Medizinrecht

Entziehung der Fahrerlaubnis aufgrund Alkoholabhängigkeit

Aktenzeichen  B 1 S 18.262

Datum:
26.4.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 35663
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FeV § 11 Abs. 7, § 13 S. 1 Nr. 1, Anlage 4 Nr. 8.3, Nr. 8.4

 

Leitsatz

Das Vorliegen einer Alkoholabhängigkeit kann sich mit hinreichender Gewissheit aus einem Bericht einer Klinik, in dem unter anderem eine Alkoholintoxikation F10.0, eine Alkoholabhängigkeit F10.2, ein Entzug F10.3 und eine schizotype Persönlichkeitsstörung F21.0 diagnostiziert wurden, ergeben. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 6.250 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die am … geborene Antragstellerin wendet sich im Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes gegen die Entziehung ihrer Fahrerlaubnis der Klassen A1, B/BE, C1/C1E, einschließlich der Unterklassen.
Am 10. Februar 2017 teilte die Fachärztin für Öffentliches Gesundheitswesen des Landratsamts … der Antragsgegnerin mit, dass die Antragstellerin in der Nacht vom 4. Januar auf den 5. Januar 2017 durch aggressives Verhalten polizeiauffällig geworden sei. Es lägen Hinweise auf Alkoholmissbrauch und somit eine Erkrankung im Sinne der Anlage 4 Nr. 8.1 FeV vor. Es könne allerdings nicht ausgeschlossen werden, dass der übermäßige Alkoholkonsum durch eine psychische Ausnahmesituation ausgelöst worden sei. Ob auch andere psychische Krankheiten bestünden, lasse sich der Sachverhaltsschilderung nicht entnehmen. Die Informationen seien nicht ausreichend, um die Eignung der Antragstellerin zum Führen eines Kraftfahrzeugs zu beurteilen. Zur Klärung werde die Einholung eines ärztlichen Gutachtens empfohlen.
Die Antragsgegnerin forderte die Antragstellerin mit Schreiben vom 21. Februar 2017 auf, wegen eines Sachverhalts am 4. und 5. Januar 2017 (aggressives Verhalten gegenüber einem Nachbarn im Alkoholzustand, Unterbringung in der Bezirksklinik …) ein psychiatrisches Gutachten einzuholen zur Frage, ob Gesundheitsstörungen vorliegen, die die Fahreignung der Antragstellerin in Frage stellen könnten.
Mit Bescheid vom 27. April 2017 entzog die Antragsgegnerin der Antragstellerin die Fahrerlaubnis der Klasse 3 (A1, B/BE, C1/C1E, einschließlich Unterklassen) und ordnete die sofortige Vollziehung an.
Mit Schreiben vom 4. Mai 2017 äußerten die Bevollmächtigten der Antragstellerin, dass in der Nacht vom 4. auf den 5. Januar 2017 zwischen der Antragstellerin und einem Hausbewohner ein Streit über eine nicht geschlossene Treppenhaustür eskaliert sei. Die Antragstellerin habe auf Grund dieser psychischen Ausnahmesituation übermäßig Alkohol konsumiert. In der Folgezeit habe sie ein klärendes Gespräch mit den Nachbarn gesucht und sei abermals verbal angegangen worden. Sie habe erneut versucht, sich mit Alkohol zu beruhigen. Ein regelmäßiger Alkoholkonsum liege nicht vor. Seit der Entlassung aus der Bezirksklinik … weise die Antragstellerin eine absolute Alkoholabstinenz auf.
Auf die am 6. Juni 2017 erhobene Klage und den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage (B 1 S 17.426) nahm die Antragsgegnerin den Bescheid vom 27. April 2017 und die Anordnung zur Vorlage eines fachärztlichen Gutachtens vom 21. Februar 2017 mit Bescheid vom 20. September 2017 auf einen Hinweis des Gerichts zur mangelnden Sachverhaltsaufklärung zurück. Es bestünden zwar immer noch Zweifel an der Eignung der Antragstellerin. Diesen sei aber im Rahmen eines neuen Verfahrens nachzugehen. Die Bevollmächtigten der Antragstellerin wurden von der Antragsgegnerin zuvor mit Schreiben vom 12. Juli 2017 darauf hingewiesen, dass weiterhin Eignungszweifel bestünden und dies aufgeklärt werden müsse. Es werde deshalb um Übersendung des Entlassungsberichts der Bezirksklinik … bzw. um Entbindung der Klinik von der Schweigepflicht gebeten. Da keine Reaktion hierauf erfolgte, wurde mit Schreiben vom 10. August 2017 abermals an die Vorlage erinnert.
Mit Schreiben vom 5. Oktober 2017 bat die Antragsgegnerin die Antragstellerin um ein persönliches Gespräch zur Abklärung der Kraftfahreignung. Es bestehe auch die Möglichkeit, dass sich die Antragsgegnerin selbst mit den behandelnden Ärzten in Verbindung setze. Hierfür wurde der Antragstellerin eine Erklärung über die Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht zur Unterschrift übersandt. Eine Äußerung ging darauf nicht ein.
Die Antragsgegnerin forderte polizeiliche Unterlagen an, die am 23. Oktober 2017 bei der Antragsgegnerin eingingen.
Aus diesen ergibt sich, dass die Antragstellerin ihre Nachbarn am 7. Oktober 2017 wegen Beleidigung anzeigte. Die Nachbarn hingegen stellten am 8. Oktober 2017 gegen die Antragstellerin wegen desselben Vorfalls Anzeige wegen Nötigung im Straßenverkehr. Die Polizei stellte fest, dass die Antragstellerin zum Tatzeitpunkt keinen Führerschein mit sich führte. Über die Ordnungswidrigkeit in Kenntnis gesetzt, gab sie zu verstehen, dass sie ihren verlorenen und mittlerweile neu beantragten Führerschein noch nicht abgeholt habe. Die Anzeige der Nachbarn wurde mangels öffentlichen Interesses durch die Staatsanwaltschaft nicht weiter verfolgt.
Mit Schreiben vom 3. November 2017 forderte die Antragsgegnerin die Antragstellerin bis zum 19. Januar 2018 auf,
„ein Gutachten eines weitergebildeten Arztes mit verkehrsmedizinischer Qualifikation der Fachrichtung Nervenheilkunde (Neurologie/Psychiatrie) vorzulegen, der jedoch nicht zugleich behandelnder Arzt sein darf.
Das Gutachten soll klären:
1. Liegt bei der Antragstellerin eine Gesundheitsstörung oder Erkrankung vor, die nach Anlage 4 zur FeV die Fahreignung in Frage stellt (Hinweise auf Ziff. 7 – psychische (geistige) Störungen).
Wenn ja: ist die Antragstellerin in der Lage, den Anforderungen zum sicheren Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 und 2 gerecht zu werden?
2. Liegt bei der Untersuchten eine ausreichende Compliance (u.a. Krankeneinsicht, regelmäßig überwachte Medikamenteneinnahme) vor und wird diese auch umgesetzt (Adhärenz)?
3. Kann durch Auflagen oder Beschränkungen (je nach vorhandener Fahrerlaubnisklassengruppe) das sichere Führen eines Kraftfahrzeugs gewährleitstet werden?
4. Sind fachlich einzelfallbegründete regelmäßige Kontrolluntersuchungen notwendig? Wenn ja, in welchem zeitlichen Abstand und wie lange? Was soll regelmäßig kontrolliert und attestiert werden? Sind die Atteste ggf. der Fahrerlaubnisbehörde vorzulegen oder reicht eine Vorlage bei einer evtl. Nachbegutachtung aus?
5. Ist eine fachlich einzelfallbegründete Nachbegutachtung notwendig? Falls ja, zu welchem Zeitpunkt?“
Grund für die Anordnung sei das aggressive Verhalten in der Nacht vom 4. auf den 5. Januar 2017. Nach der Stellungnahme der Abteilung Gesundheitswesen des Landkreises …vom 10. Februar 2017 ergäben sich Hinweise für einen Alkoholmissbrauch (Erkrankung im Sinne der Anlage 4 Nr. 8.1 FeV). Allerdings könne laut der Mitteilung nicht ausgeschlossen werden, dass der übermäßige Alkoholkonsum durch eine psychische Ausnahmesituation ausgelöst worden sei. Ob auch andere psychiatrische Erkrankungen bestünden, lasse sich vom Gesundheitsamt nicht beantworten. Aus amtsärztlicher Sicht bedürfe es der Einholung eines Gutachtens. Die Antragstellerin sei schon im Klageverfahren und letztmals mit Schreiben vom 5. Oktober 2017 darauf hingewiesen worden, eine Entbindung von der Schweigepflicht zu unterschreiben. Auch sei die Antragstellerin nicht persönlich zur Vorsprache erschienen. Die Amtsärztin habe sich zu dem Polizeibericht geäußert und sehe von ärztlicher Seite keine Veranlassung, an den getroffenen Einschätzungen zu zweifeln. Es lasse sich aus behördlicher Sicht nicht nachvollziehen, ob eine Erkrankung oder eine psychische Ausnahmesituation vorliege. Da die Antragstellerin ihrer Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen sei, bestehe nur die Möglichkeit, die Fahreignung über die Anordnung eines fachärztlichen Gutachtens zu klären. Mildere Mittel stünden nicht zur Verfügung. Die Gutachtensanforderung stütze sich auf § 46 Abs. 2 FeV i.V.m. § 11 Abs. 2 FeV. Ein Alkoholmissbrauch (Nr. 8.1. Anlage 4 zur FeV) in Form des nicht hinreichenden Trennens liege nicht vor, da kein Fahrzeug unter dem Einfluss von Alkohol geführt worden sei. Nur die Alkoholabhängigkeit schließe die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen auch ohne Verkehrsteilnahme aus. Gemäß Nr. 7 der Anlage 4 zur FeV könne je nach Krankheitsbild (psychische – geistige Störung) die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht gegeben sein. Hierzu bestehe Klärungsbedarf.
Die Antragsgegnerin forderte am 2. Januar 2018 die Strafgerichtsakte an (handschriftlicher Vermerk auf Seite 136 der Behördenakte) und nahm nach Eingang der Akte am 10. Januar 2018 polizeiliche Unterlagen, einen Bericht der Bezirksklinik … und die Ergebnisse des Strafverfahrens zur Behördenakte:
Aus den polizeilichen Unterlagen über das Geschehen am 5. Januar 2017 ist Folgendes zu entnehmen: Die Polizeibeamten seien um 1.55 Uhr gerufen worden, da die Antragstellerin ihre Nachbarin mit einem Pfefferspray angegriffen habe. Die Polizeibeamten seien von der Antragstellerin angeschrien worden, dass sie ihr nichts zu sagen hätten. Gegen 4.30 Uhr sei die Polizei erneut gerufen worden, da die Antragstellerin im Haus herumbrüllen und Türen zuschlagen würde. Die Antragstellerin sei zumindest leicht unter dem Einfluss von Alkohol gestanden. Sie sei teilweise aggressiv, dann weinerlich gewesen und habe den Eindruck gemacht, sich in einer psychischen Ausnahmesituation befunden zu haben. Aus diesem Grund sei sie in das Bezirkskrankenhaus gebracht worden.
Aus dem Bericht der Bezirksklinik … (Fachkrankenhaus für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik vom 14. März 2017 geht hervor, dass der Sohn der Antragstellerin mitgeteilt habe, dass seine Mutter regelmäßig Alkohol trinke, teilweise auch zu viel und sie dann unruhig, hysterisch und aufgebracht sei. Im Gespräch habe die Antragstellerin mitgeteilt, dass sie seit 10 bis 15 Jahren regelmäßig Alkohol zum Einschlafen konsumiere. Eine weitere Anamnese, körperliche Untersuchung oder ein Alkoholtest sei von der Antragstellerin abgelehnt worden. Aktuell bestehe keine Krankheitseinsicht, eine Eigen- oder Fremdgefährdung könne nicht sicher ausgeschlossen werden. Die Antragstellerin habe im Verlauf der Behandlung (Entlassung am 2. Februar 2017) ihre überwiegend unkritische Einstellung zu ihrer Abhängigkeitsproblematik leicht revidieren können, habe aber eine Langzeittherapie abgelehnt. Sie habe angegeben, sie werde sich von einer Selbsthilfegruppe oder einer Suchtberatungsstelle unterstützen lassen. Es bestehe bei der Antragstellerin eine fortbestehende Persönlichkeitsstörung, die ihre sozialen Kontakte zunehmend beeinträchtige. Ihre psychosozialen Verhaltensstörungen könnten sich aus dem Alleinsein heraus verstärken und wieder zu Auseinandersetzungen mit Nachbarn führen.
Der gerichtsärztliche Dienst bei dem Oberlandesgericht … teilte der Staatsanwaltschaft … mit Schreiben vom 4. August 2017 mit, dass die Antragstellerin zwei Untersuchungsterminen (zur Beantwortung der Frage der Schuldfähigkeit) ferngeblieben sei.
Mit rechtskräftigem Strafbefehl vom 9. Oktober 2017 (8 Cs 29 Js 25599/17) wurde gegenüber der Antragstellerin wegen der Tat am 5. Januar 2017 eine Geldstrafe in Höhe von 80 Tagessätzen wegen gefährlicher Körperverletzung (§ 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 2, § 21, § 49 Abs. 1 StGB) verhängt. Bei Begehung der Tat sei auf Grund der psychischen Situation ihre Fähigkeit, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln, nicht ausschließbar erheblich vermindert, nicht aber aufgehoben gewesen.
Mit Schreiben vom 23. Januar 2018 wurde die Antragstellerin erneut auf die Pflicht zur Vorlage des Gutachtens hingewiesen, wobei die Fragestellung wiederholt wurde, und abermals Frist bis zum 6. Februar 2018 gesetzt, sich zur beabsichtigten Fahrerlaubnisentziehung schriftlich oder durch Vorsprache zu äußern oder das Gutachten vorzulegen. Auf § 11 Abs. 8 Satz 2 FeV wurde hingewiesen und darauf, dass nach Fristablauf ein rechtmittelfähiger Entzugsbescheid drohe.
Mit Bescheid vom 9. Februar 2018 entzog die Antragsgegnerin die Fahrerlaubnis der Klasse 3 (A1, B/BE, C1/C1E einschließlich der Unterklassen). Der vom Landratsamt …ausgestellte Ersatzführerschein, der am 2. November 2016 als verloren gemeldet worden sei, sei von der Antragstellerin nicht abgeholt worden (Nr. 1 des Bescheids). Die sofortige Vollziehung der Nr. 1 des Bescheids wurde angeordnet (Nr. 2 des Bescheids). Die Antragstellerin habe die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Gebühr betrage 180 EUR (Nr. 3).
Mit Schreiben vom 15. März 2018, eingegangen beim Verwaltungsgericht Bayreuth am selben Tage, ließ die Antragstellerin durch ihre Bevollmächtigten Klage erheben (B 1 K 18.263 und zugleich beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zur Begründung wird ausgeführt, dass Anlass der Auseinandersetzung im Januar 2017 gewesen sei, dass der Nachbar die Zwischentür, die sich zum Hauseingang befinde, immer wieder geöffnet habe. Als die Antragstellerin darauf die Tür geschlossen habe, habe er ihr mehrfach aufgelauert und sie aggressiv zur Rede gestellt. Er habe die Antragstellerin angeschrien, weshalb eine psychische Ausnahmesituation bei der alleinstehenden Antragstellerin entstanden sei. Die Antragstellerin konsumiere nicht regelmäßig Alkohol. Es sei nicht klar, von wem die Antragsgegnerin Kenntnis von dem Vorfall erhalten habe. Die datenschutzrechtlichen Bestimmungen seien nicht eingehalten worden. Bei der Fragstellung sei die Frage nicht gestellt worden, ob es sich um eine psychische Ausnahmesituation gehandelt habe. Die Fragestellung sei so formuliert, dass die fahreignungsrelevante Gesundheitsstörung suggeriert worden sei. Die Verurteilung der Antragstellerin wegen gefährlicher Körperverletzung könne nicht herangezogen werden. Sie habe im Strafbefehlsverfahren auf Rechtsmittel verzichtet, um die Situation mit den Nachbarn nicht noch weiter zu verschlimmern. Die sofortige Vollziehung sei unverhältnismäßig, da seit dem Vorfall ein Jahr vergangen sei und die Antragstellerin in der Zwischenzeit nicht aufgefallen sei. Ein milderes Mittel wäre, dass sich die Antragstellerin regelmäßiger Drogenscreenings unterziehe.
Mit Schreiben vom 16. März 2018 beantragte die Stadt … den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung ist ausgeführt, dass die Ordnungsbehörde bei der Bezirksklinik … keine Auskünfte erhalten habe, da die Klägerin die erforderliche Einwilligung nicht erteilt habe. Der Polizeibericht sei von der Antragsgegnerin angefordert worden und am 7. September 2017 bei ihr eingegangen. Die Antragstellerin sei mehrmals aufgefordert worden, persönlich vorzusprechen, den Entlassungsbericht der Bezirksklinik vorzulegen oder die behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden. Dies sei nicht geschehen. Zwischenzeitlich sei der Antragsgegnerin das Verfahren wegen Nötigung im Straßenverkehr bekannt geworden (Anzeige der PI … vom 19. Oktober 2017). Aus der Anzeige sei ersichtlich gewesen, dass wegen des Vorfalls vom Januar 2017 ein Verfahren wegen gefährlicher Körperverletzung anhängig gewesen sei. Das Verfahren wegen der Nötigung sei eingestellt worden und zur Verfolgung an die Ordnungsbehörde abgegeben worden. In den Akten wegen der gefährlichen Körperverletzung habe sich der Entlassungsbericht der Bezirksklinik befunden. Als Diagnose sei eine schizophrene Persönlichkeitsstörung und Alkoholabhängigkeit angegeben worden. Die Führerscheinbehörde habe durch die Mitteilung des Fachbereichs Öffentliche Sicherheit und Ordnung vom 11. Januar 2017 (und die Stellungnahme der Abteilung Gesundheitswesen vom 10. Februar 2017) Kenntnis vom Sachverhalt erhalten; ein Verstoß gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen sei nicht ersichtlich, es werde auf die Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Gesundheit vom 15. September 1993 verwiesen. Die Frage, ob es sich um eine psychische Ausnahmesituation gehandelt habe, sei aufgeworfen worden. Die strafrechtliche Verurteilung der Antragstellerin sei zwar aufgeführt worden, sei aber für die vorliegende Entziehung der Fahrerlaubnis nicht relevant. Der Entlassungsbericht der Bezirksklinik spreche von einer Alkoholabhängigkeit der Antragstellerin. Zweifel an der Fahreignung seien hier durchaus begründet, dies wäre aber ggf. in einem Neuerteilungsverfahren zu werten. Die Fragestellung beziehe sich auf eine psychische Erkrankung, da der Alkoholkonsum keinen Zusammenhang zum Fahren aufgewiesen habe und zum damaligen Zeitpunkt keine Anhaltspunkte für eine Alkoholabhängigkeit vorgelegen hätten. Aus diesem Grund sei bewusst auf die Fragestellung hinsichtlich des Konsumverhaltens (Alkohol) verzichtet worden. Die Frage der Drogenabstinenz sei hier nicht zu prüfen, da die Alkoholproblematik nicht Gegenstand des Entzugsverfahrens sei. Es gehe hier um die Frage, ob eine Erkrankung nach Anlage 4 Nr. 7 FeV vorliege, die die Fahreignung in Frage stelle. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass es sich bei dem Vorfall am 5. Januar 2017 um eine Tat gehandelt habe, die in einer psychischen Ausnahmesituation begründet gewesen sei. Die angebotenen Screenings seien in einem Neuerteilungsverfahren von Interesse.
Hierauf ließ die Antragstellerin mit Schreiben vom 10. April 2018 erwidern, dass sie zu keinem Zeitpunkt etwas getan habe, das Rückschlüsse auf ihr Verhalten im Straßenverkehr zuließe. Der Vorfall habe sich im privaten Leben ereignet und entziehe sich einer Würdigung durch die Antragsgegnerin. Der Vorfall am 5. Januar 2017 stelle eine einmalige Ausnahmesituation dar und dürfe aufgrund des nichtöffentlichen Charakters von der Antragsgegnerin nicht bewertet werden. Der Alkoholkonsum habe in keinem Zusammenhang zum Fahren eines Pkws gestanden. Das Gutachten habe nicht gefordert werden dürfen. Da sich der Entziehungsbescheid auf die Nichtvorlage des Gutachtens stütze, sei dieser rechtswidrig.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die übermittelte Behördenakte Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO analog).
II.
1. Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs ganz oder teilweise wiederherstellen bzw. anordnen. Bei der Entscheidung hat das Gericht entsprechend § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO das Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse des Betroffenen an der aufschiebenden Wirkung abzuwägen. Dabei sind auch die überschaubaren Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen. Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist der vorliegende Antrag abzulehnen, da die Klage der Antragstellerin nach summarischer Überprüfung keine Aussicht auf Erfolg hat. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheides wiegt insoweit schwerer als das Interesse der Antragstellerin an der Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage.
2. Die Antragsgegnerin hat die Entziehung der Fahrerlaubnis auf die Nichtvorlage des ärztlichen Fahreignungsgutachtens gestützt, dessen Beibringung sie von der Antragstellerin zur Abklärung etwaiger Erkrankungen gemäß § 11 Abs. 2 i.V.m. Anlage 4 Nr. 7 (psychische [geistige] Störungen) Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV vom 18. Dezember 2010 (BGBl S. 1980), zuletzt geändert durch Verordnung vom 21. Dezember 2016 (BGBl S. 3083), gefordert hatte. Die Entziehung der Fahrerlaubnis aufgrund der nicht (fristgerechten) Beibringung des Gutachtens gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV setzt voraus, dass die Beibringungsanordnung den Anforderungen des § 11 Abs. 6 FeV entspricht, insbesondere anlassbezogen, hinreichend bestimmt und verhältnismäßig ist und dem Betroffenen die Gründe für die Zweifel an seiner Fahreignung in der Anordnung hinreichend erläutert werden.
Im vorliegenden Fall kann dahingestellt bleiben, ob die Untersuchungsanordnung rechtmäßig war. Hieran könnten insofern Zweifel bestehen, als zum Zeitpunkt der Anordnung Anhaltspunkte für das Vorliegen einer psychischen (geistigen) Störung noch nicht vorlagen. Der Bericht der Bezirksklinik … vom 14. März 2017 ging bei der Antragsgegnerin ausweislich des Vermerks auf Seite 136 der Behördenakte erst am 10. Januar 2018 ein. Zum Zeitpunkt der Untersuchungsanordnung bestand nach der von der Antragsgegnerin ermittelten Sachlage „nur“ der Verdacht auf das Vorliegen einer Körperverletzung unter Alkoholeinfluss und einer psychischen Ausnahmesituation. So teilte die Fachärztin für Öffentliches Gesundheitswesen mit Schreiben vom 10. Februar 2017 der Führerscheinbehörde mit, dass es Hinweise für Alkoholmissbrauch und eine Erkrankung im Sinne von Anlage 4 Nr. 8.1 FeV gebe. Es könne aus der Sachverhaltsschilderung aber kein Hinweis entnommen werden, dass auch andere psychiatrische Erkrankungen bestehen.
3. Die im Bericht der Bezirksklinik … vom 14. März 2017 diagnostizierte Alkoholabhängigkeit der Antragstellerin rechtfertigt aber die Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 11 Abs. 7 FeV auch ohne Vorlage eines ärztlichen Gutachtens. Die Frage, ob ein angefochtener Bescheid materiell rechtmäßig ist, richtet sich, sofern höherrangiges oder spezielleres Recht nichts Abweichendes vorgibt, nach dem Recht, das geeignet ist, seinen Spruch zu tragen. Erweist sich dieser aus anderen als den angegebenen Rechtsgründen als rechtmäßig, ohne dass diese anderen Rechtsgründe wesentliche Änderungen des Spruchs erfordern würden, dann ist der Verwaltungsakt (wenn – wie hier – sonst keine Rechtsfehler vorliegen) im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht rechtswidrig (BVerwG, U.v. 19.8.1988 – 8 C 29/87 – BVerwGE 80, 96; BayVGH, B.v. 23.6.2016 – 11 CS 16.907 – juris Rn. 23 ff.).
a) Alkoholabhängigkeit führt nach Anlage 4 Nr. 8.3 der Fahrerlaubnis-Verordnung zum Ausschluss der Eignung oder bedingten Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen. Wer alkoholabhängig ist, hat grundsätzlich nicht die erforderliche Fähigkeit, den Konsum von Alkohol und das Führen eines Kraftfahrzeugs im Straßenverkehr zu trennen. Hierfür kommt es nicht darauf an, ob der Betreffende bereits mit Alkohol im Straßenverkehr auffällig geworden ist (BVerwG, B.v. 21.10.2015 – 3 B 31.15 – DAR 2016, 216). Bei alkoholabhängigen Personen besteht krankheitsbedingt jederzeit die Gefahr eines Kontrollverlusts und der Teilnahme am Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss. Eine hinreichend feststehende und nicht überwundene Alkoholabhängigkeit hat damit zwangsläufig die Entziehung der Fahrerlaubnis zur Folge, ohne dass es hierfür der Abklärung durch ein Fahreignungsgutachten bedarf. Die Anordnung gemäß § 13 Satz 1 Nr. 1 FeV, ein ärztliches Gutachten beizubringen, ist nur erforderlich, wenn zwar Tatsachen die Annahme einer Alkoholabhängigkeit begründen und daher Zweifel hinsichtlich der Fahreignung vorliegen, aber nicht mit hinreichender Gewissheit feststeht, ob der Betreffende tatsächlich alkoholabhängig ist.
Im Fall der Antragstellerin ergibt sich das Vorliegen einer Alkoholabhängigkeit mit hinreichender Gewissheit aus dem Bericht der Bezirksklinik … vom 14. März 2017, in dem unter anderem eine Alkoholintoxikation F10.0, eine Alkoholabhängigkeit F10.2, ein Entzug F10.3 und der V.a. schizotyper Persönlichkeitsstörung F21.0 diagnostiziert wurden. Nach den Begutachtungsleitlinien für Kraftfahreignung (Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach, Stand 14. August 2017, Abschnitt 3.13.2) soll die sichere Diagnose „Abhängigkeit“ gemäß den diagnostischen Leitlinien nach ICD-10 nur gestellt werden, wenn irgendwann während des letzten Jahres drei oder mehr der dort genannten sechs Kriterien gleichzeitig vorhanden waren (starker Wunsch oder eine Art Zwang, psychotrope Substanzen zu konsumieren; verminderte Kontrollfähigkeit bezüglich des Beginns, der Beendigung und der Menge des Konsums; körperliches Entzugssyndrom bei Beendigung oder Reduktion des Konsums; Nachweis einer Toleranz; fortschreitende Vernachlässigung anderer Interessen zugunsten des Substanzkonsums; anhaltender Substanzkonsum trotz des Nachweises eindeutig schädlicher Folgen, die dem Betroffenen bewusst sind). Auch wenn der Bericht des Bezirksklinikums nicht näher ausführt, welche dieser Kriterien hier erfüllt waren, bestehen an der Diagnose einer Alkoholabhängigkeit keine begründeten Zweifel. Bei den bayerischen Bezirkskliniken handelt es sich um Einrichtungen, die nach Art. 48 Abs. 3 Nr. 1 der Bezirksordnung für den Freistaat Bayern unter anderem der Betreuung von Suchtkranken dienen. Attestiert eine Bezirksklinik einer Person, die sich dort längere Zeit (hier knapp einen Monat) stationär aufgehalten hat, eine Abhängigkeitssymptomatik, kommt einer solchen Diagnose ein hoher Grad an Verlässlichkeit zu. Denn eine so lange Befassung mit einem Patienten verschafft den behandelnden Ärzten ein mehr als nur oberflächliches Bild von seinen Lebensgewohnheiten und Lebenseinstellungen, seiner psychischen Verfassung und seinen nutritiven Gewohnheiten und damit von Faktoren, die für die Diagnose einer Alkoholabhängigkeit von Bedeutung sind (BayVGH, B.v. 16.11.2016 – 11 CS 16.1957 – juris Rn. 14 unter Berufung auf B.v. 27.7.2012 – 11 CS 12.1511 – juris Rn. 27 ff.; B.v. 17.12.2015 – 11 ZB 15.2200 – juris Rn. 20). Deshalb ist nach den für die Begutachtungsstellen entwickelten Beurteilungskriterien (Urteilsbildung in der Fahreignungsbegutachtung, herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für Verkehrspsychologie [DGVP] und der Deutschen Gesellschaft für Verkehrsmedizin [DGVM], 3. Auflage 2013) die Tatsache, dass eine Alkoholabhängigkeit bereits extern diagnostiziert wurde, ein Kriterium für das Vorliegen einer Alkoholabhängigkeit, insbesondere wenn die Diagnose von einer suchttherapeutischen Einrichtung gestellt oder eine Entgiftung durchgeführt wurde (BayVGH, B.v. 16.11.2016 – 11 CS 16.1957 – juris Rn. 14).
Das Angebot der Bezirksklinik … erstreckt sich auf alle Arten von Behandlungen (vom Entzug bis zur Rehabilitation) verschiedener Abhängigkeitserkrankungen (gebo-med.de/fachbereiche/psychiatrie/suchtmedizin). Dieses Fachkrankenhaus verfügt deshalb über einen hohen Grad an Spezialisierung auf Suchterkrankungen. Bei der Antragstellerin wurde auch ein Entzug durchgeführt. Die Antragstellerin wurde wegen komplizierten Rausches und Akoholabhängigkeit auf die geschlossene Kriseninterventionsstation aufgenommen. Der Entzug wurde vom 5. Januar 2017 bis zum 10. Januar 2017 medikamentös behandelt. Erst danach wurde sie auf die offene Aufnahmestation verlegt. Die Antragstellerin gab im Laufe der Behandlung selbst an, regelmäßig an den Abenden Alkohol zum Einschlafen zu konsumieren und revidierte leicht ihre Einstellung zur Abhängigkeitsproblematik und gab sogar an, eine Selbsthilfegruppe aufsuchen zu wollen. An den Feststellungen der Bezirksklinik zur Alkoholabhängigkeit bestehen daher keine Zweifel.
b) Die Antragstellerin hat die Alkoholabhängigkeit auch noch nicht überwunden. Nach Anlage 4 Nr. 8.4 der Fahrerlaubnis-Verordnung und Nr. 3.13.2 der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung ist die Fahreignung erst wieder gegeben, wenn die Abhängigkeit nach einer erfolgreichen Entwöhnungsbehandlung nicht mehr besteht und in der Regel ein Jahr Abstinenz nachgewiesen ist. Außerdem müssen der Einstellungswandel und die Verhaltensänderung als hinreichend gefestigt und stabil einzuschätzen sein (vgl. Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Auflage 2015, § 13 FeV Rn. 27). Der Nachweis, dass die Verhaltensänderung stabil gefestigt ist, ist mittels eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zu führen (§ 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. e FeV). Diesen Nachweis hat die Antragstellerin nicht geführt. Zudem hat sie laut dem Bericht der Bezirksklinik die unkritische Einstellung zu ihrer Sucht nur leicht revidiert und lehnte eine aus rein medizinischen Gründen sinnvolle und erforderliche Langzeittherapie ab.
4. Schließlich hat die Fahrerlaubnisbehörde bei der Anordnung der sofortigen Vollziehung den formalen Begründungserfordernissen des § 80 Abs. 3 VwGO in ausreichendem Umfang Rechnung getragen. Es wurde zu Recht festgestellt, dass das Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs gegenüber den Belangen der Verkehrssicherheit zurückzustehen hat. Nach der ständigen Rechtsprechung der Kammer und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs reicht es bei einer Fahrerlaubnisentziehung aus, die für den Fall typische Interessenlage aufzuzeigen; die Darlegung besonderer zusätzlicher Gründe für die Erforderlichkeit der sofortigen Vollziehung ist nicht geboten (vgl. BayVGH B.v. 10.10.2011 – 11 CS 11.1963, B.v. 11.5.2011 – 11 CS 10.68, B.v. 24.8.2010 – 11 CS 10.1139, B.v. 19.7.2010 – 11 CS 10.540, B.v. 25.5.2010 – 11 CS 10.227 und B.v. 25.3.2010 – 11 CS 09.2580; VGH BW, B.v. 24.1.2012 – 10 S 3175/11). Diesen Anforderungen werden die Ausführungen auf S. 5 des streitgegenständlichen Bescheids gerecht.
Insgesamt überwiegt auch bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen eigenständigen Interessenabwägung des Gerichts das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Fahrerlaubnisentzugs deutlich das Interesse der Antragstellerin, vorerst weiterhin Kraftfahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehr führen zu dürfen. Dies gilt vor dem Hintergrund, dass das Fahrerlaubnisrecht als Spezialmaterie des Rechts der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gerade dazu dient, Gefahren zu verhindern, die sich aus der Teilnahme ungeeigneter Personen am Straßenverkehr ergeben, grundsätzlich auch bei beruflicher oder privater Betroffenheit (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BayVGH, B.v. 16.6.2009 – 11 CS 09.373 – juris).
4. Der Antrag wird daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abgelehnt.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 53 Abs. 2 und § 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG) i.V.m. Ziffern 1.5, 46.2, 46.3 und 46.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (NVwZ-Beilage 2013, 57).


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