschuldigung kein Verschulden trifft (§ 381 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Erfolgt die genügende Entschuldigung oder die Glaubhaftmachung nachträglich, so werden die getroffenen Anordnungen unter den Voraussetzungen des Satzes 2 aufgehoben (§ 381 Abs. 1 Satz 3 ZPO).
Im vorliegenden Fall ist der Beschluss des SG aufzuheben, weil der Bf. sein Ausbleiben unverzüglich angekündigt und nachträglich genügend entschuldigt hat: Er rief um 9.00 Uhr in der Geschäftsstelle an und schilderte den unmittelbar vorausgegangenen Schwächeanfall mit massiven Gleichgewichtsstörungen. Auf den Hinweis der Geschäftsstelle, dass er ein Attest benötige, rief er seinen Kardiologen Dr. P. an, der aufgrund der Krankheitsgeschichte die Beschwerden für glaubhaft hielt und ihm ein Attest ausstellte, das der Bf. am Folgetag an das Gericht faxte.
Der Senat hält die Aussage des Bf. für glaubhaft, dass er zwar zuvor bereits unter Gleichgewichtsstörungen gelitten habe, dass ihn die Attacke am Verhandlungstag jedoch in einer bislang unbekannten Stärke getroffen habe, mit der er vorher nicht habe rechnen können. Bei künftigen Ladungen unter Anordnung des persönlichen Erscheinens wird der Kläger aber entsprechende Attacken von vornherein einzukalkulieren und bei der Wahl der Verkehrsmittel und der für die Anfahrt benötigten Zeit zu berücksichtigen haben. Sollte auch dadurch unter normalen Bedingungen nicht zu erwarten sein, dass der Kläger an der Sitzung teilnehmen kann, hat dies der Kläger rechtzeitig vor dem Termin unter Beifügung ärztlicher Atteste dem Gericht mitzuteilen und um Aufhebung der Anordnung des persönlichen Erscheinens zu ersuchen.
Ferner wird das Sozialgericht darauf hingewiesen, dass es gemäß § 202 SGG i. V. m. § 141 Abs. 3 Satz 1 ZPO i. V. m. § 381 Abs. 1 Satz 3 ZPO berechtigt und nach Ansicht des Senats auch verpflichtet ist, bei nachträglich vorgebrachter Entschuldigung oder Glaubhaftmachung über die Aufhebung des Ordnungsmittels durch Beschluss zu entscheiden (Kühl, in Breitkreuz/ Fichte, SGG, 2. A. 2014, § 111 Rdnr. 3). Dem steht die Abschaffung des Abhilferechts bei Beschwerden nach § 174 SGG a. F., der zum 01.04.2008 aufgehoben worden ist, nicht entgegen. Die Möglichkeit, nachträglich Entschuldigungsgründe vorzubringen und eine Entscheidung darüber zu verlangen, ist in § 381 Abs. 1 Satz 3 ZPO spezialgesetzlich geregelt. Sie besteht bei Ordnungsmittelbeschlüssen der ersten Instanz selbstständig und unabhängig neben der Möglichkeit, Beschwerde einzulegen. Damit wird dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs (§ 62 SGG, Art. 103 GG) insbesondere in den Fällen Rechnung getragen, in denen die Festsetzung des Ordnungsmittels unmittelbar in dem versäumten Termin erfolgt.
Die Kostenentscheidung erfolgt analog § 193 SGG. Insoweit wendet der Senat § 467 Abs. 1 Strafprozessordnung (auch i. V. m. § 46 Abs. 1 Ordnungswidrigkeitengesetz) analog an, wonach die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten im Falle seines Freispruchs der Staatskasse zur Last fallen.
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.


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