Medizinrecht

Erfolgreiche einstweilige Verfügung wegen Patentverletzung durch ein Generikum

Aktenzeichen  21 O 22243/15

Datum:
20.5.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
GRUR-RS – 2016, 09402
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
PatG §§ 9 S. 2 Nr. 1, 139 I 2
EPÜ Art. 52 I, 56, 64
ZPO §§ 921 S. 2, 938, 945

 

Leitsatz

1 Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes in Bezug auf Ansprüche aus einem technischen Schutzrecht ist jedenfalls nicht ausschließlich auf solche Fälle beschränkt, in denen der Rechtsbestand des Schutzrechtes eindeutig gesichert erscheint (Abweichung zu OLG Düsseldorf BeckRS 2012, 07679). (redaktioneller Leitsatz)
2 In die im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes gebotene Güter- und Interessenabwägung kann bei Patentstreitigkeiten im Pharmabereich hinsichtlich etwaiger Verletzungshandlungen von Generikaunternehmen der Umstand einfließen, dass durch die Festsetzung von Festpreisen dem Patentinhaber ein Preisverfall drohen kann, während der mögliche Schaden des mit geringerem unternehmerischen Risiko tätigen Generikaherstellers eher durch Ersatzleistungen auszugleichen ist. Dies kann es für den Antragsteller unzumutbar machen, zunächst den Ausgang eines Angriffsverfahrens auf sein Schutzrecht abzuwarten (Fortführung von OLG Düsseldorf GRUR-RR 2013, 236 – Flupirtin-Maleat).   (redaktioneller Leitsatz)
3 Für die Anordnung einer Sicherheitsleistung  iSd  § 921 S. 2 ZPO besteht im Rahmen der gerichtlichen Ermessenausübung nach § 938 I ZPO nur Anlass, wenn Anhaltspunkte erkennbar oder konkret dafür vorgetragen sind, dass ein etwaiger Schadensersatzanspruch des unterlegenen Antragsgegners nach § 945 ZPO gegenüber dem Antragsteller nicht realisiert werden könnte (Fortführung von OLG München BeckRS 2013, 14928). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die einstweilige Verfügung vom 10.12.2015 wird bestätigt.
II.
Die Antragsgegnerin trägt die weiteren Kosten des Rechtsstreits.

Gründe

Die einstweilige Verfügung vom 10.12.2015 (Bl. 25/28 d. A.) war zu bestätigen, da die Antragstellerin einen Verfügungsanspruch auf Unterlassung gegen die Antragsgegnerin hat und ein Verfügungsgrund besteht.
I.
Der Antragstellerin steht gegen die Antragsgegnerin ein Verfügungsanspruch auf Unterlassung des Anbietens, Inverkehrbringens, Gebrauchens oder Einführens oder Besitzens zu den genannten Zwecken der sinnfällig hergerichteten angegriffenen Ausführungsform aus §§ 9 Satz 2 Nr. 1, 139 Abs. 1 Satz 2 PatG i. V. m. Art. 53 lit. c), 54 Abs. 5, 64 EPÜ zu. Die angegriffene Ausführungsform verwirklicht die Merkmale des geltend gemachten Anspruchs 11 des deutschen Teils des Europäischen Patents EP 1 313 508 B1 wortsinngemäß.
1. Die durch den deutschen Teil des Europäischen Patents EP 1 313 508 B1 (Anlage HL2, deutsche Übersetzung DE 601 27 970 T2 als Anlage HL2a) unter Schutz gestellte technische Lehre ist aus der Sicht des angesprochenen Durchschnittsfachmanns aus den Merkmalen des hier maßgeblichen Anspruchs 11 im Einzelnen und in ihrer Gesamtheit unter Heranziehung der Beschreibung zu ermitteln.
a) Maßgeblicher Durchschnittsfachmann ist nach den Ausführungen der Antragsgegnerin im Widerspruch vom 15.02.2016 (Seite 15, Bl. 46 d. A.), die von der Antragstellerin nicht in Frage gestellt sind und von der Kammer als zutreffend erachtet werden, ein Team aus einem medizinischen Chemiker oder Pharmakologen mit Spezialisierung auf dem Gebiet der Wirkmechanismen von Antifolaten und langjähriger Berufserfahrung in der Erforschung von Antifolaten bei der Behandlung von Krebs sowie einem Mediziner mit Spezialisierung auf dem Gebiet der Onkologie und langjähriger Erfahrung in der chemotherapeutischen Behandlung von Krebspatienten mit Antikrebswirkstoffen wie Antifolaten.
b) Der Gegenstand der Erfindung des Verfügungspatents EP 1 313 508 B1 betrifft im Sinne einer zweiten medizinischen Indikation die Verwendung des Wirkstoffs Pemetrexed in einer Kombinationsbehandlung mit Folsäure und einem Methylmalonsäure verringernden Mittel wie Vitamin B12, durch die die potentiell lebensbedrohlichen Toxizitäten dieses Antifolats verringert werden sollen, ohne dass die tumorhemmende Wirkung des Chemotherapeutikums beeinträchtigt wird (vgl. Teilziffer [0005]).
(1) Im Stand der Technik war die Behandlung von Tumorerkrankungen mit Antifolaten seit den 1940er Jahren bekannt, als der erste Wirkstoff dieser Klasse, Aminopterin, klinische Aktivität gezeigt hat. Sie sind seitdem eine der am besten untersuchten Klassen von antineoplastischen Mitteln, wobei ihre Wirkung darauf beruht, einen oder mehrere Folatbenötigende Schlüsselenzyme der Tymidin- und Purinbiosynthesewege zu hemmen, indem sie mit reduziertem Folat um die Bindung dieser Enzyme konkurrieren und damit letztlich den Tod der Zelle herbeiführen (vgl. Teilziffer [0002]).
Eine erhebliche Beschränkung bei der Entwicklung dieser Arzneimittel sind deren cytotoxische Aktivität und die damit einhergehenden Toxizitäten für den behandelten Patienten, die mit einem hohen Mortalitätsrisiko verbunden sind. Die Unfähigkeit diese Toxizitäten trotz einiger bekannter Interventionsmöglichkeiten zu kontrollieren, führte zum Ausschluss der klinischen Entwicklung einiger Antifolate und hat die Entwicklung von anderen verkompliziert (Teilziffern [0003] und [0001]). Die Toxizitäten blieben eine ernste Besorgnis bei der Entwicklung von Antifolaten als pharmazeutische Arzneimittel.
(2) Davon ausgehend ist es die Aufgabe der verfügungspatentgemäßen Erfindung, die durch die potentiell lebensbedrohlichen Toxizitäten verbliebene Limitierung bei der optimalen Verabreichung von Antifolaten zu überwinden (Teilziffer [0001]) und bestimmte toxische Effekte, wie Mortalität und nichthämatologische Ereignisse, wie Hautausschläge und Müdigkeit, signifikant zu reduzieren, ohne die therapeutische Wirksamkeit des Antifolats nachteilig zu beeinflussen (Teilziffer [0005]).
(3) Gegenstand der Erfindung ist daher die Verwendung des Antifolats Pemetrexed (als Pemetrexeddinatrium) zur Herstellung eines Arzneimittels zur Verbesserung der therapeutischen Brauchbarkeit durch die Verabreichung eines Methylmalonsäure verringernden Mittels wie Vitamin B12. Erhöhte Spiegel an Methylmalonsäure sind ein Vorläufer von toxischen Ereignissen bei Patienten, die ein Antifolatarzneimittel erhalten, wobei die Behandlung der erhöhten Methylmalonsäure, wie die Behandlung mit Vitamin B12, die Mortalität und die nichthämatologischen Ereignisse, wie Hautausschläge und Müdigkeitsereignisse, die im Stand der Technik mit Antifolatarzneimitteln assoziiert waren, verringert. Neben Vitamin B12 können auch pharmazeutische Derivate davon als Methylmalonsäure verringernde Mittel ausgewählt werden (Teilziffern [0005] und [0010]).
Zusätzlich hat die Erfindung die Kombination der Methylmalonsäure verringernden Mittel wie Vitamin B12 mit Folsäure zum Gegenstand, die synergistisch die toxischen Ereignisse verringert. Anders als bei der aus dem Stand der Technik bekannten Kombination dieser beiden Stoffe zur Prävention kardiovaskulärer Ereignisse bewirkt deren kombinierte Verwendung gemeinsam mit dem Antifolat erfindungsgemäß eine Behandlung der Toxizität, die bislang mit der Gabe des Antifolats Pemetrexed assoziiert war (Teilziffern [0006] und [0010]).
Vom Antifolat Pemetrexed wird dabei eine wirksame Menge verabreicht (Teilziffern [0007] und [0010]), die eine Hemmung des Tumorwachstums bewirkt (Teilziffer [0014]), wobei sich der Begriff der Hemmung auf die Verhinderung, Linderung, Besserung, das Anhalten, das Zurückdrängen, die Verlangsamung oder die Umkehr der Progression oder die Verringerung des Tumorwachstums bezieht (Teilziffern [0017] und [0018]).
Maßgeblich den Gegenstand der Erfindung bestimmt im Ergebnis die Erkenntnis, dass die Kombination des Wirkstoffs Pemetrexed mit einem Methylmalonsäure verringernden Mittel wie Vitamin B12 oder einem pharmazeutischen Derivat davon in Kombination mit Folsäure die aus dem Stand der Technik bekannten Toxizitäten verringert, ohne die Wirksamkeit des Arzneimittels im Hinblick auf die Hemmung des Tumorwachstums zu beeinträchtigen.
c) Der geltend gemachte Patentanspruch 11 des Verfügungspatents EP 1 313 508 B1 lässt sich im Sinne einer Merkmalsanalyse wie folgt aufgliedern (Anlage HL4):
11.1 Verwendung von Pemetrexeddinatrium zur Herstellung eines Arzneimittels
11.2 zur Verwendung in einer Kombinationstherapie zur Hemmung eines Tumorwachstums bei Säugern,
11.3 worin das Arzneimittel in Kombination mit Vitamin B12 verabreicht werden soll
11.4 und mit Folsäure,
11.5 wobei Vitamin B12 als intramuskuläre Injektion verabreicht werden soll und
11.6 Folsäure oral als eine Tablette verabreicht werden soll.
11.1 2. Die genannten Merkmale des geltend gemachten Anspruchs 11 werden durch die angegriffene Ausführungsform, das sinnfällig hergerichtete Arzneimittel Pemetrexed … der Antragsgegnerin, wortsinngemäß verwirklicht.
a) Wie aus der Zusammenfassung der Produktmerkmale der angegriffenen Ausführungsform gemäß Anlage HL7 hervorgeht und von der Antragsgegnerin in tatsächlicher Hinsicht nicht bestritten ist, enthält jede Durchstechflasche Pemetrexed … den Wirkstoff Pemetrexeddinatrium als Pulver zur Herstellung eines Konzentrats zur Herstellung einer Infusionslösung, die der Behandlung menschlicher Patienten mit Krankheiten wie dem malignen Pleuramesotheliom oder dem nichtkleinzelligen Lungenkarzinom, die sich durch Tumorwachstum auszeichnen, dient. Entsprechend dem Abschnitt „Prämedikation” auf Seite 3 von Anlage HL7 müssen Patienten, die mit Pemetrexed … behandelt werden, zur Reduktion der Toxizität täglich orale Gaben von Folsäure oder Multivitamine mit Folsäure erhalten, wobei die Folsäuregabe sieben Tage vor der ersten Dosis Pemetrexed begonnen und während der Therapie sowie weitere 21 Tage nach der letzten Pemetrexed-Dosis fortgesetzt werden soll. Zudem müssen die Patienten hiernach eine intramuskuläre Injektion Vitamin B12 in der Woche vor der ersten Pemetrexed-Dosis sowie nach jedem dritten Behandlungszyklus erhalten. Weitere Vitamin-B12-Injektionen können am selben Tag wie Pemetrexed gegeben werden.
b) Es besteht im Hinblick auf ein Anbieten, Inverkehrbringen, Gebrauchen oder Einführen oder Besitzen zu diesen Zwecken die nach § 139 Abs. 1 Satz 2 PatG, Art. 64 EPÜ erforderliche Erstbegehungsgefahr, weil die Antragsgegnerin mit dem Schreiben gemäß Anlage HL10 durch ihre Konzernmutter hat ankündigen lassen, dass sie beabsichtigt, die angegriffene Ausführungsform ab dem 15.12.2015 in der Lauer-Taxe listen zu lassen (vgl. BGH GRUR 2007, 221, 222 – Simvastatin) und danach sobald als möglich in Deutschland auf den Markt zu bringen.
II.
Es besteht der Verfügungsgrund der Dringlichkeit im Sinne von §§ 936, 917 ZPO. Die zeitige Durchsetzung des Verfügungsanspruchs ist deshalb erforderlich, weil nicht mangels erfinderischer Tätigkeit gemäß Art. 52 Abs. 1, 56 EPÜ davon auszugehen ist, dass das Verfügungspatent das Nichtigkeitsverfahren voraussichtlich nicht überstehen wird.
1. Prüfungsmaßstab ist aufgrund der vorangegangenen Einspruchsentscheidung des Europäischen Patentamts vom 27.12.2010 (Anlage HL12), durch die das Verfügungspatent unverändert aufrechterhalten wurde, die Frage, ob sich diese Entscheidung als unvertretbar darstellt. Zwar kommt eine strenge rechtliche Bindung des Verletzungsgerichts an eine Einspruchsentscheidung nur dann in Betracht, wenn das Patent durch sie teilweise geändert oder vernichtet worden ist (BGH GRUR 1979, 308 – Auspuffkanal für Schaltgase; BGH GRUR 1992, 839 – Linsenschleifmaschine), sie stellt aber auch im Übrigen eine gewichtige sachkundige Äußerung dar, die vom Verletzungsgericht zur Kenntnis zu nehmen und zu würdigen ist, wobei eine Abweichung von den prima facie sachkundigen Darlegungen in der Regel wiederum Sachkunde in technischer Hinsicht voraussetzt (BGH GRUR 1998, 895 – Regenbecken; Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 8. Aufl., Rn. A, 74 ff.).
2. Die Einspruchsabteilung kommt in ihrer Entscheidung vom 27.12.2010 (Anlage HL12, Übersetzung als Anlage HL12a) auf den Seiten 13 ff. zu dem Ergebnis, dass es dem Verfügungspatent nicht im Hinblick auf die dortigen Entgegenhaltungen D28 (jetzige Anlage TW1-NiK2) gegebenenfalls in Kombination mit D9 (jetzige Anlage TW1-NiK16) und dem allgemeinen Fachwissen an erfinderischer Tätigkeit mangle, da die Verabreichung von Vitamin B12 zur Verringerung der Toxizitäten der Pemetrexedbehandlung für den Fachmann zum Prioritätszeitpunkt nicht nahegelegen habe.
Die Anlage TW1-NiK16 zeige zwar eine starke Korrelation zwischen den Baseline-Homocysteinspiegeln und der Entwicklung einer Reihe von Toxizitäten wie Neutropenie, Thrombozytopenie, Mukositis oder Durchfall, so dass davon auszugehen sei, dass am Prioritätsdatum bekannt gewesen sei, dass die Toxizität von Pemetrexed mit einer Erhöhung der Homocysteinspiegel im Plasma korreliert. Neben Homocystein seien jedoch auch die Vitamin-Metaboliten Cystathionin und Methylmalonsäure gemessen worden, wobei letztere bekanntlich der Mangel-Marker für Vitamin B12 sei. Eine Korrelation zwischen den Toxizitäten von Pemetrexed und den restlichen vorgegebenen Prädikatoren, nämlich Methylmalonsäure und Cystathionin, sei nicht beobachtet worden. Es sei deshalb davon auszugehen, dass TW1-NiK16 lehre, dass es keine Korrelation zwischen Pemetrexed-Toxizität und Methylmalonsäure gebe, und der Fachmann daher zu dem Schluss gekommen wäre, dass Vitamin B12 nicht an der bei der Pemetrexed-Behandlung beobachteten Toxizität beteiligt sei. Es habe für ihn also keine Motivation bestanden, Vitamin B12 zu verwenden, angesichts dessen, dass der bekannte Marker für dessen Mangel nicht korreliert habe.
Auch ausgehend von der TW1-NiK2 hätte der mit dem Problem der Reduzierung der Pemetrexed-Toxizität konfrontierte Fachmann nach Auffassung der Einspruchsabteilung die Beteiligung von Vitamin B12 im Hinblick auf die Lehre der TW1-NiK16 ausgeschlossen und hätte dieses Vitamin nicht verwendet, um die Toxizität zu reduzieren. Vielmehr hätte er eher nur Folsäure verwendet, da in Ermangelung einer Korrelation zwischen der Pemetrexed-Toxizität und Methylmalonsäure, wie in TW1-NiK16 berichtet, der in dem Dokument beschriebene erhöhte Homocysteinspiegel als Marker für Folatmangel erkannt worden wäre.
3. Diese nach Auffassung der Kammer keinesfalls unvertretbaren sachkundigen Äußerungen der Einspruchsabteilung rechtfertigen es auch im Lichte der hiesigen Argumentation der Antragsgegnerin nicht, von einer fehlenden erfinderischen Tätigkeit auszugehen und für das Nichtigkeitsverfahren eine Vernichtungsprognose zu stellen.
a) Die von der Antragsgegnerin als Ausgangspunkt herangezogene Anlage TW1-NiK8 stammt ebenso wie die Anlage TW1-NiK16 von Niyikiza et al. und beschreibt ähnlich wie dort, dass bei einer Messung von Homocystein-, Cystathionin- und Methylmalonsäurewerten bei 139 Phase-II-Patienten eine starke Korrelation zwischen erhöhten Homocysteinspiegeln vor der Behandlung mit Pemetrexed und ersthaften Toxizitäten infolge dieser Behandlung gefunden worden sei. Anders als in Anlage TW1-NiK16 findet sich dort lediglich die ausdrückliche Aussage nicht, dass keine Korrelation zu den übrigen Prädikatoren, zu denen auch der Vitamin-B12-Mangel-Marker Methylmalonsäure gehörte, festzustellen war.
Die von der Antragsgegnerin – ebenso wie von der Einspruchsabteilung – weiter herangezogene Anlage TW1-NiK2 stellt zunächst fest, dass eine Supplementierung mit Folsäure einen klaren Effekt bezüglich der Reduzierung der Toxizitäten habe, dass es jedoch schwierig sei, eine Korrelation zwischen den Folsäurespiegeln vor der Behandlung und den durch das Antifolat hervorgerufenen Toxizitäten herzustellen. Vielmehr habe sich die Messung von Homocysteinwerten im Plasma vor der Behandlung als aussagekräftige Methode erwiesen, um die Toxizität von Pemetrexed vorherzusagen. Einer vorhergehenden Diskussion der Wirkweise des Enzyms Methioninsynthase, das Vitamin-B12-abhängig sei, folgt der Schluss (Seite 8 der Anlage TW1-NiK2 a.E.), dass aus einem funktionalen Mangel entweder von Vitamin B12 oder Folsäure eine Verringerung der Umsetzung durch die Methioninsynthase resultiere und es folglich zu einer Erhöhung des Homocysteinspiegels im Plasma komme.
Die Entgegenhaltung TW1-NiK8 allein oder in Kombination mit TW1-NiK2 lässt den aus TW1-NiK16 allein oder in Kombination mit TW1-NiK2 gezogenen Schluss der Einspruchsabteilung, dass es nicht an erfinderischer Tätigkeit fehle, nicht unvertretbar erscheinen. Die Kammer kann diesen Dokumenten zwei für den Fachmann zum Prioritätszeitpunkt zutage getretene Aussagen klar entnehmen: zum einen, dass eine starke Korrelation zwischen erhöhten Plasmawerten an Homocystein vor der Behandlung und den durch die Pemetrexed-Behandlung hervorgerufenen Toxizitäten besteht, und zum anderen, dass ein Mangel von Folsäure und/oder Vitamin B12 zu erhöhten Plasmawerten an Homocystein führt.
Der von der Antragsgegnerin in die Entgegenhaltungen hineingelesene „missing link”, dass nämlich zu einer Reduzierung der Toxizitäten von Pemetrexed auch das den Homocysteinspiegel senkende Vitamin B12 zu verabreichen ist, lässt sich den Dokumenten nicht ohne weiteres entnehmen. Warum sich dies für den Fachmann aus einer Kombination mit seinem allgemeinen Fachwissen zum Prioritätszeitpunkt hätte ergeben sollen, erschließt sich ebenfalls nicht. Insofern ist der Aussagegehalt von TW1-NiK8 und TW1-NiK16 zu beachten, der den Fachmann zum Prioritätszeitpunkt gerade von diesem Rückschluss abgehalten hat, da TW1-NiK16 feststellt, dass die übrigen Prädikatoren, zu denen auch derjenige mit Vitamin-B12-Markerfunktion, die Methylmalonsäure, gehörte, keine Korrelation mit den Toxizitäten erkennen lassen. Dass allein aufgrund des einen fehlenden Satzes in der TW1-NiK8 der Fachmann diesen Schluss doch gezogen hätte, erscheint nicht nachvollziehbar, zumal Abstracts, wie sie die beiden Entgegenhaltungen darstellen, keine umfassende Diskussion nicht zielführender Methoden, sondern nur eine knappe Darstellung wissenschaftlich weiterführender Erkenntnisse erwarten lassen. Diese bestehen bei TW1-NiK8 in der Korrelation zwischen Homocysteinspiegel und Toxizitäten, nicht in potentiell hineinzulesenden Aussagen zur Methylmalonsäure.
b) Hieran ändern auch die von der Antragsgegnerin herangezogenen Entgegenhaltungen TW1-NiK9 und TW1-NiK13 nichts, die die Senkung des Homocysteinspiegels durch Vitamine wie Vitamin B12 und Folsäure behandeln, um die Folgewirkungen des erhöhten Homocysteins zu vermeiden. Wie die Anlage TW1-NiK9 bereits durch ihre Überschrift verrät, entstand sie im Rahmen eines Kolloquiums zum Zusammenhang zwischen Homocystein, Vitaminen und arteriellen Verschlusskrankheiten. Entsprechende Literatur hätte der Fachmann – wohlgemerkt ein Team aus einem medizinischen Chemiker oder Pharmakologen und einem Onkologen – bereits nicht herangezogen, um zum Prioritätszeitpunkt die Frage der Reduzierung von Nebenwirkungen eines Zytostatikums zu prüfen. Selbst wenn er sie herangezogen hätte, hätte er den Dokumenten lediglich die Möglichkeit der Prävention und Behandlung von kardiovaskulären Erkrankungen, die mit einem erhöhten Homocysteinspiegel vergesellschaftet sind, entnommen, nicht aber auf das Potential von Vitamin B12 schließen können, die Toxizität von Pemetrexed in den Griff zu bekommen. Dass entsprechende Überlegungen zu den von erhöhtem Homocystein ausgehenden Risiken für das Herz-Kreislauf-System für Patienten, die für eine Pemetrexed-Behandlung in Betracht kommen, keine Rolle spielen, versteht sich aufgrund des Behandlungsspektrums von selbst und lässt sich den als Anlage HL1 vorgelegten Gebrauchsinformationen von dort Seiten 7 ff., entnehmen, die eine bedauerlich geringe Lebenserwartung dieser Patienten zeigen.
c) Ähnliches gilt für die ernährungsmedizinische Entgegenhaltung TW1-NiK12, aus der sich nach Auffassung der Antragsgegnerin die indizierte kombinierte Gabe von Folsäure und Vitamin B12 und das ansonsten drohende Maskierungsproblem eines Vitamin-B12-Mangels ergeben soll. Selbst wenn der – ernährungsmedizinisch wenig beschlagene – Fachmann entsprechende Literatur zum Prioritätszeitpunkt konsultiert hätte, hätte er ihr weder direkt noch in Kombination mit den vorgehenden Dokumenten den Hinweis entnommen, zur Reduzierung der Nebenwirkungen neben Folsäure auch Vitamin B12 zu verabreichen, weil die ernährungsmedizinisch anzugehenden Probleme eines möglichen Vitamin-B12-Mangels gegebenenfalls mit erhöhten Homocysteinwerten, wie sie die Anlage TW1-NiK12 auf den Seiten 127 ff. beschreibt, für terminal kranke Lungenkrebspatienten keine Rolle mehr spielen.
d) Soweit nach Auffassung der Antragsgegnerin die Anlage TW1-NiK14 für den Fachmann zum Prioritätszeitpunkt die Verbindung zwischen den Nebenwirkungen einer Therapie mit dem verwandten Antifolat Methotrexat und einer Supplementierung auch mit Vitamin B12 hergestellt haben soll, kann dem nicht gefolgt werden, da die Anlage TW1-NiK14 auf Seite 4 lediglich diskutiert, dass der Vitamin-B12-Mangel selbst eine Nebenwirkung der Behandlung sein kann und es sinnvoll sein könnte, diesen Mangel auszugleichen. Die Entgegenhaltung behandelt also ein umgekehrtes Problem. Dass gerade die Vitamin-B12-Supplementierung geeignet ist, die Nebenwirkungen des Antifolats zu reduzieren, zeigt das Dokument dagegen nicht auf. Auch soll der Vitamin-B12-Mangel keine Auswirkungen auf die Wirksamkeit des Medikaments haben, was es als naheliegender erscheinen lässt, dass Vitamin B12 mit den Nebenwirkungen in keinem Zusammenhang steht.
e) Schließlich hat sich die Kammer auch davon überzeugen lassen, dass es die Anlage TW1-NiK15 (Mendelsohn et al., Seite 270, Abschnitt 9.), die der Einspruchsabteilung schon deswegen bekannt war, weil sie in Teilziffer [0001] des Verfügungspatents erwähnt ist, dem Fachmann nicht ohne weiteres nahegelegt hätte, die Nebenwirkungen des dort behandelten Antifolats Lometrexol durch die Gabe von Vitamin B12 zusätzlich zur Folsäure zu reduzieren. Der letzte Absatz des Abschnitts 9. scheint dem Fachmann zwar auch den Weg zu Vitamin B12 zu weisen („The biochemical pathways that utilize folate cofactors also require adequate amounts of vitamins B12 and B6. Thus, the status of all three vitamins in patients may significantly influence the severety of toxicity observed during chemotherapy.”), es ist aber zu beachten, dass die maßgebliche Passage lediglich allgemeine Überlegungen zu den biochemischen Prozessen des Folatstoffwechsels ohne konkrete analytische oder experimentelle Belege enthält, sich durchgehend wie auch das Ende des vorangegangenen Absatzes einer konjunktivischen Formulierung bedient („may”) und der Abschnitt 9. bereits einleitend klarstellt, dass der Folsäurestatus von Krebspatienten nie systematisch untersucht worden ist. Der Durchschnittsfachmann hätte folglich zum Prioritätszeitpunkt erkannt, dass der Beitrag von Mendelsohn et al. nur allgemeine Überlegungen zur Vitamin-Supplementierung ohne Belege und experimentell gewonnene Daten enthält, und hätte sich veranlasst gesehen, nach speziellerer Literatur mit empirisch gewonnenem Datenmaterial zu suchen. Diese spezielleren, experimentellen Ansätze hätte er bei Niyikiza et al. in den Anlagen TW1-NiK8 und TW1-NiK16 gefunden, wo bereits Phase-II-Untersuchungen beschrieben sind. Diese Dokumente – mögen sie auch von einem Miterfinder des Verfügungspatents stammen – hätten den Durchschnittsfachmann aber, wie oben erläutert, von einer Vitamin-B12-Gabe in Kombination mit Folsäure wieder weggeführt, weil sie gerade auf eine fehlende Korrelation zwischen dem Vitamin-B12-Mangelmarker Methylmalonsäure und den Toxizitäten der Pemetrexed-Behandlung hinweisen.
III.
Die vorzunehmende Interessenabwägung geht zugunsten der Antragstellerin aus, da es ihr nicht zuzumuten ist, den Markteintritt der Antragsgegnerin mit einem Generikum hinzunehmen und jedenfalls für einen Zwischenzeitraum auf die Geltendmachung von Schadensersatz verwiesen zu werden. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass selbst nach der von den Münchener Patentstreitkammern nicht vertretenen engen Rechtsauffassung, wonach einstweiliger Rechtsschutz nur im Falle eines weitgehend eindeutigen Rechtsbestandes zu gewähren ist (OLG Düsseldorf, InstGE 12, 114 – Harnkatheterset; OLG Karlsruhe, InstGE 11, 143 – VA-LCD-Fernseher), deshalb Ausnahmen gemacht werden, weil bei Verletzungshandlungen von Generikaunternehmen durch die sozialrechtliche Festsetzung von Festpreisen ein Preisverfall drohen kann, während der mögliche Schaden des mit geringerem unternehmerischen Risiko tätigen Generikaherstellers eher durch Ersatzleistungen ausgeglichen werden kann (OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2013, 236 – Flupirtin-Maleat). Gleiches gilt auch bei der im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen Abwägung.
IV.
Die Anordnung einer Sicherheitsleistung im Rahmen von § 938 ZPO war nicht angezeigt, da keine Anhaltspunkte dafür bestehen oder konkret vorgetragen sind, dass ein etwaiger Schadensersatzanspruch der unterlegenen Antragsgegnerin nach § 945 ZPO gegenüber der Antragstellerin nicht realisiert werden könnte (OLG München, BeckRS 2013, 14928).
V.
Die nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung eingegangenen Schriftsätze der Antragstellerin vom 28.04.2016 sowie der Antragsgegnerin vom 10.05.2016 waren nach § 296a Satz 1 ZPO unberücksichtigt zu lassen. Eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nach § 156 Abs. 1 ZPO war nicht veranlasst, da die Antragstellerin bereits auf der Grundlage des bisherigen Sachvortrags obsiegt hat und die Antragsgegnerin lediglich auf den nicht nachgelassenen Schriftsatz der Antragstellerin mit einem nicht nachgelassenen Schriftsatz erwidert hat.
VI.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO.


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