Medizinrecht

Erfolglose Einwände gegen neue Verkehrsführung – Leichtigkeit des Verkehrs

Aktenzeichen  B 1 K 18.730

Datum:
26.5.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 23951
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVO § 45 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 6, Abs. 9 S. 1

 

Leitsatz

Tenor

1. Die verkehrsrechtliche Anordnung vom 12. Juli 2017, mit der eine Einbahnstraßenregelung auf der „Gemeinde straße „K.Straße“ von der … bis zum Abzweig in die R. in …“ laut beiliegendem Beschilderungsplan angeordnet wurde, wird aufgehoben.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch den Kläger durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 v.H. des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe

I.
Über die Klage konnte aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entschieden werden.
Das Gericht legt den Klageantrag dahingehend aus, dass der Kläger die Aufhebung der verkehrsrechtlichen Anordnung vom 12. Juli 2017 begehrt (§ 88 VwGO).
II.
Die zulässige Klage ist begründet.
Die streitgegenständliche verkehrsrechtliche Anordnung vom 12. Juli 2017, mit der eine Einbahnstraßenregelung auf der Gemeinde straße K. Straße von der … bis zum Abzweig in die R. in … angeordnet wurde, ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten und ist daher aufzuheben (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die Klage ist zulässig, insbesondere ist der Kläger klagebefugt (§ 42 Abs. 2 VwGO). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist die Klagebefugnis dann zu bejahen, wenn das Klagevorbringen es zumindest als möglich erscheinen lässt, dass die angefochtene Maßnahme eigene Rechte des Klägers verletzt. Ein Verkehrsteilnehmer kann dabei als eine Verletzung seiner Rechte geltend machen, die rechtsatzmäßigen Voraussetzungen für eine – auch ihn treffende – Verkehrsbeschränkung nach § 45 Abs. 1 StVO seien nicht gegeben. Im Rahmen der behördlichen Ermessensausübung kann er verlangen, dass seine eigenen Interessen ohne Rechtsfehler mit den Interessen der Allgemeinheit und anderer Betroffener, die für die Einführung der Verkehrsbeschränkung sprechen, abgewogen werden (vgl. BVerwG, U.v. 27.1.1993 – 11 C 35/92; U.v. 21.8.2003 – 3 C 15/03 – jeweils juris). Da der Kläger von der Sperrung der Straße als Verkehrsteilnehmer betroffen ist, ist die Klagebefugnis zu bejahen.
Auch die Klagefrist (Jahresfrist gemäß § 74 Abs. 1, § 58 Abs. 2 VwGO, vgl. BayVGH B.v. 4.12.2014 – 11 ZB 14.189 – juris Rn. 8) ist eingehalten.
Für die rechtliche Beurteilung von Verkehrszeichen als Verwaltungsakt mit Dauerwirkung kommt es maßgebend auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (bzw. den Zeitpunkt der Entscheidung durch das Gericht) an (st. Rspr., vgl. BVerwG, U.v. 18.11.2010 – 3 C 42/09 – juris Rn. 14 m.w.N).
Gemäß § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO können die Straßenverkehrsbehörden die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs beschränken oder verbieten und den Verkehr umleiten. Gemäß § 45 Abs. 2 Satz 2 Nr. 6 StVO haben sie das gleiche Recht zur Erforschung des Unfallgeschehens, des Verkehrsverhaltens, der Verkehrsabläufe sowie zur Erprobung geplanter verkehrssichernder oder verkehrsregelnder Maßnahmen.
Nach der letzten schriftsätzlichen Einlassung der Beklagten soll die Maßnahme der Erprobung verkehrsrechtlicher Maßnahmen dienen und beruhe auf § 45 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Satz 2 Nr. 6 StVO.
Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 45 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Satz 2 Nr. 6 StVO liegen jedoch in mehrfacher Hinsicht nicht vor.
Die sog. „Experimentierklausel“ erlaubt der Straßenverkehrsbehörde verkehrsrechtliche Anordnungen zur Erforschung des Unfallgeschehens, des Verkehrsverhaltens, der Verkehrsabläufe sowie zur Erprobung geplanter verkehrssichernder oder verkehrsregelnder Maßnahmen. Erfasst werden sollen mit dieser Vorschrift Fälle, in denen nicht die Frage zweifelhaft ist, ob überhaupt eine Gefahr für die Sicherheit oder Ordnung des Straßenverkehrs vorliegt, sondern solche, in denen noch geklärt werden muss, welche Maßnahmen zur Abwehr dieser Gefahr geeignet und erforderlich sind. Vorausgesetzt ist also eine Gefahrenlage im Sinn des Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 9 StVO. Einen Gefahrerforschungseingriff ermöglicht § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 nicht (BayVGH, B.v. 26.02.2015 – 11 ZB 14.2491 – juris Rn. 20; VG München, U.v. 29.9.2014 – M 23 K 14.3323 – juris Rn. 36).
§ 45 Abs. 9 Satz 2 StVO setzt für Verbote und Beschränkungen des fließenden Verkehrs eine Gefahrenlage voraus, die – erstens – auf besondere örtliche Verhältnisse zurückzuführen ist und – zweitens – das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der relevanten Rechtsgüter erheblich übersteigt und sich damit als „qualifizierte Gefahrenlage“ darstellt.
Für das Vorliegen einer solchen Gefahr im Sinne des § 45 Abs. 9 StVO wurden seitens der Beklagten keinerlei konkrete Erkenntnisse vorgelegt. Diese wird lediglich behauptet. Nach ständiger Rechtsprechung ist hierfür eine konkrete Ermittlung und Dokumentation erforderlich (VG München, U.v. 6.7.2017 – M 23 K 16.1305 – juris; OVG NRW, B.v. 22.10.2003 – 8 B 468/03 – juris).
Ferner setzt die Erprobung geplanter verkehrssichernder oder verkehrsregelnder Maßnahmen gemäß § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 Alt. 2 StVO voraus, dass die Dauer des Verkehrsversuchs dem Erprobungscharakter der Maßnahme entspricht; weiter, dass das Erprobungsziel konkret bestimmt und die erprobte Maßnahme geeignet und erforderlich ist, um das angestrebte Ziel zu erreichen, sowie im Rahmen der Widmung möglich und dauerhaft rechtlich zulässig wäre (BayVGH, B.v. 28.6.2018 – 11 CS 18.964 – juris). Hier wurde das Erprobungsziel nicht genannt. Hinsichtlich der Dauer der Maßnahme enthält die Anordnung die Eintragung „frühestens ab dem 21. Juli 2017“ längstens bis „auf Dauer“, sodass eine zeitliche Beschränkung überhaupt nicht angeordnet wurde, was ebenfalls für sich schon zur Rechtswidrigkeit der Anordnung führt.
Nach der Rechtsprechung wird eine maximale Dauer von bis zu einem Jahr als zulässig angesehen (vgl. BayVGH, B.v. 26.2.2015 – 11 ZB 14.2491 – juris Rn. 21). Diese Zeitspanne ist bereits erheblich überschritten.
Hinzu kommt, dass bei der Entscheidung über eine verkehrsregelnde Anordnung nach § 45 Abs. 1 S. 1 StVO die zuständige Straßenverkehrsbehörde im Rahmen ihres pflichtgemäßen Ermessens sowohl die Belange des Straßenverkehrs und der Verkehrsteilnehmer zu würdigen als auch die Interessen etwa betroffener Anlieger in Rechnung zu stellen hat. Die Anordnung der Beklagten lässt nicht erkennen, dass die Auswirkungen der Probesperrung auf den davon in erster Linie betroffenen landwirtschaftlichen Verkehr bei der Entscheidung berücksichtigt und abgewogen wurden.
Die verkehrsrechtliche Anordnung der Beklagten (gemäß dem beigefügten Beschilderungsplan) vom 12. Juli 2017 war antragsgemäß aufzuheben. Die Beseitigung der angebrachten Verkehrszeichen wurde nicht beantragt, weshalb eine entsprechende Tenorierung nicht erfolgte (§ 113 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Das Gericht geht aber davon aus, dass die Beklagte dennoch die angebrachten Verkehrszeichen entfernen wird, da durch die Aufhebung der verkehrsrechtlichen Anordnung die Rechtsgrundlage für die Verkehrszeichen entfallen ist und die Beklagte sich als Behörde des Freistaats Bayern gesetzestreu verhalten wird und auch ohne explizite Anordnung rechtswidrig aufgestellte Verkehrszeichen entfernen wird.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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