Medizinrecht

Einstufung in eine Qualifikationsgruppe

Aktenzeichen  L 19 R 314/14

Datum:
22.2.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 114929
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
FRG § 22 Abs. 1
SGB X § 44 Abs. 1
SGB VI § 64, § 256b

 

Leitsatz

Die Zuordnung zu einer Qualifikationsgruppe (Anl. 13 zum SGB VI) erfolgt, wenn jemand die Qualifikationsmerkmale vollständig erfüllt und eine entsprechende Tätigkeit ausgeübt hat. Auch ohne förmlichen Berufsabschluss kann aufgrund langjähriger Berufserfahrung eine höhere Qualifikationsgruppe zuerkannt werden, wenn Fähigkeiten erworben worden sind, die üblicherweise denen von Versicherten einer höheren Qualifikationsgruppe entsprechen.
2 Während es bei ausgebildeten Facharbeitern unschädlich sein kann, wenn sie an ihrem Arbeitsplatz nicht vollumfassend ihre erworbenen Kenntnisse einbringen müssen, reicht es zum Nachweis des Erwerbs von Facharbeiterkenntnissen durch Berufspraxis nicht aus, nur in Teilbereichen der Facharbeitertätigkeit erwerbstätig gewesen zu sein.  (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 3 R 949/12 2014-02-26 GeB SGWUERZBURG SG Würzburg

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Würzburg vom 26.02.2014 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 SGG) ist zulässig, aber nicht begründet. Die Beklagte ist zutreffend zum Ergebnis gelangt, dass der Rentenbescheid der Klägerin nicht abzuändern ist, da die Zeiten nach dem FRG bei Klägerin nicht einer höheren Qualifikationsgruppe gemäß Anlage 13 zum SGB VI zuzuordnen ist.
Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem die Beteiligten sich übereinstimmend damit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 iVm § 153 Abs. 1 SGG).
Nachdem der Rentenbescheid der Klägerin bereits bestandskräftig gewesen ist, kommt eine teilweise Rücknahme und Abänderung nur im Rahmen des § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) in Betracht. Dabei würde die von der Klägerin geltend gemachte rückwirkende Erhöhung ihrer Rente nicht von den Wirkungen der Ausschlussfrist des § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X betroffen sein, da nach § 44 Abs. 4 Satz 3 SGB X das Antragsdatum der Überprüfung maßgeblich wäre und ausgehend von diesem der Rentenbeginn noch innerhalb eines Zeitraumes von vier Jahren rückwirkend liegen würde.
§ 44 Abs. 3 Satz 1 SGB X lautet:
„Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.“
Die Höhe der Altersrente der Klägerin wird nach § 64 SGB VI durch die Vervielfältigung der unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors ermittelten persönlichen Entgeltpunkte, des Rentenartfaktors und des aktuellen Rentenwerts berechnet. Hier ist zwischen den Beteiligten ausschließlich die Anzahl der persönlichen Entgeltpunkte streitig. Dabei ist zu berücksichtigen, dass von der Klägerin für Zeiten vor dem 30.06.1995 zwar keine Beiträge an die Deutsche Rentenversicherung entrichtet worden sind, die Klägerin aber Entgeltpunkte auf Grund der Regelungen des FRG zugewiesen bekommt. Nach § 22 Abs. 1 FRG werden diese Entgeltpunkte über § 256 b SGB VI unter Heranziehung der Anlagen 13 und 14 zum SGB VI ermittelt. Konkret erfolgt eine Einstufung der Beschäftigung in eine der in Anlage 13 zum SGB VI genannten Qualifikationsgruppen und eine Zuordnung der Beschäftigung zu einem der in Anlage 14 zum SGB VI genannten Bereiche, was zu entsprechenden Tabellenwerten und davon abhängig zu Entgeltpunkten führt.
Die Tätigkeit der Klägerin ist zunächst also – ggf. abschnittsweise – in eine Qualifikationsgruppe einzustufen. Die Zuordnung zu einer Gruppe erfolgt, wenn jemand die Qualifikationsmerkmale vollständig erfüllt und eine entsprechende Tätigkeit ausgeübt hat. Dabei kann auch ohne förmlichen Berufsabschluss aufgrund langjähriger Berufserfahrung eine höhere Qualifikationsgruppe zuerkannt werden, wenn Fähigkeiten erworben worden sind, die üblicherweise denen von Versicherten einer höheren Qualifikationsgruppe entsprechen (Anlage 13 zum SGB VI Satz 2; vgl. zu den Einzelheiten auch Verbandskommentar, Std. Oktober 1998, Anhang 2, § 22 FRG 7.2). Während es aber bei ausgebildeten Facharbeitern unschädlich sein kann, wenn sie an ihrem Arbeitsplatz nicht vollumfassend ihre erworbenen Kenntnisse einbringen müssen, reicht es zum Nachweis des Erwerbs von Facharbeiterkenntnissen durch Berufspraxis nicht aus, nur in Teilbereichen der Facharbeitertätigkeit erwerbstätig gewesen zu sein.
In der Anlage 13 zum SGB VI ist festgelegt, dass die Qualifikationsgruppe 5 sowohl Tätigkeiten umfasst, für die üblicherweise eine Anlernzeit erforderlich ist, als auch solche, die nicht umfangreicher angelernt werden müssen. Dies betrifft Personen, die in einer produktionstechnischen oder anderen Schulung für eine bestimmte Tätigkeit angelernt worden sind, und ebenso Personen ohne Ausbildung oder spezielle Schulung für die ausgeübte Tätigkeit. Dieser Qualifikationsgruppe gehören aber auch Personen an, die in der Berufsausbildung oder im Rahmen der Erwachsenenqualifizierung eine Ausbildung auf Teilgebieten eines Ausbildungsberufes abgeschlossen haben und im Besitz eines entsprechenden Zeugnisses sind.
In die nächsthöhere Qualifikationsgruppe 4 sind Facharbeiter eingeordnet. Darunter fallen Personen, die über die Berufsausbildung oder im Rahmen der Erwachsenenqualifizierung oder nach abgeschlossener Ausbildung in einem Ausbildungsberuf die Facharbeiterprüfung bestanden haben und im Besitz eines Facharbeiterzeugnisses (Facharbeiterbrief) sind. Außerdem sind es Personen, denen aufgrund langjähriger Berufserfahrung entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen im Beitrittsgebiet die Facharbeiterqualifikation zuerkannt worden ist. Hierzu zählen jedoch nicht Personen, die im Rahmen der Berufsausbildung und der Erwachsenenqualifizierung nur auf Teilgebieten eines Ausbildungsberufes entsprechend der Systematik der Ausbildungsberufe im Beitrittsgebiet ausgebildet wurden. Das Bundessozialgericht hat in seiner Entscheidung vom 24.07.2003 (B 4 RA 61/02 R – zitiert nach juris) dargelegt, dass maßgeblich auf die Verhältnisse im Herkunftsland abzustellen sei. Für den Fall der Klägerin sind daher die Verhältnisse in Kasachstan entscheidend.
Der Senat hat die Überzeugung gewonnen, dass die von der Klägerin in Kasachstan verrichteten Tätigkeiten von der Beklagten zutreffend zur Qualifikationsgruppe 5 der Anlage 13 zum SGB VI zugeordnet worden sind. Dabei schließt sich der Senat den Ausführungen des Sozialgerichts Würzburg im Gerichtsbescheid vom 26.02.2014, weshalb die strittigen Zeiten zutreffend zu der Qualifikationsgruppe 5 nach der Anlage 13 zum SGB VI zugeordnet worden sind, in vollem Umfang an. Er nimmt hierauf ausdrücklich Bezug und sieht insoweit von einer Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG).
Die von der Klägerin zunächst gegebene Schilderung der Vorbereitung auf den Leistungswettbewerb deutete klar nur auf Teilbereiche einer Facharbeiterausbildung in der Viehwirtschaft hin. Auch durch die nachträglichen Ergänzungen wird weder die für die Zuerkennung der Facharbeiterqualifikation notwendige Ausbildungsbreite, noch insbesondere die Ausübung einer diese Ausbildungsbreite abfordernden Tätigkeit nachgewiesen oder zumindest glaubhaft gemacht.
Ergänzend ist anzumerken, dass sich an dem gefundenen Ergebnis auch nichts ändert, wenn man die Verhältnisse im Herkunftsgebiet zu Grunde legt. Es verbleibt dabei, dass die Klägerin keinen förmlichen Berufsabschluss erworben hat und ein solcher ihr auch nicht zuerkannt worden ist. Die Zeiten der Vorbereitung auf den Melkwettbewerb und der geltend gemachte Unterricht erreichen offensichtlich nicht einen einer Facharbeiterausbildung entsprechenden zeitlichen Umfang.
Zur Frage der Qualifizierung am Arbeitsplatz ist anzumerken, dass die Klägerin nach Aufnahme der Tätigkeit als Melkerin nicht durchgängig in diesem Beruf beschäftigt war, sondern eine mehrjährige Unterbrechung bestanden hat, so dass zum einen diese Zeiten (August 1973 bis März 1976) schon von vornherein ausscheiden, weil auf sie die Argumentation der Klägerin nicht zutrifft, und zum anderen nach der Unterbrechung ein erneutes Einarbeiten in die frühere Tätigkeit erforderlich war, so dass eine mögliche Zeit der Qualifizierung am Arbeitsplatz mit dem Ziel der Ausübung einer höherwertigen Tätigkeit frühestens mit dem Beginn der durchgängigen Beschäftigung als Melkerin im April 1976 hätte zu laufen beginnen können.
5 Jahre nach Beginn der durchgängigen Tätigkeit der Klägerin als Melkerin war der von der Klägerin ausführlich geschilderte Leistungswettbewerb mit Verleihung eines Titels. Zeitlich im Anschluss daran änderte sich auch der Tätigkeitsbereich der Klägerin vom maschinellen Melken zum Handmelken in der Geburtsabteilung der Milchviehhaltung. Hierbei ist – wie schon das Sozialgericht zutreffend festgestellt hat – von der Klägerin ebenfalls kein entsprechender Ausbildungsabschluss erworben worden, weil keine ausbildungsmäßige Verknüpfung zwischen der Vorbereitung auf den Wettbewerb und dem dort verliehenen Titel ersichtlich geworden und zumindest glaubhaft gemacht worden ist.
Wenn die neue Arbeitsstelle tatsächlich regelhaft eine höhere Qualifikation im Sinne einer Facharbeiterausbildung verlangt hätte – was aus Sicht des Senates aber gerade nicht belegt ist -, so wäre der Erwerb der Kenntnisse durch die tatsächliche Ausübung der Tätigkeit erst ab April 1981 möglich gewesen und erst nach einer entsprechenden Zeit des Kenntniserwerbs könnte eine Zuordnung zu einer höheren Qualifikationsgruppe überhaupt erwogen werden. Damit ist für die Zeit von April 1964 bis April 1986 schon aus diesen allgemeinen Erwägungen eine höhere Qualifikationsgruppe als die Qualifikationsgruppe 5 nicht anzuerkennen.
Aber auch für die Zeit von April 1986 bis Juni 1995 kam die Zuordnung zur Qualifikationsgruppe 4 oder höher nicht in Betracht. Wie das Sozialgericht dargelegt hatte, war auch diese Tätigkeit nur als Teilbereich einer Facharbeitertätigkeit anzusehen. Ein Beleg dafür, dass es sich gar um eine Spezialisierung und Höherqualifizierung aus einer Facharbeitertätigkeit heraus gehandelt hätte, ist in keiner Weise zu erkennen. Die Zuordnung zur untersten Qualifikationsgruppe, der Qualifikationsgruppe 5, ist zutreffend erfolgt. Diese Gruppe umfasst – wie dargelegt – ein sehr breites, durchaus heterogenes Spektrum von einfachsten Tätigkeiten auf Anweisung bis hin zu qualifiziert Angelernten und Ausgebildeten in Teilbereichen einer Facharbeitertätigkeit. Es genügt aber nicht, aus dem Durchschnitt oder der Masse der niedrigeren Qualifikationsgruppe herauszuragen, und auch nicht, seine Tätigkeit hervorragend zu leisten. Eine Zuordnung zur nächsthöheren Qualifikationsgruppe wäre nur in Betracht gekommen, wenn alle Merkmale einer der verschiedenen Alternativen der nächsthöheren Qualifikationsgruppe 4 erfüllt gewesen wären. Dies ist aber bei dem eingeschränkten Einsatzbereich der Klägerin nicht zu erkennen gewesen.
Nach alledem waren die angefochtenen und die zur Überprüfung stehenden Bescheide der Beklagten nicht zu beanstanden und die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Würzburg vom 26.02.2014 war als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß § 160 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.


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