Medizinrecht

Dienstunfall, Schulterverletzung als Unfallfolge anerkannt, TFCC-Läsion als Unfallfolge abgelehnt

Aktenzeichen  W 1 K 20.701

Datum:
12.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 36758
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBeamtVG Art. 46

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass eine Diskusverletzung des rechten Handgelenks (TFCC-Läsion) als Dienstunfallfolge aufgrund des Dienstunfalls vom 04.02.2018 anerkannt wird. Vielmehr ist der streitgegenständliche Bescheid der Beklagten vom 11.11.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.04.2020 rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Nach Art. 46 Abs. 1 Satz 1 BayBeamtVG ist ein Dienstunfall ein auf äußerer Einwirkung beruhendes, plötzliches, örtlich und zeitlich bestimmbares, einen Körperschaden verursachendes Ereignis, das in Ausübung oder infolge des Dienstes eingetreten ist.
Zwar ist vorliegend mit der Verletzung des Klägers anlässlich der körperlichen Auseinandersetzung mit einem Anstaltsinsassen am 04.02.2018 ein plötzliches, örtlich und zeitlich bestimmbares Ereignis gegeben, das auch auf äußerer Einwirkung beruhte. Dieses Merkmal verfolgt lediglich den Zweck, äußere Vorgänge von krankhaften Veränderungen im Innern des menschlichen Körpers abzugrenzen. Daher sind etwa auch Verletzungen als auf äußerer Einwirkung beruhend anzuerkennen, die ihre Ursache in den eigenen Bewegungen des Beamten im Rahmen seiner Dienstausübung haben (vgl. BVerwG, U.v. 24.10.1963 – 2 C 10.62 – juris; BayVGH, U.v. 5.9.1990 – 3 B 90.418 – juris). Das Vorliegen eines Dienstunfalls wird zudem dadurch erfüllt, dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem schädigenden Ereignis vom 04.02.2018 und den mit Bescheiden vom 13.06.2018 und 12.06.2019 anerkannten Körperschäden an der rechten Schulter mit der erforderlichen an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit nachgewiesen. Allerdings sind über diese Schäden an der rechten Schulter hinaus keine weiteren Unfallfolgen mit der erforderlichen an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis zurückzuführen; dies gilt insbesondere für den Diskusschaden im rechten Handgelenk. Für die Feststellung eines ursächlichen Zusammenhangs bedarf es nämlich nicht allein einer kausalen Verknüpfung im Sinne einer rein naturwissenschaftlichen oder zeitlichen und örtlichen Betrachtungsweise. Vielmehr unterliegt die Feststellung der Kausalität auch einer rechtlichen Wertung. Nach ober- und höchstrichterlicher Rechtsprechung sind als Ursache im Rechtssinne auf dem Gebiet des Dienstunfallrechts nur solche Bedingungen anzuerkennen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg bei natürlicher Betrachtungsweise bei dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben; beim Zusammentreffen mehrerer Ursachen ist eine als die alleinige Ursache anzusehen, wenn sie überragend am Erfolg mitgewirkt hat oder zumindest annähernd die gleiche Bedeutung für den Eintritt des Schadens hatte wie die anderen Umstände insgesamt (vgl. BVerwG, B.v. 23.10.2013 – 2 B 34/12 – juris Rn. 6; BayVGH, B.v. 9.10.2015 – 3 ZB 12.1708 – juris Rn. 12). Wesentliche Ursache im Dienstunfallrecht kann auch ein äußeres Ereignis sein, das ein anlagebedingtes Leiden auslöst oder beschleunigt, wenn diesem Ereignis nicht im Verhältnis zu anderen Bedingungen – zu denen auch eine bei Eintritt des äußeren Ereignisses schon vorhandene Veranlagung gehört – eine derart untergeordnete Bedeutung für den Eintritt der Schadensfolge zukommt, dass diese anderen Bedingungen bei natürlicher Betrachtungsweise allein als maßgeblich anzusehen sind. Nicht Ursachen im Rechtssinne sind demnach etwa sog. Gelegenheitsursachen, d.h. Ursachen bei denen zwischen dem eingetretenen Schaden und dem Dienst eine rein zufällige Beziehung besteht, wenn also eine krankhafte Veranlagung oder ein anlagebedingtes Leiden so leicht ansprechbar waren, dass es zur Auslösung akuter Erscheinungen keiner besonderen, in ihrer Eigenart unersetzlichen Einwirkungen bedurfte, sondern auch ein anderes alltäglich vorkommendes Ereignis zum selben Erfolg geführt hätte. Eine solche untergeordnete Bedeutung ist etwa dann anzunehmen, wenn das Ereignis gleichsam „der letzte Tropfen“ war, „der das Maß zum Überlaufen brachte bei einer Krankheit, die ohnehin ausgebrochen wäre, wenn ihre Zeit gekommen war“ (vgl. BVerwG, B.v. 20.2.1998 – 2 B 81/97 – juris Rn. 2; BayVGH, a.a.O., Rn. 13).
Für das Vorliegen eines Dienstunfalls ist der volle Beweis zu erbringen. Dieser muss mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehen. Lassen sich die anspruchsbegründenden Voraussetzungen für einen Dienstunfall nicht aufklären, geht die Nichterweislichkeit dieser Tatsachen nach allgemeinen Beweisgrundsätzen zu Lasten des Beamten; dies gilt auch für den erforderlichen Kausalzusammenhang zwischen Unfallgeschehen und Körperschaden. Der Beamte trägt insofern das Feststellungsrisiko, dass die behauptete Schädigungsfolge wesentlich auf den Dienstunfall und nicht etwa auf eine anlagebedingte Konstitution zurückzuführen ist (vgl. BVerwG, B.v. 11.3.1997 – 2 B 127/96 – juris Rn. 5; BayVGH, B.v. 31.1.2008 – 14 B 04.73 – juris Rn. 20 f.).
Gemessen daran liegen hier die vorbenannten Anforderungen für die Feststellung eines rechtlich relevanten Ursachenzusammenhangs zwischen dem Ereignis vom 04.02.2018 und den vorliegenden Gesundheitsbeeinträchtigungen im rechten Handgelenk nicht vor.
Es steht zwar zur Überzeugung des erkennenden Einzelrichters fest, dass der Kläger an einem TFCC-Schaden im rechten Handgelenk leidet; dieser kann aber nicht mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis vom 04.02.2018 zurückgeführt werden.
Der vom Landesamt insoweit als Sachverständiger gehörte Orthopäde Dr. W. verweist in Übereinstimmung mit dem Stand der medizinischen Wissenschaft darauf, dass zunächst ein unfallbedingter Körpererstschaden eingetreten sein muss, der geeignet sein müsste, die anzuerkennende Unfallfolge hervorzurufen. Dr. W. stellt fest, dass eine ärztliche Dokumentation in Bezug auf das rechte Handgelenk erstmals im Befund vom 15.02.2019, also mehr als ein Jahr nach dem Unfall erfolgte, so dass schon aus diesem Grund ein unfallbedingter Körpererstschaden nicht angenommen werden kann. Dieses Argument kann weder durch die Einlassung des Klägers noch durch die von ihm vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen entkräftet werden. Soweit der Kläger erklärt, zunächst hätten die Schmerzen in der Schulter im Vordergrund gestanden und die Probleme im Handgelenk seien als Ausstrahlung dieser Schmerzen verstanden worden, kann dies schon deshalb nicht zu einer anderen Einschätzung führen, weil ein solcher Hergang gerade nicht mit dem sogenannten Decrescendo-Verlauf bei einer Unfallverletzung vereinbar wäre. Der erkennende Einzelrichter hat sich auf der Grundlage der Ausführungen des Sachverständigen Dr. W., die mit der Kenntnis aus einer Vielzahl durchgeführter Verfahren in der Vergangenheit übereinstimmen, davon überzeugt, dass es gesicherter medizinischer Erkenntnis entspricht, dass jede strukturelle Veränderung unmittelbar nach dem Schadensereignis die ausgeprägtesten Beschwerden bewirkt, die dann im Laufe der Zeit eher schwächer werden. Dass dieser sogenannten Decrescendo-Verlauf beim Kläger gerade nicht feststellbar ist, sondern die Handgelenksbeschwerden erst ein Jahr nach dem Unfall vom 04.02.2018 in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit des Klägers und der behandelnden Ärzte gerückt sind, spricht gegen eine unfallbedingte Verursachung dieser Schäden, jedenfalls durch das Schadensereignis vom 04.02.2018. Mit diesem Argument hat sich keine vom Kläger vorgelegte Stellungnahme behandelnder Ärzte und auch nicht die Stellungnahme des Prof. Dr. J. vom 02.02.2021 auseinandergesetzt, die im Übrigen durch die Formulierung, das Gutachten des Dr. W. stütze sich auf formale Vorgaben und Definitionen, die auch so definiert seien, zu erkennen gibt, dass das Gutachten gerade nicht an medizinisch-fachlichen Mängeln leidet, sondern den medizinisch-wissenschaftlichen Vorgaben folgt; nur so sind die „formalen Vorgaben und Definitionen“ zu verstehen. Es bleibt dagegen das Geheimnis des Prof. Dr. J., was er meint wenn er ausführt, es sei vom mechanischen und von der Logik her klar, wie sich der Kläger die Verletzung zugezogen habe. Offenbar stellt er damit auf das Argument ab, das Unfallereignis vom 04.02.2018 sei vom Mechanismus der Einwirkung geeignet gewesen, eine Verletzung hervorzurufen, wie sie beim Kläger vorliegt. Damit benennt Prof. Dr. J. allerdings nur ein Element, welches zwar notwendige, aber aufgrund der gegenstehen Argumente nicht hinreichende Voraussetzung für die Anerkennung der TFCC-Verletzung des Klägers als Unfallfolge sein kann. Neben den bereits aufgezeigten entgegenstehenden Argumenten der fehlenden Dokumentation einer Erstverletzung und des fehlenden Decrescendo-Verlaufs fehlt es nämlich für die Anerkennung der TFCC-Läsion als Unfallfolge auch an der Feststellung von Begleitverletzungen an anderen anatomischen Strukturen, etwa an einer knöchernen Verletzung. Dies stellt der Sachverständige Dr. W. auf der Grundlage der angefertigten Röntgenaufnahmen und des MRT fest und führt zum medizinischen Wissensstand unter Zitierung weiterer Quellen aus, isolierte Diskusverletzungen seien außerordentlich selten und bedürften der eingehenden Begründung. Eine solche Begründung liefern die vom Kläger vorgelegten medizinischen Stellungnahmen auch nicht im Ansatz, so dass der Schluss von Dr. W., auch dieses Element spreche gegen eine Unfallverursachung der TFCC-Läsion, nicht zweifelhaft ist. Letztlich hat Dr. W. auch überzeugend und wiederum unter Angabe einschlägiger Zitate aus der Fachliteratur ausgeführt, die beim Kläger vorliegende Ellen-Minus-Variante sei ein Dispositionsfaktor für Schäden des TFCC. Auch soweit dies von Prof. Dr. J. abgestritten wird, geschieht dies offenbar ohne Kenntnis des aktuellen Diskussionsstandes in der Wissenschaft. Unabhängig davon kann diese Frage dahingestellt bleiben, da bereits aufgrund der oben aufgezeigten Umstände eine Verursachung des TFCC-Läsion durch den angeschuldigten Unfall nicht mit der notwendigen Gewissheit festgestellt werden kann.
Vor dem Hintergrund dieser Ausführungen, war auch dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag zur Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Beweis der Tatsache, dass eine Diskusverletzung am rechten Handgelenk (TFCC-Läsion) wesentliche Folge des Dienstunfalls vom 04.02.2018 ist, vom Gericht nicht nachzugehen. Angesichts der Umstände, dass bereits ein von der Behörde eingeholtes überzeugendes und auf dem Stand der medizinischen Wissenschaft beruhendes Sachverständigengutachten vorliegt, auf das sich auch das Gericht stützen kann und durchgreifende Einwendungen gegen dieses vorliegende Gutachten auch mit den letzten von der Klägerseite vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen nicht vorgetragen wurden, drängen sich weitere Ermittlungen gerade nicht auf. Im Übrigen bestehen an der Sachkunde und Unparteilichkeit des Gutachters Dr. W. keine Zweifel. Der Gutachter ist Facharzt für Orthopädie und zertifizierter Gutachter, der anders als die behandelnden Ärzte, von denen der Kläger Stellungnahmen vorgelegt hat, die Fragen, die bei einer Zusammenhangsbegutachtung zu klären sind, kennt und erörtert. Im Verwaltungsverfahren eingeholte Gutachten sind auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zulässige Beweismittel, sofern sie inhaltlich und nach der Person des Sachverständigen den Anforderungen entsprechen, die an ein gerichtliches Gutachten zu stellen sind (vgl. BVerwG, B.v. 20.2.1998 – 2 B 81/97 – juris). Die von einer Verwaltungsbehörde bestellten Gutachter sind grundsätzlich als objektiv urteilende Gehilfen der das öffentliche Interesse wahrenden Verwaltungsbehörde und nicht als parteiische Sachverständige anzusehen (vgl. BVerwG, U.v. 15.4.1964 – VI C 45.61 – juris Rn. 27). Nichts anderes gilt im vorliegenden Falle.
Die Ausführungen des Gutachters werden vorliegend auch durch anderweitige Befunde bzw. ärztliche Äußerungen nicht durchgreifend infrage gestellt, wie dies hinsichtlich der Beurteilung von Prof. Dr. J. bereits aufgezeigt wurde.
Auch ansonsten sind keine ärztlichen Stellungnahmen erkennbar, die überzeugende substantiierte Anhaltspunkte dafür bieten würden, an der Beurteilung des Dr. W. zu zweifeln. Nach alledem sieht das Gericht auch keinen Anlass oder gar eine Rechtspflicht aus § 86 VwGO für eine weitergehende Sachverhaltsaufklärung durch die Einholung eines (weiteren) Sachverständigengutachtens. Das dem Gericht bei der Bestimmung von Art und Anzahl einzuholender Sachverständigengutachten nach § 98 VwGO i.V.m. den §§ 404, 412 ZPO zustehende Ermessen wird nur dann verfahrensfehlerhaft ausgeübt, wenn das Gericht von der Einholung weiterer Gutachten oder gutachterlicher Stellungnahmen absieht, obwohl sich ihm die Notwendigkeit dieser zusätzlichen Beweiserhebung hätte aufdrängen müssen. Das ist dann der Fall, wenn sich das Gericht auf ein Erkenntnismittel stützt, das objektiv ungeeignet ist, ihm die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen zu vermitteln, etwa weil es offen erkennbare Mängel aufweist, namentlich von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht oder unlösbare Widersprüche enthält, wenn Zweifel an der Sachkunde oder Unparteilichkeit der Gutachter bestehen oder wenn ihnen ein spezielles Fachwissen fehlt, das für die Beantwortung einer besonders schwierigen Fachfrage erforderlich ist (vgl. BVerwG, B.v. 20.2.1998 – 2 B 81/97 – juris; BVerwG, B.v. 30.6.2010 – 2 B 72.09 – juris). Für all diese genannten Gesichtspunkte bestehen vorliegend bei dem vom Beklagten im Verwaltungsverfahren eingeholten Fachgutachten keine Anhaltspunkte, so dass das Urteil auf dieses Gutachten gestützt werden konnte, ohne dass es der Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens bedurft hätte.
Nach alldem ist die Klage daher abzuweisen.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr.11, 711 ZPO.


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