Medizinrecht

Erfolgloser Antrag, Negatives medizinisch-psychologisches Gutachten, Gutachtensanordnung in der Probezeit nach bereits vorheriger Entziehung der Fahrerlaubnis, Gutachten ist schlüssig und nachvollziehbar

Aktenzeichen  RO 8 S 21.543

Datum:
27.5.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 45955
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
Anlage 4a zur FEV – § 3 StVG i. V. m. § 46 FeV – § 2a Abs. 5 S. 5 und 6 StVG

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis durch die Antragsgegnerin.
Dem am … 1994 geborenen Antragsteller wurde die Fahrerlaubnis der Klassen AM, B und L am 19. Mai 2014 auf Probe erteilt. Mit Schreiben vom 8. Dezember 2014 erhielt die Antragsgegnerin eine Mitteilung des Bayerischen Polizeiverwaltungsamtes (zentrale Bußgeldstelle) darüber, dass der Antragsteller ein Kraftfahrzeug unter Wirkung von Tetrahydrocannabinol (2,9 ng/ml) sowie 11-Nor-delta-tetrahydrocannabinol-9-carbonsäure (61 ng/ml) geführt habe. Infolgedessen wurde dem Antragsteller die Fahrerlaubnis mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 26. Januar 2015 entzogen. Der hiergegen eingelegte Widerspruch wurde mit Bescheid der Regierung der Oberpfalz vom 20. März 2015 zurückgewiesen.
Am 2. März 2017 wurde dem Antragsteller die Fahrerlaubnis der Klassen AM, B und L von der Antragsgegnerin neu erteilt, nachdem er ein positives medizinisch-psychologisches Gutachten der P* … GmbH über eine Untersuchung am 15. November 2016 vorgelegt und an einem Aufbauseminar der TÜV SÜD Pluspunkt GmbH vom 3. März 2017 bis zum 17. Februar 2017 teilgenommen hatte. Die Probezeit lief demnach bis zum 21. Juni 2020.
Am 18. Februar 2020 überschritt der Antragsteller die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h außerhalb geschlossener Ortschaften um 48 km/h (vgl. Behördenakte S.126).
Mit Schreiben vom 12. Oktober 2020 wurde dem Antragsteller mitgeteilt, dass von ihm wegen dieser Zuwiderhandlung die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung verlangt werde. Diese Zuwiderhandlung sei in einer neuen Probezeit gemäß § 2a Abs. 1 Satz 7 StVG erfolgt, weshalb nach § 2a Abs. 5 Satz 5 und 6 StVG die Beibringung dieses Gutachtens bis spätestens 12. Dezember 2020 angeordnet werde. In dem Gutachten sei folgende Fragestellung zugrunde zu legen:
„Ist zu erwarten, dass Herr … auch zukünftig erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Bestimmungen verstoßen wird?“
Am 16. Dezember 2020 wurde vom Antragsteller das Gutachten der … GmbH Regensburg (im Weiteren: MPU-Gutachten) über seine Untersuchung vom 7. Dezember 2020 der Antragsgegnerin vorgelegt. Die Fragestellung wird in dem Gutachten so beantwortet, dass zu erwarten sei, dass der Antragsteller auch zukünftig erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Bestimmungen verstoßen werde. Es wurde empfohlen, dass sich der Antragsteller zur Aufarbeitung seiner Verhaltensproblematik im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr an einen auf dem Gebiet der Verkehrspsychologie ausgebildeten Therapeuten wenden solle. Zum Geschehen gab der Antragsteller am Ende des Untersuchungsgespräch schriftlich an (vgl. MPU-Gutachten S. 13), dass er, da die Untersuchung ziemlich zügig vorangegangen sei, noch Einiges schildern möchte, um etwaige Missverhältnisse zu verhindern. Die sog. Stresssituation an jenem Tag sei entstanden während der Autofahrt, als er den Mitarbeiter holen wollte. Er habe während der Fahrt den Tag in Bezug auf schlechte Umsätze, wieder Überstunden und die Nichterreichbarkeit des Mitarbeiters Revue passieren lassen. Dazu sei das ärgerliche Verfahren gekommen, welches er als den Auslöser der Tat bezeichnen würde. Bis zu dem Zeitpunkt, als er geblitzt worden sei, habe er die Geschwindigkeit ausgeblendet. Ihm sei nicht bewusst gewesen, wie schnell er fahre. In Bezug auf die Frage, wie er es in Bezug auf die sonst erlaubten 100 km/h erklären würde, führte er aus, dass es sich um den gleichen Prozess handele. Die Stresssituation, welche sich im Verlauf des Tages angestaut habe, habe zu der nichterlaubten Fahrgeschwindigkeit geführt und dies unabhängig von der zugelassenen Geschwindigkeit. Auf die weiteren Ausführungen des MPU-Gutachtens wird Bezug genommen.
Der Antragsteller nahm am 26. Dezember 2020 gegenüber der Antragsgegnerin dahingehend Stellung, dass er mit der Entscheidungsargumentation des Herrn Dr. B* … (Diplom-Psychologe), welcher diesen Teil des MPU-Gutachtens erstellt habe, nicht einverstanden sei. Dieser würde beschreiben, dass er eine Ausnahmesituation geltend machen wolle, welche ohnehin schon schwer nachvollziehbar sei. Der Gutachter würde es als „nicht plausibel“ bezeichnen, so ein Pech zu haben und unterstelle ihm indirekt, dass er bewusst gegen die Straßenverkehrsordnung handle und des Öfteren schneller fahre. Als das Gespräch zu Ende gewesen sei, habe er diesem gegenüber noch einige textliche Zusammenfassungen festgestellt, die so nicht interpretiert und nicht komplementiert erfasst worden seien (s.o.). Als er einige Fragen an diesen richten wollte, sei er darauf hingewiesen worden, dass dieser nicht im Hause sei und er diese Dokumente unterschreiben müsse, weil sie sonst nicht berücksichtigt werden könnten. Deutlich sei ihm dies geworden, als er erkannt habe, dass dieser Defizite in seiner Person erkannt haben wolle. Er sei weder gefragt worden, ob ihm bewusst gewesen sei, wie schnell er gefahren sei, noch sei er gefragt worden, wie er nach dem Blitz reagiert habe. Stattdessen würde man sich daran festbeißen, dass er hätte bemerken müssen, dass er deutlich zu schnell gefahren sei. Auf die weiteren Ausführungen wird Bezug genommen.
Mit Schreiben der Antragsgegnerin vom 4. Januar 2021 wurde dem Antragsteller die Möglichkeit gewährt, sich zu der in Betracht kommenden Entziehung zu äußern.
Am 15. Januar 2021 wurde die anwaltliche Vertretung des Antragstellers angezeigt und Akteneinsicht beantragt.
Die Vorgesetzte des Antragstellers nahm am 2. Februar 2021 gegenüber der Antragsgegnerin Stellung. Der Antragsteller sei ein positiver Mitarbeiter/Mensch und ein Gewinn für das Unternehmen. Er sei fleißig, gewissenhaft, zuverlässig und hochmotiviert in seinem Job. Er sei einer der besten Mitarbeiter und würde sich aktuell noch in der Probezeit befinden. Voraussetzung für eine Übernahme sei der Führerschein.
Mit Schreiben der Bevollmächtigten vom 5. Februar 2021 wurde der Antragsgegnerin vorgeschlagen, dass eine neue Begutachtung erfolgen solle. Der Antragsteller habe einmalig am 18. Februar 2021 die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritten und weitere Ordnungswidrigkeiten würden nicht vorliegen. Das undatierte MPU-Gutachten (Versandtag: 16. Dezember 2020) sei als Entscheidungsgrundlage für Maßnahmen der Führerscheinstelle objektiv unbrauchbar. Es verstoße gegen die Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung und baue auf bloßen Vermutungen und Unterstellungen des Gutachters im psychologischen Untersuchungsgespräch auf. Auf die weiteren Ausführungen wird Bezug genommen.
Mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 15. Februar 2021 wurde dem Antragsteller die Fahrerlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen entzogen (Nummer 1). In Nummer 2 wurde angeordnet, dass der Antragsteller seinen Führerschein, ausgehändigt von der Stadt Regensburg am 16. März 2021 unter der Führerscheinnummer B37004JBG81, innerhalb von fünf Tage nach Zustellung des Bescheides bei der Stadt Regensburg, Fahrerlaubnisbehörde, abzugeben habe. Im Falle des Verlustes sei eine eidesstaatliche Versicherung abzugeben. Die sofortige Vollziehung der Nummern 1 und 2 wurde in Nummer 3 angeordnet. Für den Fall, dass der Antragsteller der Verpflichtung aus Nummer 2 nicht nachkommt, wurde angeordnet, dass ein Zwangsgeld i. H. v. 500,00 EUR fällig werde (Nummer 4). Auf die Begründung des Bescheides wird Bezug genommen.
Mit am 23. März 2021 eingegangenem Schreiben hat der Antragsteller gegen den Bescheid vom 15. Februar 2021 beim Verwaltungsgericht Regensburg Klage erheben lassen (Az. RN 8 K 21.544) und den vorliegenden Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt.
Mit Schreiben vom 3. Mai 2021 wurde zur Begründung des Antrags vorgetragen, dass es sich bei der Geschwindigkeitsüberschreitung um einen einmaligen Vorfall gehandelt habe und weitere Verkehrsordnungswidrigkeiten nicht vorliegen würden. Das Gutachten basiere im Wesentlichen auf reinen Mutmaßungen wie der, dass es nicht plausibel sei, dass jemand genau ein einziges Mal wesentlich schneller als erlaubt am Straßenverkehr teilnehme und dabei genau dieses Mal auch geblitzt werde. Es sei daher als untauglich anzusehen, weil es den Begutachtungsleitlinien widerspreche. Der Gutachter habe insbesondere Probleme zu akzeptieren, dass es sich vorliegend um einen einmaligen Verkehrsverstoß gehandelt habe und noch dazu um klassisches Augenblicksversagen. Nicht akzeptabel sei auch, dass der Gutachter wahlweise vermute, dass der Antragsteller „entweder nicht ausreichend offen an dem Untersuchungsgespräch teil(genommen habe)… und/oder er sich mit seinem früheren Fehlverhalten bisher noch viel zu wenig auseinandergesetzt“ habe. Nicht einmal in diesem Punkt sei der Gutachter in der Lage gewesen sich festzulegen. Die Unterstellung, „es sei nicht plausibel, dass jemand genau dieses einzige Mal auch „geblitzt“ wird“, sei subjektiv gefärbt und habe in einem Gutachten, welches auf objektive Tatsachen aufgebaut ist, nichts zu suchen. Der Antragsteller sei als Außendienstmitarbeiter aus beruflichen Gründen auf seine Fahrerlaubnis dringend angewiesen.
Der Antragsteller beantragt,
Die sofortige Vollziehung der Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 15. Februar 2021 unter dem Az. … auszusetzen und die aufschiebende Wirkung wiederherzustellen bzw. anzuordnen und den Führerschein des Antragstellers unverzüglich wieder an diesen zurückzugeben.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wird im Schreiben vom 19. Mai 2021 ausgeführt, dass in den Begutachtungsleitlinien Nr. 3.17 explizit ausgeführt werde, dass aufgrund des geringen Entdeckungsrisikos bei Verkehrsverstößen und des damit vordergründig erlebten kurzfristen „Erfolgs“ von riskanten Verhaltensweisen (z. B. Zeitgewinn bei Geschwindigkeitsüberschreitungen oder Rotlichtmissachtungen) in der Regel von einer oft jahrelangen Lerngeschichte im Vorfeld aktenkundig gewordener Verhaltensauffälligkeiten auszugehen sei. Damit widerspreche die im Gutachten getroffene Aussage nicht den Begutachtungsleitlinien. Dass MPU-Gutachten sei aus Sicht der Antragsgegnerin schlüssig und der Antragsteller sei aufgrund des negativen Gutachtens derzeit nicht fahrgeeignet. Auf die weiteren Ausführungen wird Bezug genommen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und auf die beigezogene Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist teilweise unzulässig. Soweit er zulässig ist, ist er unbegründet.
Der Antrag wird dahingehend ausgelegt (§§ 122 Abs. 1, 88 Verwaltungsgerichtsordnung -VwGO), dass mit ihm begehrt wird, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Nummer 1 und 2 des Bescheids vom 15. Februar 2021 wiederherzustellen sowie die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Nummer 4 dieses Bescheids anzuordnen, und die Vollziehung der Abgabe des Führerscheins durch Herausgabe des Führerscheins aufzuheben. Nach § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO haben Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung. Gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 3 und 4 VwGO entfällt die aufschiebende Wirkung, soweit dies durch Bundesgesetz oder Landesgesetz vorgeschrieben ist, oder soweit die sofortige Vollziehung durch die den Verwaltungsakt erlassende Behörde besonders angeordnet wird. Hinsichtlich der Nummern 1 und 2 des Bescheids hat die erlassende Behörde die sofortige Vollziehung angeordnet. Die Zwangsgeldandrohung in Nummer 4 des Bescheids vom 15. Februar 2021 ist gemäß Art. 21a VwZVG kraft Gesetzes sofort vollziehbar. Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen der behördlichen Anordnung der sofortigen Vollziehung gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise wiederherstellen sowie bei gesetzlich angeordneter sofortiger Vollziehbarkeit gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO die aufschiebende Wirkung anordnen. Nach § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO kann das Gericht bei einem bereits vollzogenen Verwaltungsakt die Aufhebung der Vollziehung anordnen.
1. Soweit der Antrag darauf gerichtet ist, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Zwangsgeldandrohung in Nummer 4 des Bescheides vom 15. Februar 2021 anzuordnen, ist er bereits unzulässig, da der Antragsteller den Führerschein am 24. März 2021 bei der Antragsgegnerin abgegeben hat. Durch die Erfüllung der Verpflichtung hat sich die Androhung des Zwangsgeldes bereits vor Antragsstellung erledigt. Nachdem auch sonst nicht ersichtlich ist, dass die Antragsgegnerin insoweit weiterhin Vollstreckungsmaßnahmen ergreifen möchte, ist ein Rechtsschutzbedürfnis für die beantragte Anordnung der aufschiebenden Wirkung nicht mehr ersichtlich.
2. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Nummern 1 und 2 des Bescheids vom 15. Februar 2021 ist nicht begründet.
a) Die Anordnung des Sofortvollzugs ist in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden. Die Antragsgegnerin hat das besondere Interesse an der Anordnung des Sofortvollzugs hinreichend begründet.
An den Inhalt der Begründung sind dabei keine zu hohen Anforderungen zu stellen. Insbesondere ist für bestimmte Arten behördlicher Anordnungen das Erlassinteresse mit dem Vollzugsinteresse identisch (vgl. Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 80 Rn. 45, 55). In solchen Fällen ist die Behörde daher nicht verpflichtet, eine Begründung zu geben, die ausschließlich auf den konkreten Einzelfall zutrifft. Insbesondere, wenn immer wieder-kehrenden Sachverhaltsgestaltungen eine typische Interessenlage zugrunde liegt, kann sich die Behörde zur Rechtfertigung der Anordnung der sofortigen Vollziehung vielmehr darauf beschränken, die für diese Fallgruppen typische Interessenlage aufzuzeigen und deutlich zu machen, dass diese Interessenlage nach ihrer Auffassung auch im konkreten Fall vorliegt. Das kommt insbesondere im Bereich des Sicherheitsrechts in Betracht, zu dem auch das Fahrerlaubnisrecht zählt (vgl. BayVGH, B.v. 8.9.2015 – CS 15.1634 – juris Rn. 6 m.w.N.). Die Umstände, aus denen sich die Fahrungeeignetheit des Fahrerlaubnisinhabers ergibt, sind regelmäßig auch geeignet, gleichzeitig das besondere öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug der angeordneten Fahrerlaubnisentziehung zu begründen (vgl. BayVGH, B.v. 27.10.2005 – 11 CS 05.1967 – juris Rn. 13). Ist ein Fahrerlaubnisinhaber ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, liegt es auf der Hand, dass ihm im Hinblick auf die Gefährlichkeit seiner Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr und der zu schützenden Rechtsgüter wie Leben und körperliche Unversehrtheit der anderen Verkehrsteilnehmer grundsätzlich sofort das Führen von Kraftfahrzeugen untersagt werden muss.
Die Begründung der sofortigen Vollziehbarkeit in den Nummern 1 und 2 des Bescheides genügt diesen Anforderungen. Die sofortige Vollziehbarkeit der Nummer 1 wird u.a. damit begründet, dass die Allgemeinheit einen vordinglichen Anspruch darauf hat, dass der Antragsteller an der weiteren Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr schnellst möglichst gehindert werde. Es liege auf der Hand, dass ein als ungeeignet zu erachtender Kraftfahrer schnellstmöglich von der weiteren Teilnahme am Straßenverkehr auszuschließen sei, um Leben, Gesundheit und Eigentum anderer Verkehrsteilnehmer nicht zu gefährden. Die sofortige Vollziehbarkeit der Ziffer 2 wird damit begründet, dass es für die allgemeine Verkehrssicherheit unerlässlich sei, dass die Polizei bei Verkehrskontrollen nicht durch Vorlage eines Führescheines über eine bestehende Fahrerlaubnis getäuscht werde. Im gerichtlichen Verfahren erfolgt im Übrigen keine materielle Überprüfung der Begründung der Behörde nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO, sondern es erfolgt eine eigene Interessenabwägung des Gerichts.
b) Die vom Gericht vorzunehmende Interessenabwägung ergibt auch, dass das öffentliche Interesse am Sofortvollzug das private Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs überwiegt.
Für diese Interessenabwägung sind in erster Linie die Erfolgsaussichten in der Hauptsache maßgeblich. Führt eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache dazu, dass der Rechtsbehelf offensichtlich Erfolg haben wird, so kann regelmäßig kein Interesse der Öffentlichkeit oder anderer Beteiligter daran bestehen, dass der mit hoher Wahrscheinlichkeit rechtswidrige Verwaltungsakt sofort vollzogen wird. Wird der Hauptsacherechtsbehelf umgekehrt aller Voraussicht nach erfolglos bleiben, weil nach der im vorläufigen Rechtschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids bestehen, kann der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO abgelehnt werden, ohne dass es einer zusätzlichen Interessenabwägung bedarf. Denn der Bürger hat grundsätzlich kein schutzwürdiges privates Interesse daran, von der Vollziehung eines offensichtlich rechtmäßigen Verwaltungsaktes verschont zu bleiben, ohne dass es darauf ankommt, ob der Vollzug dringlich ist oder nicht (vgl. zum Ganzen BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 11 CS 08.3273, m.w.N.).
aa) Im vorliegenden Fall ergibt sich bei summarischer Prüfung, dass die Klage gegen Ziffer 1 des Bescheids vom 15. Februar 2021 aller Voraussicht nach erfolglos bleiben wird, weil die Entziehung der Fahrerlaubnis rechtmäßig ist und den Antragsteller nicht in seinen Rechten verletzt (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Rechtsgrundlage für die Entziehung der Fahrerlaubnis ist § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i. V. m. § 46 Abs. 1 Fahrerlaubnisverordnung (FeV). Danach ist (ohne Ermessenspielraum) die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist nach § 2 Abs. 4 Satz 1 StVG, wer die notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllt und nicht erheblich oder nicht wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder gegen Strafgesetze verstoßen hat. Diese Voraussetzungen erfüllte der Kläger – im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheidserlasses – nicht und ist damit zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet. Die Ungeeignetheit steht aufgrund des vom Kläger vorgelegten MPU-Gutachtens, welches zu dem Ergebnis kommt, dass der Antragsteller auch zukünftig erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften verstoßen wird, fest.
Ein Gutachten kann der Entziehung zugrunde gelegt werden, wenn es nachvollziehbar und in sich widerspruchsfrei ist und sich auch im Übrigen an den Vorgaben der Anlage 4a zur FEV orientiert. Dabei kommt es nach ständiger Rechtsprechung des BayVGH auch nicht mehr darauf an, ob die Anordnung zur Beibringung eines MPU-Gutachtens, welche hier auf § 2a Abs. 5 Satz 5 und 6 StVG gestützt wurde, rechtmäßig war (vgl. BayVGH, B.v. 10.10.2013 – 11 B 11.2849, BeckRS 2013, 57709 Rn. 8 m. w. N.).
Das Gutachten ist im konkreten Fall verwertbar. Dieses ist von der Fahrerlaubnisbehörde und im verwaltungsgerichtlichen Verfahren auf Schlüssigkeit und Nachvollziehbarkeit sowie darauf zu prüfen, ob die Grundsätze für die Durchführung der Untersuchungen und die Erstellung der Gutachten gemäß Anlage 4a zur FeV und damit auch die Begutachtungsleitlinien für Kraftfahreignung beachtet worden sind. Nach den Grundsätzen für die Durchführung der Untersuchungen und die Erstellung der Gutachten gemäß Anlage 4a zur FeV muss das Gutachten in allgemeinverständlicher Sprache verfasst, nachvollziehbar und nachprüfbar sein. Die Nachvollziehbarkeit betrifft die logische Ordnung (Schlüssigkeit) des Gutachtens. Sie erfordert die Wiedergabe aller wesentlichen Befunde und die Darstellung der zur Beurteilung führenden Schlussfolgerungen. Die Nachprüfbarkeit betrifft die Wissenschaftlichkeit der Begutachtung. Sie erfordert, dass die Untersuchungsverfahren, die zu den Befunden geführt haben, angegeben und, soweit die Schlussfolgerungen auf Forschungsergebnisse gestützt sind, die Quellen genannt werden. Das Gutachten muss in allen wesentlichen Punkten, insbesondere im Hinblick auf die gestellten Fragen (§ 11 Abs. 6 FeV), vollständig sein. Im Gutachten muss dargestellt und unterschieden werden zwischen der Vorgeschichte und dem gegenwärtigen Befund.
Das vom Antragsteller vorgelegte MPU-Gutachten begegnet inhaltlich keinen Bedenken. Es ist bereits nichts dafür ersichtlich, dass dieses den formellen Anforderungen des § 11 Abs. 5 FeV i.V.m. Anlage 4a zur FeV nicht entsprechen würde. Die wesentlichen Befunde sind so wiedergegeben, dass sie ohne Weiteres nachvollziehbar sind. Durch entsprechende Überschriften wird immer zunächst klargestellt, was in dem entsprechenden Teil untersucht wird (vgl. z. B. I. Anlass und Fragestellung der Untersuchung, II. Überblick über die Vorgeschichte, III. Untersuchungsbefunde, IV. Bewertung der Befunde, V. Beantwortung der Fragestellung und Empfehlungen). Diese Hauptpunkte werden dann auch in sich schlüssig weiter untergliedert (z. B. zu Punkt IV.: Bewertung der medizinischen Untersuchungsbefunde, Bewertung der psychologischen Untersuchungsbefunde). Einwände gegen den, insoweit auch positiv für den Antragsteller ausfallenden, medizinischen Untersuchungsbefund sowie der Bewertung der Leistungstest-Ergebnisse werden nicht geltend gemacht. Von Seiten der Bevollmächtigten und des Antragstellers wird hingegen die Bewertung des psychologischen Untersuchungsgesprächs kritisiert. Jedoch ist das Gutachten auch insoweit schlüssig und nachvollziehbar.
(1.) Der Kritikpunkt, dass das Gutachten im Wesentlichen auf reinen Mutmaßungen wie der, dass es nicht plausibel sei, dass jemand genau ein einzige Mal bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung geblitzt werde, beruhe, wird bereits durch die Begutachtungsleitlinien wiederlegt. Dort wird wörtlich in Nr. 3.17 (Stand: Dezember 2019) ausgeführt: „Aufgrund des geringen Entdeckungsrisikos bei Verkehrsverstößen und des damit vordergründig erlebten kurzfristigen „Erfolgs“ von riskanten Verhaltensweisen (z. B. Zeitgewinn bei Geschwindigkeitsüberschreitungen oder Rotlichtmissachtungen) ist in der Regel von einer oft jahrelangen Lerngeschichte im Vorfeld aktenkundig gewordener Verhaltensauffälligkeiten auszugehen. Derart habituelle Verhaltensweisen sind entsprechend änderungsresistent, zumal die verhängten Strafen oft in einem erheblichen zeitlichen Abstand von den Verhaltensauffälligkeiten erfolgen und eine Vielzahl entlastender Abwehrargumente zur Verfügung stehen („Pechvogelhaltung“, Bagatellisierung usw.).“ Kommt der Gutachter – wie hier – im konkreten Fall zu der Einschätzung, dass es sich um einen solchen Fall handelt, beinhaltet dies auch keine „subjektive Färbung“ sondern stellt vielmehr die Anwendung der Begutachtungsleitlinien dar. Dass der Gutachter im Fall des Antragstellers zu diesem Ergebnis kommt, wird mit den Ausführungen des Antragstellers nachvollziehbar begründet (S. 15 des Gutachtens). Der Gutachter führt insoweit aus, dass der Antragsteller angab, dass er die Geschwindigkeitsüberschreitung überhaupt nicht bemerkt hat. Es bleibe aber – so die Schlussfolgerung des Gutachters – ungeklärt, wie er sich dann sicher sein könne, dass er nicht auch sonst entsprechende Verkehrszeichen übersehen habe. Dazu habe er nur angegeben, dass er sonst „aufmerksam“ fahre. Insoweit wird ergänzend ausgeführt, dass gerade bei der Höhe der Geschwindigkeitsüberschreitung von 48 km/h davon auszugehen sei, dass er allein aufgrund der hohen Geschwindigkeit hätte merken müssen, dass er deutlich zu schnell gefahren sei, wenn er sich ansonsten immer und ausnahmslos an gültige Verkehrsvorschriften gehalten hätte und dies selbst dann, wenn an diesem Streckenabschnitt 100 km/h auf der Bundesstraße zulässig gewesen wären. Selbst wenn man den Ausführungen folge, müsse davon ausgegangen werden, dass er diese massive Geschwindigkeitsüberschreitung durchaus wahrgenommen habe. Es sei daher von einer gewissen Gewohnheitsbildung beim Fahren durchaus auch höherer Geschwindigkeiten auszugehen. Auch diese Ausführungen sind für das Gericht nachvollziehbar.
(2.) Auch soweit vorgetragen wird, dass es nicht akzeptabel sei, dass der Gutachter wahlweise vermute, dass der Antragsteller „entweder nicht ausreichend offen an dem Untersuchungsgespräch teil(genommen habe)… und/oder er sich mit seinem früheren Fehlverhalten bisher noch viel zu wenig auseinandergesetzt“ habe, ändert dies nichts an der Schlüssigkeit und Nachvollziehbarkeit des Gutachtens. Diese Aussage wird aus dem Zusammenhang gerissen, sodass es so wirkt, als ob der Gutachter sich nicht entschieden hätte. Es wird jedoch zunächst im Gutachten ausgeführt, dass die Ausführungen des Antragstellers, dass es sich um eine einmalige Ausnahmesituation gehandelt habe, nicht überzeugend seien und deshalb auch nicht einzuschätzen sei, inwiefern die heute genannten Verhaltensvorsätze hinsichtlich der weiteren Verkehrsteilnahme tatsächlich der Realität entsprechen oder nur eine vordergründige Anpassung an die Begutachtungssituation darstellen würden. Sodann wird ausgeführt, dass der Wechsel der Arbeitsstelle als durchaus positiv angesehen werde und auch dass der Antragsteller sich Strategien gegen Stress (Meditieren etc.) angeeignet habe. Erst dann folgt die von der Anwältin zitierte Passage. Insoweit hat sich der Gutachter jedoch bereits zuvor klar dahingehend festgelegt, dass er die Ausführungen des Antragstellers zur Einmaligkeit des Verstoßes nicht glaubt und daher nicht abschätzbar ist, inwiefern er die Verhaltensvorsätze tatsächlich der Realität entsprechen.
(3.) Soweit der Antragsteller gegenüber der Antragsgegnerin vortrug, dass er am Ende des Gesprächs noch einige textliche Zusammenfassungen machte, welche so nicht interpretiert und nicht komplementiert erfasst worden seien, ändert auch dies nichts an der Nachvollziehbarkeit und Schlüssigkeit des Gutachtens. Seine Ausführungen sind im Gutachten auf Seite 13 wiedergegeben und beinhalten insb., dass ihm die Geschwindigkeit nicht bewusst gewesen sei und dass er sich in einer Stresssituation befunden hätte. Gerade mit diesen Aussagen setzt sich jedoch das Gutachten in der Bewertung auseinander (Stress S. 15 letzter Absatz; Nicht Wahrnehmung der Geschwindigkeit S. 15 zweiter Absatz). Im Ergebnis wird der Einschätzung des Antragstellers vom Gutachter jedoch nicht gefolgt, was nachvollziehbar begründet wurde (s.o.).
bb. Da die Entziehung der Fahrerlaubnis rechtmäßig erfolgte, hat dies zur Folge, dass auch die in Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheides verfügte Ablieferungsverpflichtung hinsichtlich des Führerscheins gemäß § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG, § 47 Abs. 1 FeV rechtmäßig ist. Mit der Entziehung erlischt die Fahrerlaubnis und der Führerschein ist abzuliefern. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO auf Herausgabe des Führerscheines bleibt daher ebenfalls erfolglos.
Nach allem war der Antrag daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 GKG.


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