Aktenzeichen 7 O 17693/17
ZPO § 940
TRIPS Art. 50 Abs. 1
Leitsatz
Für den Erlass einer einstweiligen Verfügung muss das Verfügungspatent kein erstinstanzliches Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren überstanden haben; ein hinreichend gesicherter Rechtsbestand des Verfügungspatents ist ausreichend (Anschluss an OLG München BeckRS 2017, 118983; entgegen OLG Düsseldorf BeckRS 2011, 01258 – Gleisattelscheibenbremse II); anderenfalls wäre für einen erheblichen Zeitraum ein einstweiliger Rechtsschutz faktisch ausgeschlossen. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vom 6.12.2017 wird zurückgewiesen.
2. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens, einschließlich die Kosten der Schutzschrift, zu tragen.
3. Der Streitwert wird auf 30 Mio. € festgesetzt.
Gründe
I. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung war zurückzuweisen, weil in Anbetracht des Vorbringens in der Schutzschrift, insbesondere in Bezug auf die Entscheidung des Englischen High Courts betreffend den britischen Teil des Verfügungspatents vom 26.10.2017, jedenfalls das Bestehen eines Verfügungsgrundes nicht glaubhaft gemacht ist. Hierzu gehört die Glaubhaftmachung eines hinreichend gesicherten Rechtsbestandes des Verfügungspatents:
1. Anforderungen an die Rechtsbeständigkeit des Verfügungspatents Nach der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts München ist es zwar grundsätzlich nicht notwendig, dass das Verfügungspatent bereits ein erstinstanzliches Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren überstanden hat; für den Erlass einer einstweiligen Verfügung in Patentsachen ausreichend ist bereits vielmehr – neben der Glaubhaftmachung einer Patentverletzung sowie der zeitlichen Dringlichkeit – ein mit hoher Wahrscheinlichkeit zu prognostizierender, d. h. hinreichend gesicherter, Rechtsbestand des Verfügungspatents (OLG München, Urteil vom 26.7.2012 – 6 U 1260/12, BeckRS 2012, 16104, Urteilsumdruck S. 20; Urteil vom 18.05.2017 – 6 U 3039/16, BeckRS 2017, 118983, Rn. 100). Grund hierfür ist, dass anderenfalls für einen erheblichen Zeitraum ein einstweiliger Rechtsschutz aus einem erteilten Schutzrecht faktisch ausgeschlossen wäre. Den Interessen des (vermeintlichen) Verletzers, nicht aufgrund eines nicht hinreichend gesicherten Schutzrechtsbestandes im Rahmen eines summarischen Verfahrens mit eingeschränkten Erkenntnis- und Verteidigungsmöglichkeiten in Anspruch genommen zu werden, kann auch dadurch ausreichend Rechnung getragen werden, dass die Erfolgsaussichten eines Rechtsbehelfs gegen das Verfügungspatent in die erforderliche Interessenabwägung eingestellt werden und verbleibende Zweifel an der Rechtsbeständigkeit in der Regel zulasten des Antragstellers zur Zurückweisung des Verfügungsantrags führen werden. Auch wenn Nichtigkeitsangriffe in einem erheblichen Umfang zum Widerruf bzw. zur Nichtigerklärung bzw. Einschränkung von Schutzrechten führen, kann aufgrund dieser Erfolgsprognose in Bezug auf die Gesamtheit der Einspruchs- und Nichtigkeitsverfahren nicht auf eine Beurteilung der Erfolgsaussichten im konkreten Streitfall verzichtet werden (OLG München, Urteil vom 26.7.2012 – 6 U 1260/12, BeckRS 2012, 16104, Urteilsumdruck S. 20 f.). Daher ist grundsätzlich auch bei einer nur äquivalent begründeten Verletzung der Erlass einer einstweiligen Verfügung in Ansehung dessen, dass Art. 50 Abs. 1 TRIPS die gerichtliche Anordnung einstweiliger Maßnahmen ausdrücklich vorsieht, nicht ausgeschlossen, weil nicht die Benutzungskategorie über den Zugang zum vorläufigen Rechtsschutz entscheidet, sondern vielmehr die Frage, ob unter Zuhilfenahme der zulässigen Erkenntnismittel eine hinreichende Gewissheit über das Vorliegen einer Schutzrechtsverletzung erhalten werden kann. Dies ist eine Frage der hinreichenden Glaubhaftmachung des Verfügungsanspruchs (OLG München, Urteil vom 18.05.2017 – 6 U 3039/16, BeckRS 2017, 118983, Rn. 100; LG München I, Endurteil vom 17.8.2017 – 7 O 11152/17, BeckRS 2017, 126085) bzw. des Verfügungsgrundes.
Nach der Rechtsprechung der Düsseldorfer Gerichte kommt der Erlass einer einstweiligen Verfügung – insbesondere auf Unterlassung – in Patentsachen hingegen prinzipiell nur dann in Betracht, wenn sowohl die Frage der Patentverletzung als auch der Bestand des Verfügungsschutzrechts im Ergebnis so eindeutig zugunsten des Antragstellers zu beantworten sind, dass eine fehlerhafte, in einem etwa nachfolgenden Hauptsacheverfahren zu revidierende Entscheidung nicht ernstlich zu erwarten ist (InstGE 9, 140 – Olanzapin; InstGE 12, 114 – Harnkatheterset; GRUR-RR 2011, GRUR-RR Jahr 2011 Seite 81 – Gleitsattel-Scheibenbremse; Mitt 2012, 413 [LS] – Kreissägeblatt; Mitt 2012, 415 – Adapter für Tintenpatrone; Urteil vom 06.12.2012 – Aktenzeichen I2U4612 I-2 U 46/12; ebenso OLG Karlsruhe, InstGE 11, 143 – VA-LVD-Fernseher). Von einem hinreichend gesicherten Rechtsbestand kann danach grundsätzlich nur dann ausgegangen werden, wenn das Verfügungsschutzrecht bereits ein erstinstanzliches Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren überstanden hat (InstGE 9, 140, 146 – Olanzapin; InstGE 112, 114, 121 – Harnkatheter; a.A. OLG Braunschweig, Mitt 2012, 410). Um ein Verfügungsschutzrecht für ein einstweiliges Verfügungsverfahren tauglich zu machen, bedarf es deshalb einer positiven Entscheidung der dafür zuständigen, mit technischer Sachkunde ausgestatteten Einspruchs- oder Nichtigkeitsinstanzen. Von dem Erfordernis einer dem Antragsteller günstigen kontradiktorischen Rechtsbestandsentscheidung kann allerdings in Sonderfällen abgesehen werden. Sie können – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – vorliegen, wenn der Antragsgegner sich bereits mit eigenen Einwendungen am Erteilungsverfahren beteiligt hat, so dass die Patenterteilung sachlich der Entscheidung in einem zweiseitigen Einspruchsverfahren gleichsteht, wenn ein Rechtsbestandsverfahren deshalb nicht durchgeführt worden ist, weil das Verfügungsschutzrecht allgemein als schutzfähig anerkannt wird (was sich durch das Vorhandensein namhafter Lizenznehmer oder dergleichen widerspiegelt), wenn sich die Einwendungen gegen den Rechtsbestand des Verfügungsschutzrechts schon bei der dem vorläufigen Rechtsschutzverfahren eigenen summarischen Prüfung als haltlos erweisen oder wenn (z. B. mit Rücksicht auf die Marktsituation oder die aus der Schutzrechtsverletzung drohenden Nachteile) außergewöhnliche Umstände gegeben sind, die es für den Antragsteller ausnahmsweise unzumutbar machen, den Ausgang des Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahrens abzuwarten (InstGE 12, 114, 121 – Harnkatheterset).
Dieser Meinungsstreit kann aber auch vorliegend dahinstehen, denn auch das OLG Düsseldorf macht bei Vorliegen außergewöhnlichen Umstände eine Ausnahme zu dem Erfordernis des erfolgreichen Durchlaufens eines zweiseitigen Bestandsverfahrens (GRUR-RR 2013, GRUR-RR Jahr 2013 Seite 236 – Flupirtin-Maleat). Hiernach liegen „außergewöhnliche Umstände“ im vorgenannten Sinne regelmäßig vor, wenn – wie hier – drohende Verletzungshandlungen durch Generikaunternehmen in Rede stehen. Während nämlich der von ihnen angerichtete Schaden im Falle einer späteren Aufrechterhaltung des Patents vielfach enorm und (mit Rücksicht auf den durch eine entsprechende Festsetzung von Festbeträgen verursachten Preisverfall) nicht wiedergutzumachen ist, hat eine (wegen späterer Vernichtung des Patents) unberechtigte Verfügung lediglich zur Folge, dass das Generikaunternehmen vorübergehend zu Unrecht vom Markt ferngehalten wird, was durch entsprechende Schadenersatzansprüche gegen den Patentinhaber vollständig ausgeglichen werden kann. Berücksichtigt man außerdem, dass das Generikaunternehmen für seine Marktpräsenz im Allgemeinen allenfalls geringe wirtschaftlichen Risiken eingeht (weil das Präparat dank des Patentinhabers medizinisch hinreichend erprobt und am Markt etabliert ist), hat eine Verbotsverfügung zu ergehen, auch wenn für das Verletzungsgericht wegen des Fehlens eines fachkundigen Votums zum Rechtsbestand keine endgültige Sicherheit über den Bestand des Verfügungsschutzrechts gewonnen werden kann. Erforderlich ist aber, dass das Verletzungsgericht die Überzeugung von der Rechtsbeständigkeit des Verfügungsschutzrechts gewonnen hat. Mit anderen Worten: Ausreichend, aber auch notwendig sind eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür und eine darauf gegründete subjektive Überzeugung des Verletzungsgerichts davon, dass das Verfügungsschutzrecht einen Angriff auf seinen Rechtsbestand unbeschadet überstehen wird.
Ist hingegen schon eine erstinstanzliche Entscheidung ergangen, die das Verfügungspatent bzw. das Verfügungszertifikat für nichtig erklärt hat, kann der Schutzrechtsinhaber Verletzer grundsätzlich nur noch dann im Wege der einstweiligen Verfügung auf Unterlassung in Anspruch nehmen, wenn er die zu seinen Ungunsten ergangene Entscheidung mit Erfolg zu Fall gebracht hat. Eine Ausnahme hiervon ist von Verfassungs wegen allerdings dort zwingend geboten, wo der Widerruf oder die Nichtigerklärung evident unrichtig ist und das Verletzungsgericht diese Unrichtigkeit verlässlich erkennen kann, weil ihm die auftretenden technischen Fragen zugänglich sind und von ihm auf der Grundlage ausreichender Erfahrung in der Beurteilung technischer und patentrechtlicher Sachverhalte abschließend beantwortet werden können (OLG Düsseldorf GRUR-RR 2008, 329 – Olanzapin; LG München I, Urteil vom 12.2.2015 – 7 O 9443/12, BeckRS 2015, 07460).
Für eine erfolgreiche Fortführung des Verfügungsverfahrens trotz erstinstanzlicher Nichtigerklärung des Verfügungspatents bzw. des Verfügungszertifikats bedarf es daher der Diagnose, dass das Urteil des Bundespatentgerichts evident unrichtig ist, und der Prognose, dass das Verfügungspatent bzw. das Verfügungszertifikat vom Bundesgerichtshof im verfügungsgegenständlichen Umfang mit Sicherheit aufrechterhalten werden wird (vgl. LG München I, Urteil vom 12.2.2015 – 7 O 9443/12, BeckRS 2015, 07460; LG München I, Endurteil vom 17.8.2017 – 7 O 11152/17, BeckRS 2017, 126085).
Im Fall des Vorliegens eines die Schutzfähigkeit verneinenden sorgfältig begründeten erstinstanzlichen Urteils betreffend einen anderen nationalen Teil des Verfügungspatents gilt nichts anderes. Derartige ausländische Urteile entfalten zwar, wie erstinstanzliche Urteile des Bundespatentgerichts, keine Bindungswirkung; die deutschen Gerichte haben aber Entscheidungen, die durch die Instanzen des EPA oder durch Gerichte anderer Vertragsstaaten des Europäischen Patentübereinkommens ergangen sind und eine im Wesentlichen gleiche Fragestellung betreffen, zu beachten und sich gegebenenfalls mit den Gründen auseinanderzusetzen, die bei der vorangegangenen Entscheidung zu einem abweichenden Ergebnis geführt haben. Dies gilt auch, soweit es um Rechtsfragen geht, beispielsweise um die Frage, ob der Stand der Technik den Gegenstand eines Schutzrechts nahegelegt hat (BGH GRUR 2010, 950 – Walzenformgebungsmaschine).
2. Das Verfügungspatent
Das im Mai 2015 abgelaufene Grundpatent EP 0 762 888 zu dem Verfügungspatent betraf den Schutz von Glatirameracetat in Form des Copolymer-1 mit niedrigem Molekulargewicht (inzwischen bekannt als Glatirameracetat) und ein Verfahren zur Herstellung.
Demgegenüber beansprucht das Verfügungspatent ein für die Anwendung von Glatirameracetat modifiziertes, verbessertes Behandlungsschema, nach dem das vorbekannte Glatirameracetat bei höherer Dosis von 40 mg seltener zu verabreichen ist und dadurch bei gleicher Effektivität zu geringeren Nebenwirkungen führt und somit eine bessere Verträglichkeit für den Patienten bedeutet.
Der Fachmann, auf den es vorliegend ankommt ist ein Klinikarzt, und zwar ein Neurologe, mit mehrjähriger Erfahrung in der Behandlung von MS und der Weiterentwicklung der Behandlung.
Gemäß Absatz [0112] des Verfügungspatents bestand ein erheblicher Nachteil der bisherigen Glatirameracetat-Therapie darin, dass es der täglichen Injektion bedurfte, was sich häufig als lästig erweisen kann. Nach Absatz [0113] des Verfügungspatents bestanden allerdings etliche Hürden und Einschränkungen in Bezug auf denkbare Lösungsansätze zur Begegnung dieser Nachteile bei der bekannten Glatirameracetat-Therapie. So beschreibt das Verfügungspatent in Absatz [0113], dass bei etwaigen Verbesserungsansätzen folgende Punkte einschränkend zu berücksichtigen waren: So sei zunächst das mögliche Injektionsvolumen bei subkutaner Medikamentenverabreichung beschränkt auf gewöhnlicher Weise 1 bis 2 ml Lösung. Zweitens bestehe die Möglichkeit, dass der Wirkstoffabbau an der Injektionsstelle zu einer reduzierten Bioverfügbarkeit führe. Drittens könne es aufgrund der physio-chemischen Eigenschaften des Medikaments geschehen, dass der aktive Wirkstoff sich lokal in Zwischenräumen verfängt, was zu weiteren Lokalirritationen, der Ausscheidung des Medikaments und konzentrations-abhängigen negativen Auswirkungen führen kann. Schließlich sei aufgrund des pharmakokinetischen Verhaltens der Substanz die Modifikation ihrer Verabreichungsfrequenz unvorhersehbar und erfordere daher empirische Tests. So habe sich etwa auch in Bezug auf das zur Behandlung von MS als effektiv erwiesene IFNβ-1b gezeigt, dass das Dosierregime sich auf Therapietreue des Patienten, die Effektivität und die Verträglichkeit auswirke. Das Verfügungspatent offenbart demgegenüber ein effektives niedrigfrequentes Dosisregime für die Glatirameracetat Verabreichung an Patienten, die u.a. unter schubförmigen Arten von Multipler Sklerose leiden (vgl. Absatz [0114]). Es habe sich herausgestellt, dass die patentgemäße Glatirameracetat-Therapie mindestens die gleiche Effektivität aufweist wie die bisherige Glatirameracetat-Therapie unter Verabreichung der täglichen 20 mg Glatirameracetat-Dosis (vgl. Absatz [0109]ff. des Verfügungspatents). Ferner habe sich gezeigt, dass diese modifizierte Therapie nicht nur den Vorteil einer verminderten Injektionszahl mit sich bringt, sondern darüber hinaus auch die Häufigkeit und Schwere der Reaktionen an der Injektionsstelle reduziert, und sich damit insgesamt als besser verträglich erweist (vgl. Absätze [0019], [0020], [0047]-[0052], [0061], [0063] des Verfügungspatents).
Die unabhängigen Ansprüche 1 und 2 des Verfügungspatents schützen danach Glatirameracetat bzw. Arzneimittel umfassend Glatirameracetat zur Verwendung mit den hier betroffenen Merkmalen.
Sie lassen sich nach Art einer Merkmalsgliederung wie folgt darstellen:
Anspruch 1:
1. Glatirameracetat
2. zur Verwendung in einem Behandlungsschema
a. von drei subkutanen Injektionen
b. von einer 40mg-Dosis Glatirameracetat
c. alle sieben Tage
d. mit mindestens einem Tag zwischen den einzelnen subkutanen Injektionen
3. zur Verwendung in der Behandlung eines Patienten, der unter einer schubförmig verlaufenden Art von Multipler Sklerose leidet
4. wobei die pharmazeutische Zusammensetzung zusätzlich Mannitol enthält.
Anspruch 2:
1. Arzneimittel umfassend Glatirameracetat
2. zur Verwendung in der Behandlung eines Patienten, der an einer schubförmig verlaufenden Art von Multipler Sklerose leidet
3. wobei das Arzneimittel zu verabreichen ist in einem Behandlungsschema
a. von drei subkutanen Injektionen
b. von einer 40mg-Dosis Glatirameracetat
c. alle sieben Tage
d. mit mindestens einem Tag zwischen jeder subkutanen Injektion und
4. wobei die pharmazeutische Zusammensetzung zusätzlich Mannitol enthält.
Weiter schützt der (allein) im englischen Verfahren relevante abhängige Anspruch 3 eine weiter spezifizierte Patientengruppe:
Anspruch 3:
Glatirameracetat zur Verwendung nach Anspruch 1, wobei die Verträglichkeit der Glatiramerecetat-Behandlung bei dem menschlichen Patienten durch Verringerung der Häufigkeit einer unmittelbaren Postinkjetionsreaktion oder einer Reaktion an der Injektionsstelle erhöht ist.
3. Die Entscheidung des High Court vom 26.10.2017
Der englische High Court (J. Richard Arnold) hat mit nicht rechtskräftigem Urteil vom 26.10.2017 ([2017] EWHC 2629 (Pat); Anlagen WKS 6, 6a) festgestellt, dass die Ansprüche 1 und 3 des britischen Teils des Verfügungspatents durch die Entgegenhaltungen Pinchasi und Rebif ® nahegelegt seien. Er hat hierbei u.a. ausgeführt [zitiert gem. der durch die Antragsgegnerin vorgelegte Übersetzung; die Parteirollen sind im Verhältnis zum hiesigen Verfahren vertauscht]:
„Offensichtlichkeit gegenüber Pinchasi
146. Bei Pinchasi handelt es sich um eine von Teva eingereichte internationale Patentanmeldung mit dem Titel „Methode zur Behandlung der Multiplen Sklerose“, die am 19. Juli 2007 veröffentlichte wurde. Pinchasi gibt auf Seite 4 in den Zeilen 10-14 an, dass „offengelegt ist hierin die Feststellung, dass die Verabreichung von Glatirameracetat in einer Dosis von 40 mg/Tag die Wirksamkeit signifikant verbessert, ohne jedoch zu einer entsprechenden Zunahme der Nebenwirkungen beim Patienten zu führen“. Pinchasi fährt mit der Offenlegung und Beanspruchung einer Methode fort, die zur Linderung eines Symptoms eines an einer schubförmig verlaufenden Form von MS leidenden Patienten führt und die periodische Verabreichung von 40 mg GA durch subkutane Injektion umfasst. In einer der Ausführungsformen der Erfindung erfolgt die Verabreichung täglich. In einer anderen Ausführungsform der Erfindung, die auf Seite 8, Zeilen 10-11 unter Anspruch 3 offengelegt wird, erfolgt die Verabreichung jeden zweiten Tag. Weiterhin wird zu der Ausführungsform mit QOD nichts offengelegt, was gegenüber jener mit QD abweichend wäre.
147. Beispiel 1 aus Pinchasi beinhaltet die Beschreibung und Vorstellung der Ergebnisse einer randomisierten, doppelblinden klinischen Studie, in der die Wirksamkeit und Verträglichkeit eines QD-Verabreichungsschemas von 40 mg im Vergleich zu einem QD-Verabreichungsschema von 20 mg bei 90 an RRMS leidenden Patienten geprüft wurde. Es ist unstrittig, dass der fachkundige Leser meinen würde, die in Pinchasi beschriebene klinische Studie sei scheinbar die gleiche klinische Studie, wie die in Cohen 2007 (d.h. die FORTE Phase-II-Studie) beschriebene, auch wenn es zwischen den beiden Dokumenten keine Übereinstimmung in der Urheberschaft gibt. Der fachkundige Leser wird jedoch auch feststellen, dass es zwischen Cohen 2007 und Pinchasi sehr wohl Unterschiede im Umfang der experimentellen Detaillierung, in der Darstellung der Daten und insbesondere in der Erörterung gibt, wobei in Cohen 2007 mehr Informationen enthalten sind. (Um damit im Zusammenhang ein einfaches Beispiel zu nennen: Cohen 2007 enthält 19 Referenzen, während Pinchasi keine enthält). Ich verstehe diese Tatsache nicht als strittig, finde aber auf jeden Fall, dass die fachkundige Person die Auslegung der Daten aus Cohen 2007 in dem Maße, in dem sie sich von jenen aus Pinchasi unterscheiden, für zuverlässiger halten würde, weil sie detaillierter sind und von Experten begutachtet wurden.
148. Abgesehen von den Hinweisen auf die Ausführungsform mit 40 mg QOD stützen sich die Kläger besonders auf zwei Passagen aus Pinchasi. Die erste dieser Passagen findet sich auf der Seite 15 in den Zeilen 21-22:
„Das Sicherheitsprofil der Dosis von 40 mg/Tag ist im Wesentlichen vergleichbar mit jenem der derzeit zugelassenen Dosis von 20 mg/Tag, begleitet von einer leichten Tendenz zu einer höheren Inzidenz von IPIR.“
149. Der fachkundige Leser wird jedoch bemerken, dass die Daten in Tabelle 4 zeigen, dass die Häufigkeit der meisten verzeichneten IPIR-Typen mit der Verabreichung der 40 mg-Dosis zunahm (von 22,7% auf 32,6% für jedes Symptom), obwohl andrerseits die Daten in Tabelle 5 wiederum zeigen, dass die Häufigkeit der ISRs leicht zurückgegangen sei (von 86,4% auf 84,8%).
150. Die zweite Passage findet sich im Abschnitt Schlussfolgerungen, wo die Patentschrift auf Seite 19 Zeile 8 bis Seite 20 Zeile 6 aussagt:
„Neben der erhöhten Wirksamkeit, die bei Verabreichung von 40 mg GA/Tag bezüglich der durch MRT bestimmten Krankheitsaktivität und der Rückfallrate festgestellt worden war, ist auch eine gute Verträglichkeit zu verzeichnen gewesen, derart, dass dadurch die Behandlung von an RRMS leidenden Patienten verbessert werden kann. Die festgestellte Verbesserung der Wirksamkeit wird auch nicht von einer entsprechenden Zunahme des Auftretens von Nebenwirkungen begleitet, wie sie eigentlich bei einer Verdopplung der verabreichten Dosis zu erwarten gewesen wäre.
Ebenfalls beobachtet wurde der beschleunigte Wirkungseintritt der Dosis von 40 mg/Tag im Vergleich zu jenem der Dosis von 20 mg/Tag. Diese Tatsache war so nicht erwartet worden. Insbesondere zeigte die Dosis von 40 mg/Tag ab dem dritten Monat durch MRT messbare Wirksamkeit, wohingegen die Dosis von 20 mg/Tag erst ab dem sechsten Monat Wirkung zeigte. Die vergleichenden Ergebnisse der Dosierung von 40 mg/Tag nach drei Monaten sind in Abbildung 3 und in Tabelle 2 weiter oben dargestellt.“
151. Der fachkundig Leser würde jedoch auch feststellen, dass die Studie ihren primären Endpunkt verfehlt hat, da sie keinen statistisch signifikanten Unterschied in der Wirksamkeit zwischen der 40 mg-Dosis und der 20 mg-Dosis ausgewiesen hat (obwohl die Gesamtzahl der Läsionen in den Monaten 7, 8 und 9 in der 40 mg-Gruppe gegenüber der 20 mg-Gruppe um 38% reduziert wurde, lag der p-Wert bei 0,0898 und damit weit über dem herkömmlichen Schwellenwert von 0,05 für die statistische Signifikanz).
175. Anspruch 1. Der einzige Unterschied zwischen Pinchasi und dem Anspruch 1 des Patents besteht darin, dass Pinchasi ein Therapieschema von 40 mg QOD offenlegt, während der Anspruch 1 ein Therapieschema von 40 mg TIW beansprucht. Wie bereits weiter oben erwähnt, steigt der Unterschied auf eine Dosis alle zwei Wochen.
176. Der Rechtsbeistand der Kläger hat deren Sichtweise vorgebracht, wonach der Patentanspruch 1 gleich auf zwei Arten offensichtlich gewesen sei und ich werde diese im Folgenden nacheinander kommentieren. Auch hier müsse davon ausgegangen werden, die fachkundige Person würde es für plausibel halten, dass 40 mg TIW Dosis die im Patent beanspruchte Wirksamkeit besitzt.
177. Erstens, argumentierte er, würden 40 mg TIW eine offensichtliche Alternative zu 40 mg QOD darstellten, und zwar aus den gleichen Gründen, auf die er sich auch bei seiner Argumentation zur Vorwegnahme durch Äquivalenz gestützt habe: Die fachkundige Person würde denken, es sei unwahrscheinlich, dass eine fehlende Dosis alle vierzehn Tage nachteilige Auswirkungen auf die Wirksamkeit der Behandlung haben könnte und dass TIW außerdem den Vorteil brächte, die Verträglichkeit des Medikaments wahrscheinlich zu erhöhen und bequemer für jene Patienten zu sein, welche die Verabreichung jeweils an denselben Wochentagen sowie injektionsfreie Wochenenden vorzögen. Außerdem würde die fachkundige Person wissen, dass Rebif nach dem TIW-Schema verabreicht würde. Anders ausgedrückt seien 40 mg TIW nichts anderes als eine einfachere und kleinere Variation dessen, was Pinchasi gelehrt hatte. Ich akzeptiere dieses Argument.
178. Zweitens argumentierte der Rechtsbeistand der Kläger, dass, wenn die fachkundige Person die Angelegenheit im Lichte ihres üblichen allgemeines Fachwissens und der Ergebnisse ihrer Fachliteraturrecherche ausführlicher betrachte, 40 mg TIW offensichtlich ein Therapieschema darstelle, das in einer klinischen Phase-III-Studie untersucht werden müsse, wobei die fachkundige Person fairerweise sowohl im Sinne des Nachweises der Wirksamkeit dieses Therapieschemas im Vergleich zu Placebo als auch in dem Sinne der Vergleichbarkeit seiner Wirkung mit jener des 20 mg QD-Therapieschema von einem Erfolg der Studie ausgehen müsste. Der Rechtsbeistand der Kläger führte noch an, dass diese Sichtweise sowohl von dem Gutachten von Dr. G. als auch von jenem von Prof. Z. unterstützt würde.
179. Die Beklagten behaupten ihrerseits, die Notwendigkeit der Untersuchung des 40 mg TIW-Schemas durch eine Studie sei aus drei Gründen nicht offensichtlich. Erstens, führten die Beklagten an, hätte die fachkundige Person angesichts der neuen am Horizont stehenden Behandlungsmöglichkeiten kein Interesse daran gehabt, die Verabreichung von GA zu verbessern. Ich akzeptiere diese Behauptung nicht. Die neuen Behandlungsmöglichkeiten stehen erst am Horizont, sind also noch Zukunft. Im August 2009 wurden viele, sehr viele Patienten weltweit mit GA behandelt. Nach der CORAL-Studie war, zumindest was GA betraf, die einzige reale Option für eine Verbesserung der Behandlung jene, die Anzahl der zu verabreichenden Injektionen herabzusetzen. Prof. Z. räumte ein, dass im August 2009 ein ungedeckter Bedarf an einer weniger häufigen Verabreichung bestand, zumindest dann, wenn sie den Wirksamkeitsanforderungen entsprach und die Nebenwirkungen im Vergleich zu 20 mg QD reduzierte.
180. Zweitens, brachten die Beklagten vor, der fachkundigen Person würde die nötige Motivation fehlen, um ein 40 mg TIW-Therapieschema in Betracht zu ziehen. Hätte die fachkundige Person ein Interesse an der Herabsetzung der Verabreichungshäufigkeit gehabt, dann hätte sich zu diesem Zweck offensichtlich das 20 mg QODTherapieschema angeboten, welches von den Publikationen zu Fletcher 2002 und Khan 2008 vorgeschlagen worden war. Ich akzeptiere auch diese Behauptung nicht. Die fachkundige Person hat sehr wohl eine sehr deutliche Motivation für die Herabsetzung der Verabreichungshäufigkeit von GA, weil dadurch die Verträglichkeit, die Therapietreue und die Patientenfreundlichkeit erhöht werden. Darüber hinaus bringt, wie weiter oben bereits erörtert, ein TIW-Therapieschema den Vorteil der Verabreichung an festen Wochentagen und sowie jenen der injektionsfreien Wochenenden Ich stimme damit überein, dass 20 mg QOD ein Therapieschema darstellt, welches offensichtlich in Betracht gezogen werden kann, daraus kann aber nicht gefolgert werden, dass es nicht auch andere Therapieschemata gäbe, die man ebenso offensichtlich in Betracht ziehen könne. Pinchasi hat 40 mg QOD vorgeschlagen und auch 40 mg TINY war ein anderes Therapieschema, welches man offensichtlich in Betracht hätte ziehen können.
181. Drittens, behaupten die Beklagten – und das ist die wichtigste ihrer diesbezüglichen Vorbringungen – hätte die fachkundige Person von dem Versuch mit einer Dosis von 40 mg wohl Abstand genommen, da die in Cohen 2007 und in Comi 2008B gemeldeten Schweregrade der ISRs und IPIRs bei einer solchen Dosis höher gewesen seien und nach Comi 2008B auch die Anzahl der vorzeitigen Therapieabbrüche aufgrund von Nebenwirkungen, insbesondere aufgrund von ISRs gestiegen sei, gleichzeitig aber auch festgestellt worden sei, dass 40 mg QD keine größere Wirksamkeit hätte als 20 mg QD. Der Hauptbeweis, auf den sich die Beklagten zur Untermauerung dieser Behauptung stützen, ist der erste Satz aus Paragraph 8.6 des ersten Gutachtens von Prof. Z., der sich seinerseits auf Cohen 2007 stützt (und nicht, darauf sei hingewiesen, auf Comi 2008B). Als Dr. G. zu seiner Meinung bezüglich dieses Aspekts befragt wurde, hat er geäußert, dass die fachkundige Person wohl drüber besorgt sein könnte, dass eine Erhöhung der Dosis von 20 mg auf 40 mg auch zu einer Erhöhung der ISR führen könnte, jedoch nicht wirklich übermäßig besorgt. Er war nicht mit der Behauptung einverstanden, die fachkundige Person würde durch diese Besorgnis davon abgehalten, die 40 mg zu versuchen, und zwar insbesondere weil die fachkundige Person erwarten würde, dass eine Verringerung der Verabreichungshäufigkeit von QD zu TIW die Inzidenz von JSRs und IPIRs verringern würde. Der Rechtsbeistand der Beklagten brachte vor, der Rechtsbeistand der Kläger habe die von Prof. Z. zu diesem Punkt vorgebrachten Beweise im Kreuzverhör nicht in Frage gestellt. Ich bin damit nicht einverstanden. Es ist zwar zutreffend, dass genau diese Passage nicht explizit angefochten wurde, Prof. Z. Einschätzung von Cohen 2007 (und Comi 2008B) wurde jedoch ebenso angefochten wie seine Argumentation. Insbesondere wurde Prof. Z. dazu befragt, ob die fachkundige Person denn erwarten würde, dass eine Verringerung der Häufigkeit der Verabreichung von 40 mg von QD auf TIW die Inzidenz von ISRs verringern würde und er hat die Richtigkeit dieser Annahme akzeptiert. Zwar wurde nicht ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die fachkundige Person damit im Zusammenhang auch eine Verringerung der Schwere von ISRs erwarten würde, es gab jedoch zwischen den Experten keine Meinungsverschiedenheiten darüber, dass die Schwere von ISRs mit ihrer Häufigkeit zusammenhängt. Auf jeden Fall ist die Gesetzeslage dazu so klar, dass ich mein Urteil nicht wegen eines Zeugen ändern sollte. In Anbetracht der Tatsache, dass Prof. C. Gesamtschlussfolgerung in Comi 2008B feststellte, 40 mg QD sei sicher und gut verträglich sowie dass eine Verringerung der Verabreichungshäufigkeit der von QD zu TIW die Inzidenz von ISRs (und IPIRs) verringern würde, bin ich der Ansicht, dass die fachkundige Person nicht geneigt wäre, sich davon abhalten zu lassen, 40 mg TIW in einer Phase-III-Studie zu untersuchen.
182. Die Beklagten behaupten auch, die fachkundige Person würde keine faire Erfolgserwartung haben, weil sie nicht in der Lage wäre, den Gesamteffekt einer Erhöhung der Dosis von 20 mg auf 40 mg und einer Verringerung der Verabreichungshäufigkeit von QD auf TINY vorherzusagen. Dr. G. stimmte zu, dass die fachkundige Person das Ergebnis nicht genau vorhersagen könne, und genau deshalb eine entsprechende Studie durchführen würde. Dr. G. war jedoch der Ansicht, die fachkundige Person würde es sehr wohl für wahrscheinlich halten, dass die Wirksamkeit von 40 mg TIW mit der von 20 mg QD vergleichbar ist, wobei zusätzlich zu beachten wäre, dass die gesamte wöchentliche Dosis in beiden Fällen ähnlich ist (120 mg im Vergleich zu 140 mg). und dass deswegen wahrscheinlich 40 mg TIW im Vergleich zu Placebo wirksam sei. Prof. Z. akzeptierte seinerseits, die fachkundige Person würde wissen, dass 40 mg TIW potenziell ebenso wirksam wie 20 mg QD sind. Dementsprechend schließe ich, dass die fachkundige Person eine starke positive Erwartung im Zusammenhang damit haben würde, dass sich 40 mg TIW im Vergleich zu Placebo als wirksam erweist, sowie auch eine vernünftige Erwartung im Zusammenhang damit, dass es bezüglich der Wirksamkeit mit 20 mg QD vergleichbar ist.
183. Der Vollständigkeit halber möchte ich noch zwei weitere Argumente erwähnen, auf die sich Dr. G. stützte, um seine Meinung zu untermauern, dass 40 mg TIW im Lichte von Pinchasi offensichtlich waren. Das erste davon war jenes, die fachkundige Person würde erwarten, dass die Wirksamkeit von GA länger als 24 Stunden anhält. Ich halte diese Erkenntnis jedoch nicht als dem üblichen allgemeinen Fachwissen zugehörig. Das zweite war die von den FORTE-Studien suggerierte Möglichkeit, bei der 40 mg Dosis könnte die Wirkung früher einsetzen als bei der 20 mg Dosis und die Tatsache, dass dieser Umstand möglicherweise einen klinischen Vorteil bringt. Ich stimme zwar der Meinung zu, dass die fachkundige Person, wenn sie diesen Faktor in Betracht zieht, dazu ermutigt werden würde, 40 mg TIW auszuprobieren und dabei einen Erfolg zu erwarten, statt entmutigt zu werden; meiner Einschätzung nach würde die fachkundige Person diesem Faktor jedoch wenig Gewicht beimessen.
184. Insgesamt akzeptiere ich die Vorbringung der Kläger, dass es offensichtlich wünschenswert war, das Therapieschema 40 mg TIW auszuprobieren und dass die fachkundige Person dabei sowohl in dem Sinne, dass das Therapieschema im Vergleich zu Placebo wirksam ist, als auch in dem Sinne, dass es in der Wirksamkeit mit 20 mg QD vergleichbar ist, eine faire Erfolgserwartung gehabt hätte. Daraus folgt, dass Anspruch 1 auch dann offensichtlich wäre, wenn er in der von den Beklagten geforderten Weise ausgelegt würde.“
4. Die Argumentation der Antragstellerin
Die Antragstellerin trägt in der Antragsschrift hierzu vor, dass die Entscheidung des High Court fehlerhaft sei und insbesondere auf eine rückschauende Betrachtung des Fachmanns auf die Erfindung abstelle. Richter Arnold habe die begehrte Zulassung zur Berufung an den Court of Appeal abgelehnt. Die Patentinhaberin Yeda und die Antragstellerin würden daher unmittelbar beim Court of Appeal die Zulassung der Berufung gegen diese Entscheidung beantragen. In der Zwischenzeit sei der Widerruf des englischen Teils des Verfügungspatents ausgesetzt. Die Antragstellerin gehe überdies davon aus, dass das EPA angesichts der selben überzeugenden und sehr ausführlichen Gründe, die die Einspruchsabteilung des EPA dazu bewogen hätten, das Elternpatent EP ‘749 unverändert aufrechtzuerhalten, auch das Verfügungspatent in dem letztlich maßgeblichen anhängigen Einspruchsverfahren für rechtsbeständig befinden werde.
Zur Entscheidung der Einspruchsabteilung zu EP `749 referiert die Antragstellerin wie folgt:
„102. Der Gegenstand des Verfügungspatents beruht im Übrigen auf erfinderischer Tätigkeit. Seine Lösung für das Ziel des Verfügungspatents, die bekannte Glatirameracetat-Behandlung von schubförmiger MS zu verbessern und eine alternative Dosierung von Glatirameratacetat zur Verfügung zu stellen, ist die beanspruchte Dosierung von 40 mg drei Mal wöchentlich (three injections per week „TIW“). Dies war für den Fachmann zum Prioritätszeitpunkt nicht naheliegend.“
103. Die folgenden Dosierungsschemata sind relevant für die Diskussion zur erfinderischen Tätigkeit:
A. 20 mg Glatirameracetat täglich verabreicht (20QD)
B. 20 mg Glatirameracetat jeden zweiten Tag verabreicht (20QOD)
C. 40mg Glatirameracetat täglich verabreicht (40QD)
D. 40mg Glatirameracetat jeden zweiten Tag verabreicht (40QOD)
E. 40mg Glatirameracetat drei Mal wöchentlich verabreicht (40TIW; wie in EP ‘749 und dem Verfügungspatent beansprucht) 104. Das Fehlen erfinderischer Tätigkeit lässt sich insbesondere weder auf der Grundlage der oben genannten Pinchasi-Zitate noch auf einem anderen weiteren Dokument, das im Einspruch zu EP ‘749 (oder EP’ 335 diesbezüglich) zitiert wird, behaupten.
105. Die Einspruchsabteilung hat zu Recht festgestellt, dass der vielversprechendste Ausgangspunkt und damit der nächstgelegene Stand der Technik das am Prioritätsdatum (20QD) zugelassene Behandlungsschema ist.
106. Der Einspruchsabteilung ist ferner in Folgendem zuzustimmen: Wie von der Einspruchsabteilung richtig festgestellt, ist die Haupt-Ausführungsform der D1 (Pinchasi), bei der 40QD Glatirameracetat verabreicht werden, keine realistische Ausgangsbasis. Seine Offenbarung der Verabreichung von 40QOD gemäß den Ansprüchen 1 und 3 und Abs. [0021] wird hier nur kurz nebenbei erwähnt, während sich die Hauptoffenbarung auf das 40QD-Schema konzentriert. Wie von der Einspruchsabteilung richtig festgestellt, ist die Haupt-Ausführungsform der D1, bei der 40QD Glatirameracetat verabreicht werden, kein realistischer Ausgangspunkt. Denn die D1 zeigt, dass 40QD ein Sicherheitsprofil ähnlich 20QD (Abs. [0062] von D1), aber ein höheres Auftreten von unmittelbaren Reaktionen nach der Injektion (Tabelle 4 von D1) aufweist. Deshalb würde der Fachmann nicht ernsthaft den Vorschlag bezüglich 40QOD in Betracht ziehen.
107. Folglich stellt das zugelassene Dosierungsschema 20QD den zutreffenden nächsten Stand der Technik dar.
108. Die Einspruchsabteilung hat zu Recht festgestellt, dass für die vom EP ‘749 beanspruchte Dosierung (die auch vom Verfügungspatent beansprucht wird) zwei Änderungen gegenüber der Dosierung, die den nächsten Stand der Technik darstellt (20QD (A.)), erforderlich waren (siehe Anlage ASt 15, S. 7 ff.; 11). Von dort ausgehend musste der Fachmann erstens die Dosis von 20 mg auf 40 mg erhöhen und zweitens die Häufigkeit von täglich auf drei Mal in einer Woche reduzieren.
109. Hier kann kein Naheliegen bejaht werden. Denn der Fachmann hatte aufgrund der Situation am Prioritätsdatum keine Motivation, die bisherige Praxis am Prioritätsdatum auf das beanspruchte Dosierungsschema umzustellen. Die Situation am Prioritätsdatum bezüglich der Verwendung von Glatirameracetat kann nämlich wie folgt zusammengefasst werden:
A. 20QD war die zugelassene Dosierung. Nach der FORTE Studie wurde in Teva’s Pressemitteilung “D8” bestätigt (überreicht als Anlage ASt 18), dass diese “die optimale Behandlungsdosis bleibt”
B. 20QOD wurde hinsichtlich der Wirksamkeit nicht konsequent beibehalten und zeigte keine Reduktion der Nebenwirkungen (D2-D5, übereicht als Anlagenkonvolut ASt 19), und zwar konnte sogar eine Steigerung von ISR (unmittelbaren Reaktionen an der Injektionsstelle) beobachtet werden.
C. 40QD zeigte positive frühe Ergebnisse (D1, D6 beides Phase II Studien mit MRT Endpunkten), aber die Phase III FORTE Studie (die den allgemein angenommenen Endpunkt der Reduktion in Schubraten aufwies) zeigte dieselbe Wirksamkeit wie 20QD mit allerdings schlimmeren Nebenwirkungen (D8 (ASt 18), D19 überreicht als Anlage ASt 20)
D. 40QOD wurde lediglich in D1 erwähnt, wobei die Wirkungen unbekannt waren.
110. Vor diesem Hintergrund gab es keine Offenbarung im Stand der Technik, die zur erforderlichen Motivation und in die Richtung geführt hätte, um das Dosierungsregimen anzupassen. Da 40QD mit schlechteren unerwünschten Ereignissen ohne kompensierende Erhöhung der Wirksamkeit verbunden war, gab es keinen Anreiz, 40QD anzupassen oder sogar in Ermangelung von Daten hierzu 40 QOD zu verabreichen. Noch gab es überhaupt eine Motivation, drei Injektionen von je 40 mg jede Woche zu verabreichen, wie von EP ‘749 (sowie dem Verfügungspatent) beansprucht, oder war die beanspruchte Dosierung angesichts der Lehren des Standes der Technik als naheliegend auffindbar.
111. Der Fachmann erfährt aus dem Stand der Technik, wie insbesondere D2 und D3 des Einspruchs, dass der Wechsel zu einer Verabreichungshäufigkeit seltener als täglich nicht vorteilhaft ist und dass eine erhöhte Dosis (z. B. von 20 mg auf 40 mg) den Nachteil höherer injektionsbedingter Nebenwirkungen mit sich bringt. Die genannten Dokumente zeigen Daten, die 20QD mit 20QOD vergleichen, wonach eine 50%ige Verringerung der Zahl der Injektionen nicht zu einer statistisch signifikanten Verringerung der Häufigkeit von Reaktionen an der Injektionsstelle (D2) geführt hat und dass die Nebenwirkungen bei 20QOD-Patienten im Vergleich zu 20QD-Patienten (D3) schlechter waren. Insbesondere Tabelle 5 von D3 zeigt, dass die Zahl der Patienten, die von unerwünschten Ereignissen als Anteil der behandelten Patienten berichteten, tatsächlich schlechter ist bei jenen, denen Glatirameracetat 20QOD (8 von 27 Patienten) verabreicht worden ist gegenüber jenen mit 20QD (24 von 99 Patienten).
112. Das beanspruchte Dosierungsschema, bietet darüber hinaus den zusätzlichen Nutzen eines „freien Wochenendes“, das umso relevanter wird, wenn man die langfristige Verabreichung von Glatirameracetat bei dieser chronischen Krankheit bedenkt.
113. Daher war es für den Fachmann am Prioritätsdatum nicht naheliegend, zum beanspruchten Regimen zu gelangen. Dieser Weg baut stattdessen vielmehr auf erfinderischer Tätigkeit auf unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die beanspruchte Behandlung – im Vergleich zu Placebo – zu folgendem wertvollen technischen Nutzen führte: eine reduzierte annualisierte Rückfallrate mit einer ähnlichen Wirksamkeit im Vergleich zum 20QD-Schema, sowie eine Verringerung der annualisierten Rate der Injektionsreaktion und Nebenwirkungen und Injektionsstellenreaktionen im Vergleich zu 20QD (wie in D28 und D29 des Einspruchsverfahrens zu EP ‘749 dargestellt), neben dem zusätzlich gesteigerten Komfort für die Patienten durch weniger Injektionen und einer „Weekend-off“ -Verabreichung.
114. Alles in allem kam die Einspruchsabteilung zu Recht zu dem Schluss, dass das beanspruchte Regime folgerichtig nicht aus dem Stand der Technik abzuleiten war, sondern auf erfinderischer Tätigkeit beruhte. Denn es erforderte die beiden oben genannten nicht naheliegenden Änderungen, um ausgehend vom nächstgelegenen Stand der Technik zum beanspruchten Regime zu gelangen. Dies begründet die Einspruchsabteilung ausführlich in ihrer Entscheidung vom 19. Januar 2016 zum EP ‘749 (vgl. Anlage ASt 15).
115. Da sich die genannte Entscheidung des EPA auf die gleichen Merkmale bezieht, wie sie auch vom Verfügungspatent erfasst werden, nämlich insbesondere die dreimal wöchentliche Verabreichung von Glatirameracetat in einer Dosis von 40 mg, und da das Verfügungspatent – als Teilanmeldung seines Elternpatents EP ‘749 – seine Priorität teilt, ist nicht nur der jeweilige Stand der Technik entsprechend relevant, sondern gelten diese Feststellungen des EPA für das Verfügungspatent genauso.
116. Damit zeigt sich, dass die jeweils oben genannten Argumente und Angriffe, die auch für das Verfügungspatent zu erwarten sind, bereits bei der Prüfung und Bestätigung der Gültigkeit des Stammpatents EP ‘749 durch die technisch zuständige Einspruchsabteilung – insbesondere im Hinblick auf den sehr ausführlichen und überzeugend begründeten Teil zur erfinderischen Tätigkeit ihrer Entscheidung (Anlage ASt 15) – berücksichtigt und bewertet wurden. Diese Erwägungen und Feststellungen gelten auch für das in Streit stehende Verfügungspatent.“
5. Bewertung durch die Kammer
a. Die Kammer vermochte aufgrund dieser Argumentation bereits nicht die Wertung zu treffen, dass die Einschätzung des High Court, die nach einer ausführlichen mündlichen Verhandlung mit Sachverständigen-Kreuzverhören getroffen und unter Berücksichtigung sämtlicher auch nun vorgetragenen Argumente sorgfältig begründet worden ist, offensichtlich falsch ist.
Zunächst ist festzuhalten, dass diese für die Meinungsbildung der Kammer äußerst relevante Entscheidung nicht durch die Antragstellerin, sondern durch die Antragsgegnerin im Rahmen der Schutzschrift vorgelegt worden ist, obwohl sie der Antragstellerin im Zeitpunkt der Einreichung des Verfügungsantrages vorgelegen haben muss. Die Antragstellerin hat sich damit begnügt, in der Antragsschrift (knapp) von der Existent dieser Entscheidung zu berichten.
Die Antragstellerin hat sich in der Antragsschrift mit den einzelnen Argumenten der englischen Entscheidung betreffend den britischen Teil des Verfügungspatents überhaupt nicht auseinandergesetzt. In der Antragsschrift wiederholt die Antragstellerin vielmehr die Entscheidung der Einspruchsabteilung des EPA betreffend ein anderes Patent, nämlich das EP `749. Der englische High Court, dem diese Argumentation ebenfalls vorgetragen worden ist, ist ihr nicht gefolgt.
Ferner hat die Patentinhaber durch ihren Verzicht auf das EP `749 kurz vor der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer des EPA, die für den 14.11./15.11.2017 vorgesehen war, eine Überprüfung dieser Argumentation der Einspruchsabteilung verhindert. Dieses Verhalten muss sich die Antragstellerin zurechnen lassen.
b. Unabhängig hiervon schließt sich die Kammer der Entscheidung des High Court auf Grund folgender Überlegungen an. Dem Verfügungspatent fehlt es jedenfalls an erfinderischer Tätigkeit gegenüber Pinchasi:
aa. Die Kammer unterstellt die Auslegung der Patentansprüche durch die Antragstellerin als richtig. Hiernach betrifft das anspruchsgemäße Behandlungsschema nur genau drei Injektionen GA pro Woche mit jeweils mindestens einem Tag Abstand zwischen den Injektionen. Ferner muss dieses Behandlungsschema über viele Wochen hintereinander ununterbrochen durchgeführt werden, weshalb ein Behandlungsschema ausgeschlossen ist, bei dem ein Patient jede zweite Woche mehr als drei Injektionen mit jeweils einem Tag Abstand erhält. Hierdurch wird ermöglicht, dass der Patient die Infusionen immer am selben Werktag (z.B. Montag, Mittwoch und Freitag) bei einem „freien“ Wochenende bekommt.
bb. Das Verfügungspatent stellt sich die Aufgabe, ein gegenüber dem Stand der Technik verbessertes Behandlungsschema bereitzustellen. An bisherigen Behandlungsschemata wird kritisiert, dass eine tägliche Injektion erforderlich sei, was zu Komplikationen führe. Eine Verringerung der Verabreichungsfrequenz erfordere aber eine Erhöhung der Dosis. Veränderungen der Frequenz und/oder der Dosis müssten aber zuvor klinisch erprobt werden. Ferner sei die Compliance der Patienten zu beachten [0112 f.].
cc. Die Kammer definiert den durch diese Problemstellung angesprochenen Fachmann als einen Klinikarzt, und zwar ein Neurologe, mit mehrjähriger Erfahrung in der Behandlung von MS und der Weiterentwicklung der Behandlung.
dd. Als Ausgangspunkt für eine Problemlösung wird dieser Fachmann die Entgegenhaltung Pinchasi heranziehen. Diese ist nach der Rechtsprechung des EPAs deswegen heranzuziehen, weil sie den nächstliegenden Stand der Technik darstellt. Auf die Rechtsprechung des EPA ist vorliegend zunächst abzustellen, weil gegen das Verfügungspatent derzeit fünf Einsprüche anhängig sind.
Die Entgegenhaltung Pinchasi (Anlage WKS 3) befasst sich, wie sich schon aus Anspruch 1 ergibt, mit einer Methode, die Symptome von Patienten zu lindern, die an einer schubartigen Form MS leiden („A method of alleviating a symptom of a patient suffering from a relapsing form of multiple sclerosis“). Es geht also um die Behandlung der gleichen Patienten, wie im Streitpatent, wobei in [0022] der Anlage WKS 3 sogar ausdrücklich auch auf die RRMS verwiesen wird, die Form von MS, die nach der Stammanmeldung des Streitpatentes behandelt werden soll. Die Behandlung erfolgt durch periodische subkutane Injektionen einzelner Dosen einer pharmazeutischen Zusammensetzung, die 40 mg GA enthält (vgl. ebenfalls Anspruch 1: „periodially administering to a patient by subcutaneous injection a single dose of a pharmaceutical composition comprising 40 mg of glatiramer acetate“). Beispiele für die Periodizität der Injektionen werden in den Absätzen [0020] und [0021] gegeben. Es wird vorgeschlagen, entweder tägliche Dosen GA zu verabreichen oder eine Verabreichung jeden zweiten Tag („every other day“ [0021] bzw. Anspruch 3) vorzunehmen, also mit einem Tag zwischen jeder subkutanen Injektion. Wird das Verabreichungsschema „every other day“ gewählt, erhält der Patient z.B. in der ersten Woche Montag, Mittwoch, Freitag und Sonntag eine Injektion (also auf jeden Fall drei) und in der zweiten Woche Dienstag, Donnerstag und Samstag (also genau drei). Dieses Schema wiederholt sich, so dass der Patient innerhalb jeder Woche, in der er behandelt wird auf jeden Fall drei Injektionen erhält und in jeder zweiten Woche genau drei, also immer drei Injektionen alle sieben Tage. Auch der Zusatz von Mannitol in der pharmazeutischen Zusammensetzung wird durch Anlage WKS 3 offenbart. Hierzu kann z.B. auf Anspruch 7 oder die Absätze [0025], [0035], [0040] oder [0047] verwiesen werden. Auch die konkret in Anlage WKS 3 offenbarte Zusammensetzung enthält Mannitol (vgl. z.B. [0057]).
Die patentgemäße Behandlungsmethode unterscheidet sich von derjenigen nach Pinchasi mit einer Injektion jeden zweiten Tag auf diese lange Sicht somit nur dadurch, dass nach der Lehre des Verfügungspatents innerhalb von 14 Tagen sechs Injektionen und nach Pinchasi sieben Injektionen gegeben werden.
Soweit die Einspruchsabteilung des EPA in seiner Entscheidung über den Einspruch gegen das EP `749 Pinchasi als nächstliegenden Stand der Technik abgelehnt hat, überzeugt das die Kammer nicht. Die Einspruchsabteilung hat argumentiert, Pinchasi enthalte keine Ausführungen, wie Berichte über klinische Tests, die die Wirksamkeit eines Behandlungsschemas von 40 mg GA jeden zweiten Tag belegten. Der Fachmann würde deshalb die Druckschrift nicht heranziehen. Das überzeugt schon deswegen nicht, weil das Verfügungspatent in [0113], wie oben ausgeführt, konstatiert, dass Änderungen der Dosis und der Frequenz klinisch erprobt werden müssten. In Pinchasi werden, wie das obige Zitat aus der Entscheidung des High Court gezeigt hat, verschiedene Vorteile der dort vorgestellten Behandlungsmethode berichtet. Die berichteten Nachteile, wie eine leichte Tendenz zu mehr Fällen von IPIR, wird der Fachmann in die stets vorzunehmende Gesamtabwägung der Vorteile und Nachteile einbeziehen. Immerhin verspricht Pinchasi eine Reduzierung der Infektionshäufigkeit um die Hälfte. Mithin würde sich der Fachmann aus Sicht der Kammer, die vom High Court nach Durchführung von Sachverständigen-Kreuzverhören geteilt wurde, wegen angeblich fehlender klinischer Belege nicht von Pinchasi abwenden.
ee. Geht der Fachmann auf dieser Basis von Pinchasi als dem nächstliegenden Stand der Technik aus, so entnimmt er Pinchasi zunächst den Behandlungsplan, entweder Einzeldosen von 40 mg GA jeden Tag oder jeden zweiten Tag zu spritzen. Er erfährt dabei aus der Zusammenfassung der klinischen Tests zu 40 mg GA jeden Tag in Absatz [0062], dass die therapeutische Wirkung von 40 mg GA gegenüber 20 mg GA besser ist. Es wird z.B. über eine 38% bessere Reduzierung von Läsionen berichtet. Auch wurde festgestellt, dass die Wirkung von GA drei Monate früher einsetzte als bei GA 20 mg. Was die Sicherheit von 40 mg Dosen anbelangt wird jedoch am Ende des Absatzes zusammengefasst:
„The safety profile of the 40 mg/d dose is essentially similar to the currently available 20 mg/d day dose with a slight tendency of higher incidence of IPIR.”
Das Sicherheitsprofil der 40 mg pro Tag Dosis ist also grundsätzlich auch ähnlich zu der täglichen 20 mg pro Tag Dosis und nicht etwa wegen der höheren Dosis schlechter. Es zeigte sich aber eine leichte Tendenz zu mehr Fällen von IPIR, also mehr unmittelbar nach der Injektion auftretenden Nebenwirkungen. Die Zusammenfassung und dieser Hinweis auf zwar einerseits eine positive Wirkung von 40 mg GA Dosen aber andererseits häufiger auftretenden IPIR wird den Fachmann dazu veranlassen, auf das Behandlungsschema einer 40 mg GA Dosis jeden zweiten Tag aus Pinchasi zurückzugreifen. Dieses Behandlungsschema wird unmittelbar in Pinchasi beschrieben und vermag es offensichtlich Nebenwirkungen, die bei der Injektion auftreten können, zu reduzieren. Schließlich wird die Injektionsrate gegenüber täglichen Injektionen halbiert.
Der Fachmann steht mit einem Behandlungsschema „jeden zweiten Tag“ aber vor dem Problem, dass dieses Behandlungsschema für einen Patienten kompliziert ist und damit die Gefahr der Non-Compliance erhöht. Schließlich kann sich der Patient nicht einfach bestimmte Wochentage merken, an denen er Spritzen muss (also z.B. „jeden Montag, Mittwoch, Freitag“ oder „jeden Montag, Donnerstag, Samstag“) und so eine feste Routine entwickeln. Es muss sich vielmehr merken, wann er das letzte Mal gespritzt hat bzw. in welcher Woche er in seinem Rhythmus ist. Schließlich müsste er in einer Woche „Montag, Mittwoch, Freitag, Sonntag“ spritzen und in der nächsten Woche genau an diesen Tage nicht, sondern „Dienstag, Donnerstag Samstag“. So einfach „jeder zweite Tag“ klingt. Die genaue Umsetzung in der Praxis ist schwierig. Die Patienten Compliance stellt einen Aspekt der zu lösenden Aufgabe dar. Ferner weiß der Fachmann aufgrund der in der Schutzschrift zitierten Quellen, dass je komplexer ein Behandlungsplan ist, desto höher das Risiko von Non-Compliance ist. Anzustreben ist demnach, einen Behandlungsplan möglichst einfach zu gestalten und die Häufigkeit der Verabreichung zu verringern.
ff. Dem Fachmann war aber vor Priorität des Streitpatentes im hier einschlägigen Gebiet bereits ein anderes, deutlich einfacheres Behandlungsschema bekannt, nämlich die Patientenanleitung für das Medikament Rebif® aus dem Jahr 2002 (Anlage WKS 5). Rebif® ist für die Verwendung in der Behandlung von Patienten mit MS bestimmt, wie sich schon aus der ersten Seite ergibt:
„Rebif® will not cure multiple sclerosis (MS) but it has been shown to decrease the number of flare-ups and slow the occurrence of some of the physical disability that is common in people with MS“ (vgl. 2. Abs., 1.S))
Auf Seite 2 unter „What is Rebif®“ wird ausdrücklich auf die Behandlung von schubförmiger MS verwiesen („It is used to treat relapsing forms of multiple sclerosis“).
Rebif® war dem Fachmann damit offensichtlich bekannt, weil er sich mit der Behandlung von MS und den Behandlungsmöglichkeiten auskennt.
Dass Rebif® durch subkutane Injektionen verabreicht wird ergibt sich aus Seite 2 unter „How should I take Rebif®“ der Anlage WKS 5, denn hier heißt es „Rebif® is given by injection under the skin (subcutaneous injection)“. Diese Injektionen sind auch mit ähnlichen Problemen verbunden, wie die von GA, denn auf Seite 1 der Anlage WKS 5 wird im letzten Punkt auf „Injection site problems“ verwiesen.
Da der Fachmann sich mit der Behandlung von MS auskennt, ist ihm auch das Behandlungsschema für Rebif® bekannt. Dieses findet er wiederum auf Seite 2 unter „How should I take Rebif®“:
„Rebif® is given by injection under the skin (subcutaneous injection) on the same three days a week (for example, Monday, Wednesday and Friday). Your injections should be at least 48 hours apart so it is best to take them the same time each day.”
Rebif® wird durch Injektion unter die Haut (subkutane Injektion) an den gleichen drei Tagen pro Woche (zum Beispiel Montag, Mittwoch und Freitag) gegeben. Ihre Injektionen sollten mindestens 48 Stunden voneinander beabstandet sein, so dass es am besten ist sie jeden Tag zur gleichen Zeit zu nehmen.
Für Rebif® wird also ein Behandlungsschema von drei subkutanen Injektionen jede Woche mit einem Abstand von mindestens 48 Stunden, also mit mindestens einem Tag dazwischen, vorgeschrieben, wie es das Verfügungspatent für GA vorsieht. Dieses Behandlungsschema ist für den Patienten deshalb einfach, weil er die erforderlichen drei Spritzen immer an den gleichen Wochentagen (und möglichst zur gleichen Uhrzeit) setzen soll. Damit kann der Patient eine Routine entwickeln und muss sich nicht daran erinnern, wann er die letzte Spritze gesetzt hat.
Der Fachmann hatte damit sogar eine konkrete Veranlassung, dieses sehr einfache Behandlungsschema auf Pinchasi, also die Verabreichung subkutaner Injektionen von 40 mg Dosen GA zu übertragen. Denn der Fachmann sieht sofort, dass das Behandlungsschema von Rebif® deutlich einfacher für einen Patienten einzuhalten ist, als jeden zweiten Tag Spritzen zu setzen. Der Fachmann erkennt auch, dass sich daraus nur ein Unterschied von einer Injektion alle 14 Tage ergibt. Dabei käme es nach der relevanten Rechtsprechung des EPA nicht einmal auf eine solche Veranlassung an. Schließlich besteht die einzige „Aufgabe“ des Streitpatentes gegenüber dem Stand der Technik darin, ein weiteres Behandlungsschema für 40 mg Dosen GA vorzuschlagen, also ein anderes Behandlungsschema als jeden zweiten Tag.
Damit kommt der Fachmann auf Basis von Pinchasi ohne weiteres, durch Übernahme eines ihm bekannten und für Patienten vorteilhaften Behandlungsschemas von Rebif® automatisch zur Lehre des Streitpatentes.
gg. Soweit man mit dem Bundesgerichtshof (GRUR 2009, 1039 – Fischbissanzeige) eine Rechtfertigung für die Wahl von Pinchasi als Ausgangspunkt der Problemlösung fordert, so ist diese darin zu sehen, dass Pinchasi das Problem bereits teilweise löst. Die berichteten Nachteile, wie leichte Tendenz zu mehr Fällen von IPIR, wird der Fachmann, wie oben erläutert, in die stets vorzunehmende Gesamtabwägung der Vorteile und Nachteile einbeziehen. Immerhin verspricht Pinchasi eine Reduzierung der Injektionshäufigkeit um die Hälfte.
hh. In Bezug zu dem Anspruch 2 gilt, dass eine vom Anspruch 1 unabhängige Gültigkeit weder im hiesigen Verfahren noch im englischen Verfahren geltend gemacht worden ist. Der einzige Unterschied zu Anspruch 1 besteht darin, dass ein Medikament mit den Merkmalen des Anspruchs 1 beansprucht wird. Das kann eine eigenständige Patentfähigkeit nicht begründen.
II.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO. Die Kammer hat die Schutzschrift bei der Entscheidung berücksichtigt. Ihre Kosten sind daher zu erstatten.
III.
Der Streitwert war gem. §§ 3 ZPO, 39 Abs. 2, 53 GKG, abweichend von der Streitwertangabe der Antragstellerin, auf 30 Mio. € zu schätzen.
Die Antragstellerin hat in der Antragsschrift zu den wirtschaftlichen Hintergründen wie folgt vorgetragen:
„Zuvor sind seit der Erstzulassung in 2001 die Umsatzzahlen von P.® in Deutschland stetig, von 20,3 Millionen Euro auf 225 Millionen Euro Gesamtumsatz in 2016, gestiegen. Ohne generischen Wettbewerb durch Nachfolgeprodukte hätte die Antragstellerin mit einem Umsatz von 247 Millionen Euro im Jahre 2017 und von 228 Millionen Euro im Jahre 2018 gerechnet. Diese Prognosen müssen wegen des Vertriebes der Verletzungsform auf etwa 245,5 Millionen Euro im Jahre 2017 (da kurz vor Ende des Wirtschaftsjahres) und auf 140 Millionen Euro im Jahre 2018 herunterkorrigiert werden. Aufgrund der vorstehenden Erwägungen und der Erfahrungen der Antragstellerin mit dem Einfluss von preisgünstigerem Wettbewerb durch Nachfolgeprodukte oder Generika auf das Preisniveau von Originalprodukten, rechnet diese nämlich mit Umsatzeinbußen in Höhe von 1,5 Millionen Euro im Jahre 2017 und 88 Millionen Euro im Jahre 2018, also allein für 2018 um etwa 48% des Umsatzes mit P.® 40mg/ml. Im den folgenden Jahren ist mit weiteren Umsatzeinbußen von etwa 12% des für 2018 ohne Wettbewerb durch Nachfolgeprodukte erwarteten Umsatzes für P.® 40mg/ml zu rechnen, sollte die Verletzungsform auf dem Markt bleiben. Denn für das Jahr 2019 rechnet A. in dem Fall mit weiteren Umsatzeinbußen von 17 Millionen Euro und für das Jahr 2020 von 5 Millionen Euro.“
Hieraus errechnen sich befürchtete Umsatzeinbuße von 111,5 Mio. € (1,5 Mio.; 88 Mio.; 17 Mio.; 5 Mio.). Auch wenn man für einstweilige Verfügungen einen verminderten Wert ansetzt und ebenfalls berücksichtigt, dass es sich um Umsatz und nicht um Deckungsbeiträge oder Gewinn handelt, übersteigt der Streitwert die 30 Mio. Grenze des § 39 Abs. 2 GKG deutlich, ohne dass es einer genaueren Berechnung bedarf.