Medizinrecht

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Aktenzeichen  S 4 RL 1/21 (S 4 BLa 1/20)

Datum:
13.7.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 29465
Gerichtsart:
Truppendienstgericht Süd
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

S 4 BLa 01/20 2020-11-18 Bes TRUPPDGSUED Truppendienstgericht Süd München

Tenor

1. Der Nichtzulassungsbeschwerde vom 11. Januar 2021 gegen den Kammerbeschluss vom 18. November 2020 im Beschwerdeverfahren zu Az. S 4 BLa 1/20 wird nicht abgeholfen.
2. Die Nichtzulassungsbeschwerde wird dem Bundesverwaltungsgericht – Wehrdienstsenate – zur Entscheidung vorgelegt.

Gründe

I.
1. Beschwerdegegenstand des Verfahrens ist die planmäßige Beurteilung des Antragsstellers zum 30. September 2019. Nach seiner Auffassung verstieß die angefochtene Beurteilung in Teilen gegen die Beurteilungsgrundsätze, die in der Zentralen Dienstvorschrift A-1340/50 – „Beurteilungen der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr“ niedergelegt sind.
2. Der Antragsteller, selbst Stabsoffizier mit der Befähigung zum Richteramt, hat mit Schreiben vom 14. Dezember 2020, eingegangen beim Truppendienstgericht Süd, 4. Kammer, am 12. Januar 2021, gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde in der Wehrbeschwerdesache Az. S 4 BLa 01/20, Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 22b der Wehrbeschwerdeordnung (WBO) eingelegt und zugleich begründet. Der Beschluss des Truppendienstgerichts vom 18. November 2020 wurde dem Antragsteller am 23. November 2020 zugestellt.
3. Aufgrund einer bestätigten Corona-Infektion seiner Ehefrau im Dezember 2020 galt der Antragsteller als Kontaktperson der Kategorie I und damit als ansteckungsverdächtig im Sinne des Infektionsschutzgesetzes (IfSG). Um eine eventuelle Weiterverbreitung zu verhindern und andere Personen vor Ansteckung zu schützen, musste er sich nach einer entsprechenden ärztlichen Anweisung vom 15. Dezember 2020 vom 15. bis zum 29. Dezember 2020 in häusliche Absonderung am Wohnort begeben. Während dieser Zeit war es ihm untersagt, seine zugewiesene Unterbringung ohne ausdrückliche Zustimmung der Überwachungsstelle …, Abteilung …, oder eines von dort beauftragten Arztes zu verlassen oder Besuch von Personen zu empfangen, die nicht seinem Haushalt angehörten. Nachdem der Antragsteller den behandelnden Arzt darauf hingewiesen hatte, dass es im näheren Umfeld niemanden gäbe, der – ohne zur Risikogruppe zu gehören – für ihn und seiner Familie Lebensmittel einkaufen könnte, gestattete ihm der behandelnde Arzt schließlich den Gang zum Supermarkt. Am 17. Dezember 2020 wurde der Antragsteller darüber informiert, dass er selbst nicht positiv auf das Corona-Virus getestet worden sei, die Auflagen zur Absonderung gleichwohl bestehen blieben. Am 22. Dezember 2020 wurde der Antragsteller im Sanitätsversorgungszentrum in … erneut auf das Corona-Virus getestet. Obwohl auch dieser Test negativ blieb, wurde die Anordnung der häuslichen Absonderung nicht aufgehoben.
4. Mit Schreiben vom 11. Januar 2021, bei Gericht eingegangen am 12. Januar 2021, übersandte der Antragsteller seine „Nichtzulassungsbeschwerde vom 14.12.2020 in am 21.12.2020 verschlossenen Umschlag“. In diesem Schreiben wies er darauf hin, dass er wegen der angeordneten häuslichen Absonderung aufgrund eines unabwendbaren Zufalls nach § 7 Absatz 1 WBO daran gehindert gewesen sei, die Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde einzuhalten.
5. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird die Verfahrensakte verwiesen.
II.
Der Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht abzuhelfen, da sie nach Auffassung der Kammer bereits unzulässig war.
1. Zum einen ergibt sich die Unzulässigkeit aus dem Umstand, dass der Antragsteller nicht ordnungsgemäß vertreten ist und sich auch nicht auf ein Recht zur Selbstvertretung berufen kann.
Gemäß § 22b Absatz 1 Satz 2 i.V.m. § 22a Absatz 5 Satz 1 der Wehrbeschwerdeordnung (WBO) muss sich ein Antragsteller im Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde, soweit er einen Antrag stellt, durch einen Rechtsanwalt oder durch eine Person vertreten lassen, welche die Befähigung zum Richteramt nach dem Deutschen Richtergesetz hat oder die Voraussetzungen des § 110 des Deutschen Richtergesetzes erfüllt.
a) Im vorliegenden Fall verfügt der Antragsteller zwar selbst über die Befähigung zum Richteramt. Es fehlt jedoch an einer wirksamen Vertretung. Denn eine solche verlangt grundsätzlich drei Personen, nämlich zunächst den Vertretenen, der einen Vertreter bevollmächtigt, gegenüber einem Dritten – hier den Gerichten – einen Antrag zu stellen oder Erklärungen abzugeben. Da der Antragssteller vorliegend selbst einen Antrag gestellt hat, sind dem Wortlaut nach die Anforderungen des § 22 Absatz 5 Satz 1 WBO an eine Vertretung nicht erfüllt.
b) Aus Sicht der Kammer liegt auch keine Situation vor, in welcher sich der Antragsteller auf ein sog. Recht zur Selbstvertretung berufen kann.
aa) Ein solches besteht nach dem ausdrücklichen Wortlaut von § 22a Absatz 5 Satz 1 WBO nicht, da dort nur der Vertretungszwang, nicht aber die Ausnahme, also das Recht auf Selbstvertretung, geregelt ist.
bb) Ein solches folgt auch aus keinem allgemeinen Rechtsgedanken (mehr), wonach Personen, die Dritte zulässigerweise in bestimmten Verfahren vertreten dürfen, in solchen Verfahren stets das Recht zur Selbstvertretung haben.
Denn im Zuge des Gesetzes zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts (Gesetz vom 12. Dezember 2007, verkündet in BGBl. I, Jahrgang 2007 Nr. 63 vom 17. Dezember 2007, Seite 2840) wurden auch die gerichtlichen Vertretungsbefugnisse im Arbeitsgerichtsgesetz, Sozialgerichtsgesetz, der Verwaltungsgerichtsordnung und der Finanzgerichtsordnung mit dem Ziel der Angleichung der Verfahrensordnungen vollständig neugefasst. Seit diesem Zeitpunkt ist in allen diesen Verfahrensordnungen ausdrücklich gesetzlich normiert, welchen Personen das Recht zur Selbstvertretung vor den obersten Bundesgerichten zusteht.
Die Regelung des § 22a Absatz 5 Satz 1 WBO wurde hingegen erst mit dem Gesetz zur Änderung wehrrechtlicher und anderer Vorschriften, dem sog. Wehrrechtsänderungsgesetz 2008 (Gesetz vom 31. Juli 2008, verkündet in BGBl. I, Jahrgang 2008 Nr. 35 vom 8. August 2008, Seite 1629), also zeitlich nach Inkrafttreten des zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts in das Gesetz aufgenommen. Da dem Gesetzgeber also die Problematik der Selbstvertretung vor obersten Bundesgerichten bekannt war, spricht der Wortlaut gegen ein eigenständiges Recht zur Selbstvertretung.
Selbst wenn man berücksichtigt, dass die Gesetzesbegründung zum Wehrrechtsänderungsgesetz 2008 noch auf § 67 Absatz 1 Satz 1 VwGO in der Fassung vom 1. Januar 2002 bis zum 30. Juni 2008 abstellt (vgl. BT-Drucks. 16/7955, Seite 36) und insoweit die Rechtsentwicklung im Gesetz zur Neuregelung des Rechtsberatungsgesetzes nicht nachvollzieht, spricht vor dem Hintergrund der dortigen Änderungen nichts dafür, dass ausgerechnet die WBO von den Vereinheitlichungsbestrebungen ausgenommen sein sollte, zumal nach § 23a Absatz 2 Satz 1 WBO in den Verfahren nach §§ 22a, 22b WBO die Vorschriften der VwGO entsprechend anzuwenden sind, soweit die Eigenart des Beschwerdeverfahrens nicht entgegensteht. Die Regelung zum Vertretungszwang ist aus Sicht der Kammer hingegen keine Eigenart der WBO, die eine abweichende Regelung erforderlich machen würde. Denn die Frage nach dem Vertretungszwang im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde, die an die revisionsrechtlichen Bestimmungen des § 132 VwGO angelehnt sind, ist Ausdruck eines allgemeinen öffentlich-rechtlichen Prozessgrundsatzes.
Vor diesem Grund hält die Kammer es für vorzugswürdig, hinsichtlich der Frage der Zulässigkeit der Selbstvertretung auf die Regelung des § 67 Absatz 4 Satz 8 VwGO i.V.m. § 23a Absatz 2 Satz 1 VwGO abzustellen, wonach das Recht zur Selbstvertretung nur in den dort ausdrücklich genannten Fällen besteht.
2. Zum anderen hat der Antragsteller nach Auffassung der Kammer die Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde nach § 22b Absatz 2 Satz 1 WBO nicht eingehalten.
a) Nach § 22b Absatz 2 Satz 1 WBO ist die Nichtzulassungsbeschwerde innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses schriftlich bei Gericht einzureichen und innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Beschlusses schriftlich zu begründen. Der Beschluss des Truppendienstgerichts in der Wehrbeschwerdesache S 4 BLc 1/20 vom 18. November 2020 wurde dem Antragsteller am 23. November 2020 zugestellt. Diese Monatsfrist ist mit der unter dem 14. Dezember 2020 abgefassten, aber erst am 12. Januar 2021 beim Truppendienstgericht eingegangenen Nichtzulassungsbeschwerde damit nicht gewahrt.
b) Der Fristablauf wurde auch nicht durch Umstände gehemmt, die im Sinne von § 7 Absatz 1 WBO als unabwendbarer Zufall zu werten sind. Nach Auffassung des Gerichts genügt die angeordnete häusliche Absonderung im Zeitraum vom 15. bis 29. Dezember 2020 nicht, um vorliegend einen solchen unabwendbaren Zufall anzunehmen, auch wenn dieser Umstand die Beschwerdeeinlegung erschwert hat.
Ein unabwendbarer Zufall im Sinne des § 7 Absatz 1 WBO ist ein Ereignis, das unter den gegebenen, nach der Besonderheit des Falles zu berücksichtigenden Umständen auch durch äußerste, diesen Umständen angemessene und vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt der Soldatin bzw. des Soldaten weder abzuwehren noch in seinen schädlichen Folgen zu vermeiden ist (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 20. Januar 2009 – 1 WB 38.08, Rn. 28, und vom 15. Februar 1990 – – WB 110.89 – jeweils zitiert nach juris).
Die Frage, ob eine häusliche Absonderung ein unabwendbares Ereignis darstellt, ist – soweit ersichtlich – noch nicht entschieden worden. Da die Interessenlage grundsätzlich vergleichbar erscheint, überträgt die Kammer auf diese Fallkonstellation die Grundsätze, die für Erkrankungen von Soldatinnen und Soldaten (auch bei einer truppenärztlichen „Krankschreibung“) entwickelt worden sind. Danach stellt der Fall einer Erkrankung nur dann einen unabwendbaren Zufall dar, wenn der betroffenen Soldatin bzw. dem betroffenen Soldaten im Einzelfall die Einhaltung der Frist auf Grund des Krankheitsbildes nicht zuzumuten war. Dazu muss näher darlegt und glaubhaft gemacht werden, inwiefern sie ihre bzw. ihn seine Krankheit gehindert hat, die Rechtsbehelfsfrist einzuhalten.
Ausgehend von diesem Maßstab ist nicht erkennbar, dass alleine die Anordnung der häuslichen Absonderung den Antragsteller, der selbst nicht an Covid-19 erkrankt ist – gehindert hätte, bis zum 23. Dezember 2020 fristwahrend Nichtzulassungsbeschwerde einzulegen.
Ausweislich seines eigenen Vortrags hatte der Antragsteller seine Nichtzulassungsbeschwerde bereits am 14. Dezember 2020 fertig gestellt und sogar begründet.
Nachdem am 15. Dezember 2020 die Anordnung der häuslichen Absonderung ausgesprochen worden war, verblieben dem Antragsteller mithin mehr als eine Woche, um sich selbst zu überlegen, wie er seine Nichtzulassungsbeschwerde formwirksam an das Truppendienstgericht übermitteln könnte bzw. insoweit Dritte um Rat oder Unterstützung zu bitten. Den Umschlag persönlich beim Truppendienstgericht abzugeben bzw. dort in den Briefkasten zu werfen, stellte dabei nur eine von mehreren Möglichkeiten dar.
Aus Sicht der Kammer hätte es insoweit nahegelegen, Nachbarn oder eine Kameradin bzw. einen Kameraden zu bitten, den Brief in den Briefkasten zu werfen. Zudem hält es die Kammer auch für zumutbar, sich entweder bei dem Postboten danach zu erkundigen, ob er den Brief mitnehmen kann oder, sollte dies nicht möglich sein, einen Kurierdienst zu bemühen. Die Gefahr, dass bei dieser Vorgehensweise Dritte aufgrund des Kontaktes mit dem Brief mit Corona infiziert werden, wird von der Kammer als gering eingeschätzt, da im Dezember 2020 bereits allgemein bekannt war, dass sich das Virus in erster Linie über Aerosole verbreitet. Zudem hätte der Antragsteller einer möglichen Kontamination des Briefes mit Viren beispielsweise auch durch das Tragen von Einmalhandschuhen wirksam begegnen können.
Da sich der Antragsteller zudem am 22. Dezember 2020 zu einem erneuten Corona-Test wieder in das Sanitätsversorgungszentrum … begeben musste, wäre es ihm auch möglich gewesen, sich dort – idealer Weise bereits im Vorfeld – zu erkundigen, ob und ggf. wie es möglich ist, seine Nichtzulassungsbeschwerde an das Truppendienstgericht zu übermitteln, beispielsweise per Fax oder per Brief; nach Angaben des Leiters des Sanitätsversorgungszentrums … hätte diese Möglichkeit durchaus bestanden. Den vom Antragsteller vorgebrachten Einwand, im Falle einer Versendung per Fax hätten Dritte vom Inhalt der (Nichtzulassungs-)Beschwerde Kenntnis erlangt, hält die Kammer nur für nicht überzeugend, da fristwahrend zunächst nur die Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt werden, diese indes noch nicht begründet werden musste. Diese hätte der Antragsteller sogar noch handschriftlich im Sanitätsversorgungszentrum verfassen und an das Truppendienstgericht faxen lassen können. In diesem Fall hätten Dritte keine Kenntnis von sensiblen Daten erhalten.
Daneben hätten nach Ansicht der Kammer auch noch verschiedene andere Möglichkeiten bestanden, die Nichtzulassungsbeschwerde digital und gleichwohl formwirksam an das Truppendienstgericht zu übermitteln.
Der Antragsteller hat auch keine sonstigen Gründe vorgetragen, welche konkreten Anstrengungen er unternommen hat, um die Nichtzulassungsbeschwerde fristgerecht beim Truppendienstgericht einzureichen. Der bloße Hinweis auf die häusliche Absonderung, genügt aus Sicht der Kammer nicht, um einen unabwendbaren Zufall zu begründen.
Anders hätte die Situation möglicherweise beurteilt werden müssen, wenn der Soldat aufgrund einer starken emotionalen bzw. psychischen Belastung im Hinblick auf eine mögliche eigene Erkrankung oder einen schweren Krankheitsverlauf seiner Ehefrau bis zum Fristablauf am 23. Dezember 2020 nicht in der Lage gewesen wäre, rational und planvoll zu handeln. Eine solche Situation hat der Antragssteller aber weder vorgetragen noch ergeben sich Hinweise darauf. Vielmehr war er nach eigener Darstellung am 21. Dezember in der Lage, den am 14. Dezember 2020 erstellten Schriftsatz erneut durchzulesen, zu unterschreiben und in einen Umschlag zu geben.


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