Medizinrecht

Einstweiliger Rechtsschutz, Anordnungen zur Hundehaltung, Leinenpflicht

Aktenzeichen  Au 8 S 22.290

Datum:
7.3.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 6490
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
LStVG Art. 18 Abs. 2

 

Leitsatz

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 5. Januar 2022 wird hinsichtlich der Ziffer I wiederhergestellt und hinsichtlich Ziffern III und IV angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegen sofort vollziehbare Anordnungen in Bezug auf die von ihm gehaltenen Hunde.
Der Antragsteller ist Halter der beiden Whippets-Rüden mit den Rufnamen A und B sowie eines weiteren Hundes namens C. Mit Schreiben vom 13. September 2021 teilte der Antragsteller der Antragsgegnerin mit, dass der Mischlingshund „D“ einer anderen Hundehalterin, Frau, am 12. September 2021 seinen Hund A zum zweiten Mal gebissen habe. Bereits am 19. Oktober 2020 habe D seine beiden Hunde A und B zum ersten Mal gebissen.
Mit Schreiben vom 27. September 2021 teilte Frau … über ihren Bevollmächtigten der Antragsgegnerin mit, dass die beiden zur Anzeige gebrachten Vorfälle eingeräumt würden. Es sei jedoch nicht richtig, dass sie ihren Hund nicht unter Kontrolle gehabt habe. Abgesehen von den beiden Beißvorfällen habe es bisher keine weiteren Beißvorfälle mit anderen Hunden gegeben. Bei ihrem Hund handle es sich um eine Labradormischung, den sie am 28. Mai 2018 vom Tierheim erhalten habe. Es sei ein kastrierter Rüde, der am 10. Dezember 2012 geboren worden sei. Am 19. Oktober 2020 sei sie mit ihrem Hund ohne Leine spazieren gegangen. Dann sei der Antragsteller mit seinen Hunden an der Leine gekommen. Er sei sehr unsicher gewesen. Sie habe dann versucht, D anzuleinen, aber dann sei er im Trab davongelaufen und sie habe ihn nicht mehr anleinen können. D habe nach den Hunden geschnappt. Der jüngste, schon immer sehr ängstliche und unsichere Hund habe sich aus dem Halsband befreit und sei davongesprungen. D sei kurz hinterher und dann zurückgekommen. Am 12. September 2021 habe sie ihren Hund D an der Schleppleine (10 m) geführt. An einer unübersichtlichen Stelle sei D vor ihr gewesen und habe um die Ecke sehen können. Sie habe zwei bis dreimal A rufen hören und kurz danach ein Gerangel unter Hunden. Sofort habe sie die Leine zu sich gezogen. A habe die Vorderpfote hochgehalten. Den genauen Vorfall habe sie nicht sehen können. Ihrer Meinung nach sei A nicht angeleint gewesen.
Mit Schreiben vom 6. Oktober 2021 ordnete die Antragsgegnerin gegenüber dem Antragsteller die Erstellung eines Gutachtens über seine drei Hunde an. Der Antragsteller ließ gegen diese Anordnung mit Schreiben vom 13. Dezember 2021 Widerspruch erheben. Die Antragsgegnerin teilte mit, dass gegen eine solche Anordnung kein Widerspruch erhoben werden könne, und kündigte an, dass sie bis zur Beibringung der Gutachten Anordnungen in Bezug auf die Haltung der Hunde treffen werde. An Frau … erging eine gleichlautende Anordnung zur Gutachtenserstellung.
Mit Bescheid vom 5. Januar 2022 regelte die Antragsgegnerin, dass dem Antragsteller auferlegt wird, bei der Haltung seiner Whippets A und B alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, damit von seinen Hunden keine Gefahr für Leben und Gesundheit von Menschen oder Tieren ausgeht. Insbesondere sind innerhalb der geschlossenen Ortsbebauung A und B an reißfesten Leinen zu führen, die mit einem schlupfsicheren Halsband oder einem Geschirr verbunden werden können. Die Person, die den Hund führt, muss jederzeit in der Lage sein, die Tiere körperlich zu beherrschen (Ziffer I.1.). Ein Freilauf ist nur außerhalb der geschlossenen Ortsbebauung auf gut überschaubaren Flächen zulässig, sofern sich die Hunde in Rufund Sichtweite des Hundeführers aufhalten und die Hunde jederzeit unter Kontrolle sind. Beim Erkennen von anderen Personen oder Hunden sind A und B vorübergehend anzuleinen (Ziffer I.2.). Die sofortige Vollziehung für die Ziffern I und II wurde angeordnet (Ziffer II.). Hinsichtlich Verstößen gegen die Anordnungen in Ziffern I und II wurde für den Fall, dass die Verpflichtung aus Ziffer I.1. nicht eingehalten wird, ein Zwangsgeld in Höhe von 150 EUR (Ziffer III.1.) und für den Fall, dass die Verpflichtung aus Ziffer I.2. nicht eingehalten wird, ein Zwangsgeld in Höhe von 150 EUR für fällig erklärt (Ziffer III.2.). Aufgrund der bisherigen Aussagen und der widersprüchlichen Sachverhaltsdarstellungen sei es nicht möglich, zu beurteilen, wie sich die beiden Beißvorfälle ereignet hätten. Der Aufforderung, ein Gutachten erstellen zu lassen, sei der Antragsteller nicht nachgekommen. Sobald die Gutachten beigebracht worden seien, könne eine abschließende Beurteilung der Gefährlichkeit der Hunde erfolgen und bei Verneinung einer solchen der vorliegenden Bescheid zurückgenommen werden. Der Hundehalter sei verpflichtet, seine Tiere so zu halten, dass sie keine Gefahr darstellen könnten. Dies gelte insbesondere, wenn mehrere Hunde gehalten und ausgeführt würden, denn die gemeinsame Haltung und das gemeinsame Ausführen von Hunden würde die Gefahrenlage verstärken. Anordnungen könnten auch bereits dann verfügt werden, wenn es noch nicht zu irgendwelchen Zwischenfällen gekommen sei. Im Rahmen des Entschließungsermessens sei ein Einschreiten im öffentlichen Interesse notwendig, da die beiden Hunde durch die Vorfälle am 19. Oktober 2020 und am 12. September 2021 auffällig geworden seien. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung liege im öffentlichen Interesse. Es bestünde ansonsten die Gefahr, dass in der Zeit zwischen dem Erlass des Bescheides und seiner Bestandskraft Menschen oder andere Tiere durch die Hunde eventuell Schäden erleiden würden.
Die andere Hundehalterin, Frau, legte der Antragsgegnerin ein Gutachten eines öffentlich bestellten und beeidigten Sachverständigen vom 2. Februar 2022 vor, wonach bei D keinesfalls ein gesteigert aggressives Verhalten gegenüber Menschen oder Artgenossen beobachtet hätte werden können. Er empfehle die Anordnung einer maximal 1,50 m langen Leine vor Verlassen der Wohnung und die Zulässigkeit eines Freilaufs nur außer Orts auf gut überschaubaren Flächen, wobei beim Erkennen von Menschen oder Hunden D vorübergehend anzuleinen sei. Am 17. Februar 2022 erließ die Antragsgegnerin gegenüber Frau … einen entsprechenden Bescheid.
Mit Schriftsatz vom 1. Februar 2022 ließ der Antragsteller Klage erheben mit dem Ziel der Aufhebung des Bescheids vom 5. Januar 2022 und der Anordnung vom 6. Oktober 2021. Über die Klage (Au 8 K 22.289) ist noch nicht entschieden. Gleichzeitig ließ er im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 5. Januar 2022 hinsichtlich der Ziffer I wiederherzustellen und hinsichtlich der Ziffern III und IV des Bescheids anzuordnen.
Der Sofortvollzugsanordnung mangele es bereits an einer auf den vorliegenden Fall bezogenen, ausreichenden Begründung. Die im Bescheid unter Ziffer 5 angegebene Begründung sei pauschal, nicht fallbezogen und werde den Anforderungen nicht gerecht. Aus ihr ergebe sich nicht, weshalb vorliegend eine konkrete Gefahr (welche?) bestehen sollte. Die dem Antragsteller gehörenden Hunde A und B würden keine Gefahr für irgendwelche Rechtsgüter darstellen. Sie seien beide Whippets, mittelgroße (unter 50 cm) und schlanke Hunde, die 13 bis 14 kg wiegen würden. Whippets würden rassebedingt in Gefahrensituationen keine wehrhafte Verteidigung, sondern einen Fluchtreflex zeigen. Sie seien noch nie auffällig geworden. Sie würden regelmäßig zwei bis dreimal wöchentlich in der Hundesporthalle trainiert. Begleithundeprüfungen seien abgelegt worden. Der Antragsteller starte mit beiden Hunden regelmäßig auf Agility-Turnieren. Die beiden Hunde seien vielmehr selbst Opfer mehrfacher Angriffe geworden. Am 15. (19.) Oktober 2020 seien die angeleinten Hunde A und B von dem ca. 60 cm großen Labrador-Mischling „D“ grundlos angegriffen und verletzt worden. Die Tierarztkosten seien von Frau, die sich beim Antragsteller entschuldigt habe, beglichen worden. Am 12. September 2021 habe „D“ an einer langen Schleppleine laufend, den Hund A erneut angegriffen, als er ihn aus einem uneinsichtigen Weg heraus begegnet sei. Die Tierarztkosten habe Frau … wiederum erstattet. Obwohl die Tiere eindeutig Opfer gewesen seien, habe die Antragsgegnerin die Beibringung eines Gutachtens angeordnet. Dieser Anordnung sei der Antragsteller nicht nachgekommen, weil die Anordnung nicht zweckmäßig sei und den Antragsteller ohne jeglichen Grund mit Kosten belasten würde. Zweck der Anordnung im Bescheid vom 5. Januar 2022 sei nicht die Gefahrenabwehr, sondern die Durchsetzung der Gutachtensanordnung. Dies sei jedoch nicht von der Rechtsgrundlage gedeckt.
Die Antragsgegnerin lässt beantragen,
den Antrag abzulehnen.
Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung sei Vorrang einzuräumen. Nach Aktenlage seien bereits wiederholt Beiß-Vorfälle zwischen den Hunden des Antragstellers und dem Hund von Frau … erfolgt. Die Antragsgegnerin gehe aufgrund Augenscheins und der vom Antragsteller vorgelegten Lichtbilder davon aus, dass dessen Hunde eine Schulterhöhe von knapp unter 50 cm aufweisen würden, sodass sie formal nicht als große Hunde anzusehen seien, aber eben annähernd groß seien. Des Weiteren gehe sie davon aus, dass der Antragsteller bei den Beißvorfällen mehrere Hunde geführt habe, von denen keiner angeleint gewesen sei. Derzeit sei noch nicht festzustellen gewesen, ob die Aggressivität zumindest auch von den vom Antragsteller geführten Hunden ausgegangen sei, oder ob sie nur Opfer gewesen seien. Gegen letztgenannte Schilderung spreche der Umstand, dass Frau … ein Sachverständigengutachten vorgelegt habe, welches für diesen Hund keine gesteigerte Aggressivität bestätige. Von daher erscheine es wahrscheinlich, dass die Aggressivität auch von den vom Antragsteller geführten Hunden ausgehe. Der Antragsteller habe es verweigert, ein Gutachten vorzulegen. Weitere Beißvorfälle – ohne Anleinzwang – seien auch gerade wegen der gegebenen Nachbarschaft naheliegend. Die Beteiligten würden weniger als etwa 1 km auseinander wohnen. Ein beliebtes Naherholungsgebiet befinde sich ebenfalls in dem Radius. Ob sich an der Sachlage gegebenenfalls dadurch etwas ändere, dass mittlerweile auch gegenüber Frau … für deren Hund eine Anleinverpflichtung verfügt worden sei, bleibe einer erneuten Bewertung vorbehalten, wenn dieser Bescheid bestandskräftig werde und sich Frau … daran halte. Weitere Untersuchungen der Einwendungen blieben dem Hauptsacheverfahren vorbehalten. Die Antragsgegnerin habe nicht die Möglichkeit, wie z.B. die Staatsanwaltschaft, die Beteiligten anzuhören und eine Überzeugung von dem – divergierend von den verschiedenen Beteiligten – geschilderten Sachverhalt zu treffen. Angesichts der Beißvorfälle habe nicht mit der gebotenen Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden können, dass die Hunde des Antragstellers sich ohne Leine in jeder Situation so weitgehend unter Kontrolle halten lassen würden, dass Gefahren ausgeschlossen seien.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtssowie auf die vorgelegten Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag hat Erfolg.
Gemäß § 80 Abs. 5 VwGO hat das Gericht bei seiner Entscheidung über den Antrag, die aufschiebende Wirkung der erhobenen Klage wiederherzustellen bzw. anzuordnen, das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes und das Interesse des Betroffenen, vom sofortigen Vollzug bis zur Entscheidung in der Hauptsache zunächst verschont zu bleiben, gegeneinander abzuwägen. Hierbei hat das Gericht die Erfolgsaussichten der Klage, soweit sie im Rahmen der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen, aber auch ausreichenden Prüfung überschaubar sind, zu berücksichtigen.
Unabhängig von der Frage, ob die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit hier den Vorgaben des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügt, besteht im vorliegenden Fall ein überwiegendes privates Interesse des Antragstellers an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage, da die Klage in der Hauptsache voraussichtlich Erfolg haben wird.
1. Die unter Ziffer I des streitgegenständlichen Bescheides getroffenen Verpflichtungen, die beiden Rüden des Antragstellers innerorts immer und außerorts in bestimmten Situationen anzuleinen, erweist sich nach summarischer Prüfung als rechtswidrig.
Zwar können gemäß Art. 18 Abs. 2 LStVG von den Gemeinden zum Schutz der in Art. 18 Abs. 1 LStVG genannten Rechtsgüter Anordnungen für den Einzelfall zur Haltung von Hunden getroffen werden. Erforderlich ist eine konkrete Gefahr, also eine Sachlage, bei der die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass in absehbarer Zeit der abzuwehrende Schaden eintritt. Hierbei sind an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer der zu erwartende Schaden ist.
Aufgrund summarischer Prüfung ist jedoch nicht ersichtlich, dass von den beiden Hunden A und B des Antragstellers eine konkrete Gefahr in o.g. Sinne ausgeht.
a) Unstreitig handelt es sich bei den beiden Hunden des Antragstellers nicht um „große“ Hunde im Sinne von § 18 Abs. 1 LStVG. Die beiden Tiere weisen eine Schulterhöhe von knapp unter 50 cm aus und wiegen ca. 13 bis 14 kg (vgl. Schriftsatz des Antragstellers vom 1.2.2022, Bl. 24 der Gerichtsakte und Antragserwiderung vom 23.2.2022, Bl. 62 der Gerichtsakte). Es ist somit nicht zulässig, ohne Vorliegen einer konkreten Gefahr einen Leinenzwang anzuordnen. Eine konkrete Gefahr ist nach der ständigen Rechtsprechung regelmäßig nur dann bereits gegeben, wenn große und kräftige Hunde in bewohnten Gebieten, auf öffentlichen Straßen und Plätzen mit relevantem Publikumsverkehr frei umherlaufen (zuletzt z.B. BayVGH, U.v. 13.11.2018 – 10 CS 18.1780 – juris).
b) Es ist des Weiteren geklärt, dass keiner der beiden Hunde des Antragstellers gebissen hat. Vielmehr ist unstrittig, dass der Hund „D“ von Frau … die beiden Hunde des Antragstellers ein bzw. zwei Mal gebissen hat. In ihrer E-Mail vom 22. September 2021 an die Antragsgegnerin (Bl. 13 der Behördenakte) räumt diese ein, dass ihr Hund D nach den beiden Hunden geschnappt habe. In einer weiteren E-Mail vom 20. September 2021 bestätigt sie, dass es ein Gerangel unter den Hunden D und A gegeben und A dann die Vorderpfote hochgehalten habe. Durch ihren Bevollmächtigten teilte sie der Antragsgegnerin mit, dass sie die beiden vom Antragsteller zur Anzeige gebrachten Vorfälle einräume (Bl. 16 der Behördenakte). Des Weiteren hat Frau … die Tierarztrechnungen jeweils bezahlt u.a. mit dem Vermerk „Entschuldigung“ (Bl. 19 der Gerichtsakte). Insoweit ergibt sich, dass die beiden Hunde des Antragstellers jeweils Opfer der beiden Beißvorfälle waren. Entgegen den Ausführungen der Antragsgegnerin in ihrem Schriftsatz vom 23. Februar 2022 ist auch davon auszugehen, dass die beiden Hunde des Antragstellers bei dem ersten Beißvorfall am 19. Oktober 2020 angeleint waren. Dies hat auch Frau … in ihrer E-Mail vom 22. September 2021 so bestätigt. Erst nachdem D nach den Hunden geschnappt hat, hat sich B aus seinem Halsband befreit. Es ist auch nicht absehbar, dass eine weitere Sachverhaltsaufklärung im Hauptsacheverfahren bessere Erkenntnisse bringen wird. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Antragsgegnerin im Rahmen ihrer Amtsermittlungspflicht u.a. die Möglichkeit hat, Zeugen sowohl schriftlich als auch persönlich anzuhören und deren Glaubwürdigkeit entsprechend zu beurteilen (Bengl/Berner/Emmerig, LStVG, Stand Oktober 2019, Rn. 35 zu Art. 18). Dagegen, dass die Hunde des Antragstellers Opfer waren, spricht auch nicht die von Frau … vorgelegte gutachterliche Stellungnahme des öffentlich bestellten und beeidigten Sachverständigen … vom 2. Februar 2022. Darin hat der Gutachter zwar festgestellt, dass der 10 Jahre alte Labrador-Mischlingsrüde D mit einer Widerristhöhe von 60 cm und einem Gewicht von etwa 30 kg keinesfalls ein gesteigertes aggressives Verhalten gegenüber Menschen oder Artgenossen zeige. Er hat jedoch auch festgestellt, dass ein Unbehagen bei Begegnungen mit anderen Hunden, insbesondere mit Rüden, festzustellen sei. Wenn die Möglichkeit bestanden habe, sei D eher ausgewichen. Bei dichten Begegnungen gehe er auch in die Leine und verbelle den anderen Hund. Eine ausgesprochene Rauflust besitze er aber nicht. Der Gehorsam des Rüden sei angeleint zufriedenstellend, freilaufend benötige er bei einer Ablenkung mehrere Hörzeichen zum Herankommen. Abschließend hat der Gutachter einen Leinenzwang innerorts und einen Freilauf außerorts nur auf gut überschaubaren Flächen sowie beim Erkennen von Menschen oder Hunden einen vorübergehenden Leinenzwang empfohlen. Diese Feststellungen stehen insoweit nicht im Widerspruch damit, dass D die beiden Hunde des Antragstellers angegriffen hat.
c) Es erscheint des Weiteren zweifelhaft, ob die Anordnung einer Gutachtenserstellung mit Schreiben vom 6. Oktober 2021 im Klageverfahren (Au 8 K 22.289) Bestand haben wird. Soweit im Schreiben der Antragsgegnerin vom 2. November 2021 als Rechtsgrundlage Art. 18 Abs. 2 LStVG zitiert wird (Bl. 39 der Behördenakte), begegnet dies Bedenken, da die Anordnung einer Begutachtung keine Anordnung zum Halten eines Hundes darstellt (BayVGH, B.v. 6.7.2012 – 10 CS 12.1367 – juris Rn. 24; Bengl/Berner/Emmerig, LStVG, Stand August 2018, Rn. 75 zu Art. 18). Jedenfalls kann die Anordnung eines Leinenzwangs nicht der Durchsetzung der Anordnung einer Begutachtung dienen.
d) Zwar kann grundsätzlich auch eine konkrete Gefahr vorliegen, wenn mehrere Hunde von einer Person ausgeführt werden, wenn dann nicht mehr gewährleistet ist, dass der die Hunde Ausführende im Ernstfall noch Zugriff auf jeden einzelnen Hund hat. Im Falle einer Fehlreaktion von Passanten, die gerade angesichts einer größeren Hundeschar eher zu erwarten ist, als im Falle eines einzelnen Hundes, kann deshalb eine Gefahr für die Gesundheit einer Person nicht mehr mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden (BayVGH, B.v. 13.1.2005 – 24 ZB 04.664 – juris Rn. 18). Aus den Bescheidsgründen ergibt sich jedoch nicht, dass die Antragsgegnerin im Falle des Antragstellers und seiner Hunde von einer derartigen Gefährdungssituation ausgegangen ist. Anhaltspunkte für eine erhebliche Gefährdungssituation wurden nicht vorgetragen und sind auch nicht ersichtlich, zumal es sich bei den Hunden des Antragstellers nur um zwei bis drei nicht große Hunde handelt (anders als in dem Fall, den der BayVGH entschieden hat, wo zehn zum Teil große Hunde im Rudel durch eine Ortschaft geführt worden sind: BayVGH, B.v. 13.1.2005 – 24 ZB 04.664 – juris Rn. 18; U.v. 6.4.2016 – 10 B 14.1054 – juris Rn. 25). Eine konkrete Gefahr aufgrund eines Rudelverhaltens der Hunde des Antragstellers ist ebenfalls nicht erkennbar (vgl. dazu BayVGH, U.v. 26.11.2014 – 10 B 14.1235 – juris Rn. 23). So haben diese sich nicht gemeinsam auf den Hund D gestürzt, sondern waren vielmehr Opfer des Angriffs durch D.
e) Die umfassende Abwägung aller widerstreitenden Interessen unter Einbeziehung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache führt zur Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers.
f) Das gemäß Art. 36 Abs. 1, 3 und 5 VwZVG angedrohte Zwangsgeld dient zur Durchsetzung der in Ziffer I getroffenen Verpflichtungen und teilt daher, ebenso wenig wie die Kostenentscheidung, deren rechtliches Schicksal. Im Hauptsacheverfahren wird die Ziffer III daher voraussichtlich aufzuheben sein, da es an den Vollstreckungsvoraussetzungen fehlt.
2. Als unterlegener Teil trägt die Antragsgegnerin gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens.
3. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG. Die Kammer orientiert sich dabei an den Empfehlungen im Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (dort 1.5).

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