Medizinrecht

Einstweiliger Rechtsschutz zur Versorgung mit Medizinal-Cannabis

Aktenzeichen  L 5 KR 487/20 B ER

Datum:
11.1.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 7746
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB V § 31 Abs. 6
SGG § 86b Abs. 2

 

Leitsatz

1. Der unbestimmte Rechtsbegriff der schwerwiegenden Erkrankung ist dem SGB V nicht fremd und entsprechend dem Ausnahmecharakter der Vorschrift dahingehend auszulegen, dass die Krankheit lebensbedrohlich sein muss oder aufgrund der Schwere der durch sie verursachten Gesundheitsstörungen die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt. (Rn. 25)
2. Die begründete Einschätzung des verordnenden Arztes unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes des Versicherten darf sich nicht allein auf die positiven Erfahrungen des Versicherten aus der Sebsttherapie beschränken. (Rn. 28)
3. Für eine Erstgenehmigung einer Cannabis-Behandlung ist aus systematischen Gründen eine vertragsärztliche Verordnung erforderlich. (Rn. 30)

Verfahrensgang

S 7 KR 928/20 ER 2020-10-06 Bes SGMUENCHEN SG München

Tenor

I. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 06.10.2020 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

I.
Streitig ist im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes ein Anspruch auf Kostenerstattung von Medizinal-Cannabisblüten für die Vergangenheit sowie auf künftige Versorgung mit Medizinal-Cannabisblüten von monatlich 40 Gramm der Sorte Bedrocan.
Der Antragssteller, geb. 1984, ist bei der Antragsgegnerin krankenversichert. Seit August 2020 bezieht er eine befristete Rente wegen Erwerbsminderung. Er ist schwerbehindert mit einem GdB von 50. Unter anderem leidet er an eine Arachnoidalzyste ohne neurochirurgischen Handlungsbedarf verbunden mit mentaler Leistungsminderung und körperlicher Einschränkung der Leistungsfähigkeit bei chronifiziertem Kopfschmerzsyndrom und Schwindelzuständen.
Unter dem 25.04.2017, bei der Antragsgegnerin eingegangen am 13.07.2018 bescheinigte Dr. G. aus R., der über keine Kassenzulassung verfügt, dass beim Antragsteller die Fortführung der Therapie mit cannabisbasierten Medikamenten unter legalen Bedingungen indiziert sei. Die bisherige medikamentöse Therapie sei unzureichend und/oder mit erheblichen Nebenwirkungen verbunden gewesen. Der Antragsteller habe bereits positive Erfahrungen mit der Verwendung von Cannabis zur Selbstmedikation gemacht. Daher habe er – Dr. G. – ein Rezept ausgestellt. Am 17.07.2018 erschien der Antragsteller in der Geschäftsstelle der Antragsgegnerin in M. S. und legte dort ältere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor sowie einen selbstausgefüllten Arztfragebogen zur Cannabistherapie und Privatrechnungen aus den Jahren 2017 und 2018. Unter dem 20.07.2018 forderte die Antragsgegnerin den Antragsteller zur Vorlage weiterer Dokumente auf, um den Antrag abschließend bearbeiten zu können.
Mit Bescheid vom 08.08.2018 lehnte die Antragsgegnerin die Erstattung der Kosten ab. Zur Begründung führte sie aus, dass vor der Inanspruchnahme von Cannabis eine Bewilligung der Krankenkasse erforderlich sei, diese liege jedoch nicht vor. Die Kosten für die Therapie mit cannabishaltigen Arzneimitteln könnten daher nicht erstattet werden.
Mit Schreiben vom 10.08.2018 machte die Antragsgegnerin den Antragsteller darauf aufmerksam, dass er zum 23.07.2018 bei der AOK … abgemeldet worden sei und forderte ihn auf, zur Klärung des Versicherungsverhältnisses einen beigefügten Fragebogen auszufüllen. Unter dem 17.08.2018 lehnte die Antragsgegnerin die Versorgung mit cannabishaltigen Arzneimitteln erneut ab, nunmehr aufgrund des Umstandes, dass ab dem 24.07.2018 das Versicherungsverhältnis ungeklärt sei. Auf Erinnerungen zur Klärung des Versicherungsverhältnisses reagierte der Antragsteller nicht. Nachträglich zeigte sich, dass der Antragsteller ab 22.05.2018 arbeitsunfähig erkrankt war. Da AU-Bescheinigungen erst mit zeitlicher Verzögerung eingegangen waren, hatte die Antragsgegnerin ab dem 24.07.2018 bis 26.08.2018 kein Krankengeld gezahlt und auch die Mitgliedschaft beendet. Die Mitgliedschaftslücke wurde nachträglich durch Zahlung von Krankengeld geschlossen.
Seit 01.09.2019 bezieht der Antragsteller Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Mit Schreiben vom 12.12.2019 begehrte der Antragssteller erneut die Versorgung mit Medizinal-Cannabisblüten und berief sich darauf, dass nach dem Ablauf der dreiwöchigen Frist am 03.08.2018 die Genehmigungsfiktion eingetreten sei.
Nach einer weiteren Bescheinigung von Dr. G. vom 02.01.2020 „zur Vorlage in einer familienrechtlichen Angelegenheit“ leidet der Antragssteller an chronischen Kopfschmerzen und Schwindelgefühl. Daneben bestehe ein Wirbelsäulensyndrom.
Am 21.07.2020 hat der Antragsteller Untätigkeitsklage erhoben zum Sozialgericht München und zugleich einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt, mit dem er Kostenerstattung für Medizinal-Cannabisblüten sowie die künftige Versorgung mit Medizinal-Cannabisblüten begehrt.
Der Antragssteller hat vier Privatverordnungen von Dr. G. über Medizinal-Cannabisblüten von jeweils 40 Gramm der Sorte Bedrocan vorgelegt. Auf Grundlage dieser Privatverordnungen hat der Antragssteller bereits die entsprechenden Medizinal-Cannabisblüten auf eigene Kosten zur Behandlung erhalten am 02.07., 30.07., 25.08. und 22.09.2020.
Der Antragssteller trägt vor, dass er an einer schweren und seltenen Erkrankung leide. Eine vertragsärztliche Verordnung sei nach der Vorschrift des § 31 Abs. 6 SGB V nicht erforderlich. Auch aufgrund der Genehmigungsfiktion habe er einen Anspruch auf Versorgung mit Medizinal-Cannabisblüten. Die Antragsgegnerin trägt vor, dass eine für die Versorgung mit Cannabis notwendige vertragsärztliche Verordnung nicht vorgelegt worden sei. Zudem sei fraglich, ob alle dem medizinischen Standard entsprechenden Therapiemethoden zur Behandlung des Antragsstellers ausgeschöpft worden seien. Die Genehmigungsfiktion begründe nach der aktuellen Rechtsprechung des BSG keinen eigenständigen Leistungsanspruch. Zudem bestehe keine besondere Eilbedürftigkeit. Auch könne eine Kostenerstattung für die Vergangenheit durch eine einstweilige Anordnung nicht erreicht werden, da insofern kein Anordnungsgrund bestehe.
Das Sozialgericht hat den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abgelehnt mit Beschluss vom 06.10.2020. Im Rahmen des Eilrechtsschutzes bestehe kein Anspruch auf Erstattung von Kosten, die vor dem Eilantrag entstanden seien. Zudem fehle es an einer vertragsärztlichen Verordnung. Außerdem sei nicht überwiegend wahrscheinlich, dass im Fall des Antragstellers keine anderen Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stünden. Ebenso fehlt es an einer fundierten Einschätzung des behandelnden Arztes, dass mit Hilfe von cannabishaltigen Arzneimitteln eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Auswirkung auf den Gesundheitszustand des Antragstellers besteht. Auch der Eintritt einer Genehmigungsfikion verschaffe dem Antragsteller keinen Anspruch auf Versorgung mit Cannabinoiden, da die Genehmigungsfiktion nur zu einem Anspruch auf Kostenerstattung, nicht aber auf Naturalleistung führe.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers, mit der er nunmehr vorträgt, an einem Asperger-Syndrom zu leiden und sich erneut auf eine fingierte Genehmigung der Leistung beruft. Weiter hat er eine Bescheinigung des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie N. vorgelegt, wonach der Antragsteller an einer rezidivierenden depressiven Störung leidet, gegenwärtig schwere Episode. Ohne die Medikation mit Cannabis befürchte der Antragsteller Schmerzen und infolgedessen seinen Alltag nicht mehr adäquat strukturieren zu können. Fachärztlich müsse dies aus orthopädisch-somatischer Sicht und unabhängig überprüft werden, gegenwärtig gebe es jedoch aus psychiatrischer Sicht keinen Anhalt, an der subjektiven Befindlichkeit des Patienten diesbezüglich zu zweifeln. Unter dem 03.12.2020 stellte der Allgemeinarzt S. eine Überweisung an „Psychiatrie/Psychotherapie“ aus mit dem Auftrag „event. med. Cannabistherapie“ Vorgelegt wurde zudem das für die gesetzliche Rentenversicherung erstellte Gutachten der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. L. vom 27.08.2020 und weitere Privatrezepte des Dr. G. über Cannabis, die im Laufe der Jahre 2017, 2018 und 2019 sowie am 04.01., 01.02., 31.03., 28.04., 03.06., 02. 07., 30.07., 25.08., 22.09., 22.10. und 24.11.2020 eingelöst wurden.
Der Antragssteller beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts München vom 06.10.2020 aufzuheben und die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig zu verpflichten, dem Antragssteller die Kosten für Medizinal-Cannabisblüten der Sorte Bedrocan im Umfang der vorgelegten Privatverordnungen von Dr. G. vom 30.03.2020, 28.04.2020, 02.06.2020 und 02.07.2020 zu erstatten sowie den Antragssteller bis zum Abschluss des erstinstanzlichen Hauptsacheverfahrens vorläufig bis zu einer abschließenden Entscheidung in der Hauptsache monatlich mit vierzig Gramm Medizinal-Cannabisblüten der Sorte Bedrocan bzw. Pedanios 22 zu versorgen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Antragsgegnerin stellt die Zulässigkeit des Verfahrens im einstweiligen Rechtsschutz in Frage, da in der Sache bestandskräftige ablehnende Bescheide vorliegen.
Zudem habe der Antragsteller aber auch keinen Anspruch aus einer fingierten Genehmigung, da er keinen wirksamen Antrag gestellt habe. Den Arztfragebogen habe er kurzerhand selbst ausgefüllt und keine vertragsärztliche Verordnung vorgelegt. Schließlich fehle es an einer ultima-ratio-Situation nach Erschöpfung evidenzbasierter Therapiemöglichkeiten. Eine Schmertherapie sei beim Antragsteller nicht durchgeführt worden, innerhalb von acht Jahren sei zwei Mal Novaminsulfon und vier Mal Ibuprofen verordnet worden. Nicht ausreichend seien insoweit die positiven Erfahrungen des Antragstellers im Rahmen einer Selbsttherapie.
Die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die beigezogenen Verwaltungsakten waren Gegenstand der Entscheidungsfindung. Ergänzend wird hierauf Bezug genommen.
II.
Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde (§§ 172, 173 SGG) ist nicht begründet.
1. Nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendigist. Voraussetzung hierfür ist ein Anordnungsanspruch im Sinne eines materiell-rechtlichen Anspruchs auf die Leistung, zu welcher die Antragsgegnerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet werden soll, sowie eines Anordnungsgrundes im Sinne einer besonderen Eilbedürftigkeit wegen der ein weiteres Zuwarten, insbesondere das Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache, unzumutbar ist.
2. Unter Beachtung dieser Grundsätze liegen hier die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht vor. Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ist bereits unzulässig, da die Antragsgegnerin über den hier streitgegenständlichen Anspruch des Antragstellers bereits bestandskräftig entschieden hat. Gegen die Bescheide der Antragsgegnerin hatte der Antragsteller nicht fristgerecht Widerspruch erhoben.
Zudem ist ein Anordnungsanspruch auch nicht begründet, denn es ist weder glaubhaft gemacht noch sonst ersichtlich, dass im Fall des Antragstellers die Voraussetzungen des § 31 Abs. 6 S. 1 SGB V erfüllt wären.
Gemäß § 31 Abs. 6 S. 1 SGB V haben Versicherte mit einer schwerwiegenden Erkrankung Anspruch auf Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten in standardisierter Qualität und auf Versorgung mit Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon, wenn
1. eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung
a) nicht zur Verfügung steht oder
b) im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung der behandelnden Vertragsärztin oder des behandelnden Vertragsarztes unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes der oder des Versicherten nicht zur Anwendung kommen kann, und
2. eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht.
Die Feststellungslast für das Vorliegen der Voraussetzungen trifft den Antragsteller (so auch LSG NRW, Beschluss v. 25.02.2019 – L 11 KR 240/18 B ER, Rz. 55, zitiert nach juris).
a) Der unbestimmte Rechtsbegriff der schwerwiegenden Erkrankung ist dem SGB V nicht fremd und entsprechend dem Ausnahmecharakter der Vorschrift dahingehend auszulegen, dass die Krankheit lebensbedrohlich sein muss oder aufgrund der Schwere der durch sie verursachten Gesundheitsstörungen die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt (vgl. zum Beispiel BSG, Urt. v. 06.03.2012, Az.: B 1 KR 24/10 ER, zur Übertragbarkeit der Definitionen siehe LSG NRW, aaO, Rz. 60 nach juris mit einer Übersicht zu Rspr. und Lit.).
Die behandelnden Ärzte und der Antragsteller geben mehrere Diagnosen auf neurologisch-psychiatrischem sowie orthopädischen Fachgebeit an, die mit Medizinalcannabis behandelt werden sollen. Im vorliegenden Eilverfahren ist wegen des Beschleunigungsgebotes nicht hinreichend feststellbar, ob und ggf. welche dieser Krankheitsbilder als schwerwiegend im Sinne der gesetzlichen Regelung zu werten wären. Dies kann jedoch ohne Entscheidung bleiben, denn es fehlt an den weiteren Voraussetzungen des § 31 Abs. 6 SGB V.
b) Weder hinreichend glaubhaft gemacht noch aus der medizinischen Dokumentation oder sonst ersichtlich ist, dass bezüglich der Erkrankungen des Antragstellers allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistungen nicht zur Verfügung stehen oder im Einzelfall des Antragstellers nach begründeter Einschätzung des verordnenden Arztes unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes des Antragstellers nicht zur Anwendung kommen können. An einer begründeten Einschätzung des behandelnden Arztes Dr. G. gemäß § 31 Abs. 6 S. 1 Nr. 1b SGB V fehlt es bereits deshalb, da dieser sich auf die positiven Erfahrungen des Antragstellers aus der Sebsttherapie beschränkt.
c) Weiter fehlt es einer – § 2 Abs. 1a S. 1 SGB V entsprechenden – nicht ganz entfernt liegenden Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung der Behandlung mit Cannabis auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome. Die Annahme einer spürbar positiven Einwirkung von Cannabis stützt Dr. G. allein auf die Angaben des Antragstellers. Dies entspricht nicht dem Erfordernis einer Mindestevidenz dahingehend, dass erste wissenschaftliche Erkenntnisse die Schlussfolgerung zulassen, dass bei dem konkreten Krankheitsbild durch den Einsatz von Cannabinoiden ein therapeutischer Erfolg zu erwarten ist (vgl. LSG Hessen, Beschluss vom 20.02.2018 – L 8 KR 445/17 B ER, gebilligt durch BVerfG in der Nichtannahme zur Verfassungsbeschwerde, Beschluss vom 26.06.2018 – 1 BvR 733/18). Nicht ausreichend ist daher der hier allein erfolgte Vortrag zu den positiven Erfahrungen des Antragstellers aufgrund eines schon privatärztlich verordneten erfolgten Einsatzes von Medizinalcannabis (so auch LSG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 20.12.2018 – L 5 KR 125/18, Rz. 35, zitiert nach juris).
d) Ferner ergibt sich aus den aktenkundigen medizinischen Unterlagen, dass der Antragsteller an vielschichtigen psychischen Erkrankungen leidet und bislang nicht bereit war, die indizierten Therapien in Anspruch zu nehmen. Diese stellen im Rahmen der summarischen Prüfung gewichtige Anhaltspunkte für Kontraindikationen einer Behandlung mit Cannabis dar. Es bedürfte daher einer gutachterlichen medizinischen Einschätzung der Chancen einer Cannabisbehandlung, aber auch der Risiken bei den gravierenden aktenkundigen Krankheitsbildern des Antragstellers. Diese kann nicht im Eilverfahren erfolgen, sondern muss einem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben (so auch BayLSG, Beschluss v. 07.11.2019 – L 4 KR 397/19 B ER -, Rn. 37, juris). Allerdings fehlt es vorliegend selbst an einem geeigneten Hauptsacheverfahren. Der Antragsteller hat lediglich eine Untätigkeitsklage gegen die Antragstellerin erhoben. Diese ist unzulässig gem. § 88 SGG, da keine Untätigkeit der Antragsgegnerin festzustellen ist. Vielmehr hat sie über die Anträge des Antragstellers bestandskräftig entschieden.
e) Mangels Vorliegens der gesetzlich definierten Voraussetzungen des Leistungsanspruchs ist nicht entscheidungsrelevant, dass für eine Erstgenehmigung zudem eine vertragsärztliche Verordnung aus systematischen Gründen erforderlich ist (zum Streitstand in der Rechtsprechung siehe bspw. Nolte in KassKomm, 107. EL, Dez. 2019, § 31 SGB V Rz. 75g; Bischoffs in BeckOK, 55.Ed 12/2019, § 31 SGB V Rz. 96aff).
f) Der vom Antragssteller geltend gemachte Anspruch ergibt sich nicht aus dem Eintritt der Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a SGB V. Die Antragsgegnerin hat über die Anträge des Antragstellers abschließend entschieden. Damit ist nach der Rechtsprechung des BSG, Urteil vom 26.05.2020 – B 1 KR 9/18 R, kein Raum für Kostenerstattungsansprüche nach Eintritt der Bestandskraft der Verwaltungsentscheidung. Im Rahmen des Eilrechtsschutzes sind zudem – wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat – Leistungen für zurückliegende Zeiträume vor Eingang des Eilantrages bei Gericht nicht zuzusprechen (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, § 86 b Rn. 35 a).
g) Mangels glaubhaften Anordnungsanspruchs ist das Nichtvorliegen eines Anordnungsgrundes nicht mehr entscheidungsrelevant.
Die Beschwerde ist somit vollumfänglich zurückzuweisen.
3. Die Kostentscheidung beruht auf einer analogen Anwendung von §§ 183, 193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar und beendet das Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz (§ 177 SGG).


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