Medizinrecht

Entziehung der Fahrerlaubnis wegen einer Diabeteserkrankung

Aktenzeichen  M 26 S 16.2317

Datum:
24.8.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVG StVG § 2 Abs. 7, Abs. 8, § 3 Abs. 1
FeV FeV § 11 Abs. 2, Abs. 5, § 46 Abs. 1 S. 1, Abs. 3
Anlage 4 zur FeV Nr. 5.4
Anlage 4a zur FeV Nr. 1a S. 2
GG GG Art. 2 Abs. 1 S. 1
VwGO VwGO § 80 Abs. 3, Abs. 5
BayVwZVG BayVwZVG Art. 37 Abs. 4 S. 1

 

Leitsatz

Einem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen eine Zwangsgeldandrohung fehlt es am erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis, wenn die betroffene Verpflichtung erfüllt ist und nicht ersichtlich ist, dass die Behörde das Zwangsgeld entgegen Art. 37 Abs. 4 S. 1 BayVwZVG noch beitreiben wird. (redaktioneller Leitsatz)
Wer sich infolge einer Zuckerkrankheit mit Insulin behandelt, ist fahrungeeignet, solange bei ihm keine ungestörte Hypoglykämiewahrnehmung vorliegt. (redaktioneller Leitsatz)
An die Rechtmäßigkeit einer Anordnung, ein Gutachten zur Fahreignung beizubringen, sind grundsätzlich strenge Maßstäbe anzulegen. Der Gutachter ist an die Gutachtensanordnung und die dort formulierte Fragestellung gebunden. Es ist Aufgabe der Fahrerlaubnisbehörde, die Beurteilungsgrundlage und den Beurteilungsrahmen selbst klar festzulegen. (redaktioneller Leitsatz)
Eine Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung von Anfechtungsrechtsbehelfen gegen die für sofort vollziehbar erklärte Fahrerlaubnisentziehung kommt in der Regel nur dann in Betracht, wenn hinreichend gewichtige Gründe dafür sprechen, dass das vom Betroffenen ausgehende Gefahrenpotential nicht nennenswert über dem des Durchschnitts aller motorisierten Verkehrsteilnehmer liegt (Anschluss VGH München BeckRS 2008, 27773).  (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Der Streitwert wird auf 8.750 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen A, A1, A2, AM, B, BE, C, C1, C1E, CE und L.
Am … Dezember 2010 teilte der Antragsteller der Antragsgegnerin im Rahmen eines Verlängerungsantrags für seine (damaligen) Fahrerlaubnisklassen der Gruppe 2 mit, an behandlungsbedürftigem Diabetes erkrankt zu sein. Ein zweites, an ein Vorgutachten vom … März 2011 anknüpfendes ärztliches Gutachten des A… vom … September 2011 zur Beurteilung der Fahreignung des Antragstellers kam u. a. zum Ergebnis, dass beim Antragsteller ein behandlungsbedürftiger Diabetes mellitus Typ II vorliege. Aufgrund der (damaligen) Therapie in Tablettenform sei eine ausgeglichene Stoffwechsellage ohne Gefahr von Hyperglykämien, jedoch weiterhin von Hypoglykämien gegeben. Letztere könnten aber durch die bestehende regelmäßige Stoffwechselselbstkontrolle, die gute Selbstbeobachtung und die umfängliche Orientierung des Antragstellers erfolgreich behandelt werden, weshalb der Antragsteller in der Lage sei, den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 und Gruppe 2 gerecht zu werden. Eine Nachuntersuchung sei laut den Begutachtungsleitlinien bei der bestehenden Therapie bzgl. des Führens der Gruppe 2 im Abstand von höchstens drei Jahren erforderlich.
Mit Schreiben vom … Juli 2015 forderte die Antragsgegnerin den Antragsteller auf, bzgl. seiner Fahreignung ein fachärztliches Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle vorzulegen. Die Antragsgegnerin begründete ihre Aufforderung mit dem im Gutachten vom … September 2011 formulierten Erfordernis einer Nachuntersuchung. Laut den ab 1. Mai 2014 gültigen Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung der Bundesanstalt für Straßenwesen (Hrsg.: Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Heft M 115) würden bei Diabetes die Voraussetzungen für das Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppen 1 und 2 maßgeblich vom erfolgreichen Behandlungsverlauf bzw. dem Therapieregime abhängen.
Das daraufhin von der B. erstellte Gutachten vom … Oktober 2015 beantwortete die im Schreiben vom … Juli 2015 seitens der Antragsgegnerin formulierten Fragen wie folgt:
Ist die bestehende Diabetes-Erkrankung weiterhin behandlungsbedürftig und wenn ja, um welche Behandlungsmethode handelt es sich?
Die bestehende Diabetes-Erkrankung ist behandlungsbedürftig und wird seit kurzem mit Insulin behandelt.
1. Besteht eine ausgeglichene Stoffwechsellage ohne die Gefahr von Hyperglykämien oder Hypoglykämien? Werden in ausreichendem Umfang Selbstkontrollen vorgenommen?
Es besteht noch keine ausgeglichene Stoffwechsellage. Die Therapieumstellung erfolgte erst vor wenigen Wochen. Die Gefahr von Hyper- oder Hypoglykämien kann noch nicht ausreichend stabil eingeschätzt werden. Es werden noch nicht in ausreichendem Umfang Selbstkontrollmessungen vorgenommen.
2. Sind krankheitsbedingte Komplikationen, wie Retinopathia diabetica (evtl. gesondertes Augenarztgutachten), Nephropathia diabetica, kardiale und cerebrale Angiopathien, periphere Neuropathie aufgetreten oder zu erwarten?
Es sind bereits krankheitsbedingte Komplikationen, wie Retinopathia diabetica und eine periphere Neuropathie aufgetreten.
3. Können evtl. Hypoglykämien bemerkt und erfolgreich behandelt werden?
Evtl. Hypoglykämien können bemerkt und erfolgreich behandelt werden.
4. Ist die zu begutachtende Person mit sämtlichen Vorsorgemaßnahmen, die ein autofahrender Diabetiker beachten muss, vertraut? Sind insbesondere die besonderen Risiken einer Unterzuckerung im Straßenverkehr bekannt?
[Der Antragsteller] ist mit sämtlichen Vorsorgemaßnahmen, die ein autofahrender Diabetiker beachten muss, vertraut. Es sind insbesondere die besonderen Risiken einer Unterzuckerung im Straßenverkehr bekannt.
5. Ist die zu begutachtende Person weiterhin in der Lage den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 und 2 gerecht zu werden?
[Der Antragsteller] ist noch nicht in der Lage, den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 und 2 gerecht zu werden.
6. Sind Nachuntersuchungen bzw. ist eine Nachuntersuchung erforderlich? Wenn ja, aus welchen Gründen und in welchen zeitlichen Abständen?
Nachuntersuchungen sind nicht erforderlich.
Im Gutachten wird außerdem erläutert, dass der Antragsteller im zur Überprüfung der verkehrbedeutsamen Leistungsfunktionen eingesetzten Leistungstest keine ausreichenden Ergebnisse für Gruppe 2 erzielt habe. Leistungsmängel hätten sich in den Bereichen der Belastbarkeit (erreichter Prozentrang a… bei gefordertem Mindestrang von 33) und der Konzentrations- und Aufmerksamkeitsleistung (erreichter Prozentrang b…) gezeigt. Auch weist das Gutachten außerhalb der Fragestellung auf einen möglichen Alkoholmissbrauch seitens des Antragstellers hin. Dieser habe im Rahmen der Gutachtenerstellung angegeben, „täglich zwei bis drei Biere pro Tag zu trinken; einmal in der Woche werde zudem die maximale Trinkmenge von acht Halben erreicht“. In weiteren, im Rahmen der Gutachtenserstellung mit herangezogenen Befunden von behandelnden Ärzten ist u. a. von „chronischem Alkoholabusus“ (Dr. A… vom …03.2015) und „sechs Bier am Abend“ (Dr. B. vom …10.2015) die Rede.
Mit Schreiben vom … November 2015 wurde der Antragsteller durch die Antragsgegnerin zum beabsichtigten Entzug der Fahrerlaubnis angehört. Die vom Antragsteller zwischenzeitlich bevollmächtigte Geschäftsstelle … der Gewerkschaft … äußerte daraufhin mit Schreiben vom … November 2015 Zweifel an der Schlüssigkeit und Verwertbarkeit des Gutachtens und regte die Einholung eines weiteren Gutachtens an.
Mit dem Antragsteller am … Mai 2016 zugestellten Bescheid vom 3. Mai 2016 entzog die Antragsgegnerin dem Antragsteller die Fahrerlaubnis aller Klassen (Nr. 1 des Bescheids) und gab ihm auf, unverzüglich, spätestens innerhalb einer Woche ab Zustellung des Bescheids, den Führerschein bzw. alternativ eine eidesstattliche Erklärung über den Verbleib des Führerscheins abzugeben (Nr. 2). Für den Fall der nicht fristgerechten Abgabe des Führerscheins bzw. der Erklärung wurde dem Antragsteller ein Zwangsgeld in Höhe von a… Euro angedroht (Nr. 3). Die sofortige Vollziehung der Nrn. 1 und 2 des Bescheides wurde angeordnet (Nr. 4). Für den Bescheid wurden eine Gebühr von b… Euro und Auslagen in Höhe von c… Euro erhoben (Nrn. 5 und 6).
Die Antragsgegnerin begründete den von ihr verfügten Fahrerlaubnisentzug mit dem negativen Ergebnis des ärztlichen Gutachtens vom … Oktober 2015. Die unter Nr. 5 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnisverordnung – FeV – aufgestellten Anforderungen für das Führen eines Kraftfahrzeuges trotz Diabeteserkrankung erfülle der Antragsteller nicht; daher sei gemäß § 46 Abs. 1 FeV die Fahrerlaubnis zu entziehen gewesen. Die Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins ergebe sich aus § 3 Abs. 2 StVG – Straßenverkehrsgesetz -, § 47 Abs. 1 FeV; die Androhung des Zwangsgeldes aus Art. 29, 30, 31 und 36 des Bayerischen Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes – VwZVG -. Die Kostenerhebung folge der einschlägigen Gebührenordnung der Antragsgegnerin. Die Anordnung des Sofortvollzugs der Nrn. 1 und 2 wurde mit einer Abwägung aller betroffenen Interessen begründet; demnach sei das besondere öffentliche Interesse am Schutz der Allgemeinheit vor ungeeigneten Kraftfahrzeugführern vorrangig gegenüber dem persönlichen Interesse, bis zu einer gerichtlichen Entscheidung keine Vollzugsmaßnahmen durchzuführen. Bereits ernsthafte Zweifel an der Fahreignung würden eine solche sofortige Vollziehung rechtfertigen; das sei, wie das Gutachten vom … Oktober 2015 zeige, vorliegend der Fall.
Der Antragsteller gab seinen Führerschein am … Mai 2016 bei der Polizeiinspektion … ab.
Am … Mai 2016 erhoben die Bevollmächtigten des Antragstellers bei der Antragsgegnerin Widerspruch gegen den Bescheid vom 3. Mai 2016 und beantragten am selben Tag mit Schriftsatz vom … Mai 2016 beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
1. die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 3. Mai 2016 mit dem Aktenzeichen … wiederherzustellen und
2. dem Antragsteller den Führerschein mit der Nummer … wieder auszuhändigen.
Hilfsweise, der Antragstellerin aufzuerlegen, dem Antragsteller eine Fahrerlaubnis für die Klassen A, A1, B, BE, M, L und T zu erteilen.
Nach Ansicht der Bevollmächtigten des Antragstellers hätten die Voraussetzungen für den Entzug der Fahrerlaubnis nicht vorgelegen. Das Gutachten datiere vom … Oktober 2015 und sei daher nicht mehr aktuell; der Antragsteller habe sich mittlerweile in der Fachklinik … medizinisch einstellen lassen. Zudem seien bei der Erstellung und der vorgenommenen Bewertung im Gutachten eklatante Fehler aufgetreten. So habe das Gerät zur Überprüfung der Konzentrations- und Aufmerksamkeitsleistung aufgrund eines technischen Defekts bei der Begutachtung nicht funktioniert. Dies habe der Antragsteller während der Begutachtung bereits moniert und später auch der Antragsgegnerin mitgeteilt. Jedenfalls hätte man dem Antragsteller auf Basis des Gutachtens die Fahrerlaubnis für die Klassen der Gruppe 1 belassen und aufgrund der mitgeteilten Fehler die Möglichkeit der neuerlichen Begutachtung einräumen müssen. Der Antragsteller sei auf die Fahrerlaubnis beruflich angewiesen. Insoweit sei auch die Begründung der sofortigen Vollziehbarkeit mangelhaft, weil sie sich auf formelhafte Formulierungen beschränke.
Mit Schriftsatz vom 9. August 2016 übersandte die Antragsgegnerin die Behördenakten und beantragte,
den Antrag abzulehnen.
Der angeordnete Sofortvollzug sei in formeller Hinsicht ausreichend begründet und materiell rechtmäßig. Das Gutachten vom … Oktober 2015 rechtfertige den ausgesprochenen Fahrerlaubnisentzug. Dem Vortrag, der Antragsteller habe sich medizinisch neu einstellen lassen, sei mittlerweile durch die Anordnung einer neuen Begutachtung im Rahmen des Widerspruchverfahrens Rechnung getragen worden.
Eine Entscheidung der Widerspruchsbehörde ist bisher noch nicht ergangen.
Wegen des weiteren Sachverhalts und zum Vorbringen der Beteiligten im Einzelnen wird auf die Gerichts- und die von der Antragsgegnerin vorgelegte Behördenakte ergänzend Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist teilweise bereits unzulässig und im Übrigen unbegründet.
1. Soweit die Bevollmächtigten das Antragstellers beantragen, diesem den übersandten Führerschein wiederauszuhändigen, ist das als Antrag gemäß § 80 Abs. 5 Satz 3 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – auf (ergänzende) Anordnung der Aufhebung der Vollziehung auszulegen (§ 88 VwGO).
Soweit hilfsweise beantragt wird, der Antragsgegnerin aufzuerlegen, dem Antragsteller eine Fahrerlaubnis für die Klassen A, A1, B, BE, M, L und T zu erteilen, ist dies letztendlich als bereits im Antrag gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO enthaltener Antrag(steil) auszulegen. Denn im Rahmen der Widerspruchsentscheidung könnte die Widerspruchsbehörde dem Widerspruch auch teilweise stattgeben, indem sie die Entziehung der Fahrerlaubnis hinsichtlich der Gruppe 1 aufhebt. Dazu korrespondierend könnte das erkennende Gericht dem Antrag gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO teilweise stattgeben und insoweit die aufschiebende Wirkung anordnen bzw. wiederherstellen. Damit wäre das Rechtschutzziel dieses Hilfsantrags schon über den unter Nr. 1 erhobenen (Haupt-)Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO erreicht. Ein weiterer, separater Antrag gemäß § 123 VwGO wäre daher unzulässig, so dass der Hilfsantrag auch nicht dahingehend zu verstehen, sondern stattdessen sachdienlich als immanenter Teil („Minus“) des Hauptantrags auszulegen ist (§§ 86 Abs. 3, 88 VwGO).
2. Der Antrag ist bereits unzulässig, soweit darin die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Zwangsgeldandrohung in Nr. 3 des Bescheids vom 3. Mai 2016 begehrt wird. Denn der Antragsteller hat seinen Führerschein am … Mai 2016 abgegeben. Damit hat er die Verpflichtung aus Nr. 2 des Bescheids erfüllt. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass die Fahrerlaubnisbehörde das in Nr. 3 des Bescheids angedrohte Zwangsgeld entgegen der Vorschrift des Art. 37 Abs. 4 Satz 1 VwZVG gleichwohl noch beitreiben wird, weshalb es dem Antrag insoweit am erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis fehlt (BayVGH, B. v. 12.02.2014 – 11 CS 13.2281 – juris). Nicht erledigt hingegen hat sich die Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins selbst (Nr. 2 des Bescheids), denn sie stellt den Rechtsgrund für das vorläufige Behaltendürfen dieses Dokuments für die Fahrerlaubnisbehörde dar.
3. Der so zu verstehende Antrag ist insgesamt, d. h. sowohl bzgl. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO (inkl. dem darin enthaltenden Hilfsantrag) und dem folgend auch im Annexantrag gemäß § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO zulässig, aber unbegründet. Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1 bis 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen, im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen. Das Gericht trifft dabei eine originäre Ermessensentscheidung. Es hat bei seiner Entscheidung über die Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung abzuwägen zwischen dem von der Behörde geltend gemachten Interesse an der sofortigen Vollziehung ihres Bescheids und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Bei dieser Abwägung sind auch die Erfolgsaussichten der Hauptsache zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO allein mögliche, aber auch ausreichende summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf offensichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig, besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens dagegen nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer Interessenabwägung.
Unter Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall ergibt die hier vorzunehmende und auch ausreichende summarische Prüfung, dass der Bescheid vom 3. Mai 2016 rechtmäßig ist, der Antragsteller somit nicht in seinen Rechten verletzt und der deshalb hiergegen erhobene Widerspruch – sowohl nach Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Bescheidserlasses, als auch nach derzeitigem Sach- und Rechtsstand (Zeitpunkt der Beschlussfassung des Gerichts) – voraussichtlich ohne Erfolg bleiben wird (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO analog). In einem solchen Fall verbleibt es bei der vom Antragsgegner ausgesprochenen sofortigen Vollziehbarkeit des Bescheids.
3.1 Die Fahrerlaubnisbehörde hat das besondere öffentliche Interesse am Sofortvollzug der Nrn. 1 und 2 des Bescheids vom 3. Mai 2016 den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO entsprechend begründet (vgl. zu den – nicht zu hoch anzusetzenden – Anforderungen im Einzelnen Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 80 Rn. 43). Die Behörde hat einzelfallsbezogen und schlüssig dargelegt, warum sie das öffentliche Interesse an der Verkehrssicherheit höher gewichtet als das private Interesse des Antragstellers am vorläufigen Weiterbestehen der Fahrerlaubnis. Sie hat unter Bezugnahme auf das vorgelegte ärztliche Gutachten abgewogen und erörtert, dass vom Antragsteller durch krankheitsbedingt nicht auszuschließende Bewusstseinsstörungen erhebliche Gefahren für Leben, Gesundheit und Eigentum der übrigen Verkehrsteilnehmer ausgehen. Die Begründung der Sofortvollzugsanordnung genügt damit den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO; inhaltlich nimmt das Gericht ohnehin eine eigene Interessenabwägung vor, anstatt sich darauf zu beschränken, die behördliche nachzuprüfen.
3.2 Auch in materiell-rechtlicher Hinsicht ist der Bescheid vom 3. Mai 2016 rechtmäßig; der dagegen eingelegte Widerspruch hat voraussichtlich keine Aussicht auf Erfolg.
3.2.1 Die in Nr. 1 des Bescheids vom 3. Mai 2016 ausgesprochene Entziehung der Fahrerlaubnis ist nach derzeitiger Sach- und Rechtslage rechtmäßig. Der Antragsteller ist im Umkehrschluss zu Nr. 5.4 der Anlage 4 zur FeV (derzeit) fahrungeeignet, weil bei ihm laut Gutachten vom … Oktober 2015 noch keine ungestörte Hypoglykämiewahrnehmung vorliegt.
Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes – StVG -, § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich jemand als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Die Fahrungeeignetheit des Betroffenen muss insoweit nachgewiesen sein. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken gegen die Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeugs begründen, hat die Fahrerlaubnisbehörde unter den in den §§ 11 bis 14 FeV genannten Voraussetzungen weitere Aufklärung, insbesondere durch die Anordnung der Vorlage ärztlicher oder medizinisch-psychologischer Gutachten, zu betreiben (§ 3 Abs. 1 Satz 3, § 2 Abs. 7 und 8 StVG, § 46 Abs. 3 i. V. m. §§ 11 ff. FeV).
An die Rechtmäßigkeit der Gutachtensanordnung sind dabei grundsätzlich strenge Maßstäbe anzulegen, weil der Antragsteller sie mangels Verwaltungsaktqualität nicht direkt anfechten kann. Er trägt das Risiko, dass ihm gegebenenfalls die Fahrerlaubnis bei einer Weigerung deswegen entzogen wird. Der Gutachter ist an die Gutachtensanordnung und die dort formulierte Fragestellung gebunden (§ 11 Abs. 5 i. V. m. Nr. 1 Buchst. a Satz 2 der Anlage 4a zur FeV). Es ist gemäß § 11 Abs. 6 FeV Aufgabe der Fahrerlaubnisbehörde, die Beurteilungsgrundlage und den Beurteilungsrahmen selbst klar festzulegen.
Diesen Vorgaben wurde die Antragsgegnerin vorliegend gerecht. Die Anordnung vom … Juli 2015 zur Beibringung eines Gutachtens, um die Fahreignung des Antragsstellers angesichts seiner Zuckerkrankheit (erneut) zu klären, war formell und materiell rechtmäßig. Das A…Gutachten vom … September 2011 sprach sich aufgrund der Erkrankung des Antragstellers zu einer Nachuntersuchung innerhalb von 3 Jahren aus. Dem kam die Antragsgegnerin – wenn auch erst nach rund 4 Jahren – nach. Die in der Beibringungsanordnung formulierten Fragestellungen sind schlüssig und legen Beurteilungsgrundlage und -rahmen für den Gutachter eindeutig fest. Die Antragsgegnerin frägt letztendlich stufenweise alle Unternummern der Nr. 5 der Anlage 4 zur FeV ab, um die Fahrgeeignetheit des Antragstellers angesichts seiner Krankheit konkret und eindeutig bestimmen zu können.
Das Gutachten selbst ist ebenfalls verwertbar, es erörtert nachvollziehbar und in sich schlüssig die Krankheitssymptome und zieht daraus folgerichtig den Schluss, dass eine Fahreignung sowohl für die Gruppe 1 und 2 nicht gegeben ist. Die (derzeitige) Fahrungeeignetheit ergibt sich schon aus den Befunden der körperlichen Untersuchung und den allgemeinen wie speziellen Anamnesen. Demnach besteht aufgrund der erst kürzlich erfolgten Umstellung noch keine ausgeglichene Stoffwechsellage, d. h. die Gefahr von Hyper- oder Hypoglykämie kann noch nicht ausreichend stabil eingeschätzt werden (Antwort zur Frage Nr. 1). Eine ungestörte Hypoglykämiewahrnehmung, wie sie Nr. 5.4 der Anlage 4 zur FeV für die Fahreignung voraussetzt, ist nicht gegeben.
Auf die Ergebnisse des zugleich durchgeführten Fahreignungstests bzw. der Leistungstests, bei denen der Antragsteller eine Funktionsstörung des verwendeten Programms moniert, kommt es somit gar nicht mehr an, diese sind vorliegend nicht entscheidungsrelevant.
3.2.2 Die in Nr. 2 des Bescheids vom 3. Mai 2016 enthaltene Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins ist – wie von der Antragsgegnerin zutreffend im Bescheid erläutert – vor diesem Hintergrund ebenfalls rechtmäßig. Auch die Kostenerhebung in den Nrn. 5 und 6 des Bescheids begegnet keinen Bedenken.
3.3 Nach alledem wird der Widerspruch nach derzeitiger Sach- und Rechtslage voraussichtlich keinen Erfolg haben. Möglicherweise ergibt das von den Beteiligten mittlerweile laut Auskunft der Antragsgegnerin initiierte weitere Gutachten ein für den Antragsteller positives Ergebnis v.a. bzgl. der Hypoglykämiewahrnehmung, den krankheitsbedingten Komplikationen und der Stoffwechsellage. Laut seinen Bevollmächtigten hat sich der Antragsteller insofern vor kurzem in der Fachklinik … medizinisch einstellen lassen. Solange eine solche Verbesserung der gesundheitlichen Konstitution aber noch nicht fundiert gutachterlich belegt wurde, muss das Gericht weiterhin von den Feststellungen im Gutachten vom … Oktober 2015 ausgehen.
Damit überwiegt das öffentliche Interesse am Vollzug des verfahrensgegenständlichen Bescheids vom 3. Mai 2016. Gründe, die ausnahmsweise trotz der mangelnden Erfolgsaussichten der Hauptsache für eine Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung sprechen würden, sind nicht ersichtlich. Auch dass der Antragsteller beruflich auf seinen Führerschein angewiesen ist, vermag keine Aussetzung der Vollziehung zu rechtfertigen. Das Interesse der Allgemeinheit an der Sicherheit des Straßenverkehrs und der aus Art. 2 Abs. 1 Satz 1 GG ableitbare Auftrag des Staates zum Schutz vor erheblichen Gefahren für Leib und Leben gebieten es jedenfalls, hohe Anforderungen an die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr zu stellen (BVerwG, B. v. 20.06.2002 – 1 BvR 2062/96 – juris). Eine Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung von Anfechtungsrechtsbehelfen gegen die für sofort vollziehbar erklärte Fahrerlaubnisentziehung kommt deshalb i.d.R. nur dann in Betracht, wenn hinreichend gewichtige Gründe dafür sprechen, dass das von den Betroffenen ausgehende Gefahrenpotential nicht nennenswert über dem des Durchschnitts aller motorisierten Verkehrsteilnehmer liegt (BayVGH, B. v. 01.04.2008 -11 CS 07.221 – juris). Gerade das ist beim Antragsteller aber aufgrund seines Krankheitsbildes derzeit nicht der Fall. Hinzu kommt, dass auch noch Verdachtsmomente auf einen Alkoholmissbrauch (im medizinischen Sinn) vorliegen. Gerade bei einem …fahrer sprechen auch diese – jedenfalls im Rahmen einer ergänzenden Interessenabwägung – gegen den Schluss, dass vom Antragsteller trotz festgestellter Nichteignung ausnahmsweise kein erhöhtes Gefahrenpotential ausgeht.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
5. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz – GKG – i. V. m. den Empfehlungen des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.


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