Medizinrecht

Erfolgsaussicht, Krankheit, Versicherungsnehmer, Feststellung, Notwendigkeit, Heilbehandlung, Wirtschaftlichkeitsgebot, Behandlung, Antragsteller, Verschlimmerung, Therapie, Anspruch, Beweisverfahren, Erstattung, rechtliches Interesse, medizinische Notwendigkeit, medizinisch notwendig

Aktenzeichen  25 W 622/22

Datum:
23.5.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 11320
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

21 OH 1682/21 Ver 2022-02-25 Bes LGINGOLSTADT LG Ingolstadt

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Landgerichts Ingolstadt vom 25. Februar 2022, Az. 21 OH 1682/21 Ver, in Nr. I und II der Beschlussformel aufgehoben. Es ist nach Maßgabe der Antragsschrift vom 12. Oktober 2020 Beweis zu erheben. Die weiteren erforderlichen Anordnungen und Maßnahmen werden dem Landgericht übertragen.
2. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 19.974,29 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller unterhält bei dem Antragsgegner eine private Krankheitskostenversicherung. Wegen eines Prostatakarzinoms unterzog sich der Antragsteller im Jahr 2015 zunächst einem operativen Eingriff und sodann unter anderem einer hyperthermischen Behandlung. Die Übernahme der Kosten für eine Fortführung dieser Behandlung lehnte der Antragsgegner im Jahr 2020 ab.
Der Antragsteller hat beantragt,
im Wege des selbständigen Beweisverfahrens ein schriftliches Sachverständigengutachten im Kern dazu einzuholen, ob es nach den objektiven medizinischen Befunden und Erkenntnissen zum Behandlungszeitpunkt vertretbar war, durchgeführte Heilbehandlungen als notwendig anzusehen, und ob sich die durchgeführte Therapie und Diagnostik nach den medizinischen Erkenntnissen dazu eignet, die Krankheit des Antragstellers zu lindern oder ihrer Verschlimmerung entgegenzuwirken. Nach Übertragung auf den Einzelrichter hat das Landgericht den Antrag zurückgewiesen. Mit der sofortigen Beschwerde, der das Landgericht nicht abgeholfen hat, verfolgt der Antragsteller seinen Antrag weiter.
II.
Die zulässige sofortige Beschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Anordnung der Beweiserhebung im selbständigen Beweisverfahren.
1. Gemäß § 485 Abs. 1 ZPO kann unter anderem außerhalb eines Streitverfahrens die Begutachtung durch einen Sachverständigen angeordnet werden, wenn der Gegner zustimmt oder zu besorgen ist, dass das Beweismittel verloren geht oder seine Benutzung erschwert wird. Insoweit hat das Landgericht zutreffend ausgeführt, dass die Voraussetzungen dieser Vorschrift nicht vorliegen, weil weder der Gegner zugestimmt hat noch eine Beweiserschwernis zu besorgen ist.
2. Nach § 485 Abs. 2 ZPO kann eine Partei, solange ein Rechtsstreit noch nicht anhängig ist, die schriftliche Begutachtung durch einen Sachverständigen unter anderem dann beantragen, wenn sie ein rechtliches Interesse daran hat, dass der Zustand einer Person (Satz 1 Nr. 1) oder der Aufwand für die Beseitigung eines Personenschadens (Satz 1 Nr. 3) festgestellt wird. Ein rechtliches Interesse ist anzunehmen, wenn die Feststellung der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen kann (Satz 2). Diese Voraussetzungen liegen – entgegen der Auffassung des Landgerichts – hier vor.
a) Der Antragsteller hat ein rechtliches Interesse an Feststellungen, das sich aus der Möglichkeit der Vermeidung eines Rechtsstreits gegen den Antragsgegner ergibt.
aa) Sinn und Zweck der prozessualen Beweissicherung nach § 485 Abs. 2 ZPO ist es, die Gerichte von Prozessen zu entlasten und die Parteien unter Vermeidung eines Rechtsstreits zu einer raschen und kostensparenden Einigung zu bringen (BGH, Beschluss vom 19. Mai 2020 – VI ZB 51/19, NJW 2020, 2273 Rn. 17 mwN). Deshalb ist das rechtliche Interesse als Zulässigkeitsvoraussetzung nach § 485 Abs. 2 ZPO generell weit auszulegen (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Januar 2003 – VI ZB 51/02, BGHZ 153, 302 Rn. 9 f mwN).
Insbesondere ist es dem Gericht grundsätzlich verwehrt, bereits im Rahmen des selbständigen Beweisverfahrens eine Schlüssigkeits- oder Erheblichkeitsprüfung vorzunehmen (BGH, Beschluss vom 20. Oktober 2009 – VI ZB 53/08, VersR 2010, 133 Rn. 6; OLG Frankfurt, Beschluss vom 16. November 2015 – 3 W 41/15, BeckRS 2015, 121983 Rn. 4 f mwN). Dementsprechend kann ein rechtliches Interesse nur in völlig eindeutigen Fällen verneint werden, in denen evident ist, dass der behauptete Anspruch keinesfalls bestehen kann (BGH, Beschluss vom 20. Oktober 2009, aaO; OLG Frankfurt, Beschluss vom 11. Dezember 2017 – 8 W 18/17, juris Rn. 43 mwN).
Ein rechtliches Interesse ist bereits dann nach § 485 Abs. 2 Satz 2 ZPO anzunehmen, wenn die Feststellung der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen kann, auch wenn möglicherweise eine abschließende Klärung durch das einzuholende Sachverständigengutachten nicht möglich ist und weitere Aufklärungen erforderlich erscheinen (BGH, Beschluss vom 24. September 2013 – VI ZB 12/13, BGHZ 198, 237 Rn. 18 mwN; vom 19. Mai 2020 – VI ZB 51/19, NJW 2020, 2273 Rn. 16). Es kann genügen, wenn je nach Ergebnis der Begutachtung zu erwarten steht, dass es nicht zu einem Streitverfahren kommt (vgl. OLG Köln, MDR 2011, 318; BeckOK-ZPO/Kratz, 2022, § 485 Rn. 30).
bb) Gemessen daran ist ein rechtliches Interesse im Sinne des § 485 Abs. 2 ZPO hier anzunehmen. Die mit dem Antrag verfolgten Feststellungen zu Gesundheitszuständen des Antragstellers und medizinischer Notwendigkeit von Behandlungen können der Vermeidung eines Rechtsstreits über die Leistungspflicht des Krankenversicherers auch hinsichtlich einer Fortführung der hyperthermischen Behandlung dienen.
Entgegen der Annahme des Landgerichts fehlt es nicht deshalb an einem rechtlichen Interesse, weil die Feststellung der objektiven medizinischen Notwendigkeit der Behandlungen nur ein Ausschnitt aus den Streitpunkten sei, die sich im Erkenntnisverfahren stellen würden. Einem rechtlichen Interesse steht es nicht entgegen, dass die Parteien auch um andere Fragen streiten. Dies ist für die Zulässigkeit des selbständigen Beweisverfahrens ohne Bedeutung, weil das Beweisgericht weder die Schlüssigkeit des Anspruchsvorbringens noch die Beweiserheblichkeit oder die Beweisbedürftigkeit der festzustellenden Tatsache zu prüfen hat. Das von § 485 Abs. 2 ZPO geforderte, weit zu fassende rechtliche Interesse entfällt nicht dadurch, dass das selbständige Beweisverfahren sich nicht auf alle beweisbedürftigen Tatsachen erstreckt (OLG Frankfurt, Beschluss vom 16. November 2015 – 3 W 41/15, BeckRS 2015, 121983 Rn. 4 f).
Unerheblich ist entgegen der Auffassung des Landgerichts auch, ob die Begutachtung genauso gut im Erkenntnisverfahren durchgeführt werden könnte und ob ein Vorteil der Begutachtung im selbständigen Beweisverfahren für den Antragsteller erkennbar ist. Anders als § 485 Abs. 1 ZPO macht Absatz 2 die Zulässigkeit nicht von der Besorgnis einer Beweiserschwernis abhängig. § 485 Abs. 2 Satz 2 ZPO erklärt die Möglichkeit der Vermeidung eines Rechtsstreits für ausreichend; ein darüber hinausgehender Vorteil des selbständigen Beweisverfahrens für den Antragsteller ist nach dem Gesetz nicht erforderlich, um ein rechtliches Interesse anzunehmen.
Die Frage der Zweckmäßigkeit eines selbständigen Beweisverfahrens, die im Einzelfall durchaus zweifelhaft sein mag, aber vom Antragsteller in eigener Verantwortung beurteilt werden muss, darf nicht mit der Frage seiner Zulässigkeit, über die das Gericht zu entscheiden hat, vermengt werden (BGH, Beschluss vom 19. Mai 2020 – VI ZB 51/19, NJW 2020, 2273 Rn. 18).
b) Das rechtliche Interesse bezieht sich auf Feststellungen zu den nach § 485 Abs. 2 Satz 1 ZPO zugelassenen Beweisthemen.
aa) Mit der Beweisfrage 1.a möchte der Antragsteller wissen, ob es nachvollziehbar ist, dass bei ihm Besserungen der Symptome im zeitlichen Zusammenhang mit der Behandlung auftraten. Gefragt ist damit nach Veränderungen des (Gesundheits-)Zustands einer Person. Dies ist ein gemäß § 485 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO zulässiges Beweisthema.
Es besteht Einigkeit darüber, dass in der Krankheitskostenversicherung das Krankheitsbild, also der behandlungsbedürftige Zustand, Gegenstand eines selbständigen Beweisverfahrens sein kann (vgl. OLG Köln, MDR 2011, 318; Prölss/Martin/Voit, VVG, 31. Aufl., § 192 Rn. 78; Wendt in Veith/Gräfe/Gebert, Der Versicherungsprozess, 4. Aufl., § 11 Rn. 20; Fricke, VersR 2013, 538, 542; Graf, VersR 2018, 393, 399). Soweit die bei dem Versicherten erhobenen Befunde von Bedeutung sind, betrifft die Begutachtung den Zustand einer Person (Rinke/Balser, VersR 2009, 188, 189). Dabei ist das selbständige Beweisverfahren auch zur Feststellung vergangener Zustände zulässig (OLG Köln, aaO; Zöller/Herget, ZPO, 34. Aufl., § 485 Rn. 9 mwN).
Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist das selbständige Beweisverfahren also nicht auf die Feststellung des gegenwärtigen Zustands des Antragstellers beschränkt. Auch ist die Frage nach Veränderungen des Gesundheitszustands zulässig, weil damit zugleich nach einzelnen Zuständen – in ihrer zeitlichen Abfolge – gefragt wird.
bb) Mit den Fragen unter 2 möchte der Antragsteller wissen, ob die durchgeführte Behandlung sein Leiden diagnostisch hinreichend erfasst hat, geeignet war, seine Krankheit zu lindern oder ihrer Verschlimmerung entgegenzuwirken, und ob es aus objektiver Behandlersicht vertretbar war, die Behandlung als medizinisch notwendig anzusehen. Diese Fragen sind auf die Feststellung des Aufwands für die Beseitigung eines Personenschadens gerichtet und damit auf ein gemäß § 485 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO zulässiges Beweisthema.
(1) Im selbständigen Beweisverfahren dürfen Feststellungen zur medizinischen Notwendigkeit einer bestimmten Behandlung erfolgen. Die Frage ist umstritten.
(a) Nach einer Auffassung kann die medizinische Notwendigkeit einer bestimmten Behandlung nicht Gegenstand eines selbstständigen Beweisverfahrens sein (vgl. LG Hannover, VersR 2001, 1099; Stein/Jonas/Berger, ZPO, 23. Aufl., § 485 Rn. 25; Prölss/Martin/Voit, VVG, 31. Aufl., § 192 Rn. 78; Fricke, VersR 2013, 538, 542, 544; vgl. auch Heyers, VersR 2016, 421, 426).
Die Frage der Kostenerstattungspflicht des Versicherers hänge von einer ganzen Reihe von Voraussetzungen ab und sei durch das Wirtschaftlichkeitsgebot eingeschränkt. Die Klärung dieser sowie weiterer Fragen der Leistungspflicht könne von einem selbständigen Beweisverfahren nicht geleistet werden, vielmehr bedürfe es dazu der Schlüssigkeits- und Erheblichkeitsprüfung des normalen Zivilprozesses (LG Hannover, aaO), weil zur Entscheidung genuin rechtliche Maßstäbe heranzuziehen seien (Heyers, aaO). Problematisch sei, dass der Sachverständige nicht frei Therapiemaßnahmen entwickeln solle, sondern regelmäßig der Versicherungsnehmer nach Konsultation seines Arztes nur die von diesem befürwortete Therapie auf medizinische Notwendigkeit überprüfen lassen werde. Eine weitere Komplikation sei darin zu sehen, dass es nicht um die medizinische Notwendigkeit im Sinne einer singulären Auswahl gehe, sondern genüge, dass es vertretbar sei, eine Heilbehandlungsart als medizinisch notwendig zu qualifizieren. Die Therapiemaßnahmen seien nur unselbstständig als Vorfrage zur Kostenermittlung zu bestimmen (Fricke, aaO S. 542). Welcher Aufwand notwendig und ratsam sei, unterliege nicht der Beurteilung des Sachverständigen (Heyers, aaO). Die Feststellung der medizinischen Notwendigkeit einer Behandlung gehe über die Feststellung eines Zustands im Sinne von § 485 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO hinaus (Prölss/Martin/Voit, aaO; dagegen Fricke, aaO unter Verweis auf Satz 1 Nr. 3).
(b) Nach anderer Ansicht kann im Rahmen des selbständigen Beweisverfahrens die Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens zu der Frage verlangt werden, ob bestimmte Behandlungen medizinisch notwendig waren (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 16. November 2015 – 3 W 41/15, BeckRS 2015, 121983; LG Freiburg, Beschluss vom 14. Juni 2016 – 14 OH 13/15, BeckRS 2016, 125561; AG Regensburg, Beschluss vom 2. Oktober 2015 – 7 H 18/15, BeckRS 2015, 122176; BeckOK-ZPO/Kratz, 2022, § 485 Rn. 37; Wendt in Veith/Gräfe/Gebert, Der Versicherungsprozess, 4. Aufl., § 11 Rn. 20; Rinke/Balser, VersR 2009, 188, 189; Graf, VersR 2018, 393, 399; vgl. auch OLG Köln, MDR 2011, 318 zur Erfolgsaussicht einer künstlichen Befruchtung; Hk-VVG/Rogler, 4. Aufl., § 1 MB/KK 2009 Rn. 31: „Frage des Einzelfalles“; Graf/Werner, VersR 2017, 913, 922; ferner die vom Antragsteller vorgelegten erstinstanzlichen Entscheidungen).
(c) Den Vorzug verdient die zuletzt genannte Ansicht. Wie zur Klärung der Invalidität in der privaten Unfallversicherung (vgl. OLG Celle, VersR 2011, 1418; OLG Karlsruhe, r+s 2018, 108; Kloth, r+s 2017, 561, 571; Graf, VersR 2018, 393, 396 mwN, 399; vorausgesetzt auch in OLG München, Beschluss vom 20. Dezember 2019 – 25 W 1336/19, nv) ist auch in der Krankheitskostenversicherung mit Blick auf die medizinische Notwendigkeit ein selbständiges Beweisverfahren zulässig.
(aa) Zwar trifft es zu, dass die Kostenerstattungspflicht des Versicherers von mehreren Voraussetzungen abhängt und durch das Wirtschaftlichkeitsgebot eingeschränkt ist. Das steht der Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens aber nicht entgegen. Das Beweisgericht hat weder die Schlüssigkeit des Anspruchsvorbringens noch die Beweiserheblichkeit oder die Beweisbedürftigkeit der festzustellenden Tatsachen zu prüfen (BGH, Beschluss vom 20. Oktober 2009 – VI ZB 53/08, VersR 2010, 133 Rn. 6); das rechtliche Interesse entfällt nicht dadurch, dass das selbständige Beweisverfahren sich nicht auf alle beweisbedürftigen Tatsachen erstreckt (OLG Frankfurt, Beschluss vom 16. November 2015 – 3 W 41/15, BeckRS 2015, 121983 Rn. 4 f).
Nach der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Zulässigkeit des selbständigen Beweisverfahrens in Arzthaftungssachen (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Januar 2003 – VI ZB 51/02, BGHZ 153, 302; vom 24. September 2013 – VI ZB 12/13, BGHZ 198, 237; vom 19. Mai 2020 – VI ZB 51/19, NJW 2020, 2273; vom 6. Juli 2020 – VI ZB 27/19, VersR 2020, 1396) kann Gegenstand eines selbständigen Beweisverfahrens auch eine Beweisfrage sein, die zum einen eine juristische Bewertung enthält, welche zwar an sachverständig ermittelte Tatsachen anknüpft, jedoch nicht allein dem Sachverständigen überlassen werden darf, zum anderen aber grundsätzlich einer gutachterlichen Bewertung als Maßstab bedarf (Graf/Werner, VersR 2017, 913, 915 f; Graf, VersR 2018, 393, 398; vgl. auch OLG Hamburg, VersR 2017, 967, 968). Auf die medizinische Notwendigkeit einer Heilbehandlung trifft dies ebenso zu wie auf die Fragen, ob ein (grober) Behandlungsfehler oder eine unzureichende ärztliche Aufklärung vorliegt, die nach der angeführten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dem selbständigen Beweisverfahren zugänglich sind.
Unschädlich ist auch, dass der Sachverständige nicht frei Therapiemaßnahmen entwickeln soll, sondern regelmäßig das Therapiekonzept des behandelnden Arztes auf die medizinische Notwendigkeit überprüfen muss. In jedem selbständigen Beweisverfahren bestimmt den Gegenstand der Beweisaufnahme der Antragsteller (vgl. BeckOK-ZPO/Kratz, 2022, § 490 Rn. 3). Im Übrigen müsste der Versicherungsnehmer auch in einem Streitverfahren, etwa im Rahmen einer Feststellungsklage, konkret vortragen, welche Heilbehandlung geplant ist (Fricke, VersR 2013, 538, 540; vgl. BGH, Urteil vom 8. Februar 2006 – IV ZR 131/05, VersR 2006, 535 Rn. 17).
Nach ständiger Rechtsprechung genügt für die Annahme einer „medizinischen notwendigen“ Heilbehandlung, wenn es nach den objektiven medizinischen Befunden und Erkenntnissen im Zeitpunkt der Vornahme der ärztlichen Behandlung vertretbar war, sie als notwendig anzusehen (BGH, Urteil vom 10. Juli 1996 – IV ZR 133/95, BGHZ 133, 208, juris Rn. 16). Dieser materiellrechtliche Gesichtspunkt spielt für die Zulässigkeit des selbständigen Beweisverfahrens schon deshalb keine Rolle, weil in diesem die Schlüssigkeit des Anspruchsvorbringens nicht zu prüfen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Oktober 2009 – VI ZB 53/08, VersR 2010, 133 Rn. 6). Es ist auch nicht ersichtlich, warum das Ausreichen bloßer Vertretbarkeit eine Beweisaufnahme über die tatsächlichen Umstände hindern sollte, die für die Vertretbarkeit eine Rolle spielen können.
Nicht maßgeblich ist, dass die medizinische Notwendigkeit der Therapiemaßnahmen nur Vorfrage für die Ermittlung der Kosten ist, um deren Erstattung es dem Antragsteller geht. Die Zulässigkeit von Fragen im selbständigen Beweisverfahren kann nicht mit dem Argument verneint werden, es fehle am erforderlichen rechtlichen Interesse im Sinne des § 485 Abs. 2 ZPO, weil es sich dabei um eine bloße „Vorfrage“ für den vom Antragsteller verfolgten Anspruch handle, solange die Beweisfragen einen hinreichenden Bezug zu dem dem Streitfall zugrundeliegenden Sachverhalt aufweisen (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Mai 2020 – VI ZB 51/19, NJW 2020, 2273 Rn. 15, 18; vgl. auch Wendt in Veith/Gräfe/Gebert, Der Versicherungsprozess, 4. Aufl., § 11 Rn. 20).
Ausreichend ist somit, dass die Feststellungen des Sachverständigen zur Klärung der Frage beitragen können, welcher Behandlungsaufwand notwendig ist, selbst wenn die abschließende Beurteilung der Notwendigkeit auch rechtliche Elemente umfasst. Unerheblich ist, dass es der Beurteilung des Sachverständigen nicht unterliegt, welcher Aufwand „ratsam“ ist.
(bb) Soweit der Erstattungsanspruch gegen den Krankheitskostenversicherer aufgrund der medizinischen Notwendigkeit der Behandlung davon abhängt, ob das Behandlungsverfahren nach wissenschaftlichen Erkenntnissen und den erhobenen Befunden als erfolgversprechend und notwendig anzusehen ist, betrifft die Begutachtung den Aufwand für die Beseitigung eines Personenschadens im Sinne von § 485 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO (vgl. OLG Nürnberg, VersR 2009, 803, 805, juris Rn. 26 f; OLG Oldenburg, Beschluss vom 8. Juli 2008 – 5 W 41/08, juris Tenor und Rn. 7, Tenor nicht abgedruckt in VersR 2009, 805; OLG Frankfurt, Beschluss vom 16. November 2015 – 3 W 41/15, BeckRS 2015, 121983 Rn. 3; Rinke/Balser, VersR 2009, 188, 189; vgl. auch Wendt in Veith/Gräfe/Gebert, Der Versicherungsprozess, 4. Aufl., § 11 Rn. 20).
Der Aufwand für die Beseitigung eines Personenschadens im Sinne dieser Vorschrift erfasst alle anfallenden Kosten für eine notwendige Leistung in Geld oder Zeit zur Minderung eines Personenschadens, auch durch einen Dritten (BGH, Beschluss vom 20. Oktober 2009 – VI ZB 53/08, VersR 2010, 133 Rn. 7 mwN; vgl. Anders/Gehle/Bünnigmann, ZPO, 80. Aufl., § 485 Rn. 13). Ein solcher Personenschaden kann – entgegen der Auffassung des Landgerichts – auch in einer Krankheit liegen. Der im Gesetz verwendete, weit auszulegende (BeckOK-ZPO/Kratz, 2022, § 485 Rn. 37) Begriff des Schadens schließt dies nicht aus. So ist die Krankheitskostenversicherung eine Schadensversicherung (Prölss/Martin/Voit, VVG, 31. Aufl., § 192 Rn. 3). Zu erstatten sind gemäß § 192 Abs. 1 VVG insbesondere die Aufwendungen für medizinisch notwendige Heilbehandlung wegen Krankheit oder Unfallfolgen. Bei der Schädigung einer Person durch einen Unfall kann ohne weiteres von einem Personenschaden gesprochen werden. Ebenso ist es im Rahmen von § 485 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO zu beurteilen, wenn die Erstattung der Aufwendungen für eine medizinisch notwendige Heilbehandlung nicht aufgrund von Unfallfolgen, sondern wegen Krankheit inmitten steht. Dass in einem Fall ein Unfall und im anderen eine Krankheit der Behandlung zugrunde liegt, rechtfertigt keine unterschiedliche Wertung.
(2) Die im Antrag gestellten Beweisfragen zu 2 beziehen sich allesamt auf die medizinische Notwendigkeit der Heilbehandlung im Sinne des § 192 Abs. 1 VVG (vgl. BGH, Urteil vom 10. Juli 1996 – IV ZR 133/95, BGHZ 133, 208, juris Rn. 16; Beschluss vom 30. Oktober 2013 – IV ZR 307/12, VersR 2013, 1558 Rn. 14 f; OLG Köln, VersR 2015, 1243; OLG München, Beschluss vom 26. Januar 2017 – 25 U 4197/16, juris Rn. 8). Wie schon ausgeführt sind sie damit auf die Feststellung des Aufwands für die Beseitigung eines Personenschadens gerichtet.
cc) Die Fragen 1.b, 1.c und 1.d betreffen wissenschaftliche Kriterien für die
Kausalitätsbewertung. Die Fragen 1.e und 1.f fragen – unter Vorhalt eines anderen Gutachtens – nach der Eignung eines bei der hyperthermischen Behandlung des Antragstellers eingesetzten Geräts, einen klinisch relevanten Therapieeffekt zu erzeugen. Dabei handelt es sich um zulässige Vorfragen zu der – wie dargestellt zulässigen – Beweisfrage betreffend die medizinische Notwendigkeit der hyperthermischen Therapie.
Zwar sind nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs rein „abstrakte“ Fragestellungen unzulässig (BGH, Beschluss vom 19. Mai 2020 – VI ZB 51/19, NJW 2020, 2273 Rn. 18). Um solche handelt es sich hier aber nicht, sondern vielmehr um Vorfragen mit einem hinreichenden Bezug zu dem dem Streitfall zugrundeliegenden Sachverhalt (vgl. BGH, aaO Rn. 15, 18). Die Frage, welche wissenschaftlichen Kriterien für die Kausalitätsbewertung gelten, ist eine methodische Vorfrage zu der zulässigen Frage (s.o. unter bb), ob die durchgeführte Behandlung geeignet war, die Krankheit des Antragstellers zu lindern oder ihrer Verschlimmerung entgegenzuwirken. Die Frage nach der Eignung des Geräts zur Erzeugung eines klinisch relevanten Therapieeffekts betrifft eine Voraussetzung für die Eignung des Geräts – als Teil der durchgeführten Behandlung – zur Linderung der Krankheit.
3. Das Beschwerdegericht macht von seiner Befugnis zur Sachentscheidung insoweit Gebrauch, als es die Anordnung trifft, dass die beantragte Beweisaufnahme durchzuführen ist. Die weiteren erforderlichen Maßnahmen werden gemäß § 572 Abs. 3 ZPO dem Landgericht als dem Gericht des ersten Rechtszugs übertragen.
4. Das Beschwerdeverfahren war nicht gemäß § 568 Satz 2 Nr. 2 ZPO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache dem Senat zu übertragen und die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen gemäß § 574 Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 ZPO nicht vorliegen.
a) Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO) erfordert keine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Der Beschluss, in dem sich das Landgericht Hannover gegen die Zulässigkeit eines selbständigen Beweisverfahrens nach § 485 Abs. 2 ZPO zur Klärung der medizinischen Notwendigkeit einer Behandlungsmaßnahme ausgesprochen hat (LG Hannover, VersR 2001, 1099), ist in einem erstinstanzlichen Verfahren ergangen. Die vom Antragsgegner zitierten Beschlüsse der Oberlandesgerichte Nürnberg (MDR 1997, 501) und Köln (NJW 1999, 875 = VersR 1999, 1420) betreffen die Zulässigkeit des selbständigen Beweisverfahrens in Arzthaftungssachen und sind durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs überholt (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Januar 2003 – VI ZB 51/02, BGHZ 153, 302; vom 24. September 2013 – VI ZB 12/13, BGHZ 198, 237; vom 19. Mai 2020 – VI ZB 51/19, NJW 2020, 2273; vom 6. Juli 2020 – VI ZB 27/19, VersR 2020, 1396).
b) Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). aa) Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache, wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann, oder wenn andere Auswirkungen des Rechtsstreits auf die Allgemeinheit deren Interessen in besonderem Maße berühren und ein Tätigwerden des Bundesgerichtshofs erforderlich machen (BGH, Beschluss vom 1. Oktober 2002 – XI ZR 71/02, BGHZ 152, 182, 190 f; vom 11. Mai 2004 – XI ZB 39/03, BGHZ 159, 135, 137; Hk-ZPO/Koch, 9. Aufl., § 543 Rn. 6 f).
Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage dann, wenn die durch die Beschwerdeentscheidung aufgeworfene Rechtsfrage zweifelhaft ist, also über Umfang und Bedeutung einer Rechtsvorschrift Unklarheiten bestehen. Derartige Unklarheiten bestehen unter anderem dann, wenn die Rechtsfrage vom Bundesgerichtshof bisher nicht entschieden ist und von einigen Oberlandesgerichten unterschiedlich beantwortet wird, oder wenn in der Literatur unterschiedliche Meinungen vertreten werden. Derartige Unklarheiten bestehen nicht, wenn abweichende Ansichten in der Literatur vereinzelt geblieben und nicht oder nicht nachvollziehbar begründet sind (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Februar 2010 – II ZR 54/09, WM 2010, 936 Rn. 3 mwN). Vereinzelt in diesem Sinne kann auch eine in sechs verschiedenen Veröffentlichungen jeweils unterschiedlicher Autoren vertretene Auffassung sein (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Februar 2010, aaO Rn. 5).
bb) Gemessen daran ist die Rechtsfrage, ob im selbständigen Beweisverfahren Feststellungen zur medizinischen Notwendigkeit einer bestimmten Behandlung mit Blick auf deren Erstattungsfähigkeit in der Krankheitskostenversicherung erfolgen dürfen, nicht klärungsbedürftig. Die veröffentlichte obergerichtliche Rechtsprechung spricht sich dafür aus (vgl. OLG Köln, MDR 2011, 318; OLG Frankfurt, Beschluss vom 16. November 2015 – 3 W 41/15, BeckRS 2015, 121983). Zwar stehen den Befürwortern in der Literatur (vgl. BeckOK-ZPO/Kratz, 2022, § 485 Rn. 37; Hk-VVG/Rogler, 4. Aufl., § 1 MB/KK 2009 Rn. 31; Wendt in Veith/Gräfe/Gebert, Der Versicherungsprozess, 4. Aufl., § 11 Rn. 20; Rinke/Balser, VersR 2009, 188, 189; Graf/Werner, VersR 2017, 913, 922; Graf, VersR 2018, 393, 399) einige abweichende Stimmen gegenüber (vgl. Stein/Jonas/Berger, ZPO, 23. Aufl., § 485 Rn. 25; Prölss/Martin/Voit, VVG, 31. Aufl., § 192 Rn. 78; Fricke, VersR 2013, 538, 542, 544; vgl. auch Heyers, VersR 2016, 421, 426). Diese sind jedoch vereinzelt geblieben und zudem mit Argumenten begründet, die sich mit der (neueren) höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Zulässigkeit des selbständigen Beweisverfahrens gemäß § 485 Abs. 2 ZPO nicht in Einklang bringen lassen (s.o. unter 2.b.bb.(1).(c)).
c) Der Zulassungsgrund der Fortbildung des Rechts (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 1 ZPO), der sich mit dem der Grundsatzbedeutung überschneidet (vgl. BGH, Beschluss vom 24. September 2003 – IV ZB 41/02, NJW 2004, 289, 290; vom 11. Mai 2017 – I ZR 147/16, ZUM 2018, 50 Rn. 10 mwN), liegt aus den zu diesem dargestellten Gründen ebenfalls nicht vor.
5. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst (vgl. BGH, Beschluss vom 27. August 2014 – VII ZB 8/14, NJW 2014, 3518 Rn. 13; OLG Frankfurt, OLGR 2000, 18, 20; Beschluss vom 11. Dezember 2017 – 8 W 18/17, juris Rn. 61; BeckOK-ZPO/Kratz, 2022, § 490 Rn. 6).


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