Medizinrecht

Erfolgloser Eilantrag im Normenkontrollverfahren gegen die nächtliche Ausggangssperre in der Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung

Aktenzeichen  20 NE 20.3032

Datum:
11.1.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 961
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 47 Abs. 6
11. BayIfSMV § 3
GG Art. 2 Abs. 1, 2 S. 2
IfSG § 28a Abs. 2 S. 1 Nr. 2, Nr. 3

 

Leitsatz

1. Die der 11. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung  zugrundeliegende Gefährdungsprognose erweist sich in Anbetracht der aktuell sehr angespannten Pandemielage nicht als rechtsfehlerhaft. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Erwartung des Verordnungsgebers, mit der Ausgangsbeschränkung während der Nachtzeit vor allem besonders infektionsgefährdende gesellige Zusammenkünfte zu unterbinden, ist insbesondere im Hinblick auf den erheblichen Beitrag privater Feiern zum Infektionsgeschehen in den vergangenen Monaten plausibel. Dass hierbei auch an sich unbedenkliche Tätigkeiten, wie z.B. nächtliches Sporttreiben alleine, untersagt werden, ändert nichts an der grundsätzlichen Eignung der Ausgangsbeschränkungen. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
3. Aufgrund des pandemischen Geschehens ergibt die Folgenabwägung, dass die zu erwartenden Folgen einer Außervollzugsetzung der angegriffenen Normen – im Hinblick auf die damit einhergehende mögliche Eröffnung weiterer Infektionsketten – schwerer ins Gewicht fallen als die Folgen ihres weiteren Vollzugs für die Freiheitsrechte des Antragstellers. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Wert des Verfahrensgegenstands wird auf 10.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antragsteller ist durch die angegriffene Ausgangsbeschränkung in seiner allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG beeinträchtigt und in seiner Bewegungsfreiheit beschränkt. Die Ausgangsbeschränkung, insbesondere die des § 3 11. BayIfSMV, ist zwar zum einen eine besonders intensiv in diese Rechte der Bürger eingreifende Maßnahme. Auf der anderen Seite dürfte sie – jedenfalls nach der Einschätzung des Gesetzgebers (§ 28a Abs. 2 IfSG) – auch eine für die Infektionsbekämpfung besonders wirkkräftige Maßnahme sein.
3. Aber selbst wenn man von offenen Erfolgsaussichten in der Hauptsache ausginge, würde die im Rahmen des Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes vorzunehmende Folgenabwägung ergeben, dass die Interessen der Gesamtbevölkerung am Schutz von Leib und Leben (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) die Interessen des Antragstellers an einem Aufenthalt außerhalb seiner Wohnung zwischen 21 Uhr und 5 Uhr (Art. 2 Abs. 1 GG), z.B. zur sportlichen Betätigung im Freien, überwiegen.
Das pandemische Geschehen hat sich erheblich verstärkt. Nach dem Situationsbericht des Robert-Koch-Instituts (RKI) vom 10. Januar 2021 (vgl. abrufbar unter https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Jan_2021/2021-01-10-de.pdf? blob=publicationFile) ist nach wie vor ist eine hohe Anzahl an Übertragungen in der Bevölkerung in Deutschland zu beobachten. Das RKI schätzt die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland insgesamt als sehr hoch ein. Gestern wurden 16.946 neue Fälle und 465 neue Todesfälle übermittelt. Die Inzidenz der letzten 7 Tage liegt deutschlandweit bei 162 Fällen pro 100.000 Einwohner (EW). In Sachsen und Thüringen liegt sie sehr deutlich über der Gesamtinzidenz. Die 7-Tage-Inzidenz bei Personen 60-79 Jahre liegt aktuell bei 128 und bei Personen ≥ 80 Jahre bei 309 Fällen/100.000 EW. Die hohen bundesweiten Fallzahlen werden durch zumeist diffuse Geschehen mit zahlreichen Häufungen insbesondere in Haushalten, im beruflichen Umfeld und Alten- und Pflegeheimen verursacht. Am 10. Januar 2021 befanden sich 5.320 COVID-19-Fälle in intensivmedizinischer Behandlung (-94 zum Vortag). Seit dem Vortag erfolgten 396 Neuaufnahmen von COVID-19-Fällen auf eine Intensivstation. 490 haben ihre Behandlung abgeschlossen, davon sind 39% verstorben. Weiterhin ist bei der Interpretation der Fallzahlen zu beachten, dass in den vergangenen 2 Wochen vermutlich weniger Personen einen Arzt aufsuchten, weswegen weniger Proben genommen und weniger Laboruntersuchungen durchgeführt wurden. Dies kann dazu geführt haben, dass weniger Erregernachweise an die zuständigen Gesundheitsämter gemeldet wurden.
In dieser Situation ergibt die Folgenabwägung, dass die zu erwartenden Folgen einer Außervollzugsetzung der angegriffenen Normen – im Hinblick auf die damit einhergehende mögliche Eröffnung weiterer Infektionsketten – schwerer ins Gewicht fallen als die Folgen ihres weiteren Vollzugs für die Freiheitsrechte des Antragstellers. Gegenüber den somit bestehenden Gefahren für Leib und Leben, vor denen zu schützen der Staat nach dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verpflichtet ist, müssen die Interessen der von den Ausgangsbeschränkungen Betroffenen derzeit zurücktreten (vgl. auch BVerfG, B.v. 15.7.2020 – 1 BvR 1630/20 – juris Rn. 25; BayVerfGH, E.v. 12.8.2020 – Vf.-34-VII-20 – juris Rn. 24 m.w.N.; BVerfG, B.v. 11.11.2020 – 1 BvR 2530/20 – juris Rn. 12 ff.).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Gegenstandswertes ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG. Da die von dem Antragsteller angegriffene Verordnung bereits mit Ablauf des 31. Januar 2021 außer Kraft tritt (§ 29 Abs. 1 11. BayIfSMV), zielt der Eilantrag inhaltlich auf eine Vorwegnahme der Hauptsache, weshalb eine Reduzierung des Gegenstandswertes für das Eilverfahren auf der Grundlage von Ziff. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit hier nicht angebracht ist.


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