Medizinrecht

Erfolgloser Berufungszulassungsantrag in einem Asylverfahren

Aktenzeichen  8 ZB 18.33333

Datum:
5.4.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 7344
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 4 S. 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7, § 60a Abs. 2c

 

Leitsatz

1. Nach § 60a Abs. 2c AufenthGE sind in der ärztlichen Becheinigung grundsätzlich etwa Angaben darüber notwendig, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden sowie über die Schwere, die Behandlungsbedürftigkeit und den bisherigen Behandlungsverlauf (BayVGH BeckRS 2018, 35659). (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
2. In Fällen, in denen das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland gestützt wird und die Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus diesem vorgetragen werden, bedarf es regelmäßig auch einer Begründung dafür, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist (BVerwG BeckRS 2012, 55084; BayVGH BeckRS 2018, 35659). (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 12 K 17.38986 2018-08-08 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1. Der vom Kläger allein geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) ist nicht in einer Weise dargetan, die den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügt.
Einer Rechtssache kommt grundsätzliche Bedeutung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG zu, wenn für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Tatsachen- oder Rechtsfrage von Bedeutung war, deren noch ausstehende obergerichtlich Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (vgl. BayVGH, B.v. 5.12.2017 – 11 ZB 17.31711 – juris Rn. 2; BVerwG, B.v. 21.11.2017 – 1 B 148.17 u.a. – juris Rn. 4 zu § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Dementsprechend verlangt die Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG, dass eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist. Ferner muss dargelegt werden, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht (vgl. BayVGH, B.v. 5.12.2017 – 11 ZB 17.31711 – juris Rn. 2; BVerwG, B.v. 30.9.2015 – 1 B 42.15 – juris Rn. 3). Darzulegen sind mithin die konkrete Frage sowie ihre Klärungsbedürftigkeit, Klärungsfähigkeit und allgemeine Bedeutung (vgl. OVG NRW, B.v. 15.12.2017 – 13 A 2841/17.A – juris Rn. 3 ff.).
1.1 Diesen Anforderungen wird das klägerische Vorbringen nicht gerecht. Die vom Kläger für grundsätzlich bedeutsam erachtete Tatsachenfrage,
„ob die Versorgungslage in Äthiopien für eine an einer psychischen Erkrankung leidenden Person derart schlecht [ist], dass hieraus Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK bzw. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG abzuleiten sind“,
weist keine klärungsfähige Fragestellung auf. Das Verwaltungsgericht hat nachvollziehbar dargelegt, dass die vom Kläger geltend gemachte psychische Erkrankung nicht substantiiert dargelegt worden ist. Das von ihm vorgelegte „Attest“ habe weder eine Diagnose noch einen Behandlungsplan noch Angaben darüber, wie er behandelt werde, enthalten. Zudem sei nicht ersichtlich, warum sich der Kläger erst über 2 Jahre nach seiner Einreise in das Bundesgebiet in ärztliche Behandlung begeben habe (Urteilsabdruck S. 14). Daher ist die Frage nicht entscheidungserheblich.
Ob der neue klägerische Sachvortrag in der Zulassungsbegründung (vor allem das vorgelegte neue Attest) zu berücksichtigen ist (vgl. BayVGH, B.v. 27.8.2018 – 1 ZB 17.31272 – juris Rn. 10; Happ in Eyermann, 15. Aufl. 2019, § 124 Rn. 21), kann offen gelassen werden. Selbst bei Einbeziehung folgt daraus nicht die Klärungsfähigkeit der aufgeworfenen Frage. Der Kläger hat eine psychische Erkrankung – trotz des Hinweises im angefochtenen Urteil auf die Voraussetzungen für ärztliche Nachweise – auch im Zulassungsverfahren nicht hinreichend dargelegt. Die „fachärztliche Bescheinigung“ vom 7. Dezember 2018 sowie der Vortrag im Schriftsatz vom 13. Dezember 2018 genügen den Mindestanforderungen nicht. Nach § 60a Abs. 2c AufenthG sollen ärztliche Bescheinigungen vor allem die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Hierfür ist vor allem bei Erkrankungen, die unscharfe Krankheitsbilder und vielfältige Symptome aufweisen, erforderlich, dass sich nachvollziehbar ergibt, auf welcher Grundlage ein Facharzt eine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Es sind grundsätzlich etwa Angaben darüber notwendig, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden sowie über die Schwere, die Behandlungsbedürftigkeit und den bisherigen Behandlungsverlauf (BayVGH, B.v. 13.12.2018 – 13a ZB 18.33056 – juris Rn. 8; vgl. bereits BVerwG, U.v. 11.9.2007 – 10 C 8.07 – BVerwGE 129, 251 Rn. 16; B.v. 26.7.2012 – 10 B 21.12 – juris Rn. 7). Diesen Anforderungen genügt die vorgelegte Bescheinigung nicht. Als fachlich medizinische Beurteilung wird zwar eine schwere depressive Episode (ICD-10:F32.2) und „rez. Panikattacken (ICD-10:F41.0) DD als Ausdruck einer posttraumatischen Belastungsstörung (ICD-10:F43.1)“ angeführt. Es fehlt jedoch an aussagekräftigen Ausführungen zur Krankheitsvorgeschichte auf der Grundlage der Angaben des Klägers und zur Behandlungsbedürftigkeit sowie an einer Schilderung der eigenen Befunderhebung und des bisherigen Behandlungsverlaufs. Hierzu werden allenfalls schlagwortartige Aussagen getroffen, ohne nähere Darlegungen. Darüber hinaus fordert die Rechtsprechung in Fällen, in denen das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung – PTBS – auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland gestützt wird und die Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus diesem vorgetragen werden, regelmäßig auch eine Begründung dafür, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist (BVerwG, B.v. 26.7.2012 – 10 B 21.12 – juris Rn. 7 m.w.N.; BayVGH, B.v. 13.12.2018 – 13a ZB 18.33056 – juris Rn. 8). Dies dürfte hier ebenfalls erforderlich sein, weil der Kläger zumindest erstinstanzlich geltend gemacht hat, er sei aufgrund seiner Erlebnisse in Äthiopien (im Jahr 2015) psychologisch erkrankt und seit 15. Dezember 2017 in psychotherapeutischer Behandlung (vgl. Schriftsatz an das Verwaltungsgericht vom 25. Juli 2018, S. 4). Dementsprechend hat bereits das Verwaltungsgericht darauf abgestellt, dass nicht ersichtlich sei, warum sich der Kläger erst zwei Jahre nach seiner Einreise ins Bundesgebiet in ärztliche Behandlung begeben habe (Urteilsabdruck S. 14). Zu diesen Fragen finden sich keine Ausführungen im Zulassungsvorbringen. Schließlich ist in der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs geklärt, dass die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht nur eine spezifische Symptomatik erfordert, sondern auch ein traumatisches Lebensereignis als Auslöser für die Symptomatik (BayVGH, B.v. 13.12.2018 – 13a ZB 18.33056 – juris Rn. 9 ff.). In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass das Verwaltungsgericht die klägerischen Angaben zur Verfolgungsgeschichte als unglaubwürdig bewertet hat (Urteilsabdruck S. 11 ff.). Damit hat sich der Kläger in der Zulassungsbegründung ebenfalls nicht auseinandergesetzt.
Darüber hinaus ist die Fragestellung einer grundsätzlichen Klärung i.S. von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG nicht zugänglich. Sie entzieht sich einer generellen, fallübergreifenden Klärung, weil sie nicht losgelöst von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls beantwortet werden kann.
Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der EMRK ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Nach Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden. Schlechte humanitäre Verhältnisse im Herkunftsland können nach gefestigter Rechtsprechung im Ausnahmefall ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung begründen (vgl. BayVGH, U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30285 – AuAS 2015, 43 = juris LS und Rn. 17; BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – BVerwGE 146, 12 Rn. 23, 25; B.v. 8.8.2018 – 1 B 25.18 – juris Rn. 8). Dies setzt aber voraus, dass im Zielstaat der Abschiebung das für eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung erforderliche Mindestmaß an Schwere erreicht wird. Das kann der Fall sein, wenn ein Ausländer im Zielstaat seinen existentiellen Lebensunterhalt nicht sichern kann, kein Obdach findet oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhält. Einer weitergehenden abstrakten Konkretisierung ist das Erfordernis, dass ein gewisses Mindestmaß an Schwere erreicht sein muss, nicht zugänglich. Vielmehr bedarf es insoweit der Würdigung aller Umstände des Einzelfalls (vgl. BVerwG, B.v. 8.8.2018 – 1 B 25.18 – juris LS 1 und Rn. 9, 11).
Nichts anderes gilt für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG. Auch die Frage, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG erfüllt sind und insbesondere eine Extremgefahr gegeben ist, ob der betreffende Ausländer also bei einer Rückführung in das Heimatland gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod ausgeliefert oder von erheblichen Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit bedroht ist (vgl. BayVGH, B.v. 2.11.2017 – 15 ZB 17.31494 – juris Rn. 19; B.v. 9.8.2018 – 8 ZB 18.31801 – juris Rn. 8 f.; BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – BVerwGE 146, 12 Rn. 38; U.v. 8.8.2018 – 1 B 25.18 – juris Rn. 13), hängt indes von einer Vielzahl von Faktoren und Einzelumständen ab, wie etwa der Erwerbsfähigkeit oder den familiären Bindungen und finanziellen Verhältnissen der Betroffenen. Sie kann daher nicht verallgemeinernd, sondern nur nach jeweiliger Würdigung der Verhältnisse im Einzelfall beurteilt werden (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013, a.a.O. Rn. 38).
Das Verwaltungsgericht hat nachvollziehbar dargelegt, dass es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten für psychische Erkrankungen in Äthiopien gibt. Das Bestehen einer Extremgefahr (vgl. oben) hängt danach von den Umständen des konkreten Einzelfalls ab.
1.2 Aus den genannten Gründen werden die weiteren Fragen
„ob es für einen psychisch kranken Rückkehrer ohne finanzielle Mittel möglich [ist], in Äthiopien eine angemessene stationäre psychiatrische und psychotherapeutische Behandlung zu erhalten“,
und
“ob ein unter einer psychischen Erkrankung leidender Asylbewerber nach seiner Rückkehr nach Äthiopien mit Stigmatisierung, Diskriminierung und Ausschluss aus der Gesellschaft errechnen [muss]“, 16 den Anforderungen für die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. Abs. 4 Satz 4 AsylG; vgl. oben) ebenfalls nicht gerecht. Es fehlt auch insofern an einer klärungsfähigen Fragestellung und die aufgeworfenen Fragen sind (in Bezug auf § 60 Abs. 5 AufenthG bzw. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG) einer grundsätzlichen Klärung i.S. von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG nicht zugänglich.
2. Soweit sich der Kläger in der Sache gegen die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) wendet, wird dadurch ebenfalls kein Berufungszulassungsgrund im Sinn von § 78 Abs. 3 AsylG benannt (vgl. BayVGH, B.v. 25.7.2018 – 8 ZB 18.31802 – juris Rn. 7; B.v. 31.10.2018 – 8 ZB 17.30339 – juris Rn. 9 ff.). Durch Mängel der gerichtlichen Sachverhalts- und Beweiswürdigung kann allenfalls der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG, § 138 Nr. 3 VwGO, § 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt sein, wenn ein besonders schwerwiegender Verstoß vorliegt, vor allem wenn die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Gerichts auf einem Rechtsirrtum beruht, objektiv willkürlich ist oder allgemeine Erfahrungssätze missachtet (vgl. BVerwG, B.v. 31.1.2018 – 9 B 11.17 – juris; B.v. 12.3.2014 – 5 B 48.13 – NVwZ-RR 2014, 660 = juris Rn. 22; BayVGH, B.v. 7.5.2018 – 21 ZB 18.30867 – Rn. 4). Dass ein solcher Mangel hier vorliegt, zeigt der Zulassungsantrag nicht auf.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 RVG.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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