Medizinrecht

Dienstunfähigkeit, Verwaltungsgerichte, Amtsärztliche Untersuchung, Untersuchungsaufforderung, Gesundheitszeugnis, Dienstfähigkeit, Gesamtschwerbehindertenvertretung, Nachuntersuchung, Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung, Kostenentscheidung, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Amtsarztuntersuchung, Prozeßbevollmächtigter, Integrationsvereinbarung, Leistungseinschränkung, Prozeßkostenhilfeverfahren, Ärztliche Untersuchung, Privatärztliches Attest, Dienstvorgesetzter, Rechtswidrigkeit

Aktenzeichen  M 5 K 19.4166

Datum:
14.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 41848
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBG Art. 65 Abs. 2 S. 2

 

Leitsatz

Tenor

I.    Der Bescheid der Beklagten vom … Juli 2019 wird aufgehoben. 
II.    Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.    Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet.
1. Der Bescheid der Beklagten vom … Juli 2019 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO), weil die vorangegangenen Gutachtensaufforderungen vom … Oktober 2018 und … Februar 2019 ihrerseits rechtswidrig waren.
a) Nach § 26 Abs. 1 Satz 1 Gesetz zur Regelung des Statusrechts der Beamtinnen und Beamten in den Ländern (Beamtenstatusgesetz – BeamtStG) sind Beamtinnen auf Lebenszeit und Beamte auf Lebenszeit in den Ruhestand zu versetzen, wenn sie wegen ihres körperlichen Zustandes oder aus gesundheitlichen Gründen zur Erfüllung ihrer Dienstpflichten dauernd unfähig (dienstunfähig) sind.
Bestehen Zweifel über die Dienstunfähigkeit, so ist der Beamte nach Art. 65 Abs. 2 Satz 1 Bayerisches Beamtengesetz (BayBG) verpflichtet, sich nach Weisung des oder der Dienstvorgesetzten ärztlich untersuchen und, falls ein Amtsarzt oder eine Amtsärztin dies für erforderlich hält, beobachten zu lassen.
Nach Art. 65 Abs. 2 Satz 2 BayBG kann, wer sich trotz wiederholter schriftlicher Aufforderung ohne hinreichenden Grund der Verpflichtung, sich nach Weisung des oder der Dienstvorgesetzten untersuchen oder beobachten zu lassen, entzieht, so behandelt werden, wie wenn die Dienstunfähigkeit amtsärztlich festgestellt worden wäre.
Die Rechtmäßigkeit einer vorzeitigen Versetzung in den Ruhestand wegen der Weigerung, sich amtsärztlich untersuchen zu lassen, setzt die Rechtmäßigkeit der Aufforderung voraus. Die Aufforderung unterliegt im Rahmen der Anfechtungsklage gegen die Zurruhesetzungsverfügung der vollen gerichtlichen Nachprüfung (BVerwG, U.v. 30.5.2013 – 2 C 68/11 – BverwGE 146, 347-357 – juris Leitsatz Nr. 1 und Rn. 13).
Eine Untersuchungaufforderung muss bestimmten inhaltlichen und formellen Anforderungen genügen. In formeller Hinsicht muss sie aus sich heraus verständlich sein. Die betroffene Beamtin muss ihr entnehmen können, was konkret ihr Anlass ist und ob das in ihr Verlautbarte die behördlichen Zweifel an ihrer Dienstfähigkeit zu rechtfertigen vermag. Insbesondere darf die Behörde nicht nach der Überlegung vorgehen, die Betroffene werde schon wissen, „worum es gehe“. Der Beamtin bekannte Umstände müssen in der Anordnung von der zuständigen Stelle zumindest so umschrieben sein, dass für die Betroffene ohne weiteres erkennbar wird, welcher Vorfall oder welches Ereignis zur Begründung der Aufforderung herangezogen wird. Genügt die Untersuchungsaufforderung nicht den an sie zu stellenden Anforderungen, kann dieser Mangel nicht nachträglich geheilt werden (BVerwG, U.v. 26.4.2012, 2 C 17/10 – NVwZ 2012, 1483-1485 – juris Rn. 20 f.; BVerwG, U.v. 30.5.2013, a.a.O., juris Rn. 20).
aa) Die Untersuchungsaufforderungen vom … Oktober 2018 und … Februar 2019 genügen diesne Anforderungen nicht. In beiden Untersuchungsaufforderungen wurde als Anlass einer erneuten Untersuchung im nervenärztlichen Fachbereich (Untersuchungsaufforderung vom …10.2018) bzw. der Nachuntersuchung im nervenärztlichen Fachbereich (Untersuchungsaufforderung vom …2.2019) lediglich Bezug genommen auf „das Gutachten vom …08.2018, in dem die Notwendigkeit einer Nachuntersuchung für die Beurteilung ihrer Dienstfähigkeit für erforderlich erachtet wurde“. Weder das Gesundheitszeugnis vom … August 2018 noch das ergänzende Gesundheitszeugnis vom … Oktober 2018 (von denen aus den von der Beklagten vorgelegten Akten nicht ersichtlich ist, ob die Klägerin diese als solche erhalten hat; die Klägerin wurde anscheinend nur mit dem zweiseitigen Schreiben vom …10.2018 über das „Ergebnis der amtsärztlichen Untersuchung vom …07.2018“ unterrichtet) enthalten die ausdrückliche Aussage der Amtsärztin, dass eine Nachuntersuchung im nervenärztlichen Fachbereich erforderlich sei. Im Gesundheitszeugnis vom … August 2018 ist unter Nr. 11 aufgeführt, dass eine Nachuntersuchung in 3 Monaten notwendig sei, „um zu überprüfen, ob die angeregte fachärztliche Diagnostik und therapeutischen Maßnahmen zu einer Besserung des Gesundheitszustandes und zur Verminderung der Leistungseinschränkungen geführt hat“. Daraus lässt sich nicht erkennbar die Notwendigkeit einer Nachuntersuchung gerade im nervenärztlichen Fachbereich ableiten. Unter Nr. 1.1 ist ausgeführt, dass Gesundheitsstörungen bestünden, die einer weiteren fachärztlichen Diagnostik bedürften, ohne dass die Fachrichtung angegeben wurde. Unter Nr. 4 wurde ausgeführt, dass verschiedene Gesundheitsstörungen vorlägen. Die Klägerin sei im amtsärztlichen Gespräch vom … August 2018 darauf hingewiesen worden, sich in fachärztliche internistische Behandlung zu begeben. Unter Nr. 5 heißt es weiter, dass abhängig vom Ergebnis der fachärztlichen Diagnostik dann weitere Therapieschritte zu planen sein. Unter Nr. 7.2 führt die Amtsärztin aus, dass sich bei der durchgeführten amtsärztlichen Untersuchung Hinweise auf das Vorliegen einer bisher nicht diagnostizierten Erkrankung ergeben hätten. Die weitere fachärztliche Diagnostik und Behandlung bleibe abzuwarten. Dass damit eine nervenärztliche Untersuchung gemeint sein soll, ist nicht ersichtlich.
bb) Der Beklagten ist zwar zuzugeben, dass die Untersuchung am … Juli 2018, auf deren Grundlage die Gesundheitszeugnisse vom … August 2018 und … Oktober 2018 erstellt wurden, aufgrund einer Gutachtensaufforderung vom … Juni 2018 erfolgte. Mit dieser wurde der Klägerin mitgeteilt, dass Anlass der erneuten Untersuchung die seit Ende ihres Urlaubs wieder auftretenden Fehltage sowie eine erneute durchgehende Erkrankung seien, weshalb erneut Zweifel an ihrer vollumfänglichen und anhaltenden Dienstfähigkeit bestünden. Aufgrund der Krankschreibung der Klägerin vom … Juni 2018 durch einen Facharzt für Psychiatrie/Psychotherapie erfolge die Untersuchung im nervenärztlichen Fachbereich. Von der Klägerin auf dieser Grundlage jedoch zu fordern, dass ihr klar sein müsse, dass die später angeordnete Nachuntersuchung im nervenärztlichen Fachbereich ebenso hierauf gründe, stellt genau die von der Rechtsprechung für unzulässig erachtete Überlegung dar, die Klägerin werde schon wissen, „worum es gehe“. Überdies wurde der Klägerin in der Gutachtensaufforderung vom … Juni 2018 mitgeteilt, dass aufgrund ihrer vorgelegten privatärztlichen Atteste eines Facharztes für Orthopädie/Unfallchirurgie vom … Juni 2018 und … Juni 2018 gegebenenfalls eine Zusatzbegutachtung im chirurgisch-orthopädischen Fachbereich erfolge.
cc) Überdies stellt sich die Frage, ob selbst eine Gutachtensaufforderung zu einer Nachuntersuchung im nervenärztlichen Fachbereich mit hinreichender Schilderung des Anlasses hierfür rechtmäßig wäre, weil auf dieser Grundlage womöglich eine abschließende Klärung der Dienstfähigkeit der Klägerin gar nicht möglich wäre. Denn durch eine Verengung auf den nervenärztlichen Fachbereich wurde zumindest unbeachtet gelassen, dass die Amtsärztin die Klägerin auf die Notwendigkeit einer fachärztlich internistischen Behandlung hingewiesen und überdies den Hinweis auf eine bisher nicht diagnostizierte Erkrankung gegeben hatte.
dd) Der Hinweis der Beklagten in der mündlichen Verhandlung auf den Beschluss des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 11. Mai 2015 (Au 2 E 15.700), in dem zum Ausdruck komme, dass bei einer Nachuntersuchung die Anforderungen an die Klarheit der Untersuchungsaufforderung nicht überspannt werden dürften, führt zu keinem anderen Ergebnis, weil er zu einer anderen Fallgestaltung ergangen ist. Dieser Beschluss befasste sich mit der Situation der angeordneten ärztlichen Untersuchung im Hinblick auf die Reaktivierung eines bereits wegen Dienstunfähigkeit vorzeitig in den Ruhestand versetzten Beamten. Ob dieses Judikat im Übrigen die von der Beklagten vorgetragene Aussage stützt und wie die dort streitgegenständlichen Untersuchungsaufforderungen konkret abgefasst waren, ist nicht ersichtlich, denn es ist weder in juris noch in beck-online eingestellt. Das zu dem damaligen Fall später ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 29. Oktober 2015 (Au 2 K 15.699) – welches seinerseits in juris und beck-online eingestellt ist – verweist in dieser Hinsicht lediglich auf den Beschluss (Rn. 33).
b) Die Frage der Notwendigkeit einer Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung nach § 178 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) bereits hinsichtlich der Untersuchungsaufforderungen kann daher offenbleiben. Ob die Integrationsvereinbarung der Beklagten, die solches in § 20 Abs. 3 und § 24 Abs. 3 nicht vorsieht, hinter dem Regelungsgehalt des § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX zurückbleibt, brauchte deswegen hier nicht entschieden zu werden. Die seit dem 1. Juni 2019 geltenden Bayerischen Inklusionsrichtlinien – ebenso wie zuvor die seit dem 22. Dezember 2012 bis 31. Mai 2019 geltenden Teilhaberichtlinien – des Freistaats Bayern, die allerdings auf die Beamten und Beschäftigten der Beklagten nicht anwendbar sind, sehen eine solche frühe Beteiligung hingegen sehr wohl vor (jeweils Nr. 10.2 Satz 3). Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg ist ebenfalls der Auffassung, dass die an einen schwerbehinderten Beamten gerichtete Aufforderung, sich wegen Zweifeln an seiner Dienstfähigkeit (amts-) ärztlich untersuchen zu lassen, eine Entscheidung im Sinne des § 95 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 SGB IX (a.F., seit 1.1.2018: § 178 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 SGB IX) sei und deswegen der vorherigen Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung bedürfe, andernfalls die Untersuchungsaufforderung rechtswidrig sei (B.v. 15.11.2017 – OVG 4 S 26.17 – juris Rn. 7 und 10; ebenso zuvor VG Potsdam, B.v. 10.8.2017 – 2 L 286/17 – juris Rn. 7 und 8).
c) Auch die übrigen Argumente der Klagepartei bedürfen angesichts der bereits festgestellten Rechtswidrigkeit der Gutachtensaufforderungen keiner weiteren Erörterung.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung hat ihre Rechtsgrundlage in § 167 Abs. 2, Abs. 1 VwGO in Verbindung mit § 709 ZPO.


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