Medizinrecht

Coronavirus, SARS-CoV-2, Erkrankung, Dienstunfall, Krankheit, Beamte, Beamter, Anerkennung, Dienstherr, Lehrer, Bescheid, Widerspruchsbescheid, Unfallgeschehen, Gefahr, Betreuung, Beamten, Anerkennung als Dienstunfall, besondere Gefahr, Zeitpunkt der Erkrankung

Aktenzeichen  Au 2 K 20.2494

Datum:
21.10.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 31624
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Bescheid des * vom 15. Juli 2020 und der Widerspruchsbescheid des * vom 26. Oktober 2020 werden aufgehoben.
Der Beklagte wird verpflichtet, die SARS-CoV-2/Covid- 19 Erkrankung des Klägers als Dienstunfall i.S.v. Art. 46 Abs. 3 Satz 1 BayBeamtVG anzuerkennen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren war notwendig.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Berufung wird zugelassen.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet.
Der Bescheid vom 15. Juli 2020 des * in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. Oktober 2020 des * ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat Anspruch auf die Anerkennung seiner SARS-CoV-2/COVID-19 Erkrankung (im Folgenden: COVID-19 Erkrankung) vom März 2020 als Dienstunfall im Sinne von Art. 46 Abs. 3 Satz 1 BayBeamtVG (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
1. Ein Dienstunfall gemäß Art. 46 Abs. 1 Satz 1 BayBeamtVG liegt nicht vor. Danach ist ein Dienstunfall ein auf äußerer Einwirkung beruhendes, plötzliches, örtlich und zeitlich bestimmbares, einen Körperschaden verursachendes Ereignis, das in Ausübung oder infolge des Dienstes eingetreten ist. Dabei gehört zum Dienst gemäß Art. 46 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BayBeamtVG auch die Teilnahme an dienstlichen Veranstaltungen und damit auch Fortbildungsveranstaltungen wie hier der Sportübungsleiterlehrgang, an dem der Kläger teilgenommen hat. Auch ein Körperschaden war ausweislich des ärztlichen Attests vom 8. Dezember 2020 (Bl. 63 Gerichtsakte) gegeben. Der Kläger hatte im März 2020 – beginnend in der Nacht vom 14. auf den 15. März 2020 – grippeähnliche Symptome und zeigte auch bei Kontrollbesuchen im April und Mai 2020 noch eine ausgeprägte Leistungseinschränkung und eine deutliche Einschränkung des Geruchsinns. Noch im Dezember 2020 hatte sich der Geruchssinn nicht zurückgebildet. Damit lag nicht nur eine durch den PCR-Test festgestellte bloße Infektion mit dem SARS-CoV-2 Erreger (sogenannte stumme Infektion) vor (Leihkauff in: Schwegmann/Summer, Besoldungsrecht des Bundes und der Länder, Stand April 2021, Ziff. 16. „Auswirkungen der Corona-Pandemie“ Rn. 113).
Entgegen der Ansicht des Beklagten fehlt es auch nicht an einem auf äußerer Einwirkung beruhenden Ereignis durch die respiratorische Aufnahme virushaltiger Partikel, dem Hauptübertragungsweg für SARS-CoV-2 (Epidemiologischer Steckbrief zu SARS-CoV-2 und COVID-19 des Robert Koch-Instituts, Stand: 14.7.2021 – im Folgenden: Steckbrief RKI). Das Erfordernis der äußeren Einwirkung dient vielmehr der Abgrenzung von Vorgängen im Innern des Körpers bzw. dem Ausschluss von Körperbeschädigungen, die auf eine besondere Veranlagung zurückgehen (Kazmaier in: Stegmüller/Schmalhofer/Bauer, Beamtenversorgungsrecht, Stand Juni 2021, § 31 BeamtVG Rn. 31). Auch die Tuberkulose wird (u.a.) durch das Einatmen infektiöser Tröpfchen übertragen. Beim Einatmen handelt es sich um eine äußere Einwirkung.
Auch eine Infektionskrankheit – um eine solche handelt es sich bei COVID-19 ausweislich des unter „Infektionskrankheiten A-Z“ aufgeführten Steckbriefs des RKI kann im Grundsatz ein Dienstunfall im Sinne von Art. 46 Abs. 1 Satz 1 BayBeamtVG sein (BVerwG, U.v. 28.1.1993 – 2 C 22.90 – juris Rn. 7 zu Tuberkulose; U.v. 25.2.2010 – 2 C 81.08 – juris Rn. 12). Ein Dienstunfall ist auch nicht deswegen ausgeschlossen, weil es sich bei der Erkrankung des Klägers an COVID-19 um die Folge einer Pandemie und daher um die Verwirklichung einer allgemeinen, letztlich jeden treffenden Gefahr handelt. Der Begriff des Dienstunfalls setzt nicht voraus, dass ein Beamter bei seiner Tätigkeit einer höheren Gefährdung als die übrige Bevölkerung ausgesetzt ist oder sich in dem Körperschaden eine der konkreten dienstlichen Verrichtung innewohnende typische Gefahr realisiert hat (BVerwG, U.v. 25.2.2010 – 2 C 81.08 – juris Rn. 11). Vorliegend fehlt es jedoch an einem örtlich und zeitlich bestimmbaren Ereignis im Sinne von Art. 46 Abs. 1 Satz 1 BayBeamtVG, das zu der COVID-19 Erkrankung des Klägers geführt hat. Das Vorliegen eines örtlich und zeitlich bestimmbaren Ereignisses setzt voraus, dass sich feststellen lässt, dass sich der Beamte an einem bestimmten Ort zu einem bestimmten Zeitpunkt infiziert hat. Die Umstände des konkreten Ereignisses müssen so bestimmt sein, dass es Konturen erhält, aufgrund derer es von anderen Geschehnissen eindeutig abgegrenzt werden kann. Die bloße Eingrenzbarkeit des Zeitraums der Infektion oder die abstrakte Bestimmbarkeit ihres Zeitpunkts sowie die Kenntnis der Orte, an denen sich der Beamte während dieser Zeit aufgehalten hat, reichen nicht aus (BVerwG, U.v. 25.2.2010 – 2 C 81.08 – juris Rn. 16). Hiervon ausgehend genügt für die Annahme eines Dienstunfalls im Sinne von Art. 46 Abs. 1 Satz 1 BayBeamtVG der Rückschluss nicht, dass sich der Kläger aller Wahrscheinlichkeit nach während des Zeitraums zwischen dem 9. und 14. März 2020 bei der Teilnahme am Übungsleiterlehrgang infiziert hat. Die Forderung eines örtlich und zeitlich bestimmbaren Schadensereignisses legt zum einen den Schutzbereich der Dienstunfallfürsorge fest und dient zum anderen der Begrenzung des Risikos des Dienstherrn. Dieser soll nur für Schadensereignisse einstehen müssen, die einem Nachweis zugänglich sind. Daher geht das Bundesverwaltungsgericht auch im Grundsatz davon aus, dass sich Ort und Zeitpunkt einer Infektion regelmäßig nicht mit der erforderlichen Genauigkeit feststellen lassen (BVerwG, U.v. 25.2.2010 – juris Rn. 14 f. zu § 31 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG). Damit reicht es dienstunfallrechtlich betrachtet vorliegend nicht, den Lehrgangszeitraum von 9. bis 14. März 2020 in * in den Räumen der * zugrunde zu legen. Der Schwierigkeit, dass sich der Zeitpunkt der Ansteckung mit einer Infektionskrankheit fast ausnahmslos nicht mit der erforderlichen Genauigkeit feststellen lässt, hat der Gesetzgeber dadurch Rechnung getragen, dass Infektionskrankheiten, die in Anlage 1 der BKV aufgeführt sind, fiktiv als Dienstunfälle gelten, wenn die Voraussetzungen dieser Vorschrift erfüllt sind (BVerwG, U.v. 19.1.2006 – 2 B 46.05 – juris Rn. 6). Das Gericht sieht deshalb aus systematischen Erwägungen heraus nicht die Notwendigkeit, dem Kläger im Anwendungsbereich von Art. 46 Abs. 1 Satz 1 BayBeamtVG eine Beweiserleichterung in Form des prima-facie-Beweises (Anscheinsbeweis) einzuräumen. Dies würde bedeuten, für die Anerkennung eines Dienstunfalls den eingrenzbaren Zeitraum – hier die Woche des Übungsleiterlehrgangs – ausreichen zu lassen. Dies stünde der gefestigten Rechtsprechung entgegen, wonach es für die zeitliche Bestimmbarkeit eben nicht genügt, dass sich ein über mehrere Tage erstreckender Zeitraum nach Anfangs- und Schlusstag eingrenzen lässt. Soweit das Bundesverwaltungsgericht in der Entscheidung vom 25. Februar 2010 eine Borreliose als Infektionskrankheit in der Folge eines Zeckenbisses anerkannt hat, lag der Sachverhalt anders, da sich in diesem Fall Ort und Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses hatten eindeutig feststellen lassen. Im Übrigen wurde in dieser Entscheidung ausdrücklich darauf verwiesen, dass damit keine Änderung der bisherigen Rechtsprechung des Senats zur örtlichen und zeitlichen Bestimmbarkeit des schädigenden Ereignisses, das zu einer Infektionskrankheit geführt hat, verbunden sei (BVerwG, a.a.O., Rn. 16).
2. Allerdings liegen die Voraussetzungen für eine Anerkennung der COVID-19 Erkrankung des Klägers als Dienstunfall gemäß Art. 46 Abs. 3 Satz 1 BayBeamtVG vor. Demnach gilt auch die Erkrankung an einer in Anlage 1 der Berufskrankheiten-Verordnung vom 31. Oktober 1997 (BGBl. I S. 2623) in der jeweils geltenden Fassung genannten Krankheit als Dienstunfall, wenn der Beamte nach der Art seiner dienstlichen Verrichtung der Gefahr der Erkrankung besonders ausgesetzt war, es sei denn, dass der Beamte sich die Krankheit außerhalb des Diensts zugezogen hat. Nach Nr. 3101 der Anlage 1 zur BKV sind Infektionskrankheiten dann Berufskrankheiten, wenn der Versicherte im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig oder durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war. Als Infektionskrankheit wird die Erkrankung an COVID-19 von Nr. 3101 der Anlage 1 zur BKV grundsätzlich erfasst. Nr. 3101 – letzte Alternative – fordert eine der betreffenden Tätigkeit innewohnende besondere, den übrigen aufgeführten Tätigkeiten vergleichbare Gefährdung.
Nach Art. 46 Abs. 3 Satz 1 BayBeamtVG in Verbindung mit Anlage 1 der BKV gilt die in Nr. 3101 aufgeführte Infektionskrankheit nur dann als Dienstunfall, wenn die zur Zeit der Infektion konkret ausgeübte dienstliche Tätigkeit erfahrungsgemäß im ganzen gesehen ihrer Art nach unter den besonderen zur Zeit der Krankheitsübertragung bestehenden tatsächlichen Verhältnissen und Begleitumständen eine hohe Wahrscheinlichkeit der Erkrankung in sich birgt (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 28.1.1993 – 2 C 22.90 – juris Rn. 12 zu § 31 Abs. 3 Satz 1 BeamtVG). Diese besondere Gefährdung muss für die dienstliche Verrichtung typisch und in erheblich höherem Maße als bei der übrigen Bevölkerung vorhanden sein. Art. 46 Abs. 3 BayBeamtVG setzt nicht voraus, dass die durch die Art der dienstlichen Verrichtung hervorgerufene Gefährdung generell den Dienstobliegenheiten anhaftet. Vielmehr genügt es, wenn die eintretende Gefährdung der konkreten dienstlichen Verrichtung ihrer Art nach eigentümlich ist, allerdings nur dann, wenn sich die Erkrankung als typische Folge des Dienstes darstellt; maßgebend kommt es darauf an, ob die von dem Beamten zum Zeitpunkt der Erkrankung ausgeübte dienstliche Tätigkeit erfahrungsgemäß eine hohe Wahrscheinlichkeit der Erkrankung gerade an dieser Krankheit in sich birgt (stRspr. vgl. BVerwG, U.v. 28.1.1993 – 2 C 22.90 – juris Rn. 11 f.; B.v. 15.05.1996 – 2 B 106.95 – juris Rn. 6; VG Würzburg, U.v. 26. 5.2020 – W 1 K 19.40 – juris Rn. 26). Dies ist hier der Fall. Bei einem auf Art. 46 Abs. 3 BayBeamtVG gestützten Anspruch hat der Beamte, der Dienstunfallfürsorgeleistungen wegen einer Krankheit begehrt, für die besondere Erkrankungsgefahr im Sinne von Satz 1 der Vorschrift und die rechtzeitige Meldung der Erkrankung die materielle Beweis- bzw. Feststellungslast zu tragen, wenn das Gericht hierüber die erforderliche, d.h. vernünftige Zweifel ausschließende Überzeugungsgewissheit nicht gewinnen kann. In diesem Rahmen können dem Beamten auch allgemein anerkannte Beweiserleichterungen wie der Beweis des ersten Anscheins oder eine Umkehr der Beweislast zugutekommen, wenn die hierzu von der Rechtsprechung entwickelten Voraussetzungen gegeben sind (BVerwG, B. v. 11.3.1997 – 2 B 127.96 – juris). Lässt sich bei Vorliegen der beiden erstgenannten Voraussetzungen hingegen lediglich nicht klären, ob sich der Beamte die Erkrankung innerhalb oder außerhalb des Dienstes zugezogen hat, so trägt das Risiko der Unaufklärbarkeit hinsichtlich dieser Voraussetzung der Dienstherr (BVerwG, U.v. 28.4.2011 – 2 C 55.09 – juris Rn. 13).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze geht das Gericht im vorliegenden Fall davon aus, dass die Teilnahme des Klägers an dem Sportübungsleiterlehrgang unter den gegebenen tatsächlichen Umständen mit einer besonderen Gefährdung einer Ansteckung mit dem SARS-CoV-2 Erreger bzw. der Erkrankung an COVID-19 einhergegangen ist und mit einer hohen Wahrscheinlichkeit der Erkrankung gerade an dieser Krankheit verbunden war, wobei diese Ansteckungsgefahr trotz eines pandemischen Geschehens in erheblich höherem Maße als bei der übrigen Bevölkerung bestand. Insoweit war beim Kläger nicht auf seine „allgemeine“ Tätigkeit als Polizeivollzugsbeamter bzw. den generellen Inhalt seiner Dienstaufgaben an der PI * abzustellen, sondern konkret auf die Teilnahme am Übungsleiterlehrgang. Diese Dienstverrichtung als zum Zeitpunkt der Erkrankung ausgeübte dienstliche Tätigkeit hat eine hohe Wahrscheinlichkeit gerade an der Erkrankung mit COVID-19 in sich geborgen (vgl. BVerwG, B.v. 15.5.1996 – 2 B 106.95 – juris Rn. 6); der Kläger war damit einer Ansteckungsgefahr in erheblich größerem Maße als die übrige Bevölkerung ausgesetzt (VGH BW, U.v. 6.3.1990 – 4 S 1743/88 – juris Rn. 30). Entgegen der Auffassung des Beklagten hat gerade die Teilnahme am Sportübungsleiterlehrgang die Ansteckungsgefahr signifikant erhöht. Dies ergibt sich zum einen aus dem Ablauf des Lehrgangs. Der Kläger war von Montag, dem 9. März 2020 ab mittags 12:30 Uhr bis zur Heimfahrt am 13. März 2020 ständig in den Räumen der * in der * in * und hat nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung das Gelände auch am Abend nicht verlassen. Er war mit den Kollegen des Lehrgangs bei jeder Mahlzeit in der Kantine zusammen sowie im Lehrraum anlässlich des theoretischen Unterrichts. Der praktische Teil des Lehrgangs umfasste u.a. die Sportarten Basketball, Zirkeltraining, Life Kinetik und Volleyball jeweils in der Halle; dabei fanden Partnerübungen aller Kollegen untereinander statt, an denen auch der zuerst erkrankte * („Patient Null“) teilgenommen hat; nur einmal wurde im Freien ein Nordic-Walking-Training abgehalten. Darüber hinaus wurde auch das Schwimmbad benutzt und gemeinsam jeweils die Umkleiden bzw. die Duschen. Der ständige nahe Umgang beim Sport, beim Unterricht und bei den Mahlzeiten birgt eine weit höhere Gefährdung in sich als beispielsweise die von Beklagtenseite angeführte Tätigkeit einer Angestellten im Supermarkt. Dies wird bestätigt durch die Ausführungen des RKI (Steckbrief Nr. 20) zu sog. „superspreading events“, also Ereignissen, bei denen eine infektiöse Person eine Anzahl an Menschen ansteckt, die deutlich über der durchschnittlichen Anzahl an Folgeinfektionen liegt. Zu Begleitumständen, die eine ungewöhnlich hohe Übertragung begünstigen, gehören danach Situationen, in denen sich kleine infektiöse Partikel (aerosolisierte Partikel) im Raum anreichern. Dazu trägt u.a. die vermehrte Freisetzung kleiner Partikel durch Aktivitäten mit gesteigerter Atemtätigkeit wie z.B. Sporttreiben bei. Genau letzteres war beim Sportübungsleiterlehrgang des Klägers der Fall. Das RKI benennt daneben auch Fitnessstudios als klassisches Beispiel für größere COVID-19 Ausbrüche. Damit bestand für den Kläger wegen der Teilnahme am Sportübungsleiterlehrgang eine hohe Wahrscheinlichkeit gerade an einer Infektion mit dem Coronavirus. Da die Teilnehmer des Kurses die ganze Zeit körperlich sehr eng zusammen waren, insbesondere bei den sportlichen Aktivitäten und hier vor allem bei Partnerübungen, überstieg die Gefährdung die Ansteckungsgefahr der (auch) ein Beamter immer ausgesetzt sein kann, der im Dienst mit anderen Personen in Berührung kommt, z. B. bei Parteiverkehr oder in mit mehreren Personen besetzten Dienstzimmern. Bei solchen Sachverhalten kann von einer nur „allgemeinen Gefahr“ ausgegangen werden, durch die ein Polizeivollzugsbeamter nicht einer Ansteckungsgefahr in erheblich größerem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt ist.
In der Rechtsprechung sind Infektionskrankheiten als Dienstunfall im Sinne von § 31 Abs. 3 BeamtVG und damit auch dem inhaltsgleichen Art. 46 Abs. 3 BayBeamtVG jedenfalls dann anerkannt worden, wenn die betreffende Infektionskrankheit gehäuft aufgetreten war (VGH BW, U.v. 21.1.1986 – 4 S 2468/85 – ZBR 1986, 277; offengelassen aufgrund einer fehlenden Häufung einer Tuberkuloseerkrankung BVerwG, U.v. 28.1.1993 – 2 C 22.90 – juris Rn. 14; BVerwG, U.v. 15.5.1996 – 2 B 106.95 – juris Rn. 9). Vorliegend sind von den 21 Teilnehmern des Kurses 19 an COVID-19 erkrankt, sodass hier nach den Gesamtumständen davon auszugehen ist, dass die konkrete Art der dienstlichen Verrichtung für die COVID-19 Erkrankung ursächlich war (vgl. BayVGH, U.v. 17.5.1995 – 3 B 94.3181 – juris Rn. 22 unter Verweis auf die o.g. Entscheidung des VGH BW). Im Übrigen käme dem Kläger insoweit der Beweis des ersten Anscheins zu Gute.
Der Beweis des ersten Anscheins kommt bei typischen Geschehensabläufen in Betracht in Fällen, in denen ein gewisser Tatbestand nach der allgemeinen Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache hinweist und infolgedessen wegen des typischen Charakters des Geschehens die konkreten Umstände des konkreten Einzelfalles für die tatsächliche Beurteilung ohne Bedeutung sind (BVerwG, B.v. 11.3.1997 – 2 B 127/96 – juris Rn. 5).
Vorliegend erscheint es gerechtfertigt, zugunsten des Klägers wegen des seuchenhaften bzw. gehäuften Auftretens der Erkrankung im Rahmen des Anscheinsbeweises davon auszugehen, dass die besondere Erkrankungsgefahr gerade auf die ausgeübte dienstliche Tätigkeit zurückzuführen ist. Bei einer mittleren Inkubationszeit, die das RKI mit fünf bis sechs Tagen angibt (Steckbrief RKI a.a.O. Nr. 5), ist es sehr wahrscheinlich, dass die Ansteckung am 9. März 2020 erfolgte, zumal sich ein relevanter Anteil von Personen innerhalb von ein bis zwei Tagen bei bereits infektiösen, aber noch nicht symptomatischen Personen ansteckt (RKI a.a.O. Nr. 3). * war bereits seit 11. März 2020 nicht mehr Teilnehmer des Lehrgangs, nachdem er sich krankgemeldet hatte. Da es sich um die mittlere Inkubationszeit handelt, kann sich der Kläger allerdings auch noch danach bei einem anderen Lehrgangsteilnehmer angesteckt haben. Insgesamt spricht der ganze Ablauf des Sportlehrgangs mit einem intensiven Kontakt unter den Teilnehmern dafür, dass sich der Kläger im Rahmen der Kursteilnahme angesteckt hat. Anders läge der Fall, wenn nur ein oder zwei weitere Kollegen des Lehrgangs an COVID-19 erkrankt wären. Eine besondere Erkrankungsgefahr ist auch deswegen anzunehmen, weil auch die Schulen in Bayern am 16. März 2020 geschlossen wurden, also kein Unterricht mehr stattfand sowie ein Präsenzunterricht an Universitäten und Hochschulen monatelang nicht abgehalten wurde. Damit wurde gerade dem erhöhten Ansteckungsrisiko bei einem Aufenthalt von vielen Menschen ohne Mindestabstand in geschlossenen Räumen Rechnung getragen.
Nach Art. 46 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 BayBeamtVG gilt eine Erkrankung an der Infektionskrankheit dann nicht als Dienstunfall, wenn der Beamte sich die Krankheit außerhalb des Dienstes zugezogen hat. Für den Kausalzusammenhang besteht insoweit eine gesetzliche Vermutung („es sei denn, …“), die allerdings vom Dienstherrn widerlegt werden kann. Deshalb trägt dieser das Risiko der Unaufklärbarkeit des Umstands, ob sich der Beamte die Erkrankung innerhalb oder außerhalb des Dienstes zugezogen hat (BVerwG, U.v. 28.4.2011 – 2 C 55.09 – juris Rn. 13). Vorliegend greift die gesetzliche Vermutung. Der Kläger hat zur Überzeugung des Gerichts dargelegt, dass eine Ansteckung in seinem privaten Umfeld ausgeschlossen werden kann. Der Beklagte kann dem Risiko der Nichterweislichkeit nicht mit der pauschalen Argumentation entgegentreten, es handle sich wegen der pandemischen Verbreitung des Coronavirus um eine Allgemeingefahr. Dies gilt auch im Hinblick auf eine unter Umständen längere Inkubationszeit als fünf bis sechs Tage. Dass der Kläger sich auch – theoretisch – vor Beginn des Lehrgangs hätte infizieren können, stellt eine Möglichkeit dar, die jedoch nicht durch Tatsachen belegt ist. Im Rahmen des Art. 46 Abs. 3 Satz 1 Hs. 2 BayBeamtVG liegt die Beweislast nicht beim Kläger, sondern bei dem Beklagten. Der Kläger hat glaubhaft dargelegt, dass ihm eine COVID-19 Erkrankung im näheren Umfeld nicht bekannt und eine Ansteckung im privaten Umfeld weitestgehend auszuschließen war. Der Kläger hat während des Lehrgangs in der * übernachtet und diese auch am Abend nicht verlassen, um privat auszugehen. Den Donnerstagabend (13. März 2020) hat er noch gemeinsam mit Lehrgangskollegen in der Kantine der * verbracht. Insgesamt bestehen daher keine greifbaren Anhaltspunkte dafür, dass er sich die Infektion mit COVID-19 außerhalb des Dienstes zugezogen hat.
Der Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Widerspruchsverfahren war angesichts der Schwierigkeit der Rechtslage notwendig (§ 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO).
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i. V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.
Die Berufung war zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 124 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).


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