Medizinrecht

Entziehung einer Fahrerlaubnis

Aktenzeichen  Au 7 K 20.2852

Datum:
14.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 53569
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FeV § 11 Abs. 8, § 46 Abs. 1 S. 1, § 47 Abs. 1 S. 1 u. 2
VwGO § 67, § 68, § 80 Abs. 5, § 101 Abs. 2, § 113 Abs. 1 S. 1, § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 2 S. 2, § 167 Abs. 2, Abs. 1 S. 1
StVG § 3 Abs. 1 S. 1
GKG § 52 Abs. 1
StGB § 69

 

Leitsatz

Es ist gemäß § 11 Abs. 6 FeV Aufgabe der Fahrerlaubnisbehörde und nicht Aufgabe des Gutachters oder des betroffenen Fahrerlaubnisinhabers, die Beurteilungsgrundlage und den Beurteilungsrahmen selbst klar und fehlerfrei festzulegen (vgl. BVerwG, B.v 5.2.2015 – 3 B16/14 – BayVBl 2015, 421).  (Rn. 47) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.Die Klage wird abgewiesen.
II.Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
III.Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch den Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.  

Gründe

I. Gemäß § 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) konnte die Entscheidung mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung ergehen.
II. Die Klage ist überwiegend zulässig. Unzulässig ist der Antrag auf unverzügliche Ausstellung einer neuen Ausfertigung des Führerscheins, da ihm das Rechtsschutzinteresse fehlt. Für den Fall, dass die Klage erfolgreich wäre, ist nichts dafür ersichtlich, dass die Fahrerlaubnisbehörde nicht von sich aus die Konsequenzen hieraus ziehen und dem Kläger seinen Führerschein zurückgeben würde (vgl. BayVGH, B.v. 12.3.2007 – 11 Cs 06.2028 – juris).
III. Die im Übrigen zulässige Klage hat aber in der Sache keinen Erfolg. Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 26. November 2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Beklagte hat zu Recht auf die Ungeeignetheit des Klägers zum Führen von Kraftfahrzeugen geschlossen, weil dieser das von ihm rechtmäßig geforderte ärztliche Gutachten nicht vorgelegt hat, § 11 Abs. 8 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980).
Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Fahrerlaubnisentziehung ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten, abschließenden Verwaltungsentscheidung (st. Rspr., vgl. zuletzt BVerwG, U.v. 23.10.2014 – 3 C 3/13 – DAR 2014, 711, juris). Da ein Widerspruchsverfahren hier nicht durchgeführt wurde, ist dies der Zeitpunkt des Erlasses des streitgegenständlichen Entziehungsbescheids vom 26. November 2020, d.h. der Tag seiner Bekanntgabe am 1. Dezember 2020.
1. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG) und § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis – ohne Ermessensspielraum – zu entziehen, wenn sich der Inhaber der Fahrerlaubnis als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist, d.h. die notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht erfüllt (vgl. § 2 Abs. 4 Satz 1 Var. 1 StVG). Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 3 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 2 Abs. 8 StVG, § 46 Abs. 3 FeV). Bedenken gegen die körperliche oder geistige Eignung bestehen insbesondere, wenn Tatsachen bekannt werden, die auf eine Erkrankung oder einen Mangel nach Anlage 4 oder 5 zur Fahrerlaubnis-Verordnung hinweisen (§ 11 Abs. 2 Satz 2 FeV). Von einer Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen ist nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV insbesondere dann auszugehen, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist. Tatbestandsvoraussetzung für die Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV ist demnach, dass sich der Inhaber einer Fahrerlaubnis als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist (Anm.: Hervorhebung durch die Verfasserin). Hierfür ist folglich die Fahrerlaubnisbehörde im Zweifel nachweispflichtig.
Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen, oder bringt er der Fahrerlaubnisbehörde das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, darf sie bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung des Betroffenen schließen. Der Betroffene ist hierauf bei der Anordnung hinzuweisen (§ 11 Abs. 8 Satz 1 und 2 FeV). Der Schluss auf die Nichteignung ist aber nur dann zulässig, wenn die Anordnung des Gutachtens formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist (st. Rspr., vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 3 C 20.15 – NJW 2017, 1765 Rn. 19 m.w.N.) und für die Nichtbeibringung des angeforderten Gutachtens kein ausreichender Grund besteht (vgl. BVerwG, U.v. 12.3.1985 – 7 C 26.83 – BVerwGE 71, 93/96 = juris Rn. 16; BayVGH, B.v. 19.6.2019 – 11 CS 19.936 – juris Rn. 23 m.w.N.).
Für die Zulässigkeit des Schlusses nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV muss die Gutachtensanordnung auch zum oben aufgeführten, maßgeblichen Zeitpunkt noch rechtmäßig sein. Gemäß § 11 Abs. 6 Satz 1 FeV muss die Fahrerlaubnisbehörde unter Beachtung der Besonderheiten des Einzelfalles und unter Beachtung der Anlagen 4 und 5 zur Fahrerlaubnis-Verordnung in der Anordnung zur Beibringung des Gutachtens festlegen, welche Fragen im Hinblick auf die Eignung des Betroffenen zum Führen von Kraftfahrzeugen zu klären sind. Nach § 11 Abs. 6 Satz 2 FeV teilt die Behörde dem Betroffenen unter Darlegung der Gründe für die Zweifel an seiner Eignung und unter Angabe der für die Untersuchung in Betracht kommenden Stelle oder Stellen mit, dass er sich innerhalb einer von ihr festgelegten Frist auf seine Kosten der Untersuchung zu unterziehen und das Gutachten beizubringen hat; sie teilt ihm außerdem mit, dass er die zu übersendenden Unterlagen einsehen kann. Die Gutachtensanordnung muss demnach hinreichend bestimmt und aus sich heraus verständlich sein. Der Betroffene muss der Aufforderung entnehmen können, was konkret ihr Anlass ist und ob das Verlautbarte die behördlichen Zweifel an seiner Fahreignung zu rechtfertigen vermag. Der Beibringungsanordnung muss sich – mit anderen Worten – zweifelsfrei entnehmen lassen, welche Problematik auf welche Weise geklärt werden soll (vgl. Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl., § 11 FeV Rn. 55). Der Gutachter ist an die Gutachtensaufforderung und die dort formulierte Fragestellung sowie die dort genannten Rechts- und Beurteilungsgrundlagen gebunden. Es ist gemäß § 11 Abs. 6 FeV Aufgabe der Fahrerlaubnisbehörde und nicht Aufgabe des Gutachters oder des betroffenen Fahrerlaubnisinhabers, die Beurteilungsgrundlage und den Beurteilungsrahmen selbst klar und fehlerfrei festzulegen (vgl. BVerwG, B.v 5.2.2015 – 3 B16/14 – BayVBl 2015, 421; BayVGH, B.v. 24.7.2015 – 11 CS 15.1203 – juris). An die Rechtmäßigkeit der Gutachtensaufforderung sind hierbei strenge Maßstäbe anzulegen, weil der Kläger die Gutachtensaufforderung mangels Verwaltungsaktsqualität nicht direkt anfechten kann. Er trägt das Risiko, dass ihm bei der Nichtvorlage des Gutachtens die Fahrerlaubnis deswegen entzogen wird. Daher kann auf die strikte Einhaltung der vom Verordnungsgeber für die Rechtmäßigkeit einer solchen Anordnung aufgestellten formalen Voraussetzungen nicht verzichtet werden (vgl. BayVGH, B.v. 27.11.2012 – 11 ZB 12.1596 – juris).
Hiervon ausgehend durfte der Beklagte auf die Nichteignung des Klägers schließen, denn die Gutachtensanordnung vom 4. Juni 2020 ist formell und materiell rechtmäßig.
a) Die Anordnung der Vorlage eines ärztlichen Gutachtens vom 4. Juni 2020 genügt den sich aus § 11 Abs. 2 Satz 3, Abs. 6 FeV ergebenden formellen Anforderungen. Die Fahrerlaubnisbehörde hat vorliegend die von ihr als maßgeblich angesehenen Tatsachen im Anforderungsschreiben in einem solchen Umfang wiedergegeben, dass sich der Kläger auf Grund dieser Angaben in der Lage sehen konnte, sich eine Meinung über die Berechtigung der geäußerten Eignungszweifel zu bilden und gegebenenfalls sein Verhalten im Verwaltungsverfahren hierauf auszurichten. Die gehegten Eignungszweifel wurden somit hinreichend begründet. Die gewählte Fragestellung lässt den Gegenstand und Zweck der geforderten Begutachtung hinreichend klarwerden. Auch die Rechtsgrundlagen für die Anordnung des ärztlichen Gutachtens wurden korrekt genannt. Die bis zum 5. November 2020 gesetzte Frist zur Gutachtensbeibringung, die fast fünf Monate betrug, war angemessen und verhältnismäßig. Wird die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens verlangt, so dient dieses der Hilfestellung bei der Beurteilung der Frage, ob der Betroffene gegenwärtig zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet ist. Da insofern die Abwendung möglicher erheblicher Gefahren für andere Verkehrsteilnehmer inmitten steht, ist den Eignungszweifeln unter dem Gesichtspunkt des Betäubungsmittelmissbrauchs so zeitnah wie möglich durch die gesetzlich vorgegebenen Aufklärungsmaßnahmen nachzugehen. Die hier gesetzte Frist war mehr als großzügig bemessen. Die Anordnung zur Beibringung des Gutachtens enthielt ferner insbesondere auch den gemäß § 11 Abs. 8 Satz 2 FeV erforderlichen Hinweis auf den Inhalt des § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV.
b) Es ist auch nicht ernsthaft zweifelhaft, dass die Gutachtensanordnung vom 4. Juni 2020 auch die materiellen Voraussetzungen für die Anforderung eines ärztlichen Gutachtens eines Arztes einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung erfüllt. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV gemäß § 46 Abs. 3 FeV entsprechend Anwendung, d.h. die Vorlage von ärztlichen oder medizinischpsychologischen Gutachten kann nach diesen Bestimmungen angeordnet werden.
aa) Die Verweisungsnorm des § 46 Abs. 3 FeV ist tatbestandlich erfüllt, da dem Beklagten durch die Mitteilung des – zwischenzeitlich bereits eingestellten – Ermittlungsverfahrens gegen den Kläger wegen des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln durch die Polizeiinspektion * vom 15. Oktober 2019 eine Tatsache bekannt wurde, die vor dem Hintergrund des fachärztlichen Gutachtens vom 17. Oktober 2016 Bedenken dahingehend begründete, dass der Kläger zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet ist.
bb) Der Beklagte war dabei nicht gehindert, die bei der Wohnungsdurchsuchung am 7. Oktober 2019 gewonnenen Erkenntnisse über den zwischenzeitlich erneuten Konsum von Cannabis zu verwerten. Es entspricht ständiger einheitlicher verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung, dass die strafverfahrensrechtlichen Maßstäbe über die Rechtsfolgen von Mängeln der Beweiserhebung nicht unbesehen auf das ordnungsrechtliche Fahrerlaubnisverfahren übertragen werden können, da dieses andere Zielsetzungen verfolgt und anderen Verfahrensbestimmungen unterliegt. Während nämlich Beweisverwertungsverbote im vorrangig repressiven Zwecken dienenden Strafprozess dem Spannungsverhältnis zwischen dem staatlichen Strafverfolgungsanspruch einerseits und dem Grundrechtsschutz des Betroffenen andererseits Rechnung tragen, sind im rein präventiven, auf keine Bestrafung gerichteten Fahrerlaubnisverfahren maßgeblich auch Rechtsgüter einer unbestimmten Zahl Dritter, namentlich Leben und Gesundheit anderer Verkehrsteilnehmer, zu beachten. Mit dem Schutz der Allgemeinheit vor ungeeigneten Fahrerlaubnisinhabern wäre es nicht zu vereinbaren, wenn die Fahrerlaubnisbehörden an der Berücksichtigung (eventuell) strafprozessual fehlerhaft gewonnener Erkenntnisse allgemein gehindert wären bzw. wegen eines außerhalb ihres Verantwortungsbereichs begangenen Verfahrensfehlers sehenden Auges die gravierenden Gefahren hinzunehmen hätten, die mit der Verkehrsteilnahme eines derzeit kraftfahrungeeigneten Fahrerlaubnisinhabers verbunden sind (vgl. BayVGH, B.v. 31.5.2012 – 11 CS 12.807, 11 C 12.808, 11 C 12.899 – juris, B.v. 17.6.2009 – 11 CS 09.833 – juris, B.v. 5.3.2009 – 11 CS 08.3046 – juris; OVG NW, B. v. 3.9.2010 – 16 B 382/10 – juris, B.v. 9.10.2014 – 16 B 709/14 – juris; VGH BW, B.v. 16.5.2007 – 10 S 608/07 – juris).
Auch aus § 3 Abs. 3 Satz 1 StVG ergibt sich nichts Anderes. Nach dieser Vorschrift darf die Fahrerlaubnisbehörde, solange gegen den Inhaber einer Fahrerlaubnis ein Strafverfahren anhängig ist, in dem die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 Strafgesetzbuch (StGB) in Betracht kommt, den Sachverhalt, der Gegenstand des Strafverfahrens ist, in einem Entziehungsverfahren nicht berücksichtigen. Gegen den Kläger wurde zum einen wegen des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln, d.h. keiner Tat i.S.d. § 69 StGB ermittelt und das Ermittlungsverfahren wurde zum anderen bereits mit Verfügung vom 21. Januar 2020 – und damit vor der Anordnung des ärztlichen Gutachtens mit Schreiben vom 4. Juni 2020 – nach § 170 Abs. 2 Strafprozessordnung eingestellt. Nach alledem begegnet hier die Verwertung der Erkenntnisse aus der Durchsuchung der Wohnung des Klägers keinen Bedenken. Ein Verwertungsverbot kommt von vornherein nicht in Betracht.
cc) Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken gegen die körperliche oder geistige Eignung des Fahrerlaubnisbewerbers begründen, kann die Fahrerlaubnisbehörde nach § 11 Abs. 2 Satz 1 FeV die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens durch den Bewerber anordnen. Bedenken gegen die körperliche oder geistige Eignung bestehen insbesondere, wenn Tatsachen bekannt werden, die auf eine Erkrankung oder einen Mangel nach Anlage 4 oder 5 hinweisen.
Dem Bevollmächtigten des Klägers ist darin zuzustimmen, dass die medizinisch indizierte und ordnungsgemäße Einnahme von Cannabis nicht generell zu einer Fahruntüchtigkeit führen kann (sog. Arzneimittelprivileg). Dementsprechend hat der Beklagte aber auch keine regelmäßige Einnahme von Cannabis i.S.d. Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV mit der Folge der feststehenden Ungeeignetheit angenommen, sondern den Kläger nach Kenntniserlangung vom Cannabiskonsum entsprechend dem vorgelegten Cannabis-Rezept zunächst zur Vorlage eines ärztlichen Befundberichtes und sodann eines ärztlichen Gutachtens aufgefordert. Er hat in der Fragestellung richtigerweise nicht primär auf einen Cannabiskonsum abgestellt, sondern den Erkrankungen des Klägers in Kombination mit der hierfür offenkundig erforderlichen Betäubungsmittelmedikation entsprechend der erfolgten Cannabis-Verschreibung – unter der Annahme, dass diese zu Recht und ordnungsgemäß erfolgt ist – eine Fahreignungsrelevanz beigemessen. Insbesondere hat das * weiter nach der ausreichenden Compliance und Adhärenz gefragt. An diesem Vorgehen bestehen vor dem Hintergrund des früheren fachärztlichen Gutachtens vom 17. Oktober 2016, das die Kammer für schlüssig und nachvollziehbar hält, keine Bedenken. Dort wurde folgendes Ergebnis festgestellt:
„(…) Nach eigenen Angaben nimmt * Dronabinol seit April dieses Jahres nicht mehr ein, unter der aktuellen Medikation zeigten sich keine Leistungseinbußen.
3.) Liegt bei * eine ausreichende Compliance und Adhärenz vor? Aktuell wird das Medikament Dronabinol nicht mehr verordnet und eingenommen. Aus der Vorgeschichte ist jedoch zu entnehmen, dass * offenkundig Probleme mit der Compliance gehabt hat. Während eine ärztliche Verordnung von täglich Dronabinol zur Nacht, die im Rahmen der Blutentnahme nachgewiesenen Laborwerte zwanglos erklärt hätten, war der Konsum von * selbst als Bedarfsmedikation angegeben worden. Auch die Verordnungsfrequenz des Dronabinols ließ sich nur noch mit einer Bedarfsmedikation in Einklang bringen. Es bleibt offen, wie die nachgewiesene Konzentration von THC-COOH tatsächlich entstanden ist.
4.) Kann durch Auflagen oder Beschränkungen das sichere Führen eines Kraftfahrzeuges gewährleistet werden? Bei Beibehalten der aktuellen Medikation ergeben sich aktuell keine Hinweise auf eine Einschränkung.“
Maßgeblich ist letztlich die in diesem Gutachten weiter getroffene Aussage: „Keine der bei * nachgewiesenen Erkrankungen ist aktuell fahreignungseinschränkend. Sollte jedoch erneut Dronabinol verordnet werden, wäre infolge der aktenkundig schwierigen Compliance eine Neubegutachtung notwendig.“
Zwar trägt der Kläger vor, dass er aktuell kein Dronabinol einnehme, und es liegen auch keine entgegenstehenden Erkenntnisse dazu vor. Bei Dronabinol handelt es sich indes um ein THC-Präparat. Aus dem vom Bevollmächtigten des Klägers selbst vorgelegten Merkblatt des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur vom November 2015 (Drogen als Medikament – Hinweise für die Beurteilung der Fahreignung) folgt, dass sich aus der Art des Medikaments keine Unterschiede in der Wirkweise und den Auswirkungen des Wirkstoffes THC ergeben. Ob ein Cannabis-Produkt verschreibungsfähig ist (Sativex, Nabilon, Dronabinol) oder durch Ausnahmegenehmigung der Bundesopiumstelle in Form von Medizinal-Cannabisblüten erworben werden kann, unterscheidet sich im Hinblick auf die Auswirkungen auf das Führen eines Kraftfahrzeugs nicht. Allen Produkten liegt der gleiche Wirkstoff zugrunde. Insofern ist nicht ersichtlich, weshalb die Gutachterin in ihrem Gutachten vom 17. Oktober 2016 eine Neubegutachtung ausdrücklich nur bei erneuter Einnahme von Dronabinol, d.h. einem Cannabis-Fertigarzneimittel, nicht aber von Medizinal-Cannabisblüten für erforderlich hätte halten sollen. Der Kläger selbst hat ein Rezept über Cannabis-Blüten vorgelegt. Fest steht damit jedenfalls, dass ein Cannabis-Präparat (wenn auch nicht Dronabinol, was – wie ausgeführt – insofern jedoch unerheblich ist) verordnet wurde, sodass damit die Folge einer notwendigen Neubegutachtung – wie im fachärztlichen Gutachten vom 17. Oktober 2016 nachvollziehbar vorgegeben – vom * zu Recht angenommen wurde. Das Gericht geht in Übereinstimmung mit dem Beklagten vielmehr davon aus, dass sich die beim Kläger in der Vergangenheit problematische Thematik der Compliance und Adhärenz bei der Einnahme von Medizinal-Cannabisblüten zumindest gleichermaßen, wenn nicht – im Hinblick auf die Dosierung – noch viel deutlicher als bei dem Cannabis-Fertigarzneimittel Dronabinol stellt.
dd) Das * hat auch erkannt, dass die Gutachtensanordnung gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 FeV in seinem Ermessen liegt („kann“), und hat seine Ermessensentscheidung ausführlich und sachgerecht begründet. Dabei hat die Fahrerlaubnisbehörde zu Recht auf das Gefährdungspotential abgestellt, das von Kraftfahrern ausgeht, die unter Betäubungsmitteleinfluss ein Kraftfahrzeug führen, und darauf hingewiesen, dass die Gutachtensanordnung geeignet und erforderlich ist, um die aufgetretenen Zweifel an der Fahreignung des Klägers zu klären.
c) Da der Kläger das nach alledem rechtmäßig geforderte Gutachten bis zum maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage, d.h. vorliegend dem Erlass des streitgegenständlichen Entziehungsbescheids vom 26. November 2020 mit seiner Zustellung am 1. Dezember 2020, nicht beigebracht hat, musste das * gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV von seiner Fahrungeeignetheit ausgehen. Diese Bestimmung eröffnet der Behörde kein Ermessen hinsichtlich der zu treffenden Entscheidung. Das auf der Rechtsfolgenseite des § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV enthaltene Wort „darf“ bringt lediglich zum Ausdruck, dass die Weigerung, sich einer zu Recht angeordneten Begutachtung zu unterziehen oder ihr Ergebnis der Behörde vorzulegen, nur dann den Schluss rechtfertigt, der Betroffene wolle einen Eignungsmangel verbergen, wenn für die Nichtbeibringung des angeforderten Gutachtens kein ausreichender Grund besteht. Ein solcher „ausreichender Grund“ ist hier nicht erkennbar. Im Übrigen kann bei der Weigerung, das geforderte Gutachten vorzulegen, die Annahme fehlender Eignung einzig durch ein positives Gutachten ausgeräumt werden. Bis dahin kann die Behörde aufgrund des Verhaltens des Klägers davon ausgehen, dass seine Nichteignung im Sinne von § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV feststeht, worauf der Kläger wie ausgeführt gemäß § 11 Abs. 8 Satz 2 FeV vorab hingewiesen worden ist (vgl. BayVGH, B.v. 27.9.2013 – 11 CS 13.1399 – juris Rn. 11 m.w.N.).
d) Nach allem erweist sich die Entscheidung des Beklagten vom 26. November 2020, gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung des Klägers zu schließen, als richtig und rechtmäßig. Die Fahrerlaubnis war dem Kläger deshalb gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i.V.m. § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV zwingend zu entziehen.
2. Damit stellt sich auch die Anordnung zur Ablieferung des Führerscheins bzw. einer Versicherung an Eides Statt als rechtmäßig dar (§ 3 Abs. 2 Satz 3 StVG, § 47 Abs. 1 Satz 1 und 2 FeV). Auch an der Zwangsgeldandrohung bestehen keine rechtlichen Zweifel.
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Da der Antrag nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO, die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für notwendig zu erklären, eine für den Kläger positive Kostenentscheidung voraussetzt, kann diesem Antrag des Klägers unter Verweis auf die vorstehenden Ausführungen von vornherein kein Erfolg beschieden sein. Ferner sieht das Gesetz einen gesonderten Ausspruch über die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten in § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO nur hinsichtlich des Vorverfahrens im Sinne der §§ 68 ff. VwGO vor. Ein solches ist hier aber nicht durchgeführt worden. Die Aufwendungen des in einem gerichtlichen Rechtsstreit nach der Verwaltungsgerichtsordnung tätig gewordenen Bevollmächtigten sind demgegenüber grundsätzlich ohne weiteres erstattungsfähig. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass dem Beteiligten, der sich der Hilfe eines Bevollmächtigten bedient hat, ein Kostenerstattungsanspruch gegen einen anderen Verfahrensbeteiligten zusteht; hieran fehlt es im Fall des Klägers (vgl. BayVGH, B.v. 24.11.2008 – 11 CS 08.2665 – juris).
V. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2, Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).


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