Medizinrecht

Coronavirus, SARS-CoV-2, Bescheid, Versammlungsfreiheit, Umzug, Ablehnung, Auflagen, Versammlungsverbot, Versammlung, Aufhebung, Wirksamkeit, Auflage, Befristung, Verordnungsgeber, Auslegung, Ausnahmegenehmigung, Freistaat Bayern

Aktenzeichen  M 26 S 20.1813

Datum:
30.4.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 50802
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Auflage Nr. 9. im Bescheid der Antragsgegnerin vom 29. April 2020 wird aufgehoben. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
II. Von den Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin 4/5 und die Antragsgegnerin 1/5.
III. Der Streitwert wird auf Euro 2.500,– festgesetzt.

Gründe

Die Entscheidung ergeht angesichts der geltend gemachten Eilbedürftigkeit gemäß §§ 123 Abs. 2 Satz 2,80 Abs. 8 VwGO durch die Vorsitzende.
Der zulässige Antrag bleibt überwiegend erfolglos.
A. Die angegriffenen Auflagen im Bescheid vom 29. April 2020 sind nach summarischer Prüfung – mit Ausnahme der Auflage Nummer 9 – voraussichtlich rechtmäßig und verletzen die Antragstellerin nicht in ihren Rechten, so dass ein Anspruch auf deren Aufhebung nicht besteht.
1. Bei summarischer Prüfung ist § 1 Abs. 1 2. BayIfSMV mit der Rechtsgrundlage in § 28 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 des Infektionsschutzgesetzes, geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 27. März 2020 (BGBl. I S. 587), sowie mit dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG, Art. 113 BV) und auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 GG vereinbar.
§ 1 Abs. 1 2. BayIfSMV ist als repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt ausgestaltet und soll dem grundgesetzlich besonders geschützten Grundrecht der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG Rechnung tragen, indem Ausnahmen vom infektionsschutzrechtlich bedingten generellen Versammlungsverbot zugelassen werden können, soweit dies im Einzelfall aus Gründen des Infektionsschutzes vertretbar erscheint.
Die vorübergehende Einschränkung der Versammlungsfreiheit und der Meinungsfreiheit, die § 1 Abs. 1 2. BayIfSMV beinhaltet, ist zum Zwecke des Schutzes von Leben und Gesundheit der Bevölkerung vor der raschen Ausbreitung des Corona-Virus und der Überlastung des Gesundheitssystems als eines überragend wichtigen Gemeinschaftsgutes derzeit wohl verfassungsrechtlich nach wie vor gerechtfertigt (vgl. für Betriebsuntersagungen durch die Vorgängerregelungen VG München, B. v. 20.3.2020 – M 26 E. 20.1209 und M 26 S 20.1222; B.v. 31.3.2020 – M 26 E 20.1343; BayVGH, B.v. 30.3.2020 – 20 CS 20.611). Die dortigen Erwägungen insbesondere zur Verhältnismäßigkeit, die unverändert aktuell sind, greifen mutatis mutandis auch für die vorübergehende Einschränkung der Versammlungsfreiheit durch § 1 Abs. 1 2. BayIfSMV Platz. § 28 Abs. 1 Satz 2 und Satz 4 IfSG sehen ausdrücklich die Einschränkung der Versammlungsfreiheit vor. Auch das Veranstaltungs- und Versammlungsverbot hat, wie die übrigen Verbote der Verordnung, ausschließlich zum Ziel, die Verbreitung des Corona-Virus durch Unterbrechung der Infektionsketten zu verlangsamen. Zudem hat es das Bundesverfassungsgericht unter Verweis auf die staatliche Verpflichtung zum Schutz des Grundrechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit in Art. 2 Abs. 2 GG im Eilverfahren abgelehnt, die Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung als Vorgängernorm der 2. BayIfSMV außer Vollzug zu setzen (BVerfG, B. v. 7.4.2020 – 1 BvR 755/20).
Umstände, die zu einer anderen Bewertung hinsichtlich der in der 2. BayIfSMV enthaltenen Regelung zum Veranstaltungs- und Versammlungsverbot führen, sind nicht ersichtlich. Dabei verkennt das Gericht auch nicht, dass hinsichtlich der Prüfung der Verhältnismäßigkeit zu beachten ist, dass den Verordnungsgeber angesichts der mit der Verordnung verbundenen Grundrechtseingriffe die Pflicht trifft, ständig zu überwachen, ob die Aufrechterhaltung der verfügten Maßnahmen noch erforderlich und angemessen ist, wobei die Anforderungen umso strenger werden, je länger die Regelungen schon in Kraft sind (BayVGH, B. v. 9.4.2020 – 20 NE 20.688). Vielmehr hat der Verordnungsgeber durch den Erlass einer 2. BayIfSMV, die inhaltlich nicht identisch mit der BayIfSMV ist, dokumentiert, dass die verfügten Maßnahmen der aktuellen Situation angepasst worden sind. Dass die mit der Rechtsverordnung erlassenen Regelungen in großen Teilen mit den Vorgängerregelungen übereinstimmen, ist angesichts der aktuellen Risikobewertung des Robert-Koch-Instituts, wonach die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland unverändert als insgesamt hoch eingeschätzt wird (Täglicher Lagebericht des RKI zur Coronavirus-Krankheit-2019 am 22.4.2020, S. 10, https://www.rki.de/DE/Content/ InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/2020-04-22-de.pdf? blob=publicationFile),nicht überraschend. Zudem zeigt die Befristung der 2. BayIfSMV bis zum 3. Mai 2020, dass die Erforderlichkeit und Wirksamkeit der erlassenen Regelungen – wie es der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit erfordert – weiterhin fortlaufend vom Freistaat Bayern überprüft werden.
2. Die Ausnahmegenehmigung nach § 1 Satz 3 2. BayIfSMV steht nach § 1 Abs. 1 Satz 3 BayIfSMV im Ermessen der zuständigen Behörde. Umstände, welche auf eine Ermessensreduzierung auf Null hindeuten, sind nicht ersichtlich. Vielmehr kann eine Ausnahmegenehmigung nach § 1 Satz 3 2. BayIfSMV nur unter strengen Auflagen erteilt werden, die die Eindämmung der infektionsschutzrechtlichen Gefahren sicherstellen (BayVGH, B. v. 9. 4. 2020, Az. 20 CE 20.755). Solche Auflagen kann und muss die Behörde im Ermessenswege in Abwägung des Rechts auf Versammlungsfreiheit mit den infektionsschutzrechtlichen Gefahren, die sich insbesondere aus der Möglichkeit des Entstehens von Menschenansammlungen außerhalb der Versammlung ergeben, anordnen.
a) Die Auflagen Nr. 1 bis 4 sowie 8. sind nach den dargestellten Maßstäben rechtmäßig, insbesondere ermessensgerecht erlassen. Sie sind geeignet, erforderlich und angemessen, um die infektionsschutzrechtliche Vertretbarkeit der geplanten Versammlung zu gewährleisten.
Die Zulassung einer nur stationären Versammlung ist erforderlich, um die Einhaltung des infektionsschutzrechtlich zwingenden Mindestabstands gewährleisten zu können. Zum einen ist es sowohl für den Versammlungsleiter als auch für die die Versammlung begleitende Polizei bereits bei einer Teilnehmerzahl von 50 Personen schwierig, im Falle eines Umzugs die Einhaltung des Mindestabstands zu überwachen. Vor allem aber kann bei einem Umzug die Teilnehmerzahl schlichtweg nicht begrenzt werden, was die Überwachung der Einhaltung des Mindestabstands unmöglich macht. Die diesbezüglichen Erwägungen der Antragsgegnerin sind mithin nachvollziehbar. Auch bei einer stationären Versammlung ist es der Antragstellerin und den Versammlungsteilnehmern in ausreichender Weise möglich, ihre Meinungsäußerungen und Anliegen nach außen zu tragen, sodass die Verhältnismäßigkeit gewahrt ist.
Auch die örtliche Begrenzung, i.e. die Ablehnung einer weiteren Versammlung auf dem …platz, hält das Gericht für ermessensgerecht und verhältnismäßig. Sie ist erforderlich, um der Gefahr des Entstehens unkontrollierbarer Menschenansammlungen zu begegnen. Im Falle einer zweiten Versammlung auf dem …platz, die unmittelbar im Anschluss an die Versammlung in der … Straße stattfinden soll, ist zu erwarten, dass sich sowohl die Versammlungsteilnehmer der 1. Versammlung als auch der Kreis der Schaulustigen und Umstehenden, der sich angesichts der großen Anziehungskraft, die Demonstrationen am 1. Mai typischerweise haben, und bei der zeitlichen Dauer der Versammlung von ungefähr einer Stunde inzwischen sicherlich gebildet hat, in einer oder mehreren größeren Gruppen zum neuen Versammlungsort begeben werden. Die Polizei rechnet ausweislich der der Antragserwiderung beigefügten polizeilichen Mitteilung mit 200 bis 300 Personen. Eine Gruppenbildung außerhalb einer durch das Versammlungsrecht geschützten, genehmigten Versammlung ist nach der Verordnungslage der 2. BayIfSMV, deren Anwendbarkeit von der obergerichtlichen Rechtsprechung bestätigt wurde, nicht zulässig. Auch der Polizei wäre es bei der voraussichtlichen Größe dieser Gruppe wohl nur schwer möglich, auf dem gesamten Weg die Einhaltung des Mindestabstands zu kontrollieren. 2 Versammlungen in zeitlich unmittelbarer Nähe dürften daher infektionsschutzrechtlich nicht vertretbar sein; jedenfalls erscheint die Ablehnung einer 2. Versammlung auch unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit ermessensgerecht. Auch der Ort vor dem Gebäude des … dürfte dem Anliegen der Versammlungsteilnehmer Rechnung tragen und erscheint daher geeignet. Einen Hilfsantrag dahingehend, dass die Versammlung bei Ablehnung der Hauptanträge nur auf dem …platz stattfinden soll, hat die Antragstellerin nicht gestellt.
Zu der Beschränkung der Teilnehmerzahl auf 50 Personen gelten die Erwägungen zur nur stationären Zulassung entsprechend. Bei einer größeren Teilnehmerzahl ist es für den Versammlungsleiter schlichtweg nicht mehr einsehbar, ob der erforderliche Mindestabstand eingehalten wird. Zu berücksichtigen ist weiterhin, dass sich angesichts der ohnehin großen Anziehungskraft, die Demonstrationen am 1. Mai ausweislich der polizeilichen Einschätzung aufweisen und die von der Antragsgegnerin schriftsätzlich nachvollziehbar dargelegt wurde, voraussichtlich ohnehin zu einer Menschenansammlung außerhalb der Versammlung kommen wird, die von der Polizei ebenfalls kontrolliert werden muss.
Die Dauer von 90 Minuten trägt der Versammlungsfreiheit ebenfalls hinreichend Rechnung, zumal der Umzug entfällt. Während einer Dauer von 90 Minuten haben die Antragstellerin und die übrigen Teilnehmer ausreichend Gelegenheit, ihre Anliegen und Meinungsäußerungen kundzutun.
Schließlich bestehen auch gegen die Auflage des Verbots einer Bewerbung der Versammlung keine rechtlichen Bedenken, denn die Auflage dient dazu, das Entstehen einer äußerst großen Menschenansammlung zu verhindern. Angesichts der Anziehungskraft, die Demonstrationen am 1. Mai üblicherweise ausüben, der ausweislich des Bescheids bereits erfolgten Hinweise auf die Kundgebung im Internet, und der laut der von der Antragsgegnerin vorgelegten polizeilichen Einschätzung zu erwartenden Personenzahl besteht ohnehin die Gefahr, dass sich außerhalb des Teilnehmerkreises von 50 Personen viele Umstehende am Versammlungsort aufhalten werden. Der Versammlungsfreiheit wird auch bei der fehlenden weiteren Bewerbung noch hinreichend Rechnung getragen, da die Antragstellerin im Wege der Versammlung und angesichts dessen, dass die Kundgebung ohnehin schon einen gewissen Bekanntheitsgrad genießt, noch hinreichend Gelegenheit hat, auf ihre Belange aufmerksam zu machen.
Aus denselben Erwägungen erweist sich auch die Auflage Nummer 8, auf elektronische Schallverstärkung wie Megaphone zu verzichten, als ermessensgerecht. Sie dient dazu, nicht noch mehr unbeteiligte zum Versammlungsort zu locken, was angesichts der ohnehin schon erreichten gewissen Bekanntheit von Kundgebungsort und -zeit zur Eindämmung der infektionsschutzrechtlichen Gefahren erforderlich erscheint.
b) Auflage Nummer 9 im Bescheid vom 29.04.2020 erweist sich hingegen als rechtswidrig und verletzt die Antragstellerin in ihren Rechten.
Zum einen hält das Gericht die Auflage für zu unbestimmt, weil in Zusammenschau mit den übrigen Auflagen, insbesondere Nrn. 8 (keine Verwendung elektronischer Schallverstärkung) und 10 (kein Verteilen von Flyern in unmittelbarem physischen Kontakt) schon nicht klar ersichtlich ist, was hiermit gemeint ist. Das Gericht geht davon aus, dass Kundgebungsmittel wie Fahnen, Transparente und Ähnliches gemeint sein könnten. In dieser Auslegung wird die Auflage aber dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit nicht gerecht, da es den Versammlungsteilnehmern, die weitgehend auf akustische Mittel verzichten müssen, möglich sein muss, in hinreichender Weise öffentlich ihre Meinung kund zu tun und auf ihre Anliegen hinzuweisen. Dies ist für die Ausübung der Versammlungsfreiheit von essenzieller Bedeutung. Die Auflage erweist sich daher auch als unverhältnismäßig.
B. Die beiden Hilfsanträge bleiben in der Sache ebenfalls erfolglos. Der geplante Umzug der künstlerischen Formation stellt eine Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes und des Art. 8 Grundgesetz dar, sodass er ebenfalls dem Verbot mit Befreiungsvorbehalt des § 1 Abs. 1 2. BayIfSMV unterfällt. Die Antragstellerin hat allerdings keinen Anspruch auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung für den Umzug der künstlerischen Formation, da eine Ermessensreduzierung auf Null nicht vorliegt.
Zwar dürften von der künstlerischen Formation und dem beabsichtigten Umzug als solchem keine nennenswerten infektionsschutzrechtlichen Gefahren ausgehen. Im Zusammenhang mit der zuvor stattfindenden Versammlung sind solche allerdings nicht von der Hand zu weisen. Denn angesichts der zuvor stattfindenden Versammlung in der … Straße, von der aus die künstlerische Formation unmittelbar starten würde, dürfte zu erwarten sein, dass der Umzug der künstlerischen Formation sowohl die Versammlungsteilnehmer als auch die übrigen Schaulustigen, die sich während der Versammlungszeit eingefunden haben, mit sich zieht. Da weiterhin damit zu rechnen sein dürfte, dass es einigen Teilnehmern gerade darauf ankommen dürfte, den gesamten Umzug, der sich ja gleichsam als Theaterstück darstellen soll, verfolgen zu können, könnte mit einer unübersichtlichen Situation zu rechnen sein, in der sich größere Gruppen sehr schnell auf den Weg machen. Es steht daher im Ermessen der Antragsgegnerin, ob sie für den Umzug der künstlerischen Formation isoliert eine Ausnahme erteilt. Eine Ermessensreduzierung auf 0 im Sinne eines Anspruchs auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung besteht vor dem Hintergrund des Geschilderten jedenfalls nicht.
C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2, 52 Abs. 1 VwGO.


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