Medizinrecht

Erfolglose Asylklage mazedonischer Staatsangehöriger

Aktenzeichen  M 24 K 17.46312

Datum:
21.12.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 152800
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 4, § 29a
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

Die Rückkehr in das öffentliche Gesundheitssystem Mazedoniens ist für Rückkehrer problemlos möglich. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerinnen haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerinnen dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

1. Das Gericht konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 14. Dezember 2017 entscheiden, obwohl kein Vertreter der Beklagten zur mündlichen Verhandlung erschienen war. Denn in dem Ladungsschreiben vom 13. November 2017 war darauf hingewiesen worden, dass bei Nichterscheinen eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).
2. Das Verwaltungsgericht München ist zur Entscheidung über die Klage insbesondere örtlich gemäß § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO zuständig. Zur Entscheidung berufen ist nach dem Übertragungsbeschluss der Kammer vom 7. November 2017 der Berichterstatter als Einzelrichter (§ 76 Abs. 1 AsylG).
3. Die zulässige Klage ist unbegründet, da der Bescheid der Beklagten vom 14. Juli 2017 rechtmäßig ist und die Klägerinnen nicht in Ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 und Abs. 5 VwGO). Das Gericht folgt insoweit den Feststellungen und der Begründung des Bescheides des Bundesamtes vom 14. Juli 2017 (§ 77 Abs. 2 AsylG).
4. Auch im Hinblick auf die sich in der Bundesamtsakte befindenden Arztbriefe und ärztlichen Atteste und auf die im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens vorgelegten fachärztliche Stellungnahmen und Unterlagen ergibt sich kein Anspruch der Klägerin zu 2) auf Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Da in Streitigkeiten nach dem Asylgesetz auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw. der Entscheidung abzustellen ist (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG), ist vorliegend § 60 Abs. 7 AufenthG in der Fassung, die er durch das Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016 (BGBl. I Nr. 12, 390 ff) erhalten hat, anzuwenden.
Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen.
Dabei ist – nach ständiger Rechtsprechung – die Gefahr, dass sich die Erkrankung eines Ausländers aufgrund der Verhältnisse im Abschiebestaat verschlimmert, in der Regel als individuelle Gefahr einzustufen, die am Maßstab von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in direkter Anwendung zu prüfen ist. Erforderlich, aber auch ausreichend ist in derartigen Fällen, dass sich die vorhandene Erkrankung des Ausländers aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben führt, das heißt, dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht (BVerwG, B.v. 17.08.2011 – 10 B 13/11 – juris Rn. 3 mit Verweis auf BVerwG, U.v. 17.10.2006 – 1 C 18/05 – juris Rn. 15).
Von einem solchen medizinischen Sachverhalt ist vorliegend jedoch nicht auszugehen. Ausweislich eines Berichts der „spezialistischen Ordination für Radiodiagnostik in …“ vom 25. Januar 2017 über eine Magnetresonanzuntersuchung des Gehirns der Klägerin zu 2) leidet diese an einem dysembroyplastischen neuroepithelialem Tumor (DNET), einem gutartigen Tumor im Hirnstamm (Gangliogliom) mit lokalen Fehlbildungen der Gehirnrinde (Bl. 61, Übersetzung – Ü – Bl.62 d.A.). Verglichen mit der Untersuchung am 8. August 2016 sei der Befund identisch.
Auch aus weiteren Unterlagen (Röntgenbild Nr. 28.840/2016 vom 21. Juli 2016, Bl. 63, Ü Bl. 89 d.A., Facharztberichte der Universitätsklinik für Neurologie vom 15. Dezember 2016, Bl. 65, Ü Bl. 82 d.A., und vom 19. Dezember 2016, Bl. 67, Ü Bl. 86 d.A.) ergibt sich, dass die Klägerin zu 2) wegen dieser Erkrankung bereits in Mazedonien in Behandlung war. Ausweislich des aktuellsten Facharztberichtes des staatlichen Krankenhauses „… …“ vom 24. März 2017 (Bl. 69, Ü Bl. 79 d.A.), der die Diagnose D33,0 „Gutartige Neubildungen des Gehirns und anderer Teile des Zentralen Nervensystems“ gemäß der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten ICD-10 ausweist, wird die Fortsetzung der regelmäßigen antiepileptischen Therapie, die Überwachung durch regelmäßige Untersuchungen und Aufzeichnungen und die Berücksichtigung einer operativen Behandlung als Therapie empfohlen. Eine Kontrolle sollte bei Bedarf erfolgen.
Auch aus den im gerichtlichen Verfahren vorgelegten ärztlichen Unterlagen ergibt sich nicht, dass im Falle der Rückkehr der Klägerin zu 2) nach Mazedonien eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben bestehen würde, weil beispielsweise eine lebensnotwendige Behandlung begonnen wurde, deren Abbruch zu einer solchen Gefahr führen würde. Die Klägerin zu 1) hat in der mündlichen Verhandlung am 14. Dezember 2017 selbst erklärt, dass für ihre Tochter in Deutschland Behandlungen erfolgt seien, die jedoch auch noch nicht so viel geholfen hätten. Auch im Hinblick auf eine erforderliche Medikamentengabe lässt sich den vorgelegten Unterlagen nicht entnehmen, ob und welches Medikament langfristig von der Klägerin zu 2) eingenommen werden muss und welche Folgen eine etwaige Nichteinnahme hätte. Im Übrigen ist der Wirkstoff „Levetiracetam“ nach der zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Auskunft der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland vom 8. Februar 2012 über das öffentliche Gesundheitswesen in Mazedonien zu beschaffen. Gleiches gilt für das ab 13. Dezember 2017 einzunehmende Präparat „Apydan extent“ mit dem Wirkstoff „Oxcarbazepin“, das einer Auskunft von IOM (International Organization for Migration) vom 24. Januar 2012, Az. ZC18, in Mazedonien erhältlich ist.
Das Gericht verkennt nicht, dass die Klägerin zu 2) durch diesen Gehirntumor und die epileptischen Anfälle körperlich beeinträchtigt ist. Nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnisquellen können in Mazedonien aber die meisten Krankheiten und Verletzungen therapiert werden (Ad-hoc-Teil-Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien, v.a. bzgl. der Situation der Roma sowie zur medizinischen Versorgung, Stand: Januar 2011, vom 19.01.2011 – Lagebericht 2011 – unter II.2.1. (Medizinische Versorgung, Überblick), S. 7/8). Die Klägerin zu 2) war auch vor ihrer Ausreise aus Mazedonien am  5. April 2017 – wie sich den in der Bundesamtsakte befindenden medizinischen Unterlagen entnehmen lässt – in medizinischer Behandlung.
Auch nach der vom Gericht zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Auskunft von IOM vom 23. September 2014, betreffend ein 4jähriges Kind, das an einem epileptischen Anfallsleiden leidet, bei dem eine dauerhafte Behandlung unter fachärztlicher Kontrolle und regelmäßigen EEG-Untersuchungen erforderlich ist, kann dieses Kind im staatlichen Krankenhaus von … (dem Wohnort der Klägerinnen im vorliegenden Verfahren vor ihrer Ausreise) von einem pädiatrischen Neurologen wegen seiner Epilepsie behandelt werden. Die Behandlung ist von der Krankenversicherung abgedeckt, sobald die Eltern dem Krankenversicherungsfonds beigetreten sind. Dafür müssen sie sich im örtlichen Büro des Arbeitsamtes melden und sich mit einem gültigen Ausweisdokument beim Krankenversicherungsfonds registrieren lassen. Die Eltern müssen auch den Hausarzt auswählen, der Patienten dann an Spezialisten für weiterführende medizinische Versorgung überweist. Die Krankenversicherung deckt dann alle Kosten für Untersuchungen an staatlichen Krankenhäusern ab.
Dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist, ist dabei nach der Gesetzeslage (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG) nicht erforderlich.
Auch die vom Orthopädiezentrum in … am 4. Juli 2017 der Klägerin zu 1) diagnostizierte Innenbandzerrung und Lendenwirbelblockierung (Bl. 94 d.A.) führt ebenfalls nicht zu einem Abschiebeverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Den Klägerinnen stehen im Rahmen der Familienversicherung auch die Leistungen des Mazedonischen Sozial- und insbesondere des Krankenversicherungssystems im Falle einer Rückkehr zur Verfügung. Zwar ist der Erhalt von Sozialleistungen an einen Aufenthalt in der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien gebunden. Hinzu kommt die Verpflichtung, sich einmal jährlich bei den Sozialbehörden zu melden. Als Folge davon müssen Rückkehrer neuerliche Anträge auf Sozialhilfe stellen, über die jedoch innerhalb von zwei Monaten entschieden werden muss. In der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien gibt es ein öffentliches Gesundheitswesen, das jedem registrierten (standesamtlich erfassten) Bürger zur Verfügung steht. Es ist nicht bekannt, wie viele Roma über keine Registrierung und die damit verbundenen Personaldokumente verfügen; dieser Teil der Bevölkerung ist von der medizinischen Versorgung abgeschnitten (Bericht im Hinblick auf die Einstufung der Ehemaligen Jugoslawischen Republik Mazedonien als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29a AsylG, Stand: Juli 2017, vom 1. Dezember 2017 – Lagebericht 2017 – unter IV. 1, Seite 15). Die Klägerinnen, die bei der Asylantragstellung angegeben haben, albanische Volkszugehörige zu sein, waren jedoch im Besitz von Geburtsurkunden, die sie der Aktenlage zufolge bei der Polizei in … Hauptbahnhof abgegeben haben. Die Reisepässe der Familie habe die Klägerin zu 1) einem Schlepper, der die Reise organisiert habe, mitgegeben und nicht mehr zurückerhalten (Bl. 4 und Bl. 39 d.A.). Mithin hat die Klägerin zu 2), wie sich den vorgelegten Unterlagen entnehmen lässt, medizinische Versorgung in Mazedonien vor ihrer Ausreise erhalten.
Auch aus älteren Lageberichten wird ersichtlich, dass die Rückkehr in das öffentliche Gesundheitssystem für Rückkehrer problemlos möglich ist; es gibt insoweit keine Wartefristen für die Wiedereingliederung nach längerer Abwesenheit. Weder im Bereich der Sozialhilfe noch im Gesundheitssystem gibt es diskriminierende Sonderbestimmungen für rückkehrende Asylantragsteller (Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Ehemaligen Jugoslawischen Republik Mazedonien, Stand: August 2015, vom 12. August 2015 – Lagebericht 2015 – unter IV. 1, IV.3 und IV. 4, S. 10 bis 12).
Die Versicherungsbedingungen für Arbeitslose wurden im vergangenen Jahr vereinfacht, um mehr Personen den Zugang zur Krankenversicherung zu ermöglichen. Demnach kann ein Arbeitsloser, gleich ob er früher gearbeitet hat oder nicht, sich gegen Vorlage einer Bescheinigung des für seinen Wohnsitz zuständigen Arbeitsamtes über seine fehlenden Einkünfte versichern lassen. Diese Möglichkeit steht auch mittellosen Rückkehrern offen. Für diese ist das Arbeitsamt am Ort der Niederlassung nach Rückkehr zuständig. Bis vor einigen Jahren war es für Arbeitslose deutlich schwieriger, sich krankenversichern zu lassen. Für eine offizielle Registrierung als Arbeitsloser hatte der Betreffende mindestens einen Grundschulabschluss vorweisen müssen. Familienangehörige (nicht erwerbstätige Ehepartner und Kinder) werden über den Hauptversicherer mitversichert.
Das Grundleistungspaket der Krankenversorgung ist sehr breit gefächert und umfasst fast alle medizinischen Leistungen, abgesehen von einigen Ausnahmen wie z.B. schönheitschirurgische Eingriffe oder homöopathische Medizin. Es deckt sowohl ambulante als auch stationäre Behandlungen ab. Eingeschlossen sind auch Reha- und physiotherapeutische Maßnahmen (siehe hierzu Lagebericht 2011 – unter II.2.2. (Medizinische Versorgung, Krankenversicherungsschutz durch den nationalen Gesundheitsfonds und Versicherungsleistungen), S. 8-10).
Nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnisquellen ist die Höhe der Eigenanteilszahlungen für medizinische Leistungen pro Jahr auf maximal 70% eines monatlichen Durchschnittslohns beschränkt. Dieser beträgt laut Lagebericht 2011 rund 300 € bzw. laut Lagebericht 2017 380 €. Hierfür müssen lediglich die entsprechenden Belege gesammelt werden. Bei Langzeiterkrankungen, wie z.B. Krebs oder Dialysebehandlungen, gibt es Ausnahmeregelungen hinsichtlich der Höhe des Eigenanteils, damit auch diese Behandlungen für alle Versicherten zugänglich sind. Für Kinder entfallen die Eigenanteile. Wenn das Monatseinkommen unter dem Durchschnittslohn liegt, gibt es eine prozentuale Reduzierung der Eigenanteile. Rentnern und Arbeitslose zahlen einen sehr geringen Eigenanteil in einer Größenordnung von rund 1 € pro Behandlung (Lagebericht 2011 – unter II.2.4. (Medizinische Versorgung, Zuzahlungen), S. 10).
Vor diesem Hintergrund geht das Gericht davon aus, dass trotz der dargelegten Erkrankung insbesondere der Klägerin zu 2) eine Rückkehr nach Mazedonien nicht zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führt.
Soweit die Klägerin zu 2) zum Zeitpunkt der Ausreiseverpflichtung nicht reisefähig sein sollte, hat dies die zuständige Ausländerbehörde als inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis im Rahmen der Rückführung zu berücksichtigen (vgl. VG München, U.v. 05.02.2015 – M 17 K 14.31233 – juris Rn. 26 m.w.N.). In diesem Zusammenhang wird allerdings auf den vom Bevollmächtigten der Klägerinnen mit Schreiben vom 12. Dezember 2017 vorgelegten Bericht des … vom 8. November 2017 hingewiesen, aus dem sich ergibt, dass sich die Klägerin zu 2) für einen Besuchsaufenthalt in … aufgehalten hat, es also nicht grundsätzlich an einer Reisefähigkeit fehlen dürfte.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
6. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff der Zivilprozessordnung (ZPO).


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