Medizinrecht

Fahrerlaubnisentziehung aufgrund Nichtvorlage eines ärztlichen Gutachtens, Epilepsie, Fragestellung

Aktenzeichen  M 6 S 21.1539

Datum:
19.8.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 25066
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
StVG § 3 Abs. 1
FeV § 46 Abs. 1, § 46 Abs. 3, § 11 Abs. 8, Anlage 4 zur FeV

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf Euro 5.000,- festgesetzt.

Gründe

I.
Der 1970 geborene Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der vom Antragsgegner verfügten Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen AM, A1 (79.03, 79.04), A (79.03, 79.04), B, BE, C1, C1E und L.
Die Stadt A. … teilte der Fahrerlaubnis mit Schreiben vom 18. März 2020 mit, dass dem Antragsteller aufgrund seines ungeklärten gesundheitlichen Zustands ein Fahrverbot für alle städtischen Fahrzeuge erteilt wurde.
Mit Schreiben vom 26. März 2020 forderte die Fahrerlaubnisbehörde den Antragsteller auf, Unterlagen zu seinem Gesundheitszustand vorzulegen.
Aus dem vom Antragsteller am … April 2020 vorgelegten ärztlichen Attest seines Hausarztes Dr. A. … vom … April 2020 geht hervor, dass der Antragsteller an einem zerebralen Anfallsleiden im Sinne einer Epilepsie leidet.
Nach dem Arztbrief von Dr. B. … vom … April 2020 handle es sich um eine fokal beginnende, sekundäre generalisierende Epilepsie. Der letzte Anfall sei am … Dezember 2019 gewesen. Unter der Prämisse, dass eine unregelmäßige Medikamenteneinnahme den Anfall verursacht habe und die Schwester die regelmäßige Medikamenteneinnahme und die richtige Dosierung sicherstelle, sei eine Begrenzung der Fahrnichteignung auf sechs Monate möglich.
Mit Schreiben vom 16. April 2020 wurde der Antragsteller zur Beibringung eines ärztlichen Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung, alternativ von einem Facharzt mit verkehrsmedizinischer Qualifikation, bis spätestens 30. Juli 2020 aufgefordert. Die Fragestellung hierbei lautete:
– Ist der Untersuchte trotz des Vorliegens einer Erkrankung die nach Nr.6.6 der Anlage 4 der FeV die Fahreignung infrage stellt, in der Lage den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der o.g. Gruppen 1 und 2 vollständig gerecht zu werden?
– Liegt eine ausreichende Compliance (unter anderem Krankheitseinsicht, kein Beigebrauch anderer psychoaktiver Substanzen inkl. Alkohol), regelmäßig überwachte Medikamenteneinnahme vor und wird diese auch umgesetzt?
– Sind Beschränkungen und oder Auflagen erforderlich, um den Anforderungen an das Führen eines Kraftfahrzeugs der Gruppen 1 u. 2 weiterhin gerecht zu werden?
– Ist bzw. sind insbesondere fachlich einzelfallbegründete Auflagen nach Anlage 4 (z.B. ärztliche Kontrollen) erforderlich? In welchem zeitlichen Abstand und wie lange? Was soll regelmäßig kontrolliert und attestiert werden? Sind die Ergebnisse der Fahrerlaubnisbehörde vorzulegen; wenn ja, warum?
– Ist eine fachlich einzelfallbegründete Nachuntersuchung (Fahrerlaubnisgruppen 1 u. 2) im Sinne einer erneuten Begutachtung erforderlich? In welchem zeitlichen Abstand?
Zur Begründung führte die Fahrerlaubnisbehörde nach Darstellung des Sachverhalts aus, dass zwischen den persönlichen Belangen und dem öffentlichen Interesse der Verkehrssicherheit abzuwägen sei. Aufgrund der festgestellten Epilepsie und der entsprechenden Medikation verstärkten sich die Fahreignung Zweifel so erheblich, dass das der Fahrerlaubnisbehörde eingeräumte Ermessen auf „Null“ reduziert sei. Nach Abwägung der Gesamtumstände sei ein ärztliches Gutachten zum Nachweis der Eignung anzuordnen.
Mit Schreiben vom 16. Juni 2020 wurde die Akte des Antragstellers von der Fahrerlaubnisbehörde an die vom Antragsteller ausgewählte Begutachtungsstelle für Fahreignung übersandt.
Am 6. August 2020 wurde die Akte von der Begutachtungsstelle an die Fahrerlaubnisbehörde zurückgesandt.
Nachdem auch nach einer Fristverlängerung bis zum 30. September 2020 kein Gutachten vorgelegt wurde, wurde der Antragsteller mit Schreiben vom 5. Oktober 2020 zur beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis angehört.
Mit Schriftsatz vom 20. Oktober 2020 trug der Bevollmächtigte des Antragstellers vor, die Gutachtensanordnung sei nicht anlassbezogen und verhältnismäßig. Die Fahreignung sei gegeben, wenn kein wesentliches Risiko von Anfallsrezidiven mehr bestehe. Zudem sei eine Verpflichtung lediglich zu Nachuntersuchungen nicht in Erwägung gezogen worden. Da keinerlei Anhaltspunkte für einen „Beigebrauch anderer psychoaktiver Substanzen inklusive Alkohol“ gegeben seien, sei die Gutachtensanordnung auch nicht hinreichend bestimmt.
Mit Bescheid vom 27. Januar 2021 entzog der Antragsgegner dem Antragsteller schließlich die Fahrerlaubnis der Klassen (Ziffer 1), gab diesem auf, seinen Führerschein spätestens innerhalb einer Woche ab Zustellung des Bescheides beim Landratsamt abzugeben (Ziffer 2), ordnete die sofortige Vollziehung der vorstehenden Ziffern an (Ziffer 3) und drohte für den Fall der Nichterfüllung der Ziffer 2 ein Zwangsgeld in Höhe von 500,- EUR an (Ziffer 4).
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die bestehenden Zweifel an der Fahreignung des Antragstellers aufgrund der Nichtvorlage des Gutachtens nicht ausgeräumt worden seien. Aus diesem Grund habe die Fahrerlaubnis entzogen werden müssen. Die sofortige Vollziehung der Entscheidung sei zum Schutze anderer Verkehrsteilnehmer erforderlich.
Der Führerschein wurde am … Februar 2021 bei der Fahrerlaubnisbehörde abgegeben.
Mit am 19. Februar 2021 eingegangenem Schriftsatz erhob der Antragsteller über seinen Bevollmächtigten beim Bayerischen Verwaltungsgericht München Klage und beantragte, den Bescheid vom 27. Januar 2021 aufzuheben (M 6 K 21.880). Mit Schriftsatz vom 19. März 2021 beantragte er zudem,
die aufschiebende Wirkung der eingereichten Anfechtungsklage des Antragstellers gegen den Bescheid vom 27. Januar 2021 wird hinsichtlich Ziffer 1 wiederhergestellt.
Zur Begründung wurden im Wesentlichen die Argumente des Schriftsatzes vom 20. Oktober 2020 wiederholt sowie zudem darauf hingewiesen, dass die Fahrerlaubnisbehörde in unzutreffender Weise von einer Ermessensreduzierung auf „Null“ ausgegangen sei.
Der Antragsgegner beantragte mit Schreiben vom 7. April 2021,
den Antrag abzulehnen.
Mit Beschluss vom 6. August 2021 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird ergänzend auf die Gerichtsakte des Eil- und Hauptsacheverfahrens sowie auf die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) bleibt ohne Erfolg.
Der zulässige Antrag ist ausdrücklich nur auf die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Ziffer 1 des Bescheids gerichtet und bleibt auch auf diese Ziffer beschränkt. Zwar hat sich durch die Abgabe des Führerscheins die diesbezügliche Verpflichtung in Ziffer 2 des Bescheides nicht erledigt, denn sie stellt den Rechtsgrund für das Behaltendürfen des Führerscheins dar (BayVGH, B.v. 12.2.2014 – 11 CS 13.2281 – juris), doch gibt der Antragsteller an keiner Stelle zu erkennen im vorläufigen Rechtsschutz auch diese Rechtsgrundlage beseitigen zu wollen. Eine erweiternde Auslegung des Antrags nach §§ 88, 122 VwGO kommt bei dem anwaltlich vertretenen Antragsteller damit nicht in Betracht.
Der Antrag ist unbegründet.
Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 19. Februar 2021 gegen den Bescheid vom 27. Januar 2021 war hinsichtlich der Ziffer 1 des Bescheides nicht wiederherzustellen.
Gemäß § 80 Abs. 1 VwGO haben Klage und Widerspruch grundsätzlich aufschiebende Wirkung, die aber entfällt, wenn die Behörde nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten angeordnet hat.
Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen. War die Anordnung der sofortigen Vollziehung formell rechtmäßig, trifft es eine originäre Ermessensentscheidung und hat abzuwägen zwischen dem von der Behörde geltend gemachten Interesse an der sofortigen Vollziehung ihres Bescheids und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Bei dieser Abwägung sind auch die Erfolgsaussichten des eingelegten Rechtsbehelfs – hier der Klage – zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO allein mögliche, aber auch ausreichende summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf offensichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig, besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens dagegen nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer Interessensabwägung.
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist derjenige der letzten Behördenentscheidung, hier also – aufgrund direkter Klageerhebung – die Bekanntgabe des Entziehungsbescheides.
Unter Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall erweist sich die Entziehung der Fahrerlaubnis unter Anordnung der sofortigen Vollziehung bei summarischer Prüfung als rechtmäßig.
1. Einwendungen gegen die formellen Anforderungen an die Begründung der Anordnung des Sofortvollzugs (§ 80 Abs. 3 VwGO) wurden weder vorgebracht noch sind solche ersichtlich. Die Fahrerlaubnisbehörde hat dargelegt, warum sie im konkreten Einzelfall des Antragstellers im Interesse des Schutzes der Allgemeinheit vor den Gefährdungen durch ungeeignete Kraftfahrer die sofortige Vollziehung anordnete.
2. Die Fahrerlaubnisbehörde durfte zurecht von der Nichteignung des Antragstellers ausgehen.
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV), hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 46 Abs. 3 FeV).
Nach § 11 Abs. 2 Satz 1 FeV kann die Fahrerlaubnisbehörde zur Vorbereitung von Entscheidungen über die Erteilung oder Verlängerung der Fahrerlaubnis oder über die Anordnung von Beschränkungen oder Auflagen die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens durch den Bewerber anordnen, wenn Tatsachen bekannt werden, die Bedenken gegen die körperliche oder geistige Eignung des Fahrerlaubnisbewerbers begründen. Bedenken bestehen nach § 11 Abs. 2 Satz 2 FeV insbesondere, wenn Tatsachen bekannt werden, die auf eine Erkrankung oder einen Mangel nach Anlage 4 oder 5 hinweisen.
Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen, oder bringt er der Fahrerlaubnisbehörde das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, darf diese bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung des Betroffenen schließen, wenn sie ihn hierauf bei der Anordnung zur Beibringung des Gutachtens hingewiesen hat (§ 11 Abs. 8 FeV).
Die Entziehung einer Fahrerlaubnis in Anwendung des § 11 Abs. 8 FeV kann jedoch nur erfolgen, wenn die Gutachtensaufforderung rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig, war und der Betreffende nicht aus anderen Gründen berechtigt war, die Erstellung oder Vorlage des Gutachtens zu verweigern (vgl. bereits BVerwG, U.v. 5.7.2001 -3 C 13.01 – NJW 2002, 78).
Unter Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall erweist sich die in Ziffer 1 des Bescheids vom 27. Januar 2021 enthaltene Entziehung der Fahrerlaubnis als rechtmäßig, da insbesondere auch die Gutachtensaufforderung vom … April 2020 ihrerseits rechtmäßig war. Zum maßgeblichen Zeitpunkt der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Gutachtensaufforderung – Erlass der Gutachtensaufforderung – lagen ausreichend Tatsachen vor, die geeignet waren, Bedenken gegen die Fahreignung des Antragstellers zu begründen. Weiter genügt die Gutachtensanforderung auch den Anforderungen der Anlassbezogenheit der Fragestellung nach § 11 Abs. 6 Sätze 1 und 2 FeV. Schließlich erfolgte sie auch unter Setzung einer angemessen bemessenen Frist (§ 11 Abs. 6 Satz 2 FeV) und wurde auf die Folgen einer Fristversäumnis nach § 11 Abs. 8 FeV bereits in der Gutachtenanforderung hingewiesen.
2.1. Zu den Erkrankungen und Mängeln, die die Fahreignung beeinträchtigen können, zählt unter anderem die Epilepsie (Ziffer 6.6 der Anlage 4 zur FeV).
Dabei kann die sofortige Anordnung der Beibringung eines ärztlichen Gutachtens ohne vorherige Abklärung hinsichtlich Art und Schwere der Erkrankung unverhältnismäßig sein. Bei der Prüfung der Frage, ob die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens hinsichtlich einer Erkrankung anzuordnen ist, die in einer Mehrzahl oder Vielzahl der Fälle eine Fahrungeeignetheit nicht begründet, gebietet der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dass sich die Fahrerlaubnisbehörde vorher Kenntnisse über Tatsachen verschafft, die ausreichende Anhaltspunkte dafür begründen können, dass eine Ungeeignetheit vorliegen könnte. Solche Tatsachen können vom Betroffenen erfragt werden, zumal eine Anhörung vor Erlass der Gutachtensbeibringungsanordnung entsprechend Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG ohnehin geboten sein dürfte. Dabei kann auch Gelegenheit gegeben werden, Bescheinigungen oder Atteste der behandelnden Ärzte vorzulegen. Eine solche Vorabklärung hat nichts damit zu tun, dass nach § 11 Abs. 2 Satz 5 FeV der das Gutachten erstellende Arzt nicht zugleich der den Betroffenen behandelnde Arzt sein soll. Denn diese Auskünfte des Betroffenen und der behandelnden Ärzte stellen keine gutachterliche Beurteilung dar, sondern sind nur Grundlage für die Entscheidung, ob die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens einer in § 11 Abs. 2 Satz 3 FeV genannten Stelle notwendig ist (vgl. BayVGH, B.v. 3.5.2017 – 11 CS 17.312 – juris Rn. 16 ff.).
Zwar kann der Fahrerlaubnisinhaber Eignungszweifel bei medizinischen Fragen unter Umständen durch andere geeignete Beweismittel ausräumen (BayVGH, B.v. 4.9.2019 – 11 ZB 19.1178 – juris Rn. 18; B.v. 18.3.2019 – 11 CS 19.387 – juris Rn. 13; B.v. 24.3.2016 – 11 CS 16.260 – ZfSch 2016, 295 Rn. 13). Das setzt allerdings voraus, dass keinerlei Restzweifel hinsichtlich der Fahreignung mehr verbleiben, weil aus den hierzu vorgelegten Unterlagen eindeutig auch für den (medizinisch und psychologisch nicht geschulten) Laien nachvollziehbar hervorgeht, dass die ursprünglichen Bedenken unbegründet sind (BayVGH, B.v. 20.3.2020 – 11 ZB 20.145 – juris Rn. 12).
Ob die Anordnung einer Aufklärungsmaßnahme nach § 11 FeV erforderlich ist, entscheidet die Fahrerlaubnisbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen. Dabei wird das Entschließungsermessen umso geringer, je gewichtiger die Eignungsbedenken sind; bei Vorliegen von erheblichen Eignungszweifeln ist es regelmäßig auf „Null“ reduziert (Verwaltungsgericht des Saarlandes, B. v. 09.7.2020 – 5 L 454/20 -, juris Rn. 46 m.w.N.; VG München U. v. 16.12.11 – M 6a K 11.1527 juris Rn. 43).
Nach alledem ist die Beibringungsanordnung vorliegend verhältnismäßig. Anders als etwa Herz- und Gefäßerkrankungen oder Diabetes (Nr. 4 und 5 der Anlage 4 zur FeV) ist Epilepsie keine Erkrankung, die in einer Mehrzahl oder Vielzahl der Fälle eine Fahrungeeignetheit nicht begründet. Vielmehr ist nach der Anlage 4 zur FeV die Fahreignung nur ausnahmsweise dann gegeben, wenn kein wesentliches Risiko von Anfallsrezidiven mehr besteht, z. B. nach einem Jahr Anfallsfreiheit bei Fahrzeugen der Gruppe 1 und fünf Jahren bei Gruppe 2.
Angesichts der Diagnose und vorgelegten Unterlagen konnte der Antragsgegner berechtigt davon ausgehen, dass er das in § 11 Abs. 2 Satz 1 FeV eingeräumte Ermessen nur dahingehend ausüben kann, die Beibringung eines fachärztlichen Gutachtens durch den Antragsteller anzuordnen, zumal der Grund für den Anfall am … Dezember 2019 nicht hinreichend aufgeklärt war und seitdem nicht einmal vier Monate vergangen waren. Demnach bestanden erhebliche Eignungszweifel. Ein Untätigbleiben wäre bei dieser schwerwiegenden Diagnose und der vom Antragsteller möglicherweise ausgehenden erheblichen Gefährdung des Straßenverkehrs unverantwortlich gewesen.
Der Umstand, dass in den Spalten drei und vier der Anlage 4 zur FeV „Nachuntersuchungen“ genannt sind, führt – entgegen der Ansicht des Antragstellers – nicht dazu, dass deshalb eine Begutachtung obsolet wird. Vielmehr ist gerade mit einem Gutachten die Notwendigkeit bzw. das Intervall von Nachbegutachtungen zu klären (so auch die Fragestellungen 3 bis 5 der Gutachtensanordnung).
2.2. Auch die Fragestellung im Übrigen ist anlassbezogen und verhältnismäßig. Nach § 11 Abs. 6 Satz 1 FeV legt die Fahrerlaubnisbehörde unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls und unter Beachtung der Anlagen 4 und 5 in der Anordnung zur Beibringung des Gutachtens fest, welche Fragen im Hinblick auf die Eignung des Betroffenen zum Führen von Kraftfahrzeugen zu klären sind. Gemäß § 11 Abs. 6 Satz 2 Halbs. 1 FeV teilt die Behörde dem Betroffenen unter Darlegung der Gründe für die Zweifel an seiner Eignung und unter Angabe der für die Untersuchung in Betracht kommenden Stelle oder Stellen mit, dass er sich innerhalb einer von ihr festgelegten Frist auf seine Kosten der Untersuchung zu unterziehen und das Gutachten beizubringen hat. Diese formellen Anforderungen an den Inhalt einer Beibringungsanordnung sollen es dem Betroffenen ermöglichen, eine fundierte Entscheidung darüber zu treffen, ob er sich der geforderten Begutachtung unterziehen will oder nicht (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 3 C 20.15 – BVerwGE 156, 293 = juris Rn. 21). Durch die Mitteilung der zu begutachtenden Fragestellung, die der Konkretisierung des Untersuchungsthemas dient, soll der Betroffene in Einklang damit in die Lage versetzt werden, sich innerhalb der nach § 11 Abs. 6 Satz 2 FeV zu bestimmenden Frist zur Vorlage des Gutachtens ein Urteil darüber zu bilden, ob die Aufforderung zu dessen Beibringung rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist. Zudem soll er sich darüber schlüssig werden können, ob er sich – unbeschadet der Rechtmäßigkeit der Anordnung – der mit seiner Exploration voraussichtlich verbundenen Offenlegung von Details aus seiner Privatsphäre aussetzen will. Schließlich ist die Mitteilung der konkreten Fragestellung an den Betroffenen auch deshalb geboten, um ihm die Prüfung zu ermöglichen, ob die an den Gutachter mitgeteilte Fragestellung der Beibringungsanordnung entspricht und sich die Begutachtungsstelle daran hält. Hinsichtlich des genauen Grades der Konkretisierung, die die von der Fahrerlaubnisbehörde festzulegende und mitzuteilende Fragestellung aufweisen muss, kommt es ausgehend von diesen abstrakten Anforderungen auf die besonderen Umstände jedes Einzelfalls an. Der Beibringungsanordnung muss sich zweifelsfrei entnehmen lassen, welche Problematik auf welche Weise geklärt werden soll (vgl. BVerwG, B.v. 5.2.2015 – 3 B 16.14 – DAR 2015, 216 = juris Rn. 8 f.). Ferner muss die Aufforderung im Wesentlichen aus sich heraus verständlich sein und der Betroffene ihr entnehmen können, was konkret ihr Anlass ist und ob das dort Mitgeteilte die behördlichen Zweifel an der Fahreignung rechtfertigen (BayVGH, B. v. 30.03.2021 – 11 ZB 20.1138 -, juris).
Zur Beurteilung der Kraftfahreignung bei Menschen mit epileptischen Anfällen bzw. Epilepsien müssen auch mögliche assoziierte körperliche oder psychische Störungen berücksichtigt werden, falls notwendig auch durch Konsultation weiterer Fachdisziplinen. Besteht eine antiepileptische medikamentöse Behandlung (dies ist nur für Gruppe 1 von praktischer Relevanz), so darf die Fahrtüchtigkeit hierdurch nicht herabgesetzt werden (vgl. Begutachtungsleitlinien für Fahreignung, Stand 31.12.2019 Nr. 3.9.6 Epilepsien).
Gerade bei einer medikamentösen antiepileptischen Behandlung – wie sie beim Antragsteller vorliegt – ist die Frage nach einer ausreichenden Compliance und Adhärenz sowie ordnungsgemäßen Medikamenteneinnahme nicht zu beanstanden. Die Frage nach einem Beigebrauch psychoaktive Substanzen inklusive Alkohol unterstellt keinen Missbrauch oder den Konsum illegaler Substanzen, sondern zielt auf die Abklärung möglicher Wechselwirkungen mit der verordneten Medikation oder Grunderkrankung ab. Eben diese Abklärung war auch beim Antragsteller dadurch angezeigt, dass gerade der Vorfall vom … Dezember 2019 laut dem neurologischen Attest von Dr. B. … vom … April 2020 mutmaßlich auf eine wie auch immer geartete fehlerhafte oder unwirksame Medikamenteneinnahme zurückzuführen war.
2.3. Schließlich erfolgte die Gutachtensanordnung auch unter Setzung einer angemessen bemessenen Frist (§ 11 Abs. 6 Satz 2 FeV), welche sogar bis zum 30. September 2020 verlängert wurde und es wurde auf die Folgen einer Fristversäumnis nach § 11 Abs. 8 FeV in der Gutachtenanforderung (Seite 3) hingewiesen.
3. Da der Antragsteller damit nicht berechtigt war, die Erstellung oder Vorlage des Gutachtens zu verweigern und auch kein Gutachten vorlegte, hält die vom Antragsgegner verfügte Entziehung der Fahrerlaubnis der gerichtlichen Überprüfung im Ergebnis stand.
Angesichts der mangelnden Erfolgsaussichten der Klage und der Gefahren für Leben, körperliche Unversehrtheit und Eigentum anderer Verkehrsteilnehmer durch fahrungeeignete Personen hat es bei der sofortigen Vollziehung der Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge zu verbleiben und müssen die privaten Interessen des Antragstellers zurücktreten.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Die Festsetzung des Streitwertes ergibt sich aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz – GKG – i.V.m. den Empfehlungen Nr. 1.5 Satz 1, 46.3 und 46.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, Anhang § 164 Rn. 14).


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