Medizinrecht

Entziehung der FE, Alkoholabhängigkeit, Vorgelegtes Gutachten, Verletzung der Mitwirkungspflicht

Aktenzeichen  M 26a K 19.5701

Datum:
18.8.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 43250
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVG § 3
FeV § 46 Abs. 1 Satz1
FeV § 11 Abs. 8
FeV Nr. 8.3 der Anlage 4 zur

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen. 
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der streitgegenständliche Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Bei sachgerechter Auslegung beantragt der Kläger die Aufhebung der Nrn. 1 und 2 des Bescheids vom 15. Oktober 2019. Einem Antrag auf Aufhebung der Nr. 3 des angefochtenen Bescheids (Zwangsgeldandrohung für den Fall der nicht fristgerechten Ablieferung des Führerscheins) würde entgegenstehen, dass der Führerschein bereits abgegeben wurde und sich die Zwangsmittelandrohung damit erledigt hat.
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist vorliegend derjenige der Zustellung der letzten Verwaltungsentscheidung, also der 17. Oktober 2019.
1. Die Entziehung der Fahrerlaubnis in Nummer 1 des Bescheids ist rechtmäßig.
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV), hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 46 Abs. 3 FeV).
Bedenken gegen die körperliche und geistige Fahreignung bestehen nach § 11 Abs. 2 Satz 2 FeV insbesondere, wenn Tatsachen bekannt werden, die auf eine Erkrankung oder einen Mangel nach Anlage 4 oder 5 zur FeV hinweisen. Alkoholabhängigkeit führt nach Nr. 8.3 der Anlage 4 zur FeV zum Ausschluss der Eignung oder bedingten Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen. Wer alkoholabhängig ist, hat grundsätzlich nicht die erforderliche Fähigkeit, den Konsum von Alkohol und das Führen eines Kraftfahrzeugs im Straßenverkehr zu trennen. Hierfür kommt es nicht darauf an, ob der Betreffende bereits mit Alkohol im Straßenverkehr auffällig geworden ist (vgl. BVerwG, B.v. 21.10.2015 – 3 B 31.15 – DAR 2016, 216 = juris Rn. 5; BayVGH, B.v. 10.10.2019 – 11 CS 19.1451 – DAR 2020, 56 = juris Rn. 11 m.w.N.). Bei alkoholabhängigen Personen besteht krankheitsbedingt jederzeit die Gefahr eines Kontrollverlusts und der Teilnahme am Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss. Eine hinreichend feststehende und nicht überwundene Alkoholabhängigkeit hat damit zwingend die Entziehung der Fahrerlaubnis zur Folge, ohne dass es hierfür weiterer Abklärung bedarf. Nach Nr. 8.4 der Anlage 4 zur FeV besteht nach einer Entwöhnungsbehandlung Kraftfahreignung dann wieder, wenn die Abhängigkeit nicht mehr besteht und in der Regel ein Jahr Abstinenz nachgewiesen ist (BayVGH, B.v. 19.7.2019 – 11 ZB 19.977 – juris Rn. 11). Begründen Tatsachen die Annahme von Alkoholabhängigkeit, ist die Fahrerlaubnisbehörde gemäß § 13 Satz 1 Nr. 1 FeV verpflichtet, die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens anzuordnen, ohne dass ihr insoweit ein Ermessensspielraum zustünde (BayVGH, B.v. 11.9.2018 – 11 CS 18.1708 – juris Rn. 11).
Nach den Begutachtungsleitlinien für Kraftfahreignung (Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach, 3. Aufl. Abschnitt 3.13.2) soll die sichere Diagnose „Abhängigkeit“ gemäß den diagnostischen Leitlinien nach ICD-10 nur gestellt werden, wenn irgendwann während des letzten Jahres drei oder mehr der dort genannten sechs Kriterien gleichzeitig vorhanden waren (1. starker Wunsch oder eine Art Zwang, psychotrope Substanzen zu konsumieren; 2. verminderte Kontrollfähigkeit bezüglich des Beginns, der Beendigung und der Menge des Konsums; 3. körperliches Entzugssyndrom bei Beendigung oder Reduktion des Konsums; 4. Nachweis einer Toleranz; 5. fortschreitende Vernachlässigung anderer Interessen zugunsten des Substanzkonsums; 6. anhaltender Substanzkonsum trotz des Nachweises eindeutig schädlicher Folgen, die dem Betroffenen bewusst sind).
1.1 Die Alkoholabhängigkeit des Klägers steht fest aufgrund des Gutachtens des TÜV SÜD vom 10. September 2019. Dieses kommt zu dem Ergebnis, dass eine Alkoholabhängigkeit des Klägers besteht. Laut Gutachten erfüllt der Kläger mehrere Kriterien für eine Alkoholabhängigkeit. Er verfüge nicht über eine ausreichende Fähigkeit, die von ihm konsumierten Trinkmenge nach Trinkbeginn noch zuverlässig zu steuern. Er habe nach eigenen Angaben in der Vergangenheit zwar versucht, seinen unkontrollierten Alkoholkonsum zu beenden, dies sei jedoch nicht dauerhaft gelungen. Bei ihm sei es bereits zu einer ungewöhnlich ausgeprägten Toleranzentwicklung gekommen. Trotz eindeutiger und ihm selbst bekannter schädlicher Folgen des vermehrten Alkoholkonsums sei der Kläger nicht in der Lage, seinen Konsum einzustellen oder wenigstens angemessen zu reduzieren. Damit wird zutreffend auf die oben genannten Kriterien abgestellt, wobei diese zum Teil sprachlich etwas abweichend gefasst werden, ohne dass inhaltlich von diesen Kriterien abgewichen würde. Der Kläger erfüllt also laut Gutachten die Kriterien 1, 2, 4 und 6 der Alkoholabhängigkeit.
Für das Gutachten (und seine Schlüssigkeit und Nachvollziehbarkeit) gelten die Grundsätze, die sich aus der Anlage 4a zur FeV ergeben. Danach muss die Untersuchung vor allem unter Berücksichtigung anerkannter wissenschaftlicher Grundsätze durchgeführt worden sein; das Gutachten muss allgemein verständlich, nachvollziehbar und nachprüfbar sein. Die Nachvollziehbarkeit betrifft die logische Ordnung (Schlüssigkeit) des Gutachtens. Sie erfordert die Wiedergabe aller wesentlichen Befunde und die Darstellung der zur Beurteilung führenden Schlussfolgerungen. Die Nachprüfbarkeit betrifft die Wissenschaftlichkeit der Begutachtung. Sie erfordert, dass die Untersuchungsverfahren, die zu den Befunden geführt haben, angegeben und, soweit die Schlussfolgerungen auf Forschungsergebnisse gestützt sind, die Quellen genannt werden. Das Gutachten muss die Fragestellungen erschöpfend beantworten. Es muss unterschieden werden zwischen der Vorgeschichte und dem gegenwärtigen Befund.
Gemessen an diesen Grundsätzen ist das Gutachten trotz seiner Defizite taugliche Grundlage für die behördliche Entscheidung. Es geht von zutreffenden tatsächlichen und fachlichen Voraussetzungen aus. Aufgrund der widersprüchlichen Angaben der maximalen Trinkmenge von fünf bzw. acht Halben Bier bei einer Gelegenheit (Seiten 5 und 8 des Gutachtens) ist die maximale Trinkmenge zwar insoweit nicht nachvollziehbar. Das Gesamtergebnis des Gutachtens wird jedoch dadurch nicht infrage gestellt. Das Gutachten kommt nachvollziehbar und schlüssig insbesondere aufgrund der Angaben des Klägers im ärztlichen Untersuchungsgespräch zu der Einschätzung, dass der Kläger sich bislang nicht offen und selbstkritisch mit seinem Alkoholkonsum auseinandergesetzt hat, sondern ihn bagatellisiert, was für Abhängigkeit typisch ist. Der geschilderte unauffällige körperliche Befund und der unauffällige Laborbefund sprechen nach den nachvollziehbaren Ausführungen im Gutachten dabei nicht gegen einen Abhängigkeitsbefund. Schließlich werden auch überzeugend die Untersuchungsbefunde in der Bewertung den einzelnen Kriterien subsumiert. Insbesondere überzeugt die Feststellung einer ausgeprägten Toleranzentwicklung, die aus dem bei der Einlieferung ins IAK am 24. Februar 2019 gemessenen Wert von fast 2 Promille Blutalkoholkonzentration gefolgert wird, die Ableitung eines starken Wunsches oder Zwanges, zu trinken aus der Tatsache, dass der Kläger nach einer Entwöhnungstherapie 2016 nur eine 3-monatige Trinkpause eingehalten hat dann aufgrund des „gesellschaftlichen Drucks“ wieder mit dem Trinken begonnen hat sowie die Darlegung eines anhaltenden Konsums trotz eindeutig schädlicher Folgen aufgrund der Überlegung, dass das Trinkverhalten des Klägers einen Polizeieinsatz mit anschließender Einweisung in das IAK ausgelöst hat, wobei der Kläger bereits 2016 in einer Suchtklinik behandelt worden ist.
Nachdem damit die Tatbestandsvoraussetzungen für die Entziehung der Fahrerlaubnis aufgrund fehlender Fahreignung gegeben waren, war die Fahrerlaubnis zwingend zu entziehen. Ein Ermessen steht der Fahrerlaubnisbehörde dabei nicht zu (Sitter, Straßenverkehrsstrafrecht, Loseblatt, Teil 8/2.4.12.1, S. 1).
1.2 Der Kläger hat außerdem seine Mitwirkungspflicht verletzt, weshalb die Entziehung der Fahrerlaubnis auch auf § 11 Abs. 8 FeV gestützt werden kann. Hiernach darf die Fahrerlaubnisbehörde bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung des Betroffenen u.a. dann schließen, wenn sich der Betroffene weigert, sich untersuchen zu lassen. Eine solche Weigerung des Klägers liegt nach Ansicht des Gerichts hier vor.
Zwar hat sich der Kläger der fachärztlichen Begutachtung unterzogen. Er hat dabei aber die Herausgabe des Klinikberichts aus … von 2016 grundlos verweigert. Dabei ist davon auszugehen, dass dieser Bericht für die Beantwortung der Gutachtenfrage relevante Befunde enthält, so dass die jeweilige Bitte der Behörde bzw. der Gutachterin um Vorlage gerechtfertigt war.
Zur Feststellung, ob eine Alkoholabhängigkeit vorliegt und ggf. aufgrund welcher Kriterien nach der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD 10), bedarf es der Mitwirkung des Betroffenen. Der Inhaber einer Fahrerlaubnis hat zur Klärung der Zweifel beizutragen, die an seiner Kraftfahreignung bestehen (BVerwG, B.v. 11.6.2008 – 3 B 99.07 – NJW 2008, 3014 = juris Rn. 5). Diese vom Bundesverwaltungsgericht in ständiger Rechtsprechung entwickelte Mitwirkungspflicht wird daraus abgeleitet, dass die Fahrerlaubnisbehörde bei der Klärung von Fahreignungszweifeln auf die Mitwirkung des Fahrerlaubnisinhabers angewiesen ist und von diesem die Einsicht zu fordern ist, dass die Sicherheit des Straßenverkehrs seinen eigenen Belangen vorgeht. Verweigert er die Mitwirkung, verdichtet sich der bisherige Zweifel an seiner Eignung infolge der Uneinsichtigkeit zur Annahme einer Gefährdung der Verkehrssicherheit, der nur noch durch die Entziehung der Fahrerlaubnis begegnet werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 2.12.1960 – VII C 43.59 – BVerwGE 11, 274/275).
Der Kläger hat sowohl im Vorfeld, nämlich bei der Prüfung, ob die bekannt gewordenen Sachverhalte hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Abhängigkeit enthalten, als auch im Rahmen der Begutachtung nicht ausreichend mitgewirkt. Bei beiden Gelegenheiten hat er nämlich den Entlassungsbericht der Fachklinik … aus 2016 nicht vorgelegt, in der Begutachtung mit der Begründung, da stünden zu viele persönliche Sachen drin“ (vgl. Gutachten Seite 6). Schon vor einer Gutachtensanordnung ist der Betroffene aber nach Art. 26 Abs. 2 Satz 1 und 2 BayVwVfG verpflichtet, an der Aufklärung eines fahreignungsrelevanten Sachverhalts mitzuwirken und ihm bekannte Tatsachen und Beweismittel anzugeben, u.a. auch vorhandene Unterlagen – wie hier den Entlassungsbericht der Klinik … aus 2016 – vorzulegen (Kallerhoff/Fellenberg in Stelkens/ Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 26 Rn. 44). Verweigert er eine geeignete, ihm mögliche und zumutbare Mitwirkung, die auch erforderlich ist, weil sie Tatsachen aus seinem persönlichen Lebensbereich betrifft und ggf. die Entbindung des behandelnden Arztes von der Schweigepflicht voraussetzt, berechtigt dies die Behörde zu einer für ihn nachteiligen Beweiswürdigung (vgl. Kallerhoff/Fellenberg, a.a.O. Rn. 44, 52; BayVGH, B.v. 8.11.2019 – 11 CS 19.1565 – juris Rn. 24 m.w.N.), hier u.a. zu der Annahme, dass er einen fahreignungsrelevanten Sachverhalt zu verbergen habe.
Die Anordnung, wegen des Vorliegens von Tatsachen, die die Annahme von Alkoholabhängigkeit begründen, ein Gutachten über die Fahreignung beizubringen, schließt die Forderung ein, an der Klärung der Fahreignung soweit notwendig und möglich mitzuwirken, insbesondere zweckdienliche Angaben zu der in Rede stehenden Erkrankung zu machen, sich erforderlichen Untersuchungen zu unterziehen und sonstige für die Fragestellung aussagekräftige Unterlagen – gegebenenfalls durch Entbindung anderer Ärzte von der gesetzlichen Schweigepflicht – beizubringen (vgl. BayVGH, B.v. 7.11.2005 – 11 CS 05.1859 – juris Rn. 13).
Vor diesem Hintergrund fehlt es hier an einer ausreichenden Mitwirkung des Klägers, was einer Nichtbeibringung des Gutachtens nach § 11 Abs. 8 FeV gleichzusetzen ist. Die Fahrerlaubnisbehörde hätte auch deshalb auf seine fehlende Fahreignung schließen können, ohne dass es auf das Ergebnis des Gutachtens ankommt. Die nicht im Ermessen der Rechtsanwender stehenden Rechtsgrundlagen des § 11 Abs. 8 FeV und des § 11 Abs. 7 FeV bzw. § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV sind insoweit austauschbar (vgl. BayVGH, B.v. 21.1.2019 – 11 ZB 18.2066 – juris).
2. Da somit die Entziehung der Fahrerlaubnis der gerichtlichen Überprüfung standhält, verbleibt es auch bei der im streitgegenständlichen Bescheid enthaltenen Verpflichtung, den Führerschein abzuliefern. Diese – im Bescheid hinsichtlich der Frist konkretisierte – Verpflichtung ergibt sich aus § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG i.V.m. § 47 Abs. 1 Sätze 1 und 2 FeV.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung und die Abwendungsbefugnis haben ihre Rechtsgrundlage in § 167 VwGO i.V.m. § 708 ff. Zivilprozessordnung – ZPO.


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